[587] 26. hânau tu, upâyana-çabda-çeshatvât; kuçâ-cchandaḥ-stuti-upagânavat; tad uktam
vielmehr bei dem Loslassen, weil das Wort vom Übernehmen ihm zur Ergänzung; wie bei dem Holzspane, Metrum, Preisrufe, Zugesange; darüber ist gesprochen.

Es giebt eine Stelle der Tâṇḍin's: »gleichwie ein Ross die Mähne, von mir schüttelnd das Böse, gleich dem Monde, der aus dem Rachen des Râhu sich frei macht, von mir schüttelnd den Leib, werde ich eingehen, bereiteten Selbstes, in das Unbereitete,[587] in die Brahmanwelt« (Chând. 8, 18, 1.) – Ferner heisst es bei den Âtharvaṇika's (Muṇḍ. 3, 1, 3):


»Dann als ein Weiser schüttelt von sich er

Das Gute wie das Böse, und geläutert

Geht er zur Gleichheit mit dem Höchsten ein.«


Ebenso sagen die Çâṭyâyanin's: »die Söhne übernehmen seine Erbschaft, die Freunde sein gutes Werk, die Feinde sein böses Werk.« Und die Kaushîtakin's: »dann schüttelt er von sich das gute und das böse Werk; sein gutes Werk übernehmen die Bekannten, die ihm lieb sind, und sein böses Werk, die ihm nicht lieb sind« (Kaush. 1,4.) – Hier wird das eine Mal von einem Loslassen des guten und bösen Werkes gesprochen, das andere Mal von einem Übernehmen eben derselben teils von denen, die ihm lieb, teils von solchen, die es nicht sind, und das dritte Mal ist von beidem, dem Loslassen und dem Übernehmen die Rede. Wo nun beides vorkommt, da ist nichts weiter zu erinnern; und auch wo das Übernehmen ohne das Loslassen vorkommt, ergänzt sich das Loslassen von selbst durch den Sinn, denn wenn andere unsere guten und bösen Werke übernehmen sollen, so versteht es sich von selbst, dass wir sie loslassen. | Wo hingegen bloss das Loslassen, nicht aber das Übernehmen vorkommt, da entsteht die Frage, ob das Übernehmen zu ergänzen ist oder nicht, und man könnte denken, ›dass es nicht zu ergänzen sei, weil die betreffende Schriftstelle nichts davon enthalte, und weil die Stellen der andern Vedaschulen sich auf eine andere Lehre beziehen. Hierzu kommt, dass das Loslassen des guten und bösen Werkes eine eigene That, hingegen das Übernehmen eine fremde That ist, dass somit ohne anderweite Nötigung keineswegs in dem Loslassen schon ein Übernehmen angedeutet zu liegen braucht. Somit wäre bei dem Loslassen ein Ergänzen des Übernehmens nicht berechtigt.‹ – Auf diese Annahme erwidert der Lehrer: »vielmehr bei dem Loslassen«; d.h. auch wo bloss jenes Loslassen in der Schrift vorkommt, muss das Übernehmen hinzugedacht werden, welches ihm zur Ergänzung dient. Denn dass das Wort vom Übernehmen die Ergänzung des Wortes vom Loslassen ist, ergiebt sich aus der Geheimlehre der Kaushîtakin's (Kaush. 1, 4.) Somit ist auch anderwärts, wo bloss das Wort vom Loslassen vorkommt, das Übernehmen als seine Folge zu denken. Denn wenn behauptet wurde, dass die Ergänzung, weil sie in dem Texte fehle, sich auf eine andere Lehre beziehe und nicht notwendig sei, so erwidern wir darauf: dieser Grund für die Auseinanderhaltung würde stichhaltig sein, wenn es sich darum handelte, irgend ein Pflichtgebot, welches nur an dem einen Orte vorkäme, an dem andern einzuführen. Aber das Loslassen und Übernehmen wird hier gar nicht als ein Pflichtgebot erwähnt, sondern nur zur Verherrlichung des Wissens | werden beide erwähnt[588] und besagen, dass das Wissen so herrlich ist, dass infolge desselben von dem Wissenden das gute und das böse Werk, welche die Ursache des Saṃsâra sind, abgeschüttelt werden und in seine Freunde und Feinde eingehen. Da somit diese Erwähnung zur Verherrlichung dient, so muss, wie der Lehrer urteilt, weil unmittelbar auf das Loslassen als folgend das Übernehmen vorgestellt wird, dieses, da es an einigen Stellen vorkommt, auch an andern Stellen, wo nur ein Loslassen erwähnt wird, als dessen Folge gedacht werden, damit die Verherrlichung um so grösser werde. Denn dass die eine Sacherklärung gegeben wird, indem man sich auf eine andere Sacherklärung bezieht, ist etwas Gewöhnliches. Denn wenn es z.B. heisst: »wahrlich, jene Sonne ist das einundzwanzigste von hier aus« (Chând. 2, 10, 5), so kann hier von der Sonne, dass sie das einundzwanzigste sei, nur insofern gesagt werden, als dabei auf eine andere Sacherklärung Bezug genommen wird, welche sich findet in der Stelle: »zwölf Monate, fünf Jahreszeiten, diese drei Welten und jene Sonne als einundzwanzigstes« (Çatap. br. 6, 2, 2, 3.) Ebenso, wenn es heisst: »die beiden Trishṭubh-Verse dienen | zur Kräftigwerdung« (Ait. br. 1, 4, 11), so wird in Ausdrücken dieser Art Bezug genommen auf anderweitige Sacherklärungen, wie z.B.: »wahrlich die Trishṭubh ist das Kraftvermögen« (indriyaṃ vai trishṭug, Taitt. saṃh. 3, 2, 9, 3.) Da übrigens jene Stelle von dem Übernehmen [nur] den Zweck hat, das Wissen zu verherrlichen, so ist es nicht am Platze, auf die Frage, wie es möglich sei, dass ein anderer eines andern gute und böse Werke übernehmen könne, sich allzu tief einzulassen. Und auch der Lehrer, wenn er im Sûtram sagt: »weil das Wort vom Übernehmen ihm zur Ergänzung«, deutet mit dem Ausdrucke »Wort« darauf hin, dass man nur um der Verherrlichung [des Wissens] willen bei dem Loslassen an ein ihm folgendes Übernehmen zu denken habe; würde es sich hingegen um eine Zusammenfassung von [wirklichen] Qualitäten handeln, so müsste das Sûtram vielmehr sagen, dass [nicht das Wort, sondern] die Sache des Übernehmens dem Loslassen zur Ergänzung diene. Während es sich also im allgemeinen gegenwärtig um die Frage handelt, in wieweit die Qualitäten zusammenzufassen sind, so hat das vorliegende Sûtram vielmehr den Zweck, die Art und Weise der Zusammenfassung zu zeigen, wo es sich um blosse Verherrlichungen handelt. »Wie bei dem Holzspane, Metrum, Preisrufe, Zugesange«; in diesen Worten wird ein Gleichnis herangezogen, nämlich es ist damit, wie wenn z.B. die Bhâllavin's in dem Texte: »ihr Holzspäne, die ihr vom Waldesbaume stammt, ihr sollt mich schützen«, von den Holzspänen nur im allgemeinen aussagen, dass dieselben von einem Waldbaume ihren Ursprung haben, während die Çâṭyâyanin's in den Worten: »Holzspäne vom Udumbara-Baume« | die specielle Bestimmung bieten, dass Udumbara-Späne dabei zu verwenden[589] sind. – Oder es ist, wie wenn zuweilen zwischen den Metren der Götter und denen der Asura's in Betreff des Früher oder Später kein Unterschied gemacht wird, während aus einer Stelle der Pai gin's hervorgeht, dass »die Metra der Götter die früheren sind.« – Oder es ist, wie wenn für den sechzehnteiligen Preisruf [bei der übernächtigen Somafeier] einige keine genaue Zeitangabe bieten, während die nähere Zeitbestimmung zu entnehmen ist aus der Stelle der Ârcâbhin's: »zwischen dem, dass die Sonne aufgeht«. – Oder wie des Zugesanges einige ohne nähere Bestimmung gedenken, hingegen die Bhâllavin's mit einer Bestimmung [nämlich mit der auch Taitt. saṃh. 6, 3, 1, 5 vorkommenden, dass der Adhvaryu nicht in denselben einzustimmen habe]. – So wie also in diesen Beispielen vom Holzspane u.s.w. die in einer Schrift vorkommende nähere Bestimmung zu ergänzen ist, ebenso ist auch bei dem »Loslassen« das »Übernehmen« zu ergänzen. Wollte man nämlich die von der einen Schriftstelle gebotene nähere Bestimmung bei einer andern Schriftstelle von der Hand weisen, so würde allgemein das Wahlbelieben herrschen, welches doch, sofern ein anderer Weg sich zeigt, nicht zulässig ist. »Darüber ist gesprochen«, nämlich in dem zwölfteiligen Werke [des Jaimini], wo es heisst: »es ist vielmehr auf Grund der Ergänzung einer Stelle | die andere Auffassung auszuschliessen; im andern Falle waltet das Belieben«. –


Man kann auch annehmen, dass durch das vorliegende Sûtram in Bezug auf eben jene Schriftstellen von dem Vonsichschütteln [der guten und bösen Werke] die Frage behandelt werde, ob unter jenem Vonsichschütteln der guten und bösen Werke ein Loswerden derselben zu verstehen sei oder etwas anderes. – Die oppositionelle Meinung ist dabei so zu fassen: ›das Vonsichschütteln kann kein Loslassen bedeuten, denn die Wurzel dhû (schütteln) bedeutet nach der Smṛiti [der Grammatiker] ein Erschüttern; wie ersichtlich ist aus ihrer Anwendung in der Redensart: »die Fahnenwimpel werden geschüttelt«, welche besagen soll, dass die Wimpel der Fahnen vom Winde heftig bewegt [nicht aber abgeschüttelt] werden. Das Schütteln bedeutet also nur eine heftige Erschütterung und diese Erschütterung der guten und bösen Werke besagt, dass die Zeit kommt, wo sie [durch die Erlösung] verhindert werden, ihre Frucht zu bringen.‹ – Auf diese Annahme ist zu erwidern: | der Ausdruck »von sich schütteln« muss vielmehr ein Loslassen bedeuten, »weil das Wort vom Übernehmen ihm zur Ergänzung«; denn die guten und bösen Werke, welche in dem Besitze des einen sind, können, ohne dass sie losgelassen werden, von einem andern nicht übernommen werden. Und wenn auch dieses Übernehmen fremder guter und böser Werke durch andere nicht buchstäblich zu nehmen ist, so geht doch aus der[590] Erwähnung desselben hervor, dass ihm entsprechend jenes Vonsichschütteln gewiss nur ein Loslassen bedeuten kann. Und wenn auch dieses Übernehmen nur an einigen Stellen neben dem Vonsichschütteln vorkommt, so wird doch darauf, wie bei »dem Holzspane, Metrum, Preisrufe und Zugesange« überall, wo das Abschütteln vorkommt, Bezug genommen, und somit ist es für alle Stellen entscheidend für die Bedeutung des Vonsichschüttelns. – Auch die heftige Bewegung, wie die eines Fahnenwimpels, kann ja bei den guten und bösen Werken | nicht im eigentlichen Sinne verstanden werden, weil dieselben nicht materiell sind. Übrigens wirft auch ein Ross, wenn es die Mähne schüttelt, um den Staub los zu werden, zugleich mit diesem auch die abgenutzten Haare ab, und das Brâhmaṇam sagt ja: »gleichwie ein Ross die Mähne, von mir schüttelnd das Böse« (Chând. 8, 13, 1.) Da ferner die Wurzeln häufig mehrfache Bedeutungen haben, so findet ein Widerspruch dieser Erklärung mit der [grammatischen] Smṛiti nicht statt. Die Worte »darüber ist gesprochen« wurden bereits erklärt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 587-591.
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