[129] 1. dyu-bhû-âdi-âyatanam, sva-çabdât
der Stützpunkt von Himmel, Erde u.s.w., wegen des ihm eigentümlichen Wortes.

Es heisst in der Schrift (Mund. 2, 2, 5):


»Der Ort, in welchem Himmel, Erd' und Luftraum,

Verstand und alle Sinne sind gewoben,

Den wisst ihr als den Einen, als den Âtman;

Die andern Reden lasset ihr beiseite; –

Dies ist die Brücke der Unsterblichkeit.«


Hier wird auf etwas hingewiesen, was für den Himmel u.s.w., sofern dieselben ihm eingewoben sind, »der Stützpunkt« ist; und es erhebt sich die Frage, ob dieser Stützpunkt das höchste Brahman oder etwas anderes sei?

Angenommen also, ›der Stützpunkt bedeute irgend etwas anderes; warum? weil es heisst: »er ist die Brücke der Unsterblichkeit.« Zu einer Brücke gehören, nach weltlichen Begriffen, Ufer; man kann aber nicht behaupten, dass das höchste Brahman Ufer habe; | denn die Schrift sagt von ihm, es sei »das Endlose, Uferlose« (Bṛih. 2, 4, 12.) Muss man aber einmal unter dem Stützpunkte etwas anderes als Brahman verstehen, so liesse sich ja an die in[129] der Smṛiti vorkommende Urmaterie denken, welche, sofern sie die Ursache der Welt ist, als deren Stützpunkt bezeichnet sein könnte. – Oder es könnte der in der Schrift vorkommende Wind sein, von dem es heisst: »der Wind, fürwahr, o Gautama, ist jener Faden; denn durch den Wind als Faden sind diese Welt und jene Welt und alle Wesen zu einem Büschel zusammengebunden« (Bṛih. 3, 7, 2); in dieser Stelle sagt die Schrift auch von dem Winde aus, dass er [die Welten] auseinanderhalte. – Oder auch, es ist vielleicht die verkörperte Seele zu verstehen, sofern diese, vermöge ihres Geniesserseins, für die zu geniessende Weltausbreitung eine Art Stützpunkt bildet.‹

Auf diese Annahmen erwidern wir: »der Stützpunkt von Himmel, Erde u.s.w.«; dyu-bhuvau sind dyaus (der Himmel) und bhûs (die Erde); dyu-bhû-âdi [im Sûtram] bedeutet die [Reihe von Wesen], in welcher diese beiden den Anfang machen. Also der Himmel, die Erde und der Luftraum, das Manas und die Prâṇa's, d.h. die aus ihnen bestehende, ganze Welt ist es, von der unsere Schriftstelle sagt, sie sei eingewoben; der Stützpunkt aber, in welchem diese eingewoben ist, kann nur das höchste Brahman sein; warum? »wegen des ihm eigentümlichen Wortes«, d.h. wegen des Wortes »Âtman«; denn es steht das Wort »Âtman« dabei, indem es heisst: »den wisst ihr als den Einen, als den Âtman« (Muṇḍ. 2, 2, 5.) Das Wort »Âtman« | aber ist völlig angemessen nur, wo es sich um den höchsten Âtman, nicht wo es sich um eine andere Sache handelt. Auch wird öfter unter Nennung eines gerade ihm eigentümlichen Namens das Brahman von der Schrift als dieser Stützpunkt bezeichnet; so wenn es heisst: »alle diese Kreaturen haben das Seiende als Wurzel, das Seiende als Stützpunkt, das Seiende als Grundlage« (Chând. 6, 8, 4); und auch an unserer Stelle wird sowohl vorher als nachher das Brahman mit seinem eigentlichen Namen genannt; denn es heisst [vorher, Muṇḍ. 2, 1, 10]: »Geist nur ist dieses All, das Werk, die Busse, Brahman und das Höchstunsterbliche«, und [nachher, Muṇḍ. 2, 2, 11]: »das Brahman, das Unsterbliche, ist diese Welt im Osten und im Westen, das Brahman im Süden und im Norden.« Wenn nun aber hierbei die Rede ist von einem Stützenden und einem Gestützten, und in dem Satze »das Weltall ist Brahman«, beide in demselben Casus miteinander verbunden werden, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass, ähnlich wie ein mannigfach zusammengesetzter Baum aus Ästen, Stamm und Wurzel besteht, so auch vielleicht der Âtman ein mannigfacher, aus mancherlei Essenzen bestehender sei. Um diesem Zweifel zu begegnen, fügt die Schrift noch eine [dem Âtman] eigene, besondere Bestimmung hinzu, indem sie sagt: »den wisst ihr als den Einen, als den Âtman«; das bedeutet: man darf nicht meinen, als wenn für den Âtman die Ausbreitung seiner Wirkungen charakteristisch wäre, als wenn er somit[130] als ein mannigfacher gedacht werden müsste; sondern vielmehr diese Ausbreitung der Wirkungen ist das Werk des Nichtwissens; und indem ihr dieselbe durch das Wissen aufhebt, so erkennt ihr jenen Einen, der ihr Stützpunkt ist, den seiner Essenz nach einheitlichen Âtman. | Denn wie einer, wenn man zu ihm sagt »hole das her, worauf Devadatta sitzt«, den Sitz holt, nicht aber den Devadatta, so wird auch hier gefordert, dass man nur den als Stützpunkt bezeichneten einwesentlichen Âtman erkenne, während hingegen eine Verknüpfung desselben mit der Unwahrheit der Umwandlungen von der Schrift in Abrede gestellt wird, wenn sie sagt (Kâṭh. 4, 10):


»Von Tod zu Tode wird verstrickt,

Wer eine Vielheit hier erblickt.«


Die Satzverbindung: »das Weltall ist Brahman« hingegen bezweckt, die Vielheit aufzuheben, nicht aber das Brahman als aus vielerlei Essenzen bestehend darzulegen; denn dass dasselbe seiner Essenz nach einheitlich ist, beweisen die Worte: »gleichwie der Salzblock kein [unterschiedliches] Innere oder Äussere hat, sondern durch und durch ganz aus Geschmack besteht, so, fürwahr, hat auch dieser Âtman kein [unterschiedliches] Innere oder Äussere, sondern besteht durch und durch ganz aus Erkenntnis« (Bṛih. 4, 5, 13.) Somit ist der Stützpunkt von Himmel, Erde u.s.w. das höchste Brahman. Wenn aber behauptet wurde, dass wegen des Wortes von der Brücke, und weil eine Brücke zwei Ufer zu haben pflege, der Stützpunkt von Himmel, Erde u.s.w. etwas anderes als Brahman sein müsse, so erwidern wir, dass die Erwähnung der Brücke hier nur bedeuten soll, dass [der Âtman das Weltgebäude] auseinanderhalte, nicht aber, dass er [ausser sich] Ufer und was sonst [einer Brücke zukommt] haben müsse. Denn wenn z.B. eine gewöhnliche Brücke aus Erde und Holz besteht, so braucht man darum doch nicht anzunehmen, dass auch hier von einer Brücke aus Erde und Holz die Rede sei. Übrigens liegt auch in dem Begriffe des Wortes setu (Brücke) nur das Auseinanderhalten, | nicht aber das Haben von Ufern und dergleichen; denn seiner Etymologie nach stammt setu von der Wurzel si, welche »binden« bedeutet.

Nach einer andern Auffassung wäre es nur das in den Worten: »den wisst ihr als den Einen, als den Âtman« erwähnte Wissen vom Âtman sowie das in den Worten: »die andern Reden lasset ihr beiseite« geforderte Beiseitelassen der Worte, welches beides hier, weil es die Unsterblichkeit bewirkt, als »die Brücke der Unsterblichkeit« von der Schrift erwähnt würde, nicht aber der Stützpunkt des Himmels und der Erde selber. Daher die Behauptung, dass wegen Erwähnung der Brücke[131] der Stützpunkt des Himmels und der Erde etwas anderes sein müsse als Brahman, ungereimt sein würde.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 129-132.
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