Vierunddreissigstes Kapitel

[77] Oft trifft es sich indess, dass man sich deshalb täuscht, weil die Begriffe in Bezug auf die Vordersätze nicht richtig ausgedrückt sind; z.B. wenn A die Gesundheit ist und B die Krankheit und C der Mensch. Hier kann man in Wahrheit sagen, dass das A in keinem B enthalten sein kann (denn in keiner Krankheit ist die Gesundheit enthalten) und dass B in allen C enthalten ist (denn jeder Mensch kann in Krankheit gerathen); sonach könnte man meinen, es folge, dass in keinem Menschen die Gesundheit enthalten sein könne. Der Grund hiervon ist, dass die Begriffe in ihrem Ausdrucke nicht richtig angesetzt sind; denn wenn andere Ausdrücke statt der die Zustände bezeichnenden gesetzt werden, ergiebt sich kein Schluss; z.B. wenn man statt: Gesundheit das Gesunde setzt, und statt: Krankheit das Kranke. Denn man kann dann nicht in Wahrheit sagen, dass in dem Kranken das Gesundwerden nicht enthalten sein könne; wenn also dies nicht gesetzt wird, so ergiebt sich auch kein Schluss als höchstens auf die Statthaftigkeit und dies ist nicht[77] unmöglich, denn es ist statthaft, dass in keinem Menschen die Gesundheit enthalten ist.

Auch bei der zweiten Figur kann der gleiche Irrthum vorkommen; denn die Gesundheit kann in keiner Krankheit, aber statthafterweise in allen Menschen enthalten sein, woraus folgte, dass die Krankheit in keinem Menschen enthalten wäre. In der dritten Figur betrifft der Irrthum das Statthaft-sein. Denn die Gesundheit wie die Krankheit, die Kenntnisse wie die Unwissenheit und überhaupt das Entgegengesetzte können statthafterweise in demselben Gegenstande enthalten sein, aber unmöglich kann das eine der Gegentheile in dem anderen enthalten sein. Dies stimmt aber nicht mit dem früher Gesagten; wonach, wenn in demselben Gegenstande Mehreres statthafterweise enthalten war, dies Mehrere statthafterweise auch eines in dem anderen enthalten war.

Es erhellt sonach, dass in allen diesen Fällen der Irrthum aus der falschen Ausdrucksweise der Begriffe entsteht; wird statt des Zustandes der damit behaftete Gegenstand gesetzt, so ergiebt sich nichts Falsches.

Es ist also klar, dass bei solchen Vordersätzen immer statt des Zustandes der damit behaftete Gegenstand genommen und als Begriff in den Schluss gesetzt werden muss.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 77-78.
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