Zehntes Capitel

[169] Nachdem nun dieß gezeigt ist, sagen wir, daß, was keine Theile hat, nicht vermag sich zu bewegen, außer nebenbei: z.B. wenn bewegt wird der Körper oder die Ausdehnung, worin es vorhanden ist; wie wenn, was in dem Schiffe ist, bewegt wird durch die Bewegung des Schiffes, oder der Theil durch die Bewegung des Ganzen. Man kann aber auch besonders an der Kugel den Unterschied sehen. Nicht nämlich werden dieselbe Schnelle haben die Theile um den Mittelpunct, und die äußeren, und die ganze; indem es nicht eine einige Bewegung ist. Wie wir nun sagten, so vermag sich zu bewegen das Theillose, wie der, welcher in dem Schiffe sitzt, von dem Laufe des Schiffs; für sich aber vermag[169] es nicht. Es gehe nämlich über aus A B in B C; sei es als aus einer Größe in eine Größe, oder als aus einer Formbestimmung, oder im Wiederspruch. Die Zeit aber sei, worin zuerst es übergeht, D. Wird es nun nicht, in welcher Zeit es übergeht, entweder in dem A B sein müssen, oder in dem B C, oder der eine Theil von ihm in dem einen, der andere aber in dem andern? Denn alles, was sich verändert, verhielt sich so. In jedem von beiden nun wird nicht sein etwas von ihm. Denn dann wäre es theilbar. Allein auch nicht in dem B C wird es sein; denn schon übergegangen wäre es dann; es wird aber angenommen, daß es übergehe. Bleibt also übrig, daß es in dem A B sei, zu der Zeit, da es übergeht. So würde es dann ruhen. Denn in dem Nämlichen sein eine Zeit hindurch, ist ruhen. Also vermag nicht das Theillose sich zu bewegen, noch überhaupt zu verändern. Denn allein so hätte es eine Bewegung, wenn die Zeit aus dem Jetzt bestünde. Immer nämlich in dem Jetzt würde es sich dann bewegt und verändert haben; und also nie zwar sich bewegen, stets aber sich bewegt haben. Daß aber dieß unmöglich sei, ist auch zuvor gezeigt worden. Denn weder die Zeit besteht aus den Jetzt, noch die Linie aus Puncten, noch die Bewegung aus Bewegtheilen. Nichts anderes nämlich behauptet, wer dieses sagt, daß die Bewegung aus Untheilbarem bestehe, wie wenn er behauptete, daß die Zeit aus den Jetzt, oder die Ausdehnung aus Puncten. – Weiter aber ist hieraus ersichtlich, daß weder ein Punct, noch sonst etwas Untheilbares sich zu bewegen vermag. Alles nämlich was sich bewegt, kann unmöglich eher durch etwas Größeres, als es selbst ist, sich bewegen, als entweder durch Gleiches, oder Kleineres. Ist aber dem so, so sieht man, daß auch der Punct durch Kleineres oder Gleiches zuerst sich bewegen wird. Da er aber untheilbar, so kann er nicht durch Kleineres vorher sich bewegt haben. Durch ihm Gleiches[170] also. So bestünde denn die Linie aus Puncten. Denn stets durch Gleiches sich bewegend, wird der Punct die ganze Linie ausmessen. Ist aber dieß unmöglich, so ist auch, daß das Untheilbare sich bewege, unmöglich. – Ferner, wenn alles in einer Zeit sich bewegt, in dem Jetzt aber nichts; alle Zeit aber theilbar ist: so muß es für jedes, was sich bewegt, eine Zeit geben, die kleiner ist als diejenige, in welcher es durch einen ihm gleichen Raum sich bewegt. Dieß nämlich wird die Zeit sein, worin es sich bewegt, weil alles sich in einer Zeit bewegt; daß aber alle Zeit theilbar ist, ist zuvor gezeigt worden. Wenn nun also der Punct sich bewegt, so wird es eine Zeit geben, die kleiner ist als die, worin er sich bewegte. Aber dieß ist unmöglich. Denn in der kleineren muß das Kleinere sich bewegen. Also würde theilbar sein das Untheilbare in das Kleinere, gleichwie auch die Zeit in die Zeit. Denn allein so könnte sich bewegen das Theillose und Untheilbare, wenn eine Bewegung statt fände in dem untheilbaren Jetzt. Dasselbe nämlich gilt davon, daß in dem Jetzt etwas sich bewegte, und daß etwas Untheilbares sich bewegte.

Keine Veränderung nun ist unbegrenzt; denn jede ist aus etwas in etwas, sowohl die in dem Widerspruche, als die in Gegensätzen. Also ist für die nach dem Widerspruche die Bejahung und die Verneinung Grenze; z.B. für die Entstehung das Seiende, für den Untergang aber das Nichtseiende. Für die aber in den Gegensätzen, die Gegensätze: diese nämlich sind das Aeußerste der Veränderung. Also auch für alle Umbildung; denn aus bestimmten Gegensätzen ist die Umbildung. Gleicherweise auch für Wachsthum und Abnahme; denn die Grenze des Wachsthums ist die Vollendung der Größe nach der eigenthümlichen Natur, der Abnahme aber das Heraustreten aus dieser. Die räumliche Bewegung aber wird dergestalt nicht eine begrenzte sein; denn nicht alle ist in Gegensätzen. Aber[171] weil, was dergestalt nicht getheilt werden konnte, daß es des Getheiltseins unempfänglich ist (denn vielerlei bedeutet das Nichtkönnen), das dergestalt Nichtkönnende nicht vermag getheilt zu werden, noch überhaupt, was nicht werden kann, zu werden: so kann auch nicht, was nicht sich verändern kann, sich verändern in dasjenige, in das es nicht sich verändern kann. Wenn nun das räumlich sich Bewegende übergeht in etwas, so wird es auch überhaupt sich verändern. Also wird nicht unbegrenzt sein die Bewegung, noch gehen durch den unbegrenzten Raum. Denn es ist unmöglich, diesen zu durchgehen. Daß es nun nicht dergestalt eine unbegrenzte Veränderung giebt, das sie nicht durch Begrenzungen bestimmt wäre, ist ersichtlich. Aber ob es dergestalt möglich ist, das sie der Zeit nach unbestimmt sei, indem sie eine und dieselbe ist, ist zu untersuchen. Denn ist sie nicht Eine, so hindert vielleicht nichts, daß auf die Raumbewegung Umbildung folgt, und auf die Umbildung Wachsthum, und wiederum Entstehung. Denn so wird stets zwar die Zeit nach Bewegung sein, aber nicht Eine, weil nicht ist Eine aus allen. Dergestalt aber, daß sie Eine sei, vermag sie nicht unbegrenzt zu sein der Zeit nach; außer eine. Diese eine aber ist die Kreisbewegung.[172]

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 169-173.
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