[167] 27. virodhaḥ karmaṇi, iti cen? na! aneka-pratipatter darçanât
Widerspruch in Betreff des Werkes, meint ihr? O nein! wegen Annehmung verschiedener, weil dies ersichtlich.

›Nun gut‹, könnte man sagen, ›aber wenn man sich die Berufung der Götter zum Wissen dadurch begreiflich macht, dass man ihnen Individualität u.s.w. zuschreibt, so muss man um eben dieser Individualität willen weiter auch annehmen, dass lndra u.s.w.[167] ebenso gut wie die Opferpriester und andere mit ihrer leibhaftigen Gegenwart an der Opferhandlung beteiligt sind; daraus aber würde ein »Widerspruch in Betreff des Werkes« folgen; denn dass Indra u.s.w. an dem Opfer mittels leibhaftiger Gegenwart teilnehmen, ist gegen den Augenschein, und ist auch nicht möglich; denn wenn dem einen Indra gleichzeitig viele Opfer dargebracht werden, so ist es nicht möglich, dass er bei allen leibhaftig gegenwärtig sei.‹

Darauf erwidern wir, dass hier kein Widerspruch vorliegt; warum? »wegen Annehmung verschiedener«; | d.h. weil ein, wiewohl einheitliches, Götterwesen gleichzeitig verschiedene Gestalten annehmen kann. Woher wissen wir das? »weil dies ersichtlich« ist; nämlich aus einer Schriftstelle, welche zuerst auf die Frage: »wie viel Götter giebt es?« zur Antwort giebt: »drei und drei hundert und drei und drei tausend« (3306), und auf die weitere Frage: »welches sind diese?« erwidert: »das sind nur ihre Kräfte; Götter aber giebt es nur drei und dreissig« (Bṛih. 3, 9, 1-2); aus dieser Schriftstelle ist ersichtlich, dass jedes einzelne Götterwesen gleichzeitig mehrere Gestalten annehmen kann. Weiter aber lehrt dieselbe Schriftstelle von den drei und dreissig Göttern, [indem sie dieselben] durch Vermittlung von sechs u.s.w. [zuletzt auf einen zurückführt], in den Worten: »welches ist der eine Gott? – Das Leben, so sprach er« (Bṛih. 3, 9, 9), – dass alle Götter als einheitliches Wesen den Prâṇa (Leben) haben, und dass dieser einheitliche Prâṇa gleichzeitig mehrere Gestalten annehmen kann. Ferner sagt auch die Smṛiti (Mahâbh. 12, 11062):


»O Fürst, viel tausend Leiber kann der Yogin

Sich schaffen nach erlangtem Kraftvermögen

Und auf der Erde wandeln durch sie alle.

In einigen geniesst er Sinnesfreuden,

In andern übt er furchtbarliche Busse,

Und wieder fasst er alle sie zusammen,

Gleichwie die Sonne ihrer Strahlen Scharen.«


| Stellen wie diese lehren, dass sogar die Yogin's, nachdem sie die [acht] Machtvollkommenheiten, sich atomklein u.s.w. zu machen; erlangt haben, gleichzeitig in verschiedene Leiber eingehen können; um wie viel mehr muss dies von den Göttern gelten, welche von Geburt an jene Vollkommenheiten schon besitzen! Mittels dieser Fähigkeiten also, verschiedene Gestalten anzunehmen, zerteilt sich jede einzelne Gottheit in viele Gestalten und nimmt auf diese Weise gleichzeitig an vielen Opfern teil; dass sie aber dabei von andern nicht gesehen wird, beruht auf dem ihr zukommenden Vermögen, sich unsichtbar zu machen.

Die Worte des Sűtrams »wegen Annehmung verschiedener, weil dies ersichtlich«, lassen sich auch noch anders erklären, nämlich folgendermassen. Auch bei individuellen Wesen ist,[168] wo es sich um Gebote handelt, die ein [für sie zu vollbringendes] Werk betreffen, eine »Annehmung verschiedener« [Gaben] »ersichtlich«. In manchen Fällen freilich kann das eine Individuum nicht gleichzeitig an vielerlei teilnehmen; so wie z.B., wenn viele Speise darbringen, der eine Brahmane nicht gleichzeitig von ihnen gespeist werden kann; in andern Fällen aber kann das eine Individuum gleichzeitig an vielerlei teilnehmen; wie z.B. indem viele Verehrung zollen, der eine Brahmane gleichzeitig von ihnen allen diese Verehrung entgegennimmt. In ähnlicher Weise steht es auch hier; denn das Opfer beruht wesentlich in [den beiden Momenten] der Vermachung (uddeça) und der Verzichtung (parityâga); es ist aber wohl möglich, dass viele gleichzeitig auf das, was ein jeder besitzt, verzichten und dasselbe einer einzigen, wennschon individuellen, Gottheit vermachen. Somit tritt, auch wenn die Götter Individualität haben, durchaus kein »Widerspruch in Betreff des Werkes« ein.

Quelle:
Die Sűtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 167-169.
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