[177] 30. samâna-nâma-rûpatvâc ca âvṛittau api avirodho, darçanât smṛiteç ca
und wegen der Gleichheit der Namen und Gestalten ist auch bei der Wiederkehr kein Widerspruch, wegen der Offenbarung und der Smṛiti.

›Nun ja‹, könnte man sagen, ›dem möchte wohl so sein, wenn die Individuen der Götter u.s.w., ähnlich wie wir es bei den Individuen der Tiere u.s.w. sehen, in ununterbrochener Reihenfolge entstünden und vergingen; dann würde in Bezug auf Namen, Namenträger und Namengeber eine Ununterbrochenheit des Welttreibens bestehen, der Zusammenhang [der Welt] würde ein ewiger sein, und der »Widerspruch in Betreff des Schriftwortes« [welches die neu entstehenden Götter immer wieder mit denselben Namen belegt] wäre vermieden. Aber wie nun, wenn einmal das ganze Universum, alle seine Namen und Gestalten verlierend, spurlos zu Grunde geht und sodann wieder aufs neue entsteht, – wie Schrift und Smṛiti es versichern, – wie lässt sich dann | dem Widerspruche [dass die im Veda gelehrten Götter als dieselben wieder neu erstehen sollen] entgehen?‹

Hierauf dient zur Antwort: »wegen der Gleichheit der Namen und Gestalten«. Zunächst nämlich muss man auch für diesen[177] Fall daran festhalten, dass der Saṃsâra ein anfangsloser ist. Und diese Anfangslosigkeit des Saṃsâra wird der Lehrer darlegen in dem Sûtram: »und diese ergiebt sich, und sie wird auch vernommen« (2, 1, 36.) Ist aber der Saṃsâra anfangslos, dann steht es so damit, dass, gleichwie in Bezug auf Einschlafen und Erwachen, obgleich dieselben von der Schrift als ein Untergehen und Neuentstehen geschildert werden, doch, weil das Treiben in dem folgenden Zustande des Wachens dasselbe ist wie in dem vorhergehenden, kein Widerspruch stattfindet, – ebenso die Sache sich verhält bei dem Untergehen und Neuentstehen einer ganzen Weltperiode (kalpa.) Dass nämlich das Einschlafen und Wiedererwachen ein Untergehen und Neuentstehen ist, lehrt die Schrift, wenn sie sagt: »wenn einer so eingeschlafen ist, dass er kein Traumbild schaut, so ist er eins geworden in jenem Prâṇa; dann gehet in ihn ein die Rede mitsamt allen Namen, das Auge mitsamt allen Gestalten, das Ohr mitsamt allen Tönen, das Manas mitsamt allen Gedanken; und wenn der Mensch wieder erwacht, dann geschieht es, dass, gleichwie aus einem brennenden Feuer nach allen Seiten die Funken entspringen, ebenso auch aus diesem Âtman alle Lebensorgane, ein jedes zu seinem Standorte hin, entspringen, aus den Lebensorganen die Götter, aus den Göttern die Welten« (Kaush. 3, 3.) – Man könnte einwenden: ›für den Schlaf mag dies ja gelten; denn da während desselben das Treiben der übrigen Menschen ununterbrochen fortbesteht, und auch das Treiben des Eingeschlafenen und Wiedererwachenden selber an dasjenige des früheren Wachezustandes anknüpfen kann, so liegt hier kein Widerspruch vor. Anders aber ist es bei dem grossen Weltuntergange; | hier wird das ganze Welttreiben aufgehoben, und daher ist es nicht möglich, dass, entsprechend dem Treiben in der vormaligen [Welt-]Geburt, das Treiben der neuen Weltperiode wiederanknüpfen könne.‹ – Dieser Einwurf ist nicht zutreffend. Denn wenn auch der alles Treiben zu nichte machende grosse Weltuntergang einmal eintritt, so ist es doch möglich, dass, mit Bewilligung des höchsten Gottes (îçvara), die Götterherren (îçvarâḥ) wie Hiraṇyagarbha u.s.w. an das Treiben der vorigen Weltperiode wieder anknüpfen. Denn wenn auch die gewöhnlichen Lebewesen, wie die Erfahrung zeigt, nicht im Stande sind, an ihr eigenes Treiben in einer vormaligen Geburt wiederanzuknüpfen, so braucht dies doch nicht ebenso wie bei gewöhnlichen Wesen sich bei den Götterherren zu verhalten. Denn so wie, obgleich alle ohne Unterschied Lebewesen (Seelen, prâṇin) sind, doch vom Menschen an bis herab zur Pflanze eine mehr und mehr zunehmende Hemmung der Erkenntnis und Machtvollkommenheit sich wahrnehmen lässt, ebenso findet vom Menschen nach aufwärts zu bis zu Hiraṇyagarbha hin [welcher das oberste Götterwesen, das persönlich gedachte Bráhman, der Brahmán ist] eine mehr[178] und mehr zunehmende Entfaltung der Erkenntnis und Machtvollkommenheit statt, und diese höchste Machtvollkommenheit jener [zwar nicht, wie das Bráhman, schlechthin unvergänglichen, aber doch] mehr als einmal in der nächsten Weltperiode (anukalpa) u.s.w. zum Vorschein kommenden [Götterherren] wird von Schrift und Smṛiti ausdrücklich bezeugt und lässt sich daher nicht in Abrede stellen. Und hieraus folgt, | dass von jenen Götterherren, Hiraṇyagarbha u.s.w., indem sie, zufolge ihrer in der vergangenen Weltperiode bewährten Ausgezeichnetheit an Wissen und Werken, in der gegenwärtigen Weltperiode wieder zum Vorschein kommen, mit Bewilligung des höchsten Gottes, eine Wiederanknüpfung an das Treiben der vorherigen Weltperiode, ähnlich wie bei dem Einschlafenden und Wiedererwachenden, bewirkt werden kann. Und so sagt die Schrift (Çvet. 6, 18):


»Der Gott, der einst den Brahmán [Hiraṇyagarbha] hat erschaffen,

Und ihm die Veden übergeben hat,

Der sich als Gott im Selbstbewusstsein zeigt,

Bei ihm find' ich, Erlösung suchend, Zuflucht.«


Und die Smṛiti des Çaunaka und der andern [Verfasser von Prâtiçâkhya's] lehrt, dass die Dekaden [des Ṛigveda, nachdem sie zunächst dem Hiraṇyagarbha übergeben worden waren, darauf] von Madhucchandas [dem Verfasser der Anfangshymnen im Ṛigveda] und den übrigen Ṛishi's geschaut worden sind. Und in derselben Weise werden für jeden Veda [als Schauer desselben] die Ṛishi's der einzelnen Abteilungen nebst dem Übrigen [was zum Studium desselben erforderlich ist] überliefert. Ja, die Schrift lehrt, dass man nur nach vorausgehender Kenntnis des [betreffenden] Ṛishi mit einem Mantra (Hymnus, Spruch) sich beschäftigen darf; denn es heisst: »wer einen Mantra zum Opfer oder Studium verwendet, ohne dass er von ihm Ṛishischaft, Metrum, Gottheit und rituelle Verwendung kennt, | der stösst an einen Baumstamm oder fällt in eine Grube« [fährt in eine Pflanze oder kommt in die Hölle, – wie die Vedântatheologen dies erklären]; und weiter: »darum soll man bei jedem einzelnen Mantra diese kennen.« (Ârsheya-brâhmaṇam p. 3, ed. Burnell.) Weiter aber [folgt aus dieser Identität des Veda in den verschiedenen Weltperioden die »Gleichheit der Namen und Gestalten« in denselben; nämlich im Veda] wird die Pflicht geboten, damit die Lebewesen der Lust teilhaft werden, und die Pflichtverletzung verboten, damit sie sich vor Unlust bewahren. Nun beziehen sich die Zuneigung und Abneigung [zu Lust und Unlust, wie sie vom Ritualgesetze zu Triebfedern des Handelns gemacht werden], auf eine der Erfahrung gemäss von der Schrift gelehrte Lust und Unlust (dṛishṭa-ânuçravika-sukha-duḥkha), nicht auf eine solche, welche von dieser wesensverschieden[179] wäre; und hieraus folgt, dass die zur Vergeltung der Pflichterfüllung und Pflichtverletzung [auch nach dem grossen Weltuntergange] immer wieder neuentstehende Weltschöpfung von ähnlichem Charakter wie die vorherige Schöpfung sein muss. Und eine Smṛitistelle (Mahâbh. 12, 8525 fg.; vgl. Manu 1, 28-29) sagt [indem sie nicht nur das Leiden, sondern auch das Thun des Menschen von seinen Werken in der vorhergehenden Geburt abhängig sein lässt]:


»Die Werke, welche in der früheren Schöpfung jeder

Sich auserwählt, zu diesen strebt er hin,

Indem er immer wieder wird geboren;

Ob Hass ob Liebe, Mitleid oder Härte,

Recht oder Unrecht, Lüge oder Wahrheit, –

Zu allem sind im voraus sie gestaltet;

Daher Verschiedenheit der Neigung waltet.«


| Diese Welt also geht zwar zu Grunde, aber so, dass die Kräfte (çakti) von ihr übrig bleiben, und diese Kräfte sind die Wurzel, aus der sie wieder hervorgeht; denn sonst würden wir eine Wirkung ohne Ursache haben. Nun kann man nicht annehmen, dass die Kräfte [aus denen die Welt neu hervorgeht] verschiedener Art [von denen, aus welchen sie früher hervorging] seien. Darum muss man zugeben, dass, trotz der immer wiederholten Unterbrechung [des Weltumlaufes], für die [neu] entstehenden Reihen der Welträume, wie Erde u.s.w., für die Reihen der Gruppen der lebenden Wesen, Götter, Tiere und Menschen, und für die verschiedenen Zustände der Kasten, Âçrama's, Pflichten und Belohnungen in dem anfangslosen Saṃsâra eine notwendige Bestimmtheit (niyatatvam) vorhanden ist, ähnlich der notwendigen Bestimmtheit in der Verbindung der [fünf] Sinnesorgane mit den fünf] Elementen; denn auch bei diesen lässt sich nicht für die jedesmalige Schöpfung die Möglichkeit einer Verschiedenheit, etwa so, dass es ein sechstes Sinnesorgan und Element gäbe, absehen. Indem somit das Treiben ein ähnliches ist, und es möglich macht, [bei einer Neu-Schöpfung] an das Treiben in der früheren Weltperiode wieder anzuknüpfen, so schweben bei der jedesmaligen Schöpfung den [dieselbe bewirkenden] Götterherren (îçvarâḥ) solche Bestimmtheiten vor, welche gleiche Namen und Gestalten [mit den vormaligen] haben, und zufolge dieser »Gleichheit von Namen und Gestalten« geschieht es, dass »auch bei der Wiederkehr«, | d.h. auch wenn man eine totale Neuschöpfung nach totaler Vernichtung der Welt annimmt, dennoch »kein Widerspruch« gegen die Autorität u.s.w. des Vedawortes sich erheben lässt. Diese »Gleichheit der Namen und Gestalten« bezeugen die Schrift und die Smṛiti; so in den Worten (Ṛigv. 10, 190, 3):[180]


»Wie vordem (! – yathâ pûrvam) schuf der Schöpfer Mond und Sonne,

Den Luftraum und das Licht, und Erd' und Himmel;«


das heisst [vermeintlich]: so wie der höchste Gott die Welt mit Sonne, Mond u.s.w. in der vorhergehenden Weltperiode gebildet hat, ebenso hat er sie auch wieder in der gegenwärtigen Weltperiode gebildet. Ebenso heisst es in der Sternopfer-Ordnung (Taitt. br. 3, 1, 4, 1): »Agni (Gott des Feuers) begehrte, der Speiseesser der Götter zu sein; da bot er dem Agni, wie er in Gestalt der Kṛittikâḥ [Sternbild der Plejaden] besteht, einen Opferkuchen in acht Schalen dar.« Hier haben der Agni, welcher darbietet, und der Agni, welchem er es darbietet, gleiche Namen und Gestalten; daher man sich auch [freilich wohl mit Unrecht] auf diese Schriftstelle berufen kann. Und auch die Smṛiti sagt [die beiden ersten Verse Mahâbh. 12, 8535. 8550]:


»Die Ṛishi's, die der Ewige am Ende

Der grossen Weltennacht hervorgebracht,

Denen verlieh er abermals die Namen

Und ihre Schauungen des Vedaworts.« –

| »Wie in des Jahres Kreislauf, mannigfach

Gestaltet, immer als dieselben sich

Der Jahreszeiten Glieder wiederholen,

So in den Weltenaltern alle Wesen. –

Nach ihren Stellen sind die frühern Götter

Gleichartig denen, welche jetzt wir haben,

Ein jeder Gott sich selbst an Form und Namen.«

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 177-181.
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