Drittes Capitel

[33] Nachdem nun dieses festgesetzt ist, ist über die Ursachen zu handeln, wie beschaffen und wie viele der Zahl nach sie sind. Denn da das Wissen der natürlichen Dinge bezweckt wird; etwas zu wissen aber wir nicht eher glauben, als bis wir sein Warum erfaßt haben (dieß aber ist die erste Ursache erfassen); so müssen offenbar wir es auch so halten mit Entstehung und Untergang und mit allem natürlichen Uebergange; auf daß wir, kennend ihren Ursprung, auf diesen alles, was da untersucht wird, zurückzuführen suchen. Auf Eine Weise nun heißt Ursache das, woraus als aus einem Vorhandenen etwas entsteht; wie z.B. das Erz Ursache der Bildsäule, und das Silber der Schaale, und die Gattungen von diesen. Auf andere Art die Formbestimmung und das Muster; dieß aber ist der Begriff, der das Was bestimmt, und die Gattungen von diesem; z.B. für die Octaven das Verhältnis von zwei zu drei, und überhaupt die Zahl und die durch den Begriff gegebenen Theile. – Ferner woher der erste Anfang der Veränderung oder der Ruhe. Auf diese Art ist, der einen Anschlag faßt, Ursache; und der Vater Ursache des Kindes, und überhaupt das Thätige des Gethanen, und das Verändernde des Veränderten. – Ferner wie das Endziel. Dieß aber ist das, wegen dessen etwas ist. So ist des Spazierengehens Ursache die Gesundheit; denn auf die Frage: Warum geht er spazieren? antworten wir, um gesund zu werden, und glauben hiemit die Ursache angegeben zu haben. Hierher gehört auch alles, was zwischen der ersten bewegenden Ursache und dem Zwecke in der Mitte liegt; wie, wenn die Gesundheit der Zweck ist, das Magerwerden, oder die Reinigung, oder die Arzneymittel, oder die[33] Werkzeuge; denn alles dieß ist des Zweckes wegen; der Unterschied ist, daß das eine Werke, das andere Werkzeuge sind.

Die Ursachen nun werden ungefähr in sovielerlei Sinne genommen. Es geschieht aber, daß, da vielfacher Art die Ursachen sind, auch Vieles von einem und demselben Ursache ist nicht auf beiläufige Weise: z.B. die Bildsäule, die Bildhauerkunst und das Erz, nicht in anderer Hinsicht, sondern wiefern sie Bildsäule ist. Allein die Art ist nicht dieselbe, sondern das eine wirkt als Stoff, das andere als Ursprung der Bewegung. Es ist auch Einiges sich gegenseitig Ursache; so das Arbeiten Ursache der Geschicklichkeit, und diese des Arbeitens; aber nicht auf dieselbe Weise, sondern das eine als Zweck, das andere als Ursprung der Bewegung. Sodann kann auch ein und dasselbe von Entgegengesetztem Ursache sein. Denn was als gegenwärtiges Ursache von diesem ist, das als abwesendes nennen wir bisweilen Ursache vom Gegentheile, z.B. die Abwesenheit des Steuermanns von der Zerstörung des Schiffes, dessen Gegenwart Ursache der Rettung war. – Alle jetzt genannten Ursachen aber fallen unter vier Hauptgattungen. Die Buchstaben nämlich sind von den Sylben, und der Stoff von den bereiteten Sachen, und das Feuer und dergleichen von den Körpern, und die Theile von dem Ganzen, und die Voraussetzungen von der Schlußfolge als das Woraus, Ursache. Von diesem aber wiederum Einiges als die Grundlage, wie die Theile; Anderes als das Was; das Ganze, und die Zusammensetzung, und die Formbestimmung. Der Saame aber und der Arzt, und der Anstifter und überhaupt das Thätige, alles als das woher der Anfang der Veränderung oder des Stillstands, und der Bewegung. – Von dem Uebrigen aber das Endziel und das Gute. Denn der Zweck heißt das Beste und Endziel des Uebrigen. Es kommt uns aber hier nichts darauf an, es das Gute oder das Gutscheinende zu nennen.[34]

Die Ursachen sind nun also solche und so viele der Art nach. Unterarten aber der Ursachen sind der Zahl nach zwar viele. Auch diese aber kann man in wenigere zusammenfassen. Vielerlei nämlich bedeutet Ursache. Und auch von denen, die zu Einer Art gehören, geht eine der andern vor oder nach. So ist der Gesundheit Ursache der Arzt und der Künstler. Und der Octaven die Verdopplung, und die Zahl, und stets wiederum gegen jedes, das in sich Fassende. Sodann findet das Nebenbei auch in den Gattungen von diesen statt. So ist der Bildsäule Ursache auf andere Weise Polykletus, und auf andere der Bildhauer, indem nur nebenbei der Bildhauer Polykletus ist. So auch was dieses Beiläufige umschließt; so wie der Mensch Ursache der Bildsäule, oder überhaupt das Lebendige. Es ist aber auch von dem Nebenbei einiges näher, anderes ferner, wie wenn der Weiße oder der Musikalische Ursache der Bildsäule genannt würde. Bei allem aber sowohl was als eigentliche, wie was als beiläufige Ursache genannt wird, wird einiges als die Möglichkeit, anderes als die Wirklichkeit bewirkend genannt; z.B. von dem Bauen eines Hauses der Baumeister, oder der bauende Baumeister. Auf gleiche Weise, wie jetzt gesagt, spricht man auch von dem Bewirkten, z.B. von dieser Bildsäule, oder von einer, oder auch über haupt von einem Bilde; und von diesem Erz, oder von Erz, oder überhaupt von Stoff; und bei dem Beiläufigen eben so. Auch wird beides verflochten gesagt, z.B. nicht Polykletus, oder der Bildhauer, sondern der Bildhauer Polykletus. Doch alles dieß ist der Menge nach sechs; auf zweifache Weise aber gemeint. Denn entweder als Einzelnes, oder als das Beiläufige, oder als die Gattung des Beiläufigen, oder als Verflechtung von diesen, oder schlechthin wird es so gesagt. Alles aber entweder als Wirklichkeit, oder der Möglichkeit nach. Der Unterschied ist dieser, daß das der Wirklichkeit nach und im Einzelnen[35] Thätige zugleich mit seiner Wirkung ist oder nicht ist; z.B. dieser Heilende mit diesem Genesenden, und dieser Baumeister mit diesem Baue; das der Möglichkeit nach aber nicht immer; denn es geht nicht zugleich unter das Haus und der Baumeister. Man muß aber stets von jedem die letzte Ursache suchen; wie auch bei dem Uebrigen; z.B. der Mensch baut, weil er Baumeister, der Baumeister aber nach seiner Baukunst. Dieß ist also eine eigentliche Ursache. Und so bei Allem. Sodann sind die Gattungen eigentlich Ursachen von Gattungen, das Einzelne vom Einzelnen; z.B. der Bildhauer von der Bildsäule, dieser bestimmte aber von dieser bestimmten; und die Kräfte von Möglichem, das wirklich Wirkende aber von Wirklichem. Wie viel nun der Ursachen, und auf welche Weise sie Ursachen sind, möge uns zur Genüge für bestimmt gelten.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 33-36.
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