Fünftes Capitel

[135] Ferner ist zu bestimmen, welche Bewegung entgegengesetzt ist einer Bewegung. Und hinsichtlich des Stillstands auf dieselbe Weise. Zu unterscheiden nun ist zunächst, ob entgegengesetzt ist die Bewegung von dem Nämlichen der zu dem Nämlichen, z.B. die von der Gesundheit der zu der Gesundheit: von welcher Art auch Entstehen und Vergehen[135] scheint. Oder die von Gegentheilen her, z.B. die von der Gesundheit der von der Krankheit. Oder die nach Gegentheilen hin, z.B. die nach der Gesundheit der nach der Krankheit. Oder die von einem Gegentheile her der nach dem Gegentheile hin, z.B. die von der Gesundheit der nach der Krankheit. Oder die von dem Gegentheile zu dem Gegentheile der von dem andern Gegentheile zu dem andern, z.B. die von der Gesundheit zu der Krankheit, der von der Krankheit zu der Gesundheit. Denn nothwendig findet entweder eine dieser Weisen statt, oder mehre; denn auf andere Weise läßt sich kein Gegensatz denken.


Es ist nun die von dem Gegentheile der zu dem Gegentheile nicht entgegengesetzt; z.B. die von der Gesundheit der zu der Krankheit. Denn sie sind eine und dieselbe; ihr Sein jedoch ist nicht das nämliche, so wie es auch nicht das Nämliche ist, von Gesundheit, und in Krankheit überzugehen. Noch die von dem einen Gegentheile der von dem andern. Denn sie muß zugleich von dem Gegentheile aus und nach dem Gegentheile hin, oder nach dem was dazwischen ist, gehen. Doch hievon werden wir nachher sprechen. Aber vielmehr, in das Gegentheil überzugehen, könnte Grund zu sein scheinen des Gegenlaufs, als aus dem Gegentheile. Dieses nämlich wäre Entfernung von der Entgegensetzung; jenes aber Annahme derselben: jede Bewegung aber wird benannt von dem worein sie übergeht vielmehr als von dem woraus, z.B. Genesung nach der Gesundheit, Erkrankung nach der Krankheit. Es bleibt also übrig die zu Gegentheilen, und die zu Gegentheilen von Gegentheilen der zu an dern Gegentheilen von anderen. Vielleicht nun könnte sich ergeben, daß die nach Gegentheilen hin auch von Gegentheilen her kommt. Doch das Sein wohl ist nicht das nämliche; ich meine nämlich nach der Gesundheit hin und von[136] der Krankheit her; und umgekehrt. – Da nun verschieden ist Veränderung von Bewegung; die Veränderung nämlich von etwas zum Grunde liegenden in etwas zum Grunde liegendes ist Bewegung: so ist die von Gegentheil zu Gegentheil der von dem andern Gegentheil zum andern entgegengesetzte Bewegung; z.B. die von Gesundheit zu Krankheit der von Krankheit zu Gesundheit. Es erhellt aber auch aus den Beispielen, welcherlei Dinge für solche Gegensätze gelten; das Genesen nämlich und das Erkranken, das Lernen und das Getäuschtwerden nicht durch sich selbst: denn nach Gegentheilen hin gehen sie. Wie nämlich zur Einsicht, so auch zum Irthum kann man sowohl durch sich kommen, als auch durch Andere. Und das Aufwärts und Abwärtsgehen: Gegensätze nämlich sind dieß nach der Höhe; und rechtwärts und linkwärts, Gegensätze nach der Breite; und vorwärts und rückwärts, welches ebenfalls Gegensätze nach der Länge sind. Nach dem Gegentheile hin aber allein findet nicht Bewegung, sondern nur Veränderung statt; z.B. weiß zu werden nicht aus etwas. Und was kein Gegentheil hat, für dieses steht die Veränderung aus ihm der in es entgegen. So steht die Entstehung dem Untergang entgegen, und das Verlieren dem Bekommen. Dieses nun sind Veränderungen, Bewegungen aber nicht. Die Bewegungen aber nach dem Dazwischen bei denjenigen Gegensätzen, die ein Dazwischen haben, sind unter die nach den Gegentheilen hin zu setzen. Denn als Gegentheil gilt das Dazwischen für die Bewegung: welche von beiden Richtungen sie auch gehen mag, z.B. aus dem Grau in das Weiß wie aus dem Schwarz, und aus dem Weiß in das Grau wie in das Schwarz, aus dem Schwarz aber in das Grau wie in das Weiß. Das Grau nämlich als das Mittlere, gilt gewissermaßen gegen jedes von beiden Aeußersten, wie auch zuvor gesagt. – Bewegung also steht der Bewegung entgegen dergestalt, daß die eine von dem Gegentheile zu dem[137] Gegentheile, die andere von den letztern zu dem erstern geht.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 135-138.
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