[630] 57. bhűmnaḥ kratuvaj jyâyastvaṃ tathâ hi darçayati
der Unbeschränktheit Vornehmlichkeit, wie beim Opfer; denn dies lehrt die Schrift.

In der Erzählung, welche anlangt mit den Worten: »Prâcinaçâla, der Sohn des Upamanyu« (Chând. 5, 11-24), ist von einer Verehrung des partikularen und des universalen Vaiçvânara die Rede (vgl. Sűtram 1, 2, 24-32, S. 119 fg.). Die Verehrung des partikularen liegt in den Worten: »o Sohn des Upamanyu, wen verehrst du als den Âtman? – Den Himmel, o würdiger König, so sprach er. – Es ist nur der wohlkräftige Âtman Vaiçvânara, den du als den Âtman verehrst« u.s.w. (Chând. 5, 12, 1.) Ebenso findet sich aber auch die Verehrung des universalen Âtman in den Worten: »an diesem Âtman Vaiçvânara ist das Haupt Wohlkraft, sein Auge ist Allform, sein Odem Sonderweg, sein Leib die weite Zusammenkittung, seine Eingeweide der Reichtum, die Erde ist seine Füsse« (Chând. 5, 18, 2.) – Es erhebt sich die Frage, ob hierin eine beiderseitige Verehrung, des Partikularen und des Universalen, oder nur eine solche des Universalen gelehrt wird. – Angenommen also, ›es werde [auch] eine Verehrung desselben nach seinen einzelnen Teilen gelehrt, weil es von dem Wohlkräftigen und den übrigen unter Anwendung eines Thatwortes heisst: »du verehrst ihn«; darum, und weil von einer besondern Frucht dieser Verehrungen die Rede ist in den Worten: »in deiner Familie wird gekeltert, fortgekeltert, durchgekeltert werden« (Chând. 5, 12, 1), sind auch die partikularen Verehrungen als zulässig anzunehmen.‹ – Hierauf ist zu erwidern: »der Unbeschränktheit Vornehmlichkeit«, d.h. eine Verehrung des eine Zusammenfassung der [genannten] Faktoren zu seinem Wesen habenden und daher universalen Vaiçvânara muss als Hauptsache an dieser Stelle zu lehren beabsichtigt | sein, nicht aber eine Verehrung seiner Bestandteile im einzelnen; »wie beim Opfer«; d.h. ebenso wie bei den Opfern zum Vollmonde, Neumonde u.s.w. in universaler Weise eine Betreibung der Hauptsache mitsamt ihren Teilen gefordert wird, nicht aber eine blosse Betreibung einzelner Teile, z.B. des Voropfers, noch auch eine Betreibung der Hauptsache in Verbindung mit nur einzelnen ihrer Teile, ebenso ist es auch hier. Aber woraus erkennen wir, dass die Unbeschränktheit das Vornehmliche ist? weil ihre Vornehmlichkeit von der Schrift gelehrt wird, und zwar damit, dass die Stelle eine einheitliche ist. Nämlich die Stelle von der Vaiçvânaralehre ist, wie sich aus Betrachtung des Vorhergehenden und Nachfolgenden ergiebt, eine einheitliche.[630] Denn die sechs Weisen, von Prâcînaçâla an bis zu Uddâlaka hin, nachdem sie die Lehre vom Vaiçvânara nicht haben ergründen können, gehen zu dem Könige Açvapati, dem Abkömmlinge des Kekaya, denn damit fängt es an; und nachdem der König jeden einzelnen Weisen über das nach seiner Meinung zu Verehrende, den Himmel u.s.w., verhört hat, so spricht er: »das ist nur das Haupt des Âtman« u.s.w., und erklärt damit, dass das, was jene verehren, nur sein Haupt u.s.w. sei. Hierbei sagt er: »dein Haupt wäre entzwei geborsten, wenn du nicht zu mir gekommen wärest« (Chând. 5, 12, 2), womit die Verwerfung der Verehrung des Partikularen ausgesprochen ist. Und abermals verwirft er die partikulare Verehrung und fordert die Verehrung des Universalen, wenn er in den Worten: »der isset Nahrung in allen Welten, in allen Wesen, in allen Leibern« (Chând. 5, 18, 1) die Erlangung der Frucht durch die Verehrung der Unbeschränktheit bedingt sein lässt. Wenn hingegen auch im einzelnen bei dem Wohlkräftigen u.s.w. eine besondere Frucht verheissen wird, so ist dies, nach Lage der Sache, so aufzufassen, dass die Frucht der einzelnen Teile bei der Hauptsache zusammenzufassen beabsichtigt wird. Wenn ferner bei den einzelnen Teilen das Wort: »du verehrst« | vorkommt, so ist dies nur der Bericht über eine andere Meinung, nicht aber eine Vorschrift, den Partikularen zu verehren. Somit ist die Ansicht, dass nur der Universale zu verehren sei, vorzuziehen.

Einige freilich wollen daraus, dass die Ansicht von der Verehrung des Universalen nur als das »Vornehmliche« [im Sűtram] hingestellt werde, den Schluss ziehen, dass eben wegen der blossen Hervorhebung der »Vornehmlichkeit« auch die Verehrung des Partikularen von dem Sűtra-Autor gebilligt werde. Aber dies ist nicht richtig; denn wo eine einheitliche Meinung annehmbar ist, da darf man nicht eine vielheitliche Meinung finden wollen. Auch widerspricht dem der Tadel, welcher in den Worten liegt: »dein Haupt wäre entzwei geborsten« (Chând. 5, 12, 2.) Da ferner die Erkenntnis, dass der Universale zu verehren sei, am Schlusse der Stelle offenkundig vorliegt, so konnte das Gegenteil davon auch nicht einmal als oppositionelle Meinung aufgestellt werden [wenn aber der Siddhânta die Verehrung beider behaupten sollte, so könnte der Pűrvapaksha nur die alleinige Verehrung des Partikularen vertreten]. Auch hindert uns nichts, das Sűtrawort von der Vortrefflichkeit so aufzufassen, dass es »die Begründetheit der Ansicht« [nicht aber eine, bloss comparativ verschiedene, Berechtigung beider Verehrungen] bedeutet.

Quelle:
Die Sűtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 630-631.
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