Achtes Kapitel

[77] Indess ist nochmals zu untersuchen, welche von diesen Behauptungen richtig sind und welche nicht und was die Definition ist und wie also von dem Was ein Beweis und eine Definition statt hat oder ob dies durchaus nicht der Fall ist. Ich habe nun bereits gesagt, dass das Wissen des Was und das Wissen der Ursache des Was dasselbe ist. Der Grund hiervon ist, dass die Ursache etwas ist und als solches sie entweder dasselbe mit dem Gegenstande, oder etwas Anderes und wenn etwas Anderes, so ist sie entweder beweisbar oder unbeweisbar. Ist die Ursache nun etwas anderes und lässt sie sich beweisen, so muss sie ein Mittleres sein und das Was muss in der ersten Schlussfigur bewiesen werden, denn hier ist das, was man beweist, allgemeiner und bejahender Natur. Damit wäre nun ein Weg zudem, was wir suchen, vermittelt, indem das Was durch ein Anderes beweisen würde. Denn von dem Was eines Gegenstandes muss immer der Mittelbegriff wieder ein Was enthalten, und von dem Eigenthümlichen des Gegenstandes muss der Mittelbegriff immer etwas Eigenthümliches enthalten. Somit wird also von dem wesentlichen Was derselben Sache theils etwas bewiesen, theils etwas nicht bewiesen.[77]

Dass nun diese Weise zu verfahren kein eigentlicher Beweis ist, habe ich früher gesagt; indess ist es doch der logischen Form nach ein Schluss auf das Was einer Sache. In welcher Weise aber ein Beweis statthaft ist, will ich darlegen, indem ich wieder von vorn beginne. Denn wie man das Warum sucht, nachdem man das Dass erkannt hat und wie mitunter Beides zugleich offenbar wird, aber niemals das Warum vor dem Dass erkannt werden kann, so kann auch offenbar das wesentliche Was nicht ohne das Dass erkannt werden; denn man kann unmöglich das Was eines Gegenstandes kennen, wenn man nicht weiss, ob er ist. Nun kennt man das: ob Etwas ist manchmal nur aus einer nebensächlichen Bestimmung an demselben; manchmal aber auch, indem man etwas von der Sache selbst inne hat; so z.B. weiss man, dass der Donner ein Geräusch in den Wolken ist und dass die Mondfinsterniss eine Beraubung des Lichtes ist und dass der Mensch ein Geschöpf ist und dass die Seele ein sich selbst Bewegendes ist. Bei allen Dingen nun, von denen man nur aus einem Nebensächlichen weiss, dass sie sind, muss nothwendig die Kenntniss ihres Was fehlen; denn man weiss dann nicht, dass sie sind und ein Suchen nach dem Was, ohne dass man das Dass kennt, ist ein Suchen nach Nichts. Je mehr man aber etwas von der Sache selbst kennt, um so leichter ist es; und so weit man also weiss, dass ein Gegen stand ist, so weit nähert man sich auch dem Wissen seines Was.

Mit den Fällen, wo man etwas von dem Was des Gegenstandes kennt, soll es sich nun zunächst folgendermaassen verhalten: A bedeute die Verfinsterung, C den Mond, B das Davortreten der Erde. Das Suchen nun, ob der Mond sich verfinstere oder nicht, ist das Suchen, ob B ist oder nicht. Dies ist aber nichts anderes, als den Grund der Mondfinsterniss suchen, und man sagt, dass wenn B ist, auch die Mondfinsterniss ist. Dies gilt auch, mag der Grund für die Bejahung oder für die Verneinung gelten, z.B. ob das Dreieck zusammen zwei rechte Winkel enthält oder ob es sie nicht enthält. Sobald man den Grund gefunden hat, weiss man sowohl das Dass, wie das Warum, sofern der Grund in einem unvermittelten Satze besteht. Ist dies nicht der Fall, so[78] weiss man nur das Dass, aber nicht das Warum. Es sei z.B. C der Mond, A die Verfinsterung und B dass der Vollmond keinen Schatten haben kann, wenn sich zwischen uns und ihm nichts Wahrnehmbares befindet. Wenn nun dem C das B einwohnt, nämlich dass es keinen Schatten haben kann, wenn nicht zwischen ihm und uns ein Wahrnehmbares sich befindet, und wenn in dem C aber das A, nämlich dass er verfinstert worden, enthalten ist, so ist zwar klar, dass er verfinstert ist, aber das Warum ist noch nicht klar und wir wissen wohl, dass eine Verfinsterung da ist, aber nicht, was sie ist. Wenn also bekannt ist, dass A dem C zukommt, so ist das Suchen, warum es so ist, ein Suchen was B ist, ob es ein Dazwischenstehen der Erde, oder eine Wendung des Mondes, oder ein Verlöschen des Lichtes ist. Diese Frage betrifft nun den Grund des zweiten Gliedes, also hier das A; denn die Mondfinsterniss ist eine Lichtversperrung durch die Erde. So kann man fragen: Was ist der Donner? Antwort: Ein Verlöschen des Feuers in den Wolken. Frage: Warum donnert es? Antwort: Weil das Feuer in den Wolken verlöscht. Es sei also C die Wolke, A der Donner, B das Verlöschen des Feuers. Nun ist in C, in der Wolke, das B enthalten, denn das Feuer in ihr verlöscht. In dem B ist aber A, das Geräusch enthalten und B ist der Grund von A, dem Oberbegriff. Wenn nun für B ein weiterer Mittelbegriff besteht, so ist die Ableitung aus diesen weitem Mittelbegriffen zu bewirken.

Somit ist dargelegt, wie das Was eines Gegenstandes zwar erfasst und bekannt wird, aber dass weder ein Schluss, noch ein Beweis für das Was aufgestellt werden kann. Indess wird das Was doch durch den Schluss und den Beweis bekannt. Man kann also ohne Beweis das Was eines Gegenstandes nicht kennen lernen, wenn dasselbe etwas Anderes zu seiner Ursache hat, aber eben so wenig giebt es einen Beweis für das Was, wie ich schon bei Erörterung der Bedenken gesagt habe.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 77-79.
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