Elftes Kapitel

[70] Eines von Vielem oder vieles von Einem bejahen oder verneinen ist weder eine Bejahung noch eine Verneinung, wenn nicht das durch die Vielen Bezeichnete eines ist. Ich nenne aber das keine Einheit, wo zwar ein Name vorliegt, aber keine Einheit aus jenen Vielen. So ist z.B. der Mensch wohl ein Geschöpf und zweifüssig und zahm, aber es entsteht auch aus diesen vielen eine Einheit; dagegen wird aus dem weissen und dem Menschen und dem zahm keine Einheit und deshalb wären auch im Fall man eine Bestimmung von ihnen bejahte, dies nicht eine Bejahung, sondern nur eine Aeusserung, aber mehrere Bejahungen. Ebenso sind es viele Bejahungen, wenn Jemand diese mehreren Worte von einem Gegenstande aussagt. Wenn nun die dialektische, in der Form von Entweder – Oder gefasste Frage eine Antwort verlangt, sei es auf den Vordersatz oder auf den andern gegensätzlichen Theil, so kann, da der Vordersatz nur der eine Theil des in der Frage enthaltenen Gegensatzes ist, auch die Antwort nicht eine sein; denn auch die Frage ist nicht eine, selbst wenn sie in ihrem Gegensatze richtig ist. In der Topik habe ich hierüber verhandelt. Zugleich erhellt, dass die Frage: Was ein Gegenstand sei, keine dialektische Frage ist; denn bei einer solchen muss die Wahl gegeben sein, welchen von beiden der sich widersprechenden Sätzen der Antwortende behaupten will; deshalb muss der Fragende bestimmter hinzufügen, ob z.B. der Mensch dieses, oder nicht dieses ist.

Da nun mehrere zusammengestellte Bestimmungen bald wie eine Aussage aller dieser besonderen Bestimmungen[70] ausgesprochen werden, bald nicht wie eine, so fragt sich, worin hier der Unterschied, liegt. So kann man von dem Menschen in Wahrheit besonders aussagen, dass er ein Geschöpf ist, und auch besonders dass er zweifüssig ist; aber ebenso kann man beide Bestimmungen als eines aussagen. Ebenso kann man Etwas getrennt erst Mensch und dann weiss nennen, aber auch beides zusammen als eines aussagen; allein es ist nicht zulässig, dass wenn ein Mensch in besonderen Sätzen Schuhmacher und gut genannt weiden kann, er auch in einem Satze ein guter Schuhmacher genannt werden kann, denn es würde viel Verkehrtes herauskommen, wenn, weil jedes einzelne dieser Urtheile wahr ist, deshalb auch beide zusammen wahr sein sollten. In Bezug- auf einen einzelnen Menschen ist allerdings sowohl die Aussage: dass er ein Mensch ist wie dass er weiss ist richtig und deshalb sind auch beide vereint hier wahr. Nimmt man aber wieder das Weiss für sich und verbindet es mit dem Ganzen, so ergiebt sich das Urtheil, dass der weisse Mensch weiss ist und das geht ohne Ende fort. Nimmt man ferner die Bestimmungen: musikalisch, weiss, und gehend, so führen auch diese durch eine wiederholte Verbindung zu einer Reihe ohne Ende. Auch wenn Socrates, sowohl Socrates, wie Mensch ist, so ergiebt sich durch die Verbindung der Satz, dass der Mensch Socrates Socrates ist und wenn jemand Mensch und zweifüssig ist, so ergiebt sich, dass der zweifüssige Mensch Mensch ist.

Es ist also klar, dass viel Verkehrtes herauskommt, wenn jemand solche Verbindungen allgemein für zulässig erklären wollte; wie aber die Regeln hier aufzustellen sind, will ich jetzt sagen. So weit die ausgesagten Bestimmungen von den Gegenständen, von denen man sie aussagen kann, nur als nebensächliche ausgesagt werden, sei es nebensächlich in Bezug auf den Gegenstand selbst, oder sei die eine Bestimmung nebensächlich in Bezug auf die andere, so weit bilden sie keine Einheit. So ist z.B. ein Mensch weiss und musikalisch; aber weiss und musikalisch sind keine Einheit, denn sie hängen demselben Menschen nur nebenbei an. Auch wenn man das Weisse in Wahrheit musikalisch nennen könnte, so wäre doch das musikalische Weisse keine Einheit, denn das[71] Musikalische wäre nur nebenbei weiss und deshalb ist das musikalische Weisse keine Einheit. Deshalb kann auch der Schuhmacher nicht schlechthin gut genannt werden, wohl aber kann er ein zweifüssiges Geschöpf genannt werden, da diese Bestimmungen ihm nicht blos nebenbei anhaften. Auch können alle Bestimmungen, welche schon in dem anderem enthalten sind, von diesem nicht ausgesagt werden. Deshalb kann man das Weiss nicht wiederholt weiss nennen, noch ist der Mensch ein Mensch-Geschöpf oder ein Mensch-Zweifüssler, denn in dem Menschen ist schon das Geschöpf und das Zweifüssige enthalten. Dagegen kann man von einem einzelnen Menschen sich überhaupt so ausdrücken; so kann man z.B. diesen bestimmten Menschen einen Menschen und diesen bestimmten weissen Menschen einen weissen Menschen nennen.

Indess ist dies nicht immer zulässig; vielmehr wird, wenn in dem vorliegenden Gegenstande etwas Entgegengesetztes enthalten ist, so dass von ihm das Widersprechende ausgesagt werden würde, das Urtheil dann nicht wahr sein; z.B. wenn man einen todten Menschen einen Menschen nennen wollte. Ist aber ein solches Entgegengesetztes nicht an demselben vorhanden, so ist das Urtheil richtig; oder vielmehr: Wenn etwas Gegensätzliches in dem Gegenstande enthalten ist, so ist das Urtheil allemal falsch; wenn aber ein solches nicht darin enthalten ist, so ist das Urtheil doch nicht allemal wahr. So sagt man z.B.: Homer ist etwas, z.B. ein Dichter. Ist nun hiernach Homer oder ist er nicht? Offenbar wird hier das ist nur nebensächlich von Homer ausgesagt, nehmlich dahin, dass er ein Dichter ist, aber dies ist wird nicht an – sich von Homer ausgesagt.

Sonach kann man alles Ausgesagte, was, wenn man auf seinen Begriff, statt auf den Namen achtet, mit dem Unterliegenden nicht im Widerspruche steht und was als ein An-sich und nicht blos nebensächlich demselben anhaftet, auch nach seinem Was schlechthin dem Unterliegenden in Wahrheit beilegen. Dagegen kann man das Nicht-seiende nicht deshalb, weil es ein Vorgestelltes ist, in Wahrheit als ein Seiendes bezeichnen; denn die Vorstellung desselben geht nicht dahin, dass es ist, sondern dass es nicht ist.

Quelle:
Aristoteles: Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen. Aristoteles: Hermeneutica oder Lehre vom Urtheil. Leipzig 1876, S. 70-72.
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