Achtes Capitel

[164] Da nun alles entweder sich bewegt oder ruht, was von Natur diese Bestimmung hat, und wenn es sie hat, und wo, und wie: so muß das was sich stellt, wenn es sich stellt, sich bewegen. Denn bewegt es sich nicht, so wird es ruhen. Aber nicht vermag in Ruhe überzugehen das was bereits ruhet. Da dieses gezeigt ist, sieht man, daß auch in der Zeit das sich Stellen geschehen muß. Denn was sich bewegt, bewegt sich in der Zeit; was aber sich stellt, dieß ist gezeigt worden als sich bewegend. Also muß es in einer Zeit sich stellen. Eben so auch, wenn wir das Schneller und Langsamer von dem was in der Zeit ist sagen; denn bei dem sich Stellen findet Schneller und Langsamer statt. In welcher Zeit aber zunächst das sich Stellen geschieht, in jedwedem Theile von dieser muß es geschehen. Denn geschieht es nach Theilung der Zeit in keinem der beiden Theile, so auch nicht in der ganzen. Also würde nicht sich stellen, was sich stellt.[164] Wenn aber nur in einem, so könnte nicht für eine nächste die ganze gelten. Denn mittelbar nach einem der Theile geschieht dann in dieser die Stellung, gleichwie gesagt ward auch bei dem sich Bewegenden vorhin. So wie aber für das was sich bewegt, es nichts giebt, worin es zuerst sich bewegte, so auch nichts, worin zuerst sich stellte was sich stellt. Denn weder das sich Bewegen, noch das sich Stellen hat ein Erstes. Es sei nämlich das, worin etwas zuerst sich stellt, A B. Dieses nun kann ohne Theile zwar nicht sein. Denn Bewegung ist nicht in dem Theillosen, weil durch einen Theil von ihm die Bewegung gegangen sein muß; was aber sich stellt, davon ist gezeigt, daß es sich bewegt. Aber wenn es theilbar ist, so wird in jedem seiner Theile das sich Stellen geschehen. Denn dieses ist vorhin gezeigt worden, daß, worin etwas zunächst sich stellt, in jedem Theile von diesem es sich stellt. Da es nun Zeit ist, worin etwas zunächst sich stellt, und nicht Untheilbares; alle Zeit aber ins Unbegrenzte theilbar: so wird es nichts geben, worin etwas zuerst sich stellt. – Auch nicht für das Ruhende giebt es ein Wann zuerst es ruhte. Denn in Theillosem konnte es nicht ruhen, weil nicht ist Bewegung in Untheilbarem. Worin aber Ruhen stattfindet, darin auch sich Bewegen. Denn dann sagen wir, daß etwas ruhe, wenn auch worin es von Natur sich bewegen könnte, nicht sich bewegt das was könnte. Ferner sagen wir auch dann, daß etwas ruhe, wenn es sich gleichergestalt verhält jetzt und zuvor: so daß wir es nicht nach einerlei Rücksicht beurtheilen, sondern nach zweierlei zum mindesten. Also kann nicht sein, worin etwas ruht, ohne Theile. Ist es aber theilbar, so wäre es Zeit, und in jedem seiner Theile wird Ruhe stattfinden. Auf dieselbe Weise nämlich wird der Beweis zu führen sein, wie auch bei dem Vorhergehenden. Davon aber ist Grund, daß alle Ruhe und Bewegung stattfindet in der Zeit. Zeit aber giebt es nicht,[165] welche die erste wäre, noch Ausdehnung, noch überhaupt etwas Stetiges. Denn alles ist ins Unbegrenzte theilbar.

Da aber alles was sich bewegt, in einer Zeit sich bewegt, und aus etwas in etwas übergeht, so kann, in welcher Zeit es sich bewegt an und für sich, und nicht in einem Theile derselben, in dieser nicht in etwas zunächst sein das sich Bewegende. Dann das Ruhen besteht darin, daß in dem Nämlichen ist eine Zeitlang sowohl das Ding selbst, als jedes seiner Theile. Dann nämlich sprechen wir von Ruhe, wenn man mit Wahrheit sagen kann, daß es in verschiedenen Jetzt in dem Nämlichen ist, sowohl es selbst, als seine Theile. Wenn aber hierin besteht das Ruhen, so vermag nicht das sich Verändernde in etwas ganz zu sein in der er sten Zeit. Denn alle Zeit ist theilbar: so daß man mit Wahrheit sagen könnte, daß in verschiedenen Theilen derselben es in dem Nämlichen wäre, sowohl es selbst als seine Theile. Ist dem aber nicht so, sondern nur in Einem Jetzt: so wird es sich nicht zu irgend einer Zeit in etwas befinden, sondern nur in der Begrenzung der Zeit. In dem Jetzt findet es sich zwar stets in etwas verweilend, nicht aber als ruhte es. Denn weder sich Bewegen, noch Ruhen findet statt in dem Jetzt; wohl aber nicht sich Bewegen in dem Jetzt und sein in etwas. In der Zeit aber vermag es nicht auf solche Weise zu sein, wie das Ruhende. Denn dann würde folgen, daß das räumlich sich Bewegende zugleich ruhte.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 164-166.
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