[193] 39. kampanât
wegen des Bebens.

Hiermit ist die gelegentliche Untersuchung über die Berufung beendigt, und wir wenden uns nunmehr wieder zu den uns obliegenden Erörterungen über den Sinn der Schrifttexte zurück. – Es heisst (Kâṭh. 6, 1):


»Der Prâna ist's, in dem die ganze Welt,

Was immer ist, entsprungen, zitternd geht;

Gar furchtbar ist er, ein gezückter Blitzstrahl;

Wer diesen weiss, dem wird Unsterblichkeit.«


Auf dieses Wort weist unser Sûtram hin, indem das in der Stelle vorkommende Wort »zittern« (ej) durch das im Sûtram gebrauchte Wort »beben« (kamp) erklärt wird. Die Stelle besagt also, dass das ganze Weltleben pulsiert, indem es den Prâṇa als Grundlage hat; und dabei ist von einem grossen und furchterregenden »Blitzstrahl«, wie es heisst, die Rede, welcher gezückt sei, und durch dessen Erkenntnis, wie die Schrift sagt, Unsterblichkeit erlangt werde. Wer ist nun dieser Prâṇa, und wer dieser furchtbare Blitzstrahl? Das ist nicht deutlich und daher zu untersuchen.

Angenommen also, ›unter dem »Prâṇa« (Hauch, Leben) sei, dem Sprachgebrauche gemäss, der [entsprechend den fünf Lebenshauchen] fünffache Weltwind, und unter dem »Blitzstrahle« sei, ebenfalls dem Sprachgebrauche gemäss, der Donnerkeil zu verstehen, welcher hier als Machtzeichen des [Gottes des] Windes erwähnt werde. Nämlich diese ganze Welt wurzelt und geht zitternd in dem fünffachen, | durch das Wort »Prâṇa« bezeichneten, Winde (Windgotte), und aus dem Winde als Ursache geht auch der grosse, schreckliche Blitzstrahl hervor. Denn aus dem Winde, indem er sich zum Gewitter [lies: parjanya] fortentwickelt, entwickeln sich, wie man annimmt, Blitz, Donner, Regen und Donnerkeil. Aus der Erkenntnis des Windes aber folgt die besagte[193] Unsterblichkeit; denn so sagt eine andere Schriftstelle: »darum ist der Wind die Besonderheit [als Lebenshauch], und der Wind die Allgemeinheit [als Weltodem]; der wehrt dem Wiedertode, wer Solches weiss« (Bṛih. 3, 3, 2.) Dieser Wind also ist an unserer Stelle zu verstehen.‹

Auf diese Annahme erwidern wir, dass man hier vielmehr das Brahman verstehen muss; warum? weil dabei das Vorhergehende und das Nachfolgende zu berücksichtigen ist. Nämlich sowohl in dem vorhergehenden als in dem nachfolgenden Teile des Werkes ist, wie der Augenschein zeigt, von Brahman die Rede, und es lässt sich nicht annehmen, dass hier auf einmal mitten dazwischen vom Winde gehandelt werde. Was also zunächst das Vorhergehende betrifft, so heisst es [unmittelbar vorher, Kâṭh. 6, 1]:


»Dies eben ist das Reine, dies das Brahman,

Dies eben heisset das Unsterbliche.

Auf dieses lehnen sich die Welten alle,

Und dieses überschreitet keine je;« –


hier ist die Rede von dem Brahman, und das selbe muss man auch in unsern Worten verstehen, erstlich, weil sie unmittelbar nachfolgen, und sodann, weil man an der in den Worten: »der Prâṇa ist's, in dem die ganze Welt ... zitternd geht« liegenden Befassung des Weltganzen das Brahman wiedererkennt. Dazu kommt, dass das Wort Prâṇa (Odem, Leben) | auch von dem höchsten Âtman gebraucht wird; denn es heisst z.B. von ihm, er sei: »des Odems Odem« (Bṛih. 4, 4, 18), und auch das zitternde Gehen, wie es hier vorkommt, passt nur auf den höchsten Âtman, nicht auf den blossen Wind [sei es als Weltodem oder als Lebensodem], denn es hiess ja (Kâṭh. 5, 5):


»Nicht lebt durch Einhauch oder Aushauch irgend wer;

Durch einen andern leben alle Sterblichen,

In welchem diese beiden sind gegründet.«


– Was ferner das [auf unsere Stelle] Nachfolgende betrifft, so heisst es weiter (Kâṭh. 6, 3):


»Aus Furcht vor diesem brennt das Feuer,

Aus Furcht vor ihm die Sonne brennt,

Aus Furcht vor diesem rennen Indra

Und Vâyu und der Tod zufünft.«


Auch hier kann nur das Brahman und nicht der Wind gemeint sein, weil es heisst, dass die Welt mit Einschluss des Vâyu (Windes) sich vor ihm fürchte. Ebendasselbe Brahman aber muss an unserer Stelle verstanden werden, erstlich, weil sie unmittelbar[194] vorhergeht, und sodann, weil man an dem in den Worten: »gar furchtbar ist er, ein gezückter Blitzstrahl« liegenden Zuge, dass vor ihm sich alles fürchtet, das Brahman wiedererkennt. Und auch das Wort »Blitzstrahl« wird hier gebraucht, weil die Furcht vor Brahman eine ähnliche wie die Furcht vor dem Blitzstrahle ist. Denn gleichwie ein Mensch denkt: »ein gezückter Blitzstrahl könnte [gleichsam] mein Haupt treffen, wenn ich seinem Befehle nicht nachkäme«, und durch diese Furcht getrieben den Befehl eines Königs u.s.w. vollzieht, so vollzieht diese ganze Welt, das Feuer, der Wind, die Sonne u.s.w., durch die Furcht vor dem Brahman getrieben, die ihr obliegenden Verrichtungen, und darum heisst das Brahman furchtbar und wird mit einem Blitzstrahle verglichen. Und in ähnlicher Weise sagt eine andere auf Brahman bezügliche Schriftstelle (Taitt. 2, 8):


»Aus Furcht vor ihm geht auf die Sonne,

Aus Furcht vor ihm fährt hin der Wind,

Aus Furcht vor ihm nun tummeln sich

Mond, Feuer und zufünft der Tod.«


| Dass an unserer Stelle das Brahman zu verstehen ist, ergiebt sich weiter auch daraus, dass die Unsterblichkeit als Frucht [seiner Erkenntnis] verheissen wird; denn es ist das Brahman, durch dessen Erkenntnis die Unsterblichkeit erlangt wird; indem ein Schriftvers (Çvet. 6, 15) sagt:


»Wer ihn erkannt hat, übersteigt den Tod;

Nicht giebt es einen andern Weg zum Gehen.«


Wenn hingegen an einer andern Stelle (Bṛih. 3, 3, 2) als Lohn der Erkenntnis des Vâyu Unsterblichkeit verheissen wird, so kann diese nur eine relative sein. Denn an demselben Orte heisst es, unter Wechsel des Themas, in Bezug auf den höchsten Âtman: »was von ihm verschieden, das ist leidvoll« (Bṛih. 3, 4, 2), womit ausgesprochen ist, dass Vâyu und [die übrigen Götter] dem Leide unterworfen sind. Endlich folgt auch aus dem [in der Kâṭhaka-Upanishad] behandelten Thema mit Gewissheit, dass an unserer Stelle der höchste Âtman zu verstehen ist. Denn nach diesem war zu Anfang gefragt worden, in den Worten (Kâṭh. 2, 14):


»Vom Guten frei und frei vom Bösen,

Von Ursach' und von Wirkung frei,

Frei von Vergang'nem und Zukünft'gem,

Das sage mir was dieses sei.«

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 193-195.
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