[624] 53. eka' âtmanaḥ çarîre bhâvât
einige [behaupten die Sterblichkeit] der Seele, weil sie besteht, so lange der Leib.

Im gegenwärtigen Abschnitte wird die Existenz der vom Leibe losgelösten Seele erwogen, um ihre Befähigung zur Bindung und Erlösung zu erweisen. Denn wenn die Seele über den Leib hinaus nicht fortbestünde, so würden Pflichtanforderungen, die erst in einer andern Welt ihre Frucht brächten, nicht zulässig sein, und noch viel weniger liesse sich beweisen, dass die Seele irgend wessen ihrem Wesen nach Brahman sei. – ›Aber es wurde doch schon in dem an der Spitze unseres Lehrbuches stehenden ersten Pâda [nämlich zu Jaim. 1, 1, 5] die Existenz der zum Genusse der vom Kanon verheissenen Frucht befähigten, über den Leib hinaus fortbestehenden Seele besprochen.‹ – Wohl wahr! doch nur von dem Kommentator; hingegen ein Sûtram über die Existenz der Seele findet sich daselbst nicht. Hier aber unternimmt es der Verfasser der Sûtra's selbst, die Existenz der Seele, nach vorherigen Einwürfen gegen dieselbe, festzustellen. Und aus unserer Stelle hat es der Lehrer Çabarasvâmin entnommen, und in dem von der »Autorität« handelnden Buche [nämlich zu Jaim. 1, 1, 5, p. 19-24] dargestellt. Daher kommt es auch, dass der ehrwürdige Upavarsha im ersten Teile des Lehrbuches, da wo er die Fortexistenz der Seele darzulegen hatte, sich der Sache enthebt[624] mit den Worten: »im Çârîrakam werden wir es auslegen.« Wenn aber die Fortexistenz der Seele gerade hier, wo es sich um die pflichtartigen Verehrungen handelt, in Betracht gezogen wird, so geschieht dies, um zu zeigen, dass ihr ganzer Lehrinhalt von dieser Lehre abhängig ist. Auch wurde ja im letzten Adhikaraṇam | unter Annahme eines Abgehens vom Thema gezeigt, wie die vom Manas u.s.w. geschichteten Feuer zur Lehre vom Endzwecke des Menschen gehören. Wer ist nun dieser Mensch, zu dessen Endzweck jene vom Manas u.s.w. geschichteten Feuer gehören? In dieser Frage liegt die Veranlassung, die Existenz der über den Leib hinausreichenden Seele nachzuweisen. Hierbei hat das gegenwärtige erste Sûtram den Zweck, die Einwürfe gegen ihre Existenz vorzubringen, weil das Vorbringen der Einwürfe und das Entkräftigen derselben ähnlich wie die auf einen Pfahl geführten Schläge die Überzeugung von der in Rede stehenden Sache befestigt.

»Einige« also, nämlich die nur in dem Leibe das Selbst sehenden Materialisten (Lokâyatika) glauben, dass ein über den Leib hinaus fortbestehendes Selbst nicht existiere, und indem sie annehmen, dass das Geistige, wiewohl unsichtbar, in den gesamten und einzelnen äussern Elementen, Erde u.s.w., wie sie sich zur Gestalt des Leibes umformen, enthalten sei, behaupten sie, dass aus diesen das Geistige als Erkenntnis hervorgehe, ähnlich wie die Kraft des Rausches [aus den Gärstoffen], und dass der Mensch [nur] ein durch dieses Geistige sich auszeichnender Leib sei. Hingegen leugnen sie ein über den Leib hinaus fortbestehendes Selbst, vermöge dessen das Geistige im Leibe sei, und welches im Stande wäre, in den Himmel oder in die Erlösung einzugehen; vielmehr nehmen sie an, dass der Leib allein das Geistige und das Selbst sei, und führen als Grund an, dass das Geistige nur bestehe »so lange der Leib besteht«. Denn was so lange besteht, wie ein anderes besteht, und nicht mehr besteht, wenn jenes nicht mehr besteht, das ist damit, dass es eine Qualität desselben ist, vollständig begriffen, wie Hitze und Licht damit, dass sie Qualitäten des Feuers sind. Ebenso stehe es mit Odem, Bewegung, Erinnerung u.s.w., welche von den Anhängern der Seele für Qualitäten der Seele gehalten würden; da auch sie nur innerhalb des Leibes wahrgenommen würden und ausserhalb desselben | nicht wahrgenommen würden, und da ein über den Leib hinausreichender Träger dieser Qualitäten nicht erweisbar sei, so könnten sie nichts anderes sein als Qualitäten des Leibes. Somit bestehe das Selbst über den Leib hinaus nicht fort.

Auf diese Annahme erwidern wir:

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 624-625.
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