[515] 9. sa' eva tu, karma-anusmṛiti-çabda-vidhibhyaḥ
vielmehr die selbe, wegen Werk, Rückerinnerung, Schriftwort und Vorschrift.

Wenn einer aus diesem Eingange in das Seiende wieder erwacht, ist dann derjenige, welcher erwacht, der nämliche, der in das Seiende eingegangen war oder kann es auch ein anderer sein? Das ist zu überlegen. – Angenommen also, ›es sei unbestimmt, ob derselbe wieder erwache; warum? nun, wenn man einen Wassertropfen in eine Wassermasse giesst, so wird er zu dieser Wassermasse; will man ihn darauf wieder herausziehen, so ist es doch nicht wohl zu erweisen, dass dieses derselbe Tropfen sei. In ähnlicher Weise kommt auch der Eingeschlafene, nachdem er mit dem Höchsten eins geworden, zum völligen Stillstande, und es braucht nicht derselbe zu sein, welcher darauf wieder erwacht. | Somit kann derjenige, welcher erwacht, derselbe oder auch Gott oder eine andere individuelle Seele sein.‹ – Auf diese Annahme erwidert der Lehrer: »es ist vielmehr die selbe« Seele, die eingeschlafen und zur Selbstheit eingegangen war, welche darauf wieder erwacht, und keine andere. Warum? »wegen Werk, Rückerinnerung, Schriftwort und Vorschrift«. Wir wollen diese Gründe einzeln durchgehen. Zunächst also muss der Erwachende derselbe und kein anderer sein, weil er sich mit dem übriggebliebenen Werke befasst. So nämlich zeigt die Erfahrung, dass einer, der sich gestern mit einem Werke befasste, sich heute mit der Fortsetzung desselben befasst, und man kann nicht annehmen, dass bei einem Werke, welches von Jemandem zur Hälfte gethan worden, ein Zweiter sich mit der Fortsetzung desselben befasse, weil daraus zu viel, folgen würde [d.h. weil damit alle Kontinuität des Handelns aufgehoben werden würde]. Somit folgt, dass es derselbe sein muss, welcher gestern und welcher heute ein bestimmtes Werk vollbringt. – Auch darum muss der Erwachende derselbe sein, weil man sagt: »am gestrigen Tage habe ich dies und das gesehen«, und weil diese nachmalige Erinnerung an ein früher Erlebtes unmöglich sein würde, wenn ein anderer erwachte; denn es geht nicht an, dass an das, was der eine gesehen hat, ein anderer sich zurückerinnere. Und auch wenn man sagt: »das war ich«, so ist auch diese Rückerinnerung an das eigene Selbst nicht möglich, wenn der Erwachende ein anderer ist. – Weiter ergiebt es sich aus Schriftworten, dass der Erwachende derselbe ist; denn es heisst z.B.: »alsdann kehrt[515] er wiederum je nach dem Eingange, je nach dem Ursprünge zurück zum Zustande des Wachens« (Bṛih. 4, 3, 16); – »ebenso finden alle diese Kreaturen diese Brahmanwelt nicht, obwohl sie tagtäglich in sie eingehen« (Chând. 8, 3, 2); – »selbige ob sie hier Tiger sind oder Löwe, oder Wolf, oder Eber, oder Wurm, oder Vogel, oder Bremse, oder Mücke: was sie immer sein mögen, dazu werden sie wieder gestaltet« (Chând. 6, 10, 2); – diese und andere Schriftworte, welche sich auf das Erwachen vom Schlafe | beziehen, würden keinen Sinn haben, wenn der Erwachende ein anderer wäre. – Endlich folgt dasselbe auch aus den Vorschriften über Werke und Wissen. Denn sonst würden die Vorschriften über Werke und Wissen zwecklos sein. Nimmt man nämlich an, dass der Erwachende ein anderer sei, so würde folgen, dass schon der bloss Tiefschlafende erlöst wäre. Soll aber dem so sein, so möchte ich wissen, was aus dem Werke oder dem Wissen wird, welches seine Frucht erst in der Folgezeit bringt? Hierzu kommt, dass bei der Annahme, der Wiedererwachende sei ein anderer, dieser in dem andern Leibe, in welchem er wiedererwachend handeln würde, die demselben angehörigen Handlungen unterbrechen würde. Auch würde dann die Voraussetzung, dass der Eingeschlafene wieder erwacht, bedeutungslos sein; denn in dem Leibe, in welchem man eingeschlafen wäre, würde man nicht wieder erwachen. Aber wie kann man überhaupt nur annehmen, dass man in dem einen Leibe einschlafe und in einem andern wieder erwache! Ferner könnte dann auch der Erlöste irgendwo wieder erwachen, und die Erlösung würde ein Ende nehmen; das aber ist unmöglich, dass einer, dessen Nichtwissen vernichtet worden ist, wieder erwachen könnte. Aus demselben Grunde kann es auch nicht Gott sein, welcher wieder erwacht, weil bei ihm das Nichtwissen ewig vernichtet ist. Endlich ist es bei der Annahme, dass ein anderer wieder erwache, kaum zu vermeiden, dass den Menschen Unverschuldetes treffe, und dass Verschuldetes ungesühnt bleibe. Somit ist es derselbe und kein anderer, welcher wieder erwacht. – Wenn weiter bemerkt wurde, dass, so wie man den in eine Wassermasse gegossenen Wassertropfen nicht wieder herausholen könne, auch die mit dem Seienden eins gewordene Seele aus ihm nicht wieder hervortreten könne, so bemerken wir darauf: dass man den Wassertropfen nicht wieder herausholen kann, ist richtig, | weil kein Grund da ist für seine Unterscheidung; hier hingegen ist ein Grund der Unterscheidung vorhanden, nämlich die Ungleichheit in Betreff der Werke und des Wissens. Auch zeigt die Erfahrung, wie z.B. Wasser und Milch, zusammengemischt, welche von unser einem schwer zu unterscheiden sind, von der Gans unterschieden werden. Überhaupt aber giebt es gar keine sogenannte individuelle Seele, welche gesondert von dem höchsten Âtman bestünde[516] und sich wie der Wassertropfen von der Wassermasse von dem Seienden unterschiede. Vielmehr ist es das Seiende selbst, welches vermöge seiner Bemengung mit den Upâdhi's als individuelle Seele aufgefasst wird, wie wir dies wiederholt auseinandergesetzt haben. Da dem so ist, so folgt, dass, so weit sich die durch einen bestimmten Upâdhi bedingte Verstrickung in die Bindung erstreckt, so weit auch sich das Treiben einer bestimmten individuellen Seele erstreckt; wo hingegen eine durch einen andern Upâdhi bedingte Verstrickung in die Bindung vorhanden ist, da ist die Thätigkeit einer andern Individualseele vorhanden. Ein und derselbe Upâdhi aber im Schlafe und im Wachen verhält sich, wie das Samenkorn zur Pflanze sich verhält. – Somit ist es richtig, dass es dieselbe individuelle Seele ist, welche wieder erwacht.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 515-517.
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