Siebentes Kapitel

[16] Folglich darf man auch Behufs eines Beweises, nicht in ein anderes Gebiet übergreifen; so darf z.B. das Geometrische nicht durch arithmetische Sätze bewiesen werden. Denn die Beweise enthalten dreierlei; dass eine ist der bewiesene Schlusssatz, welcher von einer Gattung etwas aussagt, was an sich in ihr enthalten ist; das zweite sind die aufgestellten Vordersätze, aus denen der Schlusssatz folgt; das dritte ist die Gattung, um die es sich handelt, von welcher der Beweis die Zustände und das ihr an sich Zukommende offenbar macht.

Die Vordersätze, aus denen der Beweis abgeleitet wird, können dieselben für mehrere Beweise sein, wenn sie indess verschiedenen Gattungen angehören, z.B. der Arithmetik, oder der Geometrie, so kann man dann den arithmetischen Beweis nicht auf die Bestimmungen, die zur geometrischen Grösse gehören anwenden, wenn diese Grössen nicht selbst Zahlen sind. Ich werde später darlegen, wie dies bei einigen ausführbar ist. Der arithmetische Beweis hält sich dagegen immer innerhalb der Gattung, um deren Beweis es sich handelt und ebenso ist dies bei den anderen Wissenschaften der Fall. Deshalb muss der Beweis sich entweder durchaus innerhalb derselben Gattung halten, oder doch in einer gewissen Weise, sofern der Beweis in eine andere Gattung übergreifen will. In jeder anderen Weise ist dies aber unmöglich, wie dies klar sich daraus ergiebt, dass sowohl die äusseren Begriffe, wie der mittlere zu derselben Gattung gehören müssen; denn wenn sie nicht als ein An sich zu derselben Gattung gehören, so sind sie nur ein Nebenbei. Aus diesem Grunde kann die Geometrie nicht beweisen, dass die Wissenschaft von Gegentheilen nur eine ist, und auch nicht, dass die Summe zweier Kubikzahlen wieder eine Kubikzahl ist. Ebenso kann auch jede andere Wissenschaft nicht die Sätze einer andern beweisen, sie müssten sich denn so zu einander verhalten, dass die eine der anderen untergeordnet ist, wie das z.B. mit der Optik in Bezug auf die Geometrie und mit der Harmonielehre in Bezug auf die Arithmetik der Fall[16] ist. Auch kann die Geometrie nicht das beweisen, was den Linien nicht als Linien oder nicht vermöge ihrer eigenthümlichen obersten Grundsätze einwohnt; z.B. nicht die Frage, ob die gerade Linie die schönste von allen Linien sei, oder ob sie das Gegentheil zu dem Kreisumring bilde; denn diese Bestimmungen gehören als solche nicht zu deren eigenthümlichen Gattungsbegriffe, sondern sie sind etwas, was auch anderen Gattungen gemeinsam ist.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 16-17.
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