[165] 25. hṛidi, apekshayâ tu, manushya-adhikâratvât
im Herzen, doch mit Rücksicht, weil die Menschen berufen.

Obwohl der höchste Âtman allgegenwärtig ist, so wird »doch mit Rücksicht« auf sein Weilen »im Herzen«, gesagt, dass er einen Zoll gross sei, ähnlich wie man von dem [an sich unendlichen] Raume, mit Rücksicht auf [den Raum zwischen zwei] Knoten eines Rohres, sagt, dass er eine Elle lang sei. Denn geradezu [und ohne diese Rücksichtnahme] kann es doch nicht von dem alles Mass übersteigenden Âtman heissen, er sei einen Zoll hoch; ein anderer aber als der höchste Âtman kann hier nicht verstanden werden, wie wir an seinen Bezeichnungen als »der Herr« u.s.w. erkannten. – ›Aber der Umfang der Herzen ist doch je nach der Verschiedenheit der lebenden Wesen eine variable Grösse, so dass sich auch nicht einmal mit Rücksicht auf sie die zollgrosse Länge | aufrechthalten lässt?‹ – Auf diesen Einwurf wird im Sűtram geantwortet: »weil die Menschen berufen.« Obwohl nämlich der Schriftkanon ohne Unterschied der Person vorgeht, so wendet er sich doch ausschliesslich an die Menschen, sofern diese der Erlösung sowohl fähig als auch bedürftig sind, auch [mit Ausnahme der Çűdra's] von dem durch das [Sakrament des] Upanayanam [der Einführung bei einem Lehrer unter Umgürtung mit der Opferschnur] bedingten Gebrauche der Schrift nicht ausgeschlossen sind, wie dieses in dem Abschnitte über die Berufung (Jaim. 6, 1, 25 fg.) ausgeführt wurde. Der Leib der Menschen nun aber ist von einem bestimmten Umfange, und diesem entsprechend ist auch ihr Herz von einem bestimmten Umfange, nämlich von der Grösse eines Zolles. Weil also »die Menschen« zum Gebrauche des Schriftkanons »berufen« sind, so ist, »mit Rücksicht« auf das Weilen des höchsten Âtman »in dem Herzen« der Menschen, die Bezeichnung desselben als »zollhoch« eine angemessene. Wenn weiter behauptet wurde, dass wegen der Bezeichnung des Umfanges und wegen der angeführten Smṛitistelle unter dem Zollgrossen nur die wandernde Seele verstanden werden könne, so haben wir darauf zu[165] erwidern, dass hiermit, ähnlich wie durch die Worte »das ist die Seele, das bist du« (Chând. 6, 8, 7), | von dem, obwohl in der wandernden Seele vorliegenden, zollhohen [Âtman] gelehrt werden soll, dass er das Brahman ist. Nämlich den Vedântatexten ist ein zweifaches Verfahren eigen: erstens bezwecken sie, die Natur des höchsten Âtman darzulegen, und zweitens bezwecken sie, die individuelle Seele als mit dem höchsten Âtman identisch nachzuweisen. An unserer Stelle nun liegt nur die Absicht vor, die Identität der individuellen Seele mit dem höchsten Âtman, nicht aber den zollgrossen Umfang, sei es des einen oder andern, zu erweisen. Dass dieses allein der Zweck ist, bekundet die Schrift durch die weiter folgende Stelle (Kâṭh. 6, 17):


»Zollhoch, als inn're Seele, weilet stets

Der Purusha im Herz der Kreaturen;

Ihn ziehe aus dem Leibe mit Bedacht,

Wie aus dem Schilfgras einen Halm man auszieht,

Ihn wisse als unsterblich, als das Reine.«

Quelle:
Die Sűtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 165-166.
Lizenz:
Kategorien: