[482] 8. kṛita-atyaye 'nuçayavân dṛishṭa-smṛitibhyâṃ yathâ-itam anevañ ca
nach Vergang der Werke [kehrt] er, mit einem Bodensatze behaftet, nach der [Schrift-]Wahrnehmung und Smṛiti [zurück] wie er hingegangen und anders.

Die Schrift erwähnt, wie die Vollbringer der Opfer u.s.w., nachdem sie auf dem Wege des Rauches u.s.w. zur Mondscheibe emporgestiegen sind und den Genuss genossen haben, von dort[482] wieder herabsteigen: »nachdem sie daselbst verweilt haben, solange eine Neige bleibt, so kehren sie darauf, auf dem Wege, den sie gekommen sind, wiederum zurück« u.s.w. (Chând. 5, 10, 5), indem | diejenigen, welche einen erfreulichen Wandel haben, in einen Brahmanenschoss eingehen, während die, welche einen stinkenden Wandel haben, in einen Hundeschoss u.s.w. gelangen. – Hier erhebt sich der Zweifel, ob sie herabsteigen, nachdem sie die gesamten Werke, ohne dass ein Bodensatz bliebe, durchgenossen, oder aber in der Art, dass ein Bodensatz bleibt?

Angenommen also, ›es bliebe kein Bodensatz; warum? Wegen der Bestimmung »solange eine Neige bleibt« (Chând. 5, 10, 5.) Unter der »Neige« (sampâta) ist hier die Ansammlung der Werke zu verstehen, sofern man sich mittels derselben aus dieser Welt in jene hinüberneigt (sampatanti) zum Genusse der Frucht‹ [die indische Worterklärung ist hier nicht weniger widersinnig als die deutsche]. ›Diese Worte also: »nachdem sie daselbst verweilt haben, solange eine Neige bleibt«, beweisen, dass das Werk dabei ganz durchgenossen wird, und dasselbe ergiebt sich aus der andern Schriftstelle, wo es heisst: »sie steigen herab, wenn dieses verstrichen ist« (Bṛih. 6, 2, 16.)‹ – Aber kann man dies nicht dahin auslegen, dass die Seele nur so lange geniesse, wie dasjenige Werk, welches in jener Welt zu geniessen ist, andauere? – ›Diese Auffassung ist nicht statthaft, wegen der Zusammenfassung, welche in den Worten »für alles« anderwärts vorkommt, wo es heisst (Bṛih. 4, 4, 6):


»Nachdem den Lohn er hat empfangen

Für alles, was er hier begangen,

So kehrt aus jener Welt er wieder

Zu dieser Welt des Wirkens nieder.«


›Die allgemeine Zusammenfassung, welche hier in dem Ausdrucke »für alles« liegt, beweist, dass alle begangenen Werke im Jenseits aufgebraucht werden. Auch ist ja der Tod der Offenbarer derjenigen Werke, deren Frucht noch nicht begonnen hat. Vor dem Tode nämlich ist die Offenbarung derselben nicht möglich, weil sie durch solche Werke, deren Frucht bereits begonnen hat, zurückgedrängt werden [lies: pratibaddhasya, vgl. p. 757, 1]; dies ist ohne Ausnahme dahin zu verstehen, dass der Tod alle Werke, deren Frucht noch nicht begonnen hat, zur Offenbarung bringe; denn wo die Ursache allgemein ist, da muss auch die Wirkung allgemein sein; denn es geht nicht an, dass z.B. eine Lampe | bei gleicher Nähe das Gefäss sichtbar mache und das Gewand nicht. Somit steigen sie herab, ohne dass ein Bodensatz von Werken bleibt.‹

Auf diese Annahme erwidern wir: »nach Vergang der Werke [kehrt] er mit einem Bodensatze behaftet [zurück].« Nämlich[483] indem die Werkmasse, zu deren Genusse er zum Monde aufgestiegen, durch den Genuss verbraucht wird, geschieht es, dass der wasserartige Leib der Seele, der sich zum Zwecke des Geniessens auf dem Monde gebildet hatte, durch die Einwirkung des Feuers des Kummers über den Anblick der Schwindung des Genusses zergeht, so wie Eis und Hagel durch die Strahlen der Sonne oder die Festigkeit der Butter durch die Flamme des Opferfeuers. Hierauf also, nach Vergang der Werke, d.h. nachdem das durch Opfer u.s.w. geschaffte Werk durch den Genuss der Frucht aufgezehrt worden, steigt man, mit einem Bodensatze behaftet, wieder zu dieser Welt herab. Aus welchem Grunde? »wegen der [Schrift-]Wahrnehmung und Smṛiti«, wie der Lehrer sagt. Denn so lässt es sich in der Schrift wahrnehmen, welche zeigt, wie das Herabsteigen unter Behaftung mit einem Bodensatze stattfindet: »welche nun hier einen erfreulichen Wandel haben, für die ist Aussicht, dass sie in einen erfreulichen Mutterschoss eingehen, einen Brahmanenschoss oder Kshatriyaschoss oder Vaiçyaschoss; – die aber hier einen stinkenden Wandel haben, für die ist Aussicht, dass sie in einen stinkenden Mutterschoss eingehen, einen Hundeschoss, oder Schweineschoss oder Câṇḍâlaschoss« (Chând. 5, 10, 7.) Hier wird mit dem Worte »Wandel« der Bodensatz angedeutet, wie sich zeigen wird. Und auch die Wahrnehmung zeigt, wie von Geburt an hoher und niedriger Genuss unter die lebenden Wesen in verschiedener Weise verteilt ist. | Und da dies unmöglich ohne Grund sein kann, so beweist es das wirkliche Vorhandensein eines Bodensatzes; denn dass der Aufschwung und der Niedergang [in der Seelenwanderung] in den guten und bösen Werken seinen Grund habe, wird allgemein von dem Schriftkanon angenommen. Und auch die Smṛiti sagt: »nachdem die Kasten und die Lebensstadien, die in ihrem Werke treu waren, die Frucht für jedes einzelne Werk empfangen, so gehen sie, durch einen Rest desselben, verschieden an Ort, Geschlecht, Familie, Gestalt, Lebenszeit, Schriftgenuss, Lebensweise, Reichtum, Lust und Einsicht, in die Geburt ein« (vgl. Âpastamba, dharmasûtra 2, 1, 2, 3); auch hier wird gelehrt, dass das Herabsteigen unter Behaftung mit einem Bodensatze stattfindet.

Aber welcher Art ist dieser Bodensatz? – Einige meinen, ›dass es ein Überrest des den Himmel als Zweck habenden Werkes nach Genuss der Frucht sei, welcher hier Bodensatz heisse, etwa wie eine klebrige Flüssigkeit, die in dem Gefässe hängen bleibt. Wie nämlich, wenn man ein Gefäss mit klebriger Flüssigkeit ausleert, die Leerung keine vollständige ist, indem ein gewisser Rest der Flüssigkeit in dem Gefässe haften bleibt, so ist es auch hier mit dem Bodensatze.‹ – Aber ist diese Annahme nicht unzulässig, da das Gesetz der Wirkung [die vollständig erfolgen muss] dem widerspricht, dass von dem Unsichtbaren [dem unsichtbaren[484] Verdienste der Werke, adṛishṭam] beim Genüsse der Frucht ein Rest zurückbleibe? – ›Diese Einwendung trifft nicht, denn wir nehmen eben nicht an, dass die Frucht der Werke vollständig genossen werden müsse.‹ – Aber dazu sind sie doch zur Mondscheibe emporgestiegen, dass sie die Frucht der Werke ohne Überrest durchgeniessen? – ›Schon recht! aber das hindert nicht, dass sie, wenn der Rest der Werke sehr klein geworden ist, sich dort nicht mehr halten können. Wie nämlich etwa ein dienender Ritter, welcher mit allem Zubehör des Ritterdienstes an den Hof eines Königs gekommen ist, nachdem durch den längern Aufenthalt das meiste Zubehör verschlissen ist, | und nur etwa noch der Sonnenschirm und die Schuhe ihm übrig bleiben, sich an dem Hofe des Königs nicht länger halten kann, ebenso kann man sich auch in der Mondscheibe nicht länger halten, wenn man nur noch einen ganz geringen Bodensatz besitzt.‹ – Auch das ist nicht so recht passend; denn es geht nicht an, dass von demjenigen Werke, welches als Zweck den Himmel hat, beim Genusse der Frucht ein Überrest bleibe, weil dem, wie bemerkt, das Gesetz der Wirkung widerspricht. – ›Aber wir haben doch auch bemerkt, dass das Werk, dessen Frucht der Himmel ist, nicht vollständig beim Genusse der Frucht darauf zu gehen brauche?‹ – Das alles ist nicht sonderlich ansprechend; denn ein Werk, welches als Zweck den Himmel hat, muss doch, solange man noch im Himmel weilt, die vollständige himmlische Frucht tragen, und dass es auch nach Verlust des Himmels noch irgend eine, wiewohl geringe Frucht bringe, eine solche Annahme ist für den, der dem Schriftworte als Richtschnur folgt, nicht angemessen. Was freilich das Haftenbleiben eines Restes der klebrigen Flüssigkeit in dem Gefässe betrifft, so spricht dafür die Erfahrung; und auch dass einem dienenden Ritter nur ein weniges von seinem Zubehör übrig bleiben könne, zeigt die Erfahrung; hier hingegen lässt sich nicht in dieser Weise aus der Erfahrung das Bleiben eines Restes der Werke, die den Himmel als Frucht haben, erweisen; ja es lässt sich nicht einmal denken, weil es der Lehre des Schriftkanons von dem Himmel als Frucht der Werke widerspricht; und so müssen wir unweigerlich zugeben, dass der Bodensatz nicht, wie bei der dem Gefäss anhaftenden Flüssigkeit, in dem teilweisen Übrigbleiben solcher Werke bestehen kann, welche, wie z.B. Opfer u.s.w., den Himmel als Frucht haben. Denn wenn von demjenigen guten Werke, wie Opfer u.s.w., durch welches der Himmel genossen wurde, irgend ein einzelner Teil als der Bodensatz | angesehen würde, so könnte der Bodensatz nur von der einen Art, nämlich von der erfreulichen, nicht von der entgegengesetzten sein, und die Schrift würde widersprechen, wenn sie den Bodensatz in zwei Arten teilt: »welche nun hier einen erfreulichen Wandel haben« – »die aber hier einen stinkenden[485] Wandel haben« (Chând. 5, 10, 7.) Somit muss man annehmen, dass diejenige Art von Werken, welche jenseitige Frucht bringt, durchgenossen wird, und dass als Bodensatz die andere Art von Werken, welche diesseitige Frucht bringt, übrig bleibt, und dass man, mit diesem behaftet, herabsteigt.

Wenn hingegen behauptet wurde, dass wegen der Allbefassung, die in dem Ausdrucke »für alles, was er hier gethan« (Bṛih. 4, 4, 6), liegt, alles hier gethane Werk durch Genuss der Frucht absolviert, und somit ohne Bodensatz herabgestiegen werden müsse, so ist das nicht richtig, da wir das wirkliche Vorhandensein eines Bodensatzes aus der Schrift erkannten; und somit folgt, dass die Worte »für alles, was er hier gethan«, nur bedeuten, dass alle diejenigen Werke, deren Frucht eine jenseitige ist, nachdem ihr Genuss einmal begonnen hat, durch den Genuss der Frucht aufgezehrt werden.

Wenn ferner behauptet wurde, dass der Tod ohne Unterschied alle Werke, deren Frucht noch nicht begonnen habe, offenbare, dass somit die Unterscheidung von Werken, deren Frucht im Jenseits, und von solchen, deren Frucht auf Erden sich verwirkliche, nicht statthaft sei, so ist auch das schon dadurch, dass wir das wirkliche Vorhandensein eines Restes erwiesen, beantwortet. Auch möchten wir hierbei fragen, aus welchem Grunde überhaupt angenommen wird, dass der Tod der Offenbarer derjenigen Werke sei, deren Frucht noch nicht begonnen habe? | Wollte man antworten, dass durch Werke, deren Frucht bereits begonnen, andere zurückgedrängt würden und sich daher nicht entwickeln könnten, dass aber, nachdem jene abgelaufen, d.h. nach dem Tode, ihre Entwickelung von statten gehen könne, so müssen wir dazu bemerken: ebenso gut wie es vor dem Tode Werke giebt, welche, durch Werke, deren Frucht schon begonnen, zurückgedrängt, sich nicht entwickeln können, ebenso liegen doch auch nach dem Tode verschiedenartige Werke von entgegengesetzter Frucht vor, welche ihre Frucht nicht gleichzeitig hervorbringen können, sodass auch dann das schwächere Werk, von dem stärkeren zurückgedrängt, nicht zur Entwickelung kommen kann. Denn wenn verschiedenartige Werke, die durch einen neuen Lebenslauf abzubüssen sind, vorliegen, so lässt sich doch nicht behaupten, dass dieselben darum, weil sie in gleicher Weise noch keine Frucht getragen haben, zugleich bei ein und demselben Sterben zur Offenbarung kommen und nur einen einmaligen Lebenslauf hervorbringen müssen. Dann dem widerspricht das Gesetz, dass die Frucht eine im einzelnen nach den Werken bestimmte ist. Ebenso wenig aber lässt sich behaupten, dass beim Tode die einen Werke zur Offenbarung gelangen, und die andern ganz in Wegfall kommen; denn dem widerspricht das Gesetz, dass die Frucht eine vollständige sein muss. Denn ein Wegfallen von Werken findet, wenn wir von[486] den Ablass-Ceremonien (prâyaçcittam) und ähnlichen Gründen absehen, überhaupt nicht statt. Und auch die Smṛiti lehrt, wie durch Werke von entgegenstehender Frucht andere Werke zurückgedrängt werden und oft lange auf ihre Vergeltung warten müssen, wenn sie sagt (Mahâbh. 12, 10713):


»Zuweilen schwebt das gute Werk

Des Menschen harrend oben,

Indess er im Saṃsâra brät,

Bis sich sein Leid gehoben.«


Kämen ferner alle Werke, deren Frucht noch aussteht, nach einem einmaligen Sterben in einem einzigen Lebenslaufe zur Offenbarung, so würde für Solche, welche in dem Himmel, der Hölle oder in Tierleibern wiedergeboren werden, da hier eine Berufung zu Werken nicht denkbar ist, und somit Verdienst oder Schuld sich nicht bilden können, wegen Fehlens des bewirkenden Grundes, ein weiterer Lebenslauf gar nicht mehr erfolgen. Auch würde die Smṛiti damit in Widerspruch stehen, welche lehrt, dass bei gewissen Werken, wie Brahmanenmord u. dgl., jedes einzelne Werk eine mehrmalige Geburt zu seiner Folge hat. Überhaupt giebt es, um die Mittel der den Verdiensten und Verschuldungen entsprechenden Frucht zu erkennen, keinen andern Erkenntnisgrund als den Schriftkanon. Hierzu kommt, dass für Werke, deren Frucht wahrnehmbar eintritt, z.B. das Regenopfer, nicht erst der Tod der Offenbarer sein kann, | und es ist nicht abzusehen, worin hierbei das Offenbarersein des Todes bestehen soll.

Was den Vergleich mit der Lampe betrifft, so ist dem schon durch die Unterscheidung von Werken mit stärkerer und schwächerer Frucht begegnet, indem es damit steht wie mit der Sichtbarmachung grösserer und feinerer Gestalten. Wie nämlich die Lampe bei gleicher Nähe eine grobe Gestalt sichtbar macht und eine feine nicht, so bringt auch der Tod bei gleicher Gelegenheitserlangung aller Arten von Werken, deren Frucht noch nicht begonnen, das stärkere Werk zur Entfaltung und das schwächere nicht. Somit ist jene Annahme, dass alle Werke ohne Rest durch den Tod zur Entfaltung kommen, unhaltbar, weil sie mit der Schrift, der Tradition und der Analysis in Widerspruch steht. Wollte endlich jemand behaupten, dass keine Erlösung möglich sei, wenn man das Übrigbleiben eines Werkrestes behaupte, so würde dieses eine Vexation sein, welche nicht am Platze wäre; denn die Schrift lehrt, dass durch die vollkommene Erkenntnis alle Werke ohne Rest zunichte werden.

Somit steht es fest, dass die Seelen, mit einem Bodensatze von Werken behaftet, herabsteigen. Es geschieht aber dieses ihr Herabsteigen »wie sie hingegangen und anders«; wie sie hingegangen, d.h. wie sie hinaufgestiegen sind, und anders, d.h. in davon abweichender[487] Weise. Sofern nämlich der Rauch und der Âkâça, welche beim Väterwege erwähnt wurden, auch beim Herabsteigen wieder vorkommen, und sofern die Schrift sagt: »auf dem Wege, den sie gekommen« (Chând. 5, 10, 5), entspricht das Herabsteigen dem Emporsteigen; sofern hingegen beim Herabwege die Nacht u.s.w. unerwähnt bleiben, und die Wolken und anderes neu hinzukommen, geschieht das Herabsteigen in abweichender Weise.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 482-488.
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