Siebzehntes Kapitel

[40] Wenn aber in der zweiten Figur beide Vordersätze nur als statthafte gesetzt werden, so ergiebt sich kein Schluss, mögen die Vordersätze bejahend oder verneinend und allgemein oder beschränkt lauten; drückt aber der eine Vordersatz das einfache Sein aus und bezeichnet[40] nur der andere das statthafte Sein, so wird sich niemals ein Schluss ergeben, wenn der bejahende Vordersatz das einfache Sein ausdrückt, und es wird immer ein Schluss sich ergeben, wenn der verneinende Vordersatz allgemein lautet. Dasselbe findet statt, wenn der eine Vordersatz als ein nothwendiger, der andere nur als ein statthafter angesetzt wird. Man muss aber auch hier das Statthafte in den Schlusssätzen in demselben Sinne wie früher nehmen.

Zunächst ist zu zeigen, dass ein Satz, welcher statthafterweise verneint, sich nicht umkehren lässt; wenn also A statthafterweise in keinem B enthalten ist, so ist es nicht nothwendig, dass auch B statthafterweise in keinem A enthalten ist. Denn wenn man dies annähme, also dass B statthafterweise in keinem A enthalten sei so würde, da statthafte Bejahungen sich in statthafte Verneinungen und zwar sowohl in die gegentheiligen, wie in die widersprechenden umkehren lassen, offenbar, wenn B statthafterweise in keinem A enthalten ist, es auch statthaft sein, dass B in allen A enthalten ist. Dies ist aber falsch; denn wenn das eine statthafterweise in dem ganzen anderen enthalten ist, so muss nicht auch letzteres in dem ganzen ersten enthalten sein; also lässt sich der verneinende Satz nicht umkehren.

Auch hindert nichts, dass, wenn A in keinem B statthafterweise enthalten ist, dennoch B in einigen A nothwendig nicht enthalten ist, so ist z.B. dass Weisse statthafterweise in keinem Menschen enthalten (denn es kann auch in allen enthalten sein), aber von dem Menschen kann man nicht mit Wahrheit sagen, dass er statthafterweise in keinem Weissen enthalten sei; denn in vielen Menschen ist das Weisse nothwendig nicht-enthalten und das nothwendige ist nicht das statthafte. Auch aus der Unmöglichkeit des Gegentheils wird die Umkehrung nicht bewiesen werden können; z.B. wenn jemand behaupten wollte, dass, wenn es falsch sei, das B statthafterweise in keinem A enthalten sei, es dann wahr sein müsse, es sei nicht-statthaft, dass B in keinem A enthalten sei, da diese beiden Sätze sich wie Bejahung und Verneinung verhielten. Wenn es also nicht statthaft sei, dass B in keinem A enthalten sei, so sei es auch wahr, dass B nothwendig in einigen A enthalten sei und[41] folglich auch A in einigen B, was doch unmöglich sei. Allein wenn es nicht statthaft ist, dass B in keinem A enthalten ist, so muss es deshalb nicht in einigen A nothwendig enthalten sein; weil der Satz es sei nicht statthaft, dass etwas in keinem anderen enthalten sei, zweideutig ist, indem damit eben sowohl gesagt sein kann, dass etwas nothwendig in einem anderen enthalten sei, wie dass es nothwendig in einem anderen nicht enthalten sei. Denn man kann nicht in Wahrheit sagen, dass B nothwendig in einigen A nicht enthalten sei, wenn B statthafterweise in allen A nicht enthalten ist; und ebenso kann man nicht in Wahrheit sagen, dass B in einigen A nothwendig enthalten sei, weil es in allen A statthafterweise enthalten ist. Wollte also jemand behaupten, dass, weil ü in allen D statthafterweise nicht enthalten sei, C in einigen D nothwendig nicht enthalten sei, so würde er etwas falsches behaupten; denn C ist in allen D enthalten; allein weil es in einigen D nothwendig enthalten ist, so sagt man deshalb, es sei nicht in allen C statthafterweise enthalten. Also ist dem »Statthafterweise in allen enthalten sein«, sowohl das: »In einigen nothwendig enthalten sein«, wie das: »In einigen nothwendig nicht enthalten sein«, entgegengesetzt. Gleiches gilt für das: »In keinem statthafterweise enthalten sein.« Es ist also klar, dass für das statthafte und nicht-statthafte in dem Sinne, wie ich es im Beginne definirt habe, als Gegensatz nicht blos das: »In einigen nothwendig enthalten sein« zu nehmen ist, sondern auch das: »In einigen nothwendig nicht-enthalten sein.« Wenn dies geschieht, ergiebt sich nichts unmögliches und daher auch kein Unmöglichkeitsschluss. Es erhellt also aus dem. Gesagten, dass der verneinende Satz sich hier nicht umkehren lässt.

Nachdem dies dargelegt worden, nehme man an, dass A statthafterweise in keinem B enthalten ist, aber in allen C. Hier kann durch Umkehrung kein Schluss zu Stande kommen, denn ich habe gezeigt, dass ein solcher verneinender Satz sich nicht umkehren lässt. Ebensowenig kann aus der Unmöglichkeit des Gegentheils der Schluss begründet werden, denn wenn man auch annähme, dass B in allen C statthafterweise enthalten sei, so kommt dabei nichts falsches heraus. Denn A könnte[42] ja sowohl in allen C, wie in keinem C statthafterweise sein. Wenn aber überhaupt ein Schluss sich ergäbe, so erhellt, dass er nur auf das Statthafte lauten könnte, weil keiner der beiden Vordersätze als einfach seiend genommen worden ist. Nun wäre dieser Schluss entweder bejahend oder verneinend; allein keines von beiden ist zulässig; denn wenn er bejahend angenommen wird, so kann mittelst der Beispielsweise angenommenen Begriffe gezeigt werden, dass das Enthaltensein nicht statthaft ist; wird der Schluss aber verneinend angenommen, so kann eben dadurch gezeigt werden, dass der Schluss nicht auf das Statthafte, sondern auf das Nothwendige lautet. Denn A soll das Weisse sein und B der Mensch und C das Pferd. Hier kann nun A, das Weisse in allen von dem einen und in keinem von dem andern statthafterweise enthalten sein. Allein B kann statthafterweise in dem C weder enthalten noch nicht enthalten sein; denn dass B in C statthafterweise enthalten sei, ist unmöglich, da kein Pferd ein Mensch ist. Aber auch dass B statthafterweise in C nicht enthalten sei, ist falsch; denn es ist nothwendig, dass kein Pferd ein Mensch ist und das Nothwendige ist kein Statthaftes. Also ergiebt sich kein Schluss. Dasselbe lässt sich zeigen, wenn die Verneinung bei den Vordersätzen umgewechselt wird, oder wenn beide Vordersätze bejahend oder verneinend gesetzt werden, wie sich mittelst jener Beispielsweise angenommenen Begriffen ebenfalls zeigen lässt. Auch wenn der eine Vordersatz allgemein und der andere beschränkt, oder wenn beide beschränkt oder unbestimmt lauten, oder wenn man wie sonst die Vordersätze aufstellen mag, wird es keinen Schluss geben und es lässt sich dies immer durch jene Beispielsweise aufgestellten Begriffe zeigen. Es erhellt also, dass wenn beide Vordersätze nur auf das Statthafte lauten, kein Schluss sich ergiebt.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 40-43.
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