[505] 4. sūcakaē ca hi, ēruter, ācakshate ca tadvidah
denn er ist ja vorbedeutend, nach der Schrift, auch legen ihn aus die sich darauf verstehen.

[505] ›Hat denn nun der Traum, da er eine blosse Illusion ist, gar keine Spur von Realität?‹ – Doch nicht! Denn der Traum »ist ja vorbedeutend« für das zukünftige Gute und Schlimme. Denn so sagt die Schrift (Chānd. 5, 2, 9):


»Wenn er im Traum mit Weibern Liebeshändel flicht,

So deutet auf Gelingen solches Traumgesicht;«


und ebenso lehrt die Schrift an der Stelle: »[wenn einer im Traume] einen schwarzen Mann mit schwarzen Zähnen sieht, und dieser ihn tötet« u.s.w. (Ait. ār. 3, 2, 4, 17), dass durch Träume dieser Art ein Nicht-mehr-lange-Leben angedeutet werde. Auch wird ja der Traum von solchen, welche des Traumstudiums kundig sind, »ausgelegt«, indem sie z.B. sagen, dass das Reiten auf einem Elefanten im Traume Reichtum, das Fahren mit einem Esel Armut bedeute. Auch weisen, wie man annimmt, gewisse Träume dazu an, in einer nach Hymnus, Gottheit und Opfergabe bestimmten Weise zu opfern, sind somit nicht ganz ohne jede Realität. Obgleich dem aber so sein mag, und obgleich die vorbedeutete Sache Realität hat, so ist sie doch von dem, wodurch sie vorbedeutet wird, von dem Anblicke der Weiber u.s.w., wesensverschieden, | sofern ja letzteres seine Widerlegung [durch das Erwachen] findet. Somit bleibt es richtig, dass der Traum eine blosse Illusion ist. Wenn es aber hiess: »denn sie sagt es« (Sūtram 3, 2, 1), so ist dies unter solchen Umständen bildlich zu erklären; denn wenn man sagt: »der Pflug ist die Ursache dafür, dass die Ochsen aufgezogen werden«, so ist dabei nur an den Beweggrund zu denken, nicht aber daran, dass der Pflug die Ochsen geradezu aufziehe. In derselben Weise ist es auf den Beweggrund zu beziehen, wenn der Träumende Wagen u.s.w. schafft und wenn er der Schöpfer genannt wird, denn es ist nicht anzunehmen, dass der Träumende die Wagen u.s.w. geradezu schaffe. Dass aber der Träumende der Beweggrund der Traumerscheinungen ist, beruht darauf, dass die Erscheinungen der Wagen u.s.w. den Zweck haben, Freude und Furcht zu bereiten, und dass der Träumende der Schöpfer der guten und bösen Werke ist, welche der Beweggrund [jener Freude und Furcht] sind. Hierzu kommt Folgendes: [in der betreffenden Stelle (Bṛih. 4, 3) handelt es sich darum, inwiefern die Seele ihr eigenes Licht[506] ist;] im Zustande des Wachens nun ist wegen Verbindung der Sinnendinge mit den Sinnesorganen und wegen der Durchkreuzung mit dem Sonnenlichte u.s.w. das Selbstlicht-Sein der schauenden Seele schwer abzusondern, und um es abzusondern, wird der Traum herangezogen; wollte man nun dabei das Wort von dem Schaffen der Wagen u.s.w. buchstäblich auslegen, so würde durch die Stelle nicht erwiesen werden [was doch die Absicht ist], dass die Seele selbst ihr Licht sei. Man muss somit auf Grund des Schriftwortes, welches das Nichtsein der Wagen u.s.w. betont, das Wort von der Schöpfung der Wagen u.s.w. bildlich erklären. | Ebendasselbe gilt von dem Schriftworte, welches der Seele ein Erschaffen zuschreibt (Sūtram 3, 2, 2.) Wenn dabei weiter behauptet wurde, dass die Schrift unter dem Erschaffer die allweise Seele [Gott] verstehe, so ist das unrichtig, denn eine andere Stelle sagt: »er fällt selbst das Bauholz und baut es selber auf vermöge seines eigenen Glanzes, seines eigenen Lichtes, wenn er so schläft« (Bṛih. 4, 3, 9); hier wird das Erschaffen [Aufbauen] als eine Thätigkeit der individuellen Seele betrachtet, und ebenso ist es in der fraglichen Stelle; denn wenn es heisst »der Geist, der in dem Schläfer wach bleibt«, so muss es hier, wegen der Erinnerung an einen schon bekannten, die individuelle Seele sein, welche als Erschaffer der Wünsche erwähnt wird (Kāṭh. 5, 8); dies streitet nicht damit, dass die ganze Stelle vom Brahman handelt, sofern in den folgenden Worten (Kāṭh. 5, 8):


»Der eben ist der reine, der das Brahman«,


das Dasein einer individuellen Seele überhaupt verneint und ihr Brahmansein gelehrt wird, ähnlich wie es in den Worten »das bist du« (Chānd. 6, 8, 7) geschieht. Übrigens leugnen wir keineswegs, dass auch der Traum ein Werk der allweisen Seele sei; denn weil sie der allbeherrschende Gott ist, so folgt, dass sie in allen Zuständen das Regierende ist. Nur, dass diese Schöpfung im Zwischenstande nicht so vollkommen real ist, wie die Schöpfung des Äthers u.s.w., so viel müssen wir behaupten. Übrigens ist auch die Realität der Schöpfung des Äthers u.s.w. keine absolute; denn an der Stelle: »Identität mit ihm wegen des Schriftwortes von dem sich Anklammern und andern« (Sūtram 2, 1, 14), zeigten wir, dass die ganze Weltausbreitung eine blosse Illusion ist. Indessen ist die Weltausbreitung des Äthers u.s.w. wirklich bestehend, so lange man sich noch nicht als die Wesenheit des Brahman erkannt hat, während die Ausbreitung im Zwischenstande von Tag zu Tage neu widerlegt wird, daher es von der Schöpfung im Zwischenstande noch in besonderem Sinne gilt, dass sie bloss auf Illusion beruhe.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 505-507.
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