[574] 18. kârya-âkhyânâd apûrvam
wegen der Erwähnung als Obliegenheit das noch nicht Dagewesene.

Die Chandoga's und Vâjasaneyin's lehren bei dem Rangstreite der Organe, dass alles, bis zu den Hunden u.s.w. herab, dem Prâṇa zur Nahrung diene, und erwähnen dabei, dass das Wasser ihm als Kleid diene. Darauf heisst es bei den Chandoga's: »darum fürwahr umhüllen die, welche essen wollen, ihn vorher und nachher mit Wasser« (Chând. 5, 2, 2.) Ebenso heisst es bei den Vâjasaneyin's: »darum geschieht es, dass die Wissenden, Schriftkundigen, wenn sie essen wollen, sich den Mund ausspülen, und ebenso, wenn sie gegessen haben, ihn ausspülen; denn damit wollen sie diesen Lebenshauch unentblösst machen; [das Folgende nur in der Mâdhyandina-Recension, Çat. br. 14, 9, 2, 15] darum soll, wer solches weiss, wenn er essen will, den Mund spülen und, nachdem er gegessen hat, den Mund spülen; denn damit bewirkt er, dass dieser Lebenshauch unentblösst sei« (Bṛih. 6, 1, 14.) An diesen Stellen finden wir einerseits das Ausspülen, anderseits die Fürsorge für die Nichtentblössung des Prâṇa erwähnt, und es entsteht die Frage, ob hier alles beides anbefohlen werden, solle oder bloss das Ausspülen,[574] oder bloss die Fürsorge | für die Nichtentblössung. – Angenommen also, ›alles beides würde anbefohlen; warum? weil beides vorliegt; auch verdient beides eine Vorschrift, weil es noch nicht dagewesen war‹. Oder auch man kann annehmen, ›nur das Ausspülen werde anbefohlen, weil bei diesem eine die Vorschrift ausdrückende Flexionsform [der Conjunktiv] vorliegt in den Worten: »darum soll, wer solches weiss, wenn er essen will, den Mund spülen, und nachdem er gegessen, den Mund spülen« (Çatap. br. 14, 9, 2, 15); die Erwähnung des Nichtentblösst-Lassens wäre dann nur zur Verherrlichung dieser Vorschrift hinzugefügt‹. – Auf diese Annahmen erwidern wir: es ist nicht anzunehmen, dass hier das Mundausspülen anbefohlen werde »wegen der Erwähnung als Obliegenheit«; denn dieses Ausspülen erscheint nur als eine Obliegenheit, welche der Reinlichkeit dient, aus der Smṛiti (vgl. Manu 2, 53) bekannt ist und hier bloss nebenbei erwähnt wird. – ›Aber könnte nicht unsere Schriftstelle für jene Smṛitistelle die Quelle sein?‹ – Doch nicht! weil der Gegenstand ein verschiedener ist. Denn die entsprechende Smṛitistelle hat es nur mit dem Menschen zu thun und verlangt das Mundausspülen zum Zwecke der Reinlichkeit; unsere Schriftstelle hingegen behandelt als Thema die Lehre vom Prâṇa, und wenn sie das Ausspülen anbefiehlt, so kann sie es nur mit Beziehung auf ihn anbefehlen. Wo aber eine Stelle der Schrift und eine solche der Smṛiti von verschiedenem Inhalte vorliegen, da können sie sich nicht als Quelle und Abgeleitetes zu einander verhalten. Auch kann man sich nicht dabei beruhigen, dass unsere Schriftstelle das Ausspülen anbefehle, weil es zu der Lehre vom Prâṇa in Beziehung stehe und vorher noch nicht dagewesen sei; vielmehr wird das Ausspülen als ein schon Dagewesenes, welches nur zu dem Menschen in Beziehung stand, hier wieder erwähnt. Aus demselben Grunde kann auch nicht beides anbefohlen werden. Auch würde hierunter die Einheit der Stelle leiden. Es ist daher vielmehr so, dass das übliche Mundausspülen vor und nach dem Essen | beides erwähnt wird, worauf dann in den Worten: »denn damit wollen sie diesen Lebenshauch unentblösst machen« (Bṛih. 6, 1, 14) durch unsere Stelle die Anschauung der Unentblösstmachung des Prâṇa, indem man mit Wasser spült, als zusammenhängend mit der Lehre vom Prâṇa und als ein »noch nicht Dagewesenes« gelehrt wird. Diese Lehre von der Unentblösstheit dient keineswegs zur Verherrlichung des Mundausspülens, denn das Mundausspülen ist [hier] nicht der Gegenstand der Vorschrift, sondern als Gegenstand der Vorschrift ergiebt sich die Anschauung der Unentblösstmachung selbst. Indem dieses so ist, so ist damit keineswegs zugestanden, dass das eine Mundausspülen zwei Zwecke habe, den der Reinigung und den der Umkleidung, weil ersteres, wie wir annehmen, ein ganz anderes Werk ist; denn für ein anderes Werk gilt das Ausspülen, welches zur[575] Reinhaltung des Menschen dient, und für ein anderes Werk wieder gilt es uns, wenn man mit den dazu dienenden Wassern die Anschauung einer Umkleidung verbindet, welche als bezweckend, den Prâṇa zu umhüllen, angenommen wird. Ferner auch: wenn es heisst: »alles was vorhanden ist bis herab zu den Hunden, zu den Vögeln, zu den Würmern, den Käfern und dem Geflügel, das ist deine Speise« (Bṛih. 6, 1, 14, vermengt mit Chând. 5, 2, 1), so kann man nicht annehmen, dass hier befohlen werde, alles als Speise zu sich zu nehmen, denn dieses wäre schriftwidrig und auch unmöglich; sondern wenn es heisst, alles ist die Speise des Prâṇa, so wird hier nur die [geistige] Anschauung desselben als Speise anbefohlen. Und wenn es nun weiter im Gefolge davon heisst, das Wasser sei sein Kleid, so ist auch hier dasjenige, was anbefohlen wird, nicht ein Mundausspülen mit dem Wasser, sondern es wird vielmehr befohlen, das wie bekannt zum Mundausspülen gebräuchliche Wasser [in geistiger Weise] als eine Umkleidung [des Prâṇa] anzuschauen. So stimmt es zusammen; | denn es fruchtet nichts, nur halbe Arbeit zu thun. Auch heisst es: »sie spülen den Mund aus«, und dieses Wort kann, weil es etwas wirklich Geschehendes [indikativisch] bezeichnet, nicht für einen Befehl gelten. ›Aber heisst es nicht auch: »damit wollen sie machen«, und liegt hierin nicht gleichfalls der Hinweis auf ein schon wirklich Geschehendes?‹ – Das ist wahr; aber da doch eines von beiden notwendig das Anbefohlene sein muss, so ist wegen der Erwähnung der Wirkung des Bekleidens dasjenige, was als ein noch nicht Dagewesenes hier anbefohlen wird, die Vorstellung des Umkleidens, nicht aber das Mundausspülen, da dieses ein schon [im Ceremonial] Dagewesenes ist. Wenn weiter behauptet wurde, dass gerade bei dem Ausspülen eine Flexionsform [der Conjunktiv] vorkommt, welche offenbar befehlend ist, so ist auch das dadurch zu beantworten, dass das Ausspülen schon früher dagewesen war. Aus diesem Grunde, d.h. weil es nicht darauf ankommt, ein Ausspülen zu befehlen, beschliessen die Kâṇva's die Stelle mit den Worten: »denn damit wollen sie diesen Lebenshauch unentblösst machen« (Bṛih. 6, 1, 14), und sie fügen nicht hinzu: »darum soll wer solches weiss« u.s.w. Hieraus folgt, dass auch bei der Lesart der Mâdhyandina's [welche allein den letzteren Zusatz haben, Çatap. br. 14, 9, 2, 15] mit der Wiedererwähnung des [schon im Ceremonial dagewesenen] Ausspülens nur gesagt sein soll, dass dasselbe hier nur denjenigen anbefohlen wird, welche »solches wissen«, nämlich, dass darin eine Vorschrift liegt, den in Rede stehenden Prâṇa zu umkleiden. – Wenn weiter noch angenommen wurde, dass an der einen Stelle (Çatap. br. 14, 9, 2, 15 Mâdhy.) ein Ausspülen, an der andern (Bṛih. 6, 1, 14 Kâṇv.) die Auffassung desselben als eine Umkleidung empfohlen werde, so ist auch das nicht gut, | denn der Eingang der Stelle lautet in den Worten:[576] »das Wasser ist das Kleid« u.s.w. überall gleichmässig. Somit ist es richtig, dass hier nur die Auffassung als eine Umkleidung, nicht das Ausspülen anbefohlen wird.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 574-577.
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