Vierzehntes Kapitel

[93] Um Streitsätze richtig lösen zu können, muss man die Zergliederungen und Eintheilungen benutzen und dabei[93] so verfahren, dass man die gemeinsame Gattung von allen an Grunde legt; also wenn beispielsweise die Geschöpfe den Gegenstand der Aufgabe bilden, so muss man ermitteln, welche Bestimmungen in allen Geschöpfen enthalten sind. Wenn diese Bestimmungen ermittelt sind, so muss man wieder sehen, welche Bestimmungen der obersten Art, die nach dem Gattungsbegriff folgt, allgemein zukommen, wären dies z.B. die Vögel, so hätte man zu ermitteln, welche Bestimmungen allen Vögeln zukommen. So hat man dann auch immer weiter mit der nächstfolgenden Art zu verfahren. Es ist klar, dass man auf diese Weise dann angeben kann, warum diese Bestimmungen den unter der Gattung stehenden Arten zukommen, z.B. weshalb dem Menschen oder dem Pferde dergleichen zukommen. So soll A das Geschöpf bezeichnen, B die Bestimmungen, welche allen Geschöpfen zukommen und C, D, E sollen die einzelnen Arten der Thiere sein. Hier ist klar, weshalb B dem D zukommt, nämlich vermittelst A; und ebenso ist es bei den andern Thierarten, da für alle derselbe Grund gilt.

Bisher habe ich von den Fällen gesprochen, wo gemeinsame Namen für diese Bestimmungen vorhanden sind; allein man darf sich nicht blos auf diese beschränken, sondern hat zu sehen, ob nicht noch sonst etwas Gemeinsames in dem Begriffe enthalten ist und ermitteln, welchen Arten dieses Gemeinsame zukommt und welche Bestimmungen von diesem Gemeinsamen ausgesagt werden. So kommt z.B. den Thieren, welche Hörner haben, zu, dass sie einen wiederkäuenden Magen haben, und dass sie nicht in beiden Kinnladen Vorderzähne haben. Hier muss man nun ermitteln, welchen Thieren das Hörner-haben zukommt, denn dann ist klar, weshalb ihnen jene genannten Bestimmungen zukommen, nämlich weil sie Hörner haben.

Ein anderes Verfahren ist das, wo man nach der Aehnlichkeit die Bestimmungen ermittelt. Man kann nämlich das, was man das Rückgrat des Dintenfisches und bei andern Fischen die Gräten und bei andern Thieren die Knochen nennen muss nicht als ein- und dasselbe annehmen; allein dennoch giebt es Bestimmungen, welche diesen Gegenständen so zukommen, als wenn sie eine gleiche derartige Natur hätten.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 93-94.
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