[550] 1. sarva-vedânta-pratyayaṃ, codanâ-âdi-aviçeshât
[die Lehre] aller Vedântatexte verdient Glauben, weil in der Aufforderung u.s.w. kein Unterschied.

Die Wesenheit des Brahman, welches den Gegenstand der Lehre bildet, haben wir erklärt. Jetzt nun ist zu untersuchen, in wie weit die Lehren, welche in den verschiedenen Vedântatexten enthalten sind, voneinander zu trennen sind oder nicht. – Aber haben wir nicht festgestellt, dass das Brahman, welches den Gegenstand dieser Lehren bildet, von allen Unterschieden des Früheren, Späteren u.s.w. frei, einheitlich und wie der Salzblock eines Geschmackes ist? Wie kann also da der Gedanke kommen, ob die Lehren über ihn verschieden oder nicht verschieden seien? Denn man kann doch nicht behaupten, dass es die Absicht des Vedânta sei, ähnlich wie es eine Vielheit von Werken giebt, auch eine Vielheit des Brahman zu lehren; indem das Brahman eines und eingestaltig ist. Auch geht es nicht an, dass über das eingestaltige Brahman verschiedengestaltige Lehren bestehen; | denn dass anders die Sache und anders die Erkenntnis der Sache sei, ist notwendigerweise ein Irrtum. Und gesetzt den Fall, es würden über das einheitliche Brahman vielheitliche Lehren in den verschiedenen[550] Vedântatexten mitgeteilt, so könnte nur eine derselben richtig, die andern hingegen würden falsch sein, und die Folge wäre der Verlust des Vertrauens auf den Vedânta. Es ist also nicht daran zu denken, dass in den einzelnen Vedântatexten eine Verschiedenheit der Lehren über Brahman statthabe. Auch würde man sich bei ihnen nicht darauf berufen können, dass ihre Einheit in der Übereinstimmung der Anbefehlung derselben liege, weil die Erkenntnis des Brahman ihrer Natur nach nicht anbefohlen werden kann. Denn die Erkenntnis des Brahman wird hervorgebracht durch die Belehrungen über Brahman, welche nicht als Endzweck eine Vorschrift haben, sondern bei Darlegung der Sache stehen bleiben, wie dieses der Lehrer ausgesprochen hat in den Worten: »jenes vielmehr wegen der Übereinstimmung« (Sûtram 1, 1, 4.) –

Aber wie kommt er denn dazu, hier eine Untersuchung über Verschiedenheit und Nichtverschiedenheit [der Lehren] anzustellen? – Wir antworten: hierin liegt kein Fehler, weil diese Untersuchung über Verschiedenheit und Nichtverschiedenheit der Lehren nur das attributhafte Brahman betrifft, so wie weiter auch den Prâṇa und anderes. | Hierbei ist nämlich ebenso gut wie bei den Werken eine Verschiedenheit und Nichtverschiedenheit der Verehrungen möglich. Ja, diese Verehrungen bringen ebenso wohl wie die Werke teils sichtbare, teils unsichtbare Frucht, indes einige derselben sogar [im Jenseits] die vollkommene Erkenntnis und durch Vermittlung derselben die Stufenerlösung als Frucht bringen. Bei diesen Verehrungen ist eine Untersuchung wie die folgende am Platze, ob in den einzelnen Vedântatexten eine Verschiedenheit der Lehren anzunehmen ist oder nicht.

Vorerst nun wollen wir an die [von Jaimini 2, 4, 8 augeführten] Gründe erinnern, welche für die Meinung des Opponenten sprechen. ›Zunächst können schon die Namen [der Vedaschulen] als Grund gelten, eine Verschiedenheit anzunehmen, wie es z.B. bei dem Worte »Licht« [welches in der einen Schule das, in der andern jenes bedeutet] und anderm der Fall ist. Ähnlich findet sich auch bei uns für die in den verschiedenen Vedântatexten vorliegenden Lehren bald dieser, bald jener Name, indem man z.B. von einer Lehre des Taittirîyakam, | des Vâjasaneyakam, des Kauthumakam, des Kaushîtakam, des Çâṭyâyanakam u.s.w. spricht. Weiter ist es auch die Verschiedenheit der Form, welche wie bekannt, eine Verschiedenheit der Werke bedingt; z.B. da wo es heisst: »das Milchgebräu ist für die Viçve Devâḥ, der Molketrank für die Vâjin's,« und anderwärts. Eine derartige Verschiedenheit in der Form findet sich auch bei uns. So erwähnen einige Vedaschulen bei der Fünf-Feuer-Lehre ein weiteres sechstes Feuer (Bṛih. 6, 2, 14), während andere derselben nur fünf kennen (Chând. 5, 4-8.) So werden bei dem Rangstreite der Organe als die Rede u.s.w. von einigen wenigere (Chând. 5, 1, 8-11), von andern mehrere[551] (Bṛih. 6, 1, 12) aufgezählt. Endlich kann da, wo es sich um zu Bewirkendes u.s.w. handelt, auch die Verschiedenheit der Observanz die Frage veranlassen, ob nicht eine Verschiedenheit der Werke anzunehmen sei. | Ähnlich findet sich auch bei uns eine Verschiedenheit der Observanz, z.B. bei dem Kopfgelübde [dem Gelübde, ein Becken mit glühenden Kohlen auf dem Kopfe zu tragen] der Anhänger des Atharva-Veda [welches nur in einer ihnen angehörigen Upanishad (Muṇḍ. 3, 2, 10) vorkommt]. In derselben Weise kann man die übrigen [von Jaimini besprochenen] Gründe für eine Verschiedenheit, die Wiederholung u.s.w., je nach Lage der Sache auch an den verschiedenen Vedântatexten durchführen. Sonach würde in den verschiedenen Vedântatexten eine Verschiedenheit der Lehren vorliegen.‹ –

Auf diese Annahme erwidern wir, dass die Lehren sämtlicher Vedântatexte Glauben verdienen und in dem einen wie in dem andern Texte für eben dieselben angesehen werden müssen. Warum? »weil in der Aufforderung u.s.w. kein Unterschied«. Der Zusatz »u.s.w.« dient, um die [von Jaimini] in dem die endgültige Meinung enthaltenden Sûtram ausgeführten Gründe für die Nichtverschiedenheit, sofern es sich um das Vorkommen in einer andern Vedaschule handelt, hier heranzuziehen, und bedeutet, dass »[eine Einheit statthat] weil in [Zweck-] Verbindung, Form, Aufforderung und Benennung ein Unterschied nicht vorliegt« (Jaim. 2, 4, 9.) So wie nämlich bei dem einen Feueropfer ungeachtet der Verschiedenheit der Vedaschulen eine und dieselbe Bemühung des Menschen, nämlich dass er opfern solle, gefordert wird, ebenso findet sich auch hier, wenn es z.B. bei den Vâjasaneyin's heisst: »fürwahr wer diesen ältesten und edelsten kennt« (Bṛih. 6, 1, 1), eben dieselbe Aufforderung auch bei den Chandoga's (Chând. 5, 1, 1.) Und auch die Verbindung mit dem [zu erstrebenden] Zwecke ist in beiden Fällen die nämliche, indem es heisst: »der wird der älteste und edelste unter den Seinigen« (Bṛih. 6, 1, 1; vgl. Chând. 5, 1, 1.) Und auch die Form der Lehre ist beiderseits die nämliche, | sofern es sich um die Wesenheit des Prâṇa handelt, welche mit den besonderen Attributen, dass er der älteste und edelste sei, ausgestattet ist. So wie nämlich die Opfermaterie und die Gottheit die Form des Opfers bedingen, ebenso bedingt das zu erkennende Objekt die Form der Erkenntnis, denn ihm entsprechend wird sie geformt. Endlich trägt diese Lehre vom Prâṇa beiderseits auch dieselbe Benennung. Somit hat man allen Vedântatexten in Bezug auf ihre Lehren Vertrauen zu schenken; denn eben das Nämliche lässt sich an der Fünf-Feuer-Lehre (Bṛih. 6, Chând. 5), an der Vaiçvânara-Lehre (Chând. 5, 11 fg.. Çatap. br. 10, 6, 1), an der Çâṇḍilya-Lehre (Chând. 3, 14, Çatap. br. 10, 6, 3) u.s.w. nachweisen. Was aber die Gründe betrifft welche, wie z.B. Name, Form u.s.w., scheinbar für eine Verschiedenheit[552] sprechen, so wurden diese bereits im ersten Teile von dem Sûtram an: »nicht wegen des Namens wird die Aufforderung zu einer andern, weil er eine blosse Benennung« (Jaim. 2, 4, 10), erledigt. Und auch hier werden wir den einen oder andern Unterschied, welcher Bedenken erregt, erledigen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 550-553.
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