Erstes Capitel

[121] Es geschieht aber alle Veränderung theils nebenbei; wie wenn wir sagen, daß das Musikalische gehe, indem, wobei es sich trifft, daß es musikalisch ist, dieses geht; theils, wenn von einem bestimmten Dinge etwas sich verändert, sagt man Veränderung schlechthin; z.B. wenn von einer theilweisen die Rede ist. Es geneset nämlich der Körper, wenn das Auge, oder die Brust: dieß aber sind Theile des gesammten Körpers. Es giebt aber auch eine Bewegung, die weder nebenbei geschieht, noch in einem Theile bloß des Ganzen, sondern in dem Dinge selbst unmittelbar. Und dieses ist das an und für sich Bewegliche, je nach den verschiedenen Arten der Bewegung aber verschiedenartig, z.B. umbildsam, und innerhalb des Begriffs der Umbildung, heilbar oder erwärmbar verschiedenartig. Es verhält aber auch mit dem Bewegenden sich eben so. Das eine nämlich bewegt nebenbei, das andere nach seinen Theilen, indem etwas an ihm das Bewegende ist; noch anderes an und für sich unmittelbar, wie z.B. der Arzt heilt, oder die Hand schlägt. Da es aber etwas giebt, das zunächst bewegt, und etwas, das bewegt wird, ferner ein Worin, nämlich die Zeit, und neben diesem ein Woher und Wohin (denn alle Bewegung geht von etwas aus und nach etwas hin; denn verschieden ist das zunächst Bewegende, und das wohin es sich bewegt und[121] woher; z.B. das Holz, und das Warm und das Kalt; von diesen ist eines das Was, eines das Wohin, und eines das Woher): so ist die Bewegung offenbar in dem Holze nicht als in der Formbestimmung; denn weder bewegt, noch wird bewegt die Formbestimmung, oder der Raum, oder die Größe. – Doch es giebt ein Bewegendes und ein Bewegtes, und etwas, wohin die Bewegung geht. Mehr nämlich nach dem, wohin die Bewegung geht, als nach dem, woher sie kommt, wird benannt die Veränderung. Darum wird auch der Untergang bezeichnet als Uebergang in das Nichtseiende: da doch zugleich aus Seiendem die Veränderung bei dem Untergange statt findet. Und die Entstehung als in Seiendes; wenn auch aus Nichtseiendem.

Was nun sei die Bewegung, ist zuvor gesagt worden. Die Formbestimmungen aber, und die Zustände, und der Raum, wohin die Bewegung geht, sind unbeweglich: z.B. die Einsicht und die Wärme. Doch könnte man zweifeln, ob nicht die Zustände Bewegungen sind; die weiße Farbe aber ein solcher Zustand, denn sie kann in Bewegung übergehen. Indeß wohl nicht die Farbe ist Bewegung, sondern die Färbung. Es findet aber auch hierin statt sowohl das Nebenbei, als das Theilweise, als das durch Anderes, als das Unmittelbar und nicht durch Anderes. Z.B. das was weiß gefärbt wird, geht in das was gedacht wird über nebenbei; denn für die Farbe ist es zufällig, daß sie gedacht wird. In die Farbe aber, weil Theil das Weiß ist von der Farbe; gleichwie man nach Europa kommt, indem Athen Theil von Europa ist. In die weiße Farbe endlich an und für sich selbst. Wie nun also etwas sich an und für sich bewegt, und wie nebenbei und wie durch etwas anderes, und wie das Nämliche das Erste ist, sowohl bei dem Bewegenden als bei dem Bewegten, ist klar; und daß die Bewegung nicht in der Formbestimmung ist, sondern in dem, was bewegt ist und beweglich der[122] That nach. Diejenige Veränderung nun, die nebenbei geschieht, mag liegen bleiben: denn sie ist in Allem, und allezeit, und von Allem. Die aber nicht nebenbei geschieht, ist nicht in Allem, sondern in den Gegensätzen und dem was dazwischen ist, und dem Widerspruche. Dieß aber kann bewiesen werden durch allmähliche Betrachtung des Einzelnen. Von den Mittleren nun aus geschieht die Veränderung, wie von Entgegengesetztem. Denn es gilt als Gegentheil gegen jedes der beiden Glieder. Es ist nämlich gewissermaßen das Mittlere beide Aeußersten. Darum heißt sowohl dieses gegen jene, als auch jene gegen dieses das Gegentheil; z.B. die mittlere Seite tief gegen die höchste, und hoch gegen die tiefste; und das Grauweiß gegen das Schwarz, und schwarz gegen das Weiß.

Da nun alle Veränderung ist aus etwas in etwas (wie dieß auch der Name zeigt: ein Werden zum Anderen), von denen das eine ein Vor, das andere ein Nach bedeutet: so möchte die Veränderung auf vierfache Art geschehen: entweder nämlich aus einer Grundlage in eine Grundlage, oder aus einer Nichtgrundlage in eine Nichtgrundlage, oder aus einer Nichtgrundlage in eine Grundlage, oder aus einer Grundlage in eine Nichtgrundlage. Ich nenne aber Grundlage, was durch Bejahung ausgedrückt wird. Also muß es zufolge des Gesagten dreierlei Veränderungen geben: aus einer Grundlage in eine Grundlage, aus einer Grundlage in eine Nichtgrundlage, und aus einer Nichtgrundlage in eine Grundlage. Denn die aus einer Nichtgrundlage in eine Nichtgrundlage ist nicht Veränderung, weil sie nicht ist nach Gegensatz; denn weder Gegentheile sind hier vorhanden, noch ein Widerspruch. Der Uebergang nun aus einer Nichtgrundlage in eine Grundlage im Widerspruche, ist Entstehung, entweder schlechthin eine einfache, oder eine bestimmte von etwas Bestimmten: z.B. der aus Nichtweißem in Weißes,[123] ist Entstehung von diesem. Die aber aus Nichtseiendem schlechthin in Wesen, ist Entstehung schlechthin, in Bezug auf welche wir schlechthin sagen, daß etwas werde oder nicht werde. Der Uebergang aber aus Seiendem in Nichtseiendes ist Untergang: schlechthin zwar, der aus dem Wesen in das Nichtsein, eine Art aber der in die entgegenstehende Verneinung, gleichwie gesagt ward auch bei der Entstehung. – Wenn nun das Nichtseiende mehrerlei bedeutet, und weder das nach Zusammensetzung oder Theilung sich zu bewegen vermag, noch das der Möglichkeit nach, welches dem schlechthin der That nach Seienden entgegensteht (denn das Nichtweise zwar, oder das Nichtgute kann doch sich bewegen nebenbei; es könnte nämlich ein Mensch das Nichtweiße sein: das schlechthin Nichtsolche aber auf keine Weise, denn unmöglich kann, was nicht ist, sich bewegen): so kann auch nicht die Entstehung Bewegung sein; denn es entsteht das, was nicht ist. Denn wenn es auch noch so sehr nebenbei entsteht, so ist es dennoch richtig zu sagen, daß vorhanden ist das Nichtseiende hinsichtlich des Entstehenden schlechthin. Eben so auch das Ruhen. – Alles dieß sind Schwierigkeiten, welche treffen eine Bewegung des Nichtseienden: so auch, wenn alles was sich bewegt, im Raume, das Nichtseiende aber nicht im Raume ist; denn es wäre ja dann irgendwo. – Eben so wenig ist der Untergang eine Bewegung. Denn entgegenstehend ist eine Bewegung der anderen, oder eine Ruhe der anderen; der Untergang aber ist der Entstehung entgegengesetzt. – Weil nun alle Bewegung eine Veränderung ist, Veränderungen aber die drei genannten; von diesen aber die nach Entstehung und Untergang nicht Bewegung sind; eben diese aber diejenigen sind, die im Widerspruche geschehen: so muß der Uebergang aus einer Grundlage in eine Grundlage allein Bewegung sein. Die Grundlagen aber sind entweder Gegensätze, oder Mittlere. Auch die[124] Verneinung nämlich mag als Gegensatz gelten, und es wird ausgesprochen durch Bejahung das Nackt, und Weiß und Schwarz. – Wenn nun die Grundformen zerfallen in Wesen, Beschaffenheit, Raum, Zeit, Verhältniß, Größe, Thun und Leiden, so muß es dreierlei Bewegungen geben: die der Größe, und die der Beschaffenheit, und die nach dem Raume.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 121-125.
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