[15] 4. tat tu, samanvayât
jenes vielmehr, wegen der Übereinstimmung.

Das Wort tu (vielmehr) bezweckt, die Einwendung des Gegners abzulehnen. Tat (jenes), d.h. jenes allwissende, allmächtige Brahman, wird als Ursache für Ursprung, Bestand und Vergang der Welt aus dem Kanon des Vedânta erkannt. Warum? samanvayât, »wegen der Übereinstimmung«; denn in allen Vedântatexten finden sich Worte, welche, indem sie eben nur diesem Zwecke dienen, in der Darlegung dieser Sache | miteinander übereinstimmen. So,[15] wenn es heisst: »Seiend nur, o Teurer, war dieses am Anfang, eines nur und ohne zweites« (Chând. 6, 2, 1); – »Wahrlich, diese Welt war zu Anfang der Âtman allein« (Ait. 1, 1, 1); – »Dieses Brahman ist ohne Früheres und ohne Späteres, ohne Inneres und ohne Äusseres; diese Seele ist das Brahman, das | allvernehmende« (Brih. 2, 5, 19); – »Brahman allein ist jenes Unsterbliche im Osten, [Brahman im Westen, Brahman im Süden und im Norden]« (Mund. 2, 2, 11.) – Wenn man die unverkennbare Übereinstimmung beachtet, mit welcher sich Stellen wie diese auf die Naturwesenheit des Brahman beziehen, so ist es unmöglich, ihnen einen andren Zweck unterzulegen, wenn man nicht den Fehler begehen will, was dasteht ausser Acht zu lassen und ihm was nicht dasteht unterzuschieben. Auch ist es nicht zu erweisen, dass diese Vedântaworte den Zweck haben, über die Natur des Handelnden, der Gottheiten u.s.w. zu belehren. Denn wenn die Schrift sagt: »[wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, ...] wie sollte er da irgendwen sehen?« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 14), so hebt sie damit die Werke, die Thäter und die Belohnungen derselben auf. Auch folgt daraus, dass es sich um die Naturbestimmung eines wirklich vorhandenen Gegenstandes handelt, noch nicht, dass derselbe in den Bereich der Sinneswahrnehmung und der übrigen [weltlichen Erkenntnismittel] gehören müsse. Denn Worte wie »das bist du« (Chând. 6, 8, 7), welche lehren, dass die Seele Brahman ist, können ohne den Schriftkanon nicht erkannt werden. Wenn aber behauptet wurde, dass, wo es sich nicht um ein zu Meidendes oder zu Thuendes handele, eine Unterweisung zwecklos sei, so ist dieser Einwurf nicht zutreffend. Denn gerade dadurch, dass man die Seele als das allem Meiden und Thun enthobene Brahman erkennt, wird man frei von aller Not und des Endzweckes des Menschen teilhaftig. | Anders steht es, wo es sich um eine Belehrung über die Gottheiten [des Opferkultus] u.s.w. handelt. Eine solche ist ohne Widerspruch auch da möglich, wo eine an die betreffende Stelle geknüpfte Verehrung den eigentlichen Zweck bildet. Nicht aber [lies: na tu] kann in dieser Weise das Brahman im Gefolge einer Vorschrift der Verehrung vorkommen. Denn wo [wie bei Brahman] nur eine Einheit besteht, da fällt alles Meiden und Thun fort, und das ganze Bewusstsein der Zweiheit von Werk, Thäter u.s.w. wird zunichte. Denn nachdem das Bewusstsein der Zweiheit durch die Erkenntnis der Einheit des Brahman aufgehoben worden, kann es nicht wieder Platz greifen, etwa in der Art, dass ein Zugehörigsein zu Vorschriften der Verehrung in Bezug auf das Brahman behauptet würde. | Wenn auch im übrigen betreffs der Vedatexte ein Richtschnursein derselben ohne Zusammenhang mit den Ritualvorschriften nicht zu konstatieren ist, so ist doch, weil die Erkenntnis des Âtman das letzterreichbare Ziel[16] ist, dem auf sie gerichteten Teile des Schriftkanons die Beweiskraft nicht abzusprechen. Und diese Beweiskraft des Schriftkanons beruht nicht etwa auf einer blossen Folgerung, so dass sie noch anderweitiger Belege zur Stütze bedürfte. – Somit ist bewiesen, dass der Schriftkanon den Erkenntnisgrund für das Brahman ausmacht.

Da aber stehen andere gegen uns auf und sagen: ›wenn auch das Brahman seine Bewährung in dem Schriftkanon hat, so wird doch das Brahman nur deswegen von dem Kanon gelehrt, weil es in den Bereich der Verehrungen und der Vorschriften gehört; so wie ja auch über Opferpfosten, Opferfeuer und andere nicht weltliche Dinge von dem Kanon Belehrung erteilt wird, weil sie zu den Vorschriften mitgehören. | Warum dieses? Weil der Schriftkanon nur den Zweck hat, zu Handlungen anzutreiben und von ihnen abzuhalten. Denn also heisst es bei den Schriftkundigen: »ersichtlich ist ja dessen Zweck, nämlich über die Werke Belehrung«; auch bedeutet ja das Wort »Aufforderung« (codanâ) die Antreibung zu einer That. Und eben zur Erkenntnis desselben [was als Pflicht gefordert wird] dient die Unterweisung. Auch heisst es: »die dabei vorkommenden [Begriffe] werden zugleich mit einem [imperativen] Verbalbegriffe vorgebracht« (Jaim. 1, 1, 25), und: »dieweil der Zweck der heiligen Lehre | die Werke sind, so ist zwecklos, was diesem Zweck nicht dient« (Jaim. 1, 2, 1.) Somit hat der Schriftkanon seinen Zweck darin, dass er den Menschen zu gewissen Dingen antreibt und von gewissen Dingen abhält, und nur als Ergänzung dazu schliesst sich Weiteres an. Weil nun die Vedântatexte mit ihm [dem übrigen Kanon] von gleicher Art sind, so muss man annehmen, dass auch sie demselben Zwecke dienen. Steht aber die Vorschrift als Zweck fest, so folgt, dass, ebenso wie für den, der nach himmlischem Lohne u.s.w. begehrt, das Feueropfer u.s.w. als Mittel befohlen wird, ebenso auch für den, welcher nach Unsterblichkeit begehrt, die Erkenntnis des Brahman befohlen wird.‹ – Aber wurde nicht oben gesagt, dass dabei doch eine Wesensverschiedenheit des zu Erforschenden statthat, sofern es sich im Werkteile des Veda um die Erforschung einer zukünftigen Pflicht handelt, hier hingegen um das schon bestehende und ewig vorhandene Brahman? Muss somit nicht angenommen werden, dass von der Frucht der Erkenntnis der Pflicht, welche erst erfüllt werden soll, die Frucht der Erkenntnis des Brahman wesensverschieden ist? – ›Dies braucht nicht angenommen zu werden; denn nur weil es mit einer zu erfüllenden Vorschrift verknüpft ist, wird das Brahman überhaupt gelehrt. Denn wenn es heisst »den Âtman fürwahr soll man sehen« (Bṛih. 2, 4, 5); – »der Âtman, der | vom Übel frei ist, ... den soll man erforschen, den soll man suchen zu erkennen« (Chând. 8, 7, 1); – »darum soll[17] man ihn allein als den Âtman verehren« (Bṛih. 1, 4, 7); – »den Âtman allein soll man als die Welt verehren« (Bṛih. 1, 4, 15); – »wer Brahman kennt, der wird selbst zu Brahman« [frei nach Mund. 3, 2, 9], – so sind das Vorschriften, auf Grund deren sich die Frage erhebt, wer denn dieser Âtman, dieses Brahman, sei? und als Antwort unternehmen es alle Vedântatexte, seine Natur darzulegen, indem sie ihn als das ewige, allwissende, allgegenwärtige, ewig bedürfnislose, ewig reine, weise, freie Wesen, als »die Erkenntnis, die Wonne, das Brahman« (Brih. 3, 9, 28) u.s.w. schildern. Und als die aus seiner Verehrung erfolgende Frucht kann die nur aus dem Schriftkanon, nicht durch Sinneswahrnehmung erkennbare Erlösung angesehen werden. Wollte man hingegen das Brahman nicht zu den zu erfüllenden Vorschriften rechnen, so dass dabei nur die Erklärung des Gegenstandes und kein Thun oder Meiden stattfände, so würden die Vedântaworte solchen Sätzen wie »die Erde besteht aus sieben Weltteilen« oder »der König kommt« vergleichbar und wie sie zwecklos sein.‹ – Aber könnte nicht auch bei der blossen Erklärung eines Gegenstandes, z.B. wenn es heisst »dieses hier ist ein Strick und keine Schlange« ein Zweck bestehen, nämlich die Beseitigung der durch den Irrtum erzeugten Furcht? Könnte nicht ebenso hier bei der Erklärung des Wesens des von der Seelenwanderung freien Âtman ein Zweck bestehen, nämlich die Beseitigung des Irrtums, als ob die Seele eine wandernde sei? – ›Dem möchte so sein, wenn, ebenso wie die Wahnvorstellung der Schlange nach Erklärung des Wesens des Strickes, so auch die Wahnvorstellung der Seelenwanderung durch die blosse Erklärung der Natur des Brahman beseitigt würde. Nun aber wird dieselbe nicht beseitigt, denn auch an dem, welchem das Brahman mitgeteilt worden ist, zeigen sich ebenso gut wie vorher | Lust, Schmerz und die übrigen der Seele im Stande der Wanderung zukommenden Eigenschaften. Und auch wenn es heisst: »ihn soll man hören, soll man verstehen, soll man überdenken« (Bṛih. 2, 4, 5), so folgt daraus, dass auch in der auf das Hören folgenden Zeit ein Verstehen und Überdenken des Âtman noch zu betreiben ist. Somit hat man anzunehmen, dass das Brahman nur darum von dem Schriftkanon gelehrt wird, weil es in den Bereich der Verehrungen und der Vorschriften gehört.‹

Auf diese Einwendung antworten wir, dass dem nicht so ist, und zwar, weil zwischen den Werken und dem Brahman, sowohl was das Wissen um dieselben, als auch was die beiderseitige Frucht desselben betrifft, Wesensverschiedenheit besteht. Nämlich, unter dem Namen Pflicht begreift man gewisse aus der Schrift und Smṛiti bekannte, in Werken, Worten und Gedanken bestehende Leistungen, deren Erforschung durch das Buch, welches anfängt mit den Worten:[18] »Nunmehr daher die Pflichtforschung« (Jaim. 1, 1, 1) u.s.w. in Sûtra's gefasst wurde; und ebenso war in demselben das Gegenteil der Pflicht, das Unrecht u.s.w., da auch das Verbot den Charakter der Aufforderung hat, zu erforschen, damit man es vermiede; und als Frucht dieser beiden, welche den Charakter der Aufforderung tragen und Heil und Unheil bewirken, der Pflicht und der Versündigung, liegen zu Tage Lust und Leid, wie sie gleichfalls in Thaten, Worten und Gedanken empfunden werden, aus der Verbindung der Sinne mit den Sinnesobjekten resultieren und von Brahmán [masc., mythologisch personificiert] an abwärts [durch die Menschen- und Tierwelt hindurch] bis hinein in die Pflanzenwelt sich erstrecken. Hierbei herrscht, nach der Schriftoffenbarung, unter den verkörperten Seelen vom menschlichen Dasein aufwärts bis zum Brahmán hin | ein Mehr oder Minder von Lust, aus welchem auf ein Mehr oder Minder von geübter Pflicht als Ursache zu schliessen ist. Aus diesem Mehr oder Minder der geübten Pflicht lässt sich weiter zurückschliessen auf ein Mehr oder Minder des Betraut-worden-seins [mit dem Opferwerke], und dieses Mehr oder Minder des Betrautseins wiederum ist bekanntlich abhängig von der Bedürftigkeit, der Würdigkeit und andern Bedingungen. Hierbei gelangen diejenigen, welche zwar auch nur das Opferwerk u.s.w. betreiben, jedoch durch Wissen und Meditation sich dabei auszeichnen, auf dem nordwärts führenden Pfade [dem Devayâna, Götterwege] ins Jenseits; diejenigen hingegen, welche nur Opfer, fromme Werke und Almosen [ohne Wissen und Meditation] geübt haben, gehen durch den Rauch [des Leichenfeuers] u.s.w. den südlichen Weg [den Pitṛiyâna, Väterweg; vgl. über beide Wege die Abschnitte III, 1 und IV, 3]; und auch für diesen letztern Weg ergiebt sich ein Mehr oder Minder von Lust, sowie ein Mehr oder Minder der sie bedingenden Mittel [der Werkthätigkeit] aus Schriftstellen wie: »Nachdem sie daselbst verweilt haben, solange ein Rest bleibt« u.s.w. (Chând. 5, 10, 15.) Ebenso wird von der Menschenwelt abwärts bis hinein in die Hölle und in die Pflanzenwelt jedes Teilchen von Lust | nur bewirkt durch Erfüllung der vom Gebote vorgeschriebenen Pflicht, so dass auch hier ein Mehr oder Minder stattfindet. In ähnlicher Weise lässt sich daraus, dass die emporgestiegenen und herabgesunkenen verkörperten Seelen ein Mehr oder Minder von Schmerz erleiden, schliessen auf ein Mehr oder Minder der ihn bedingenden, durch Unterlassungsgebote gekennzeichneten Übertretungen und solcher, welche sie begangen haben. In dieser Weise wird für diejenigen, welche noch mit den Schwächen des Nichtwissens u.s.w. behaftet sind, ein Mehr oder Minder von Tugend und Untugend, ein durch sie bedingtes Empfangen eines bestimmten Leibes und ein aus ihm folgendes, zeitweiliges Mehr oder Minder von Lust und Schmerz, wie es naturgemäss der Wanderung der Seele zukommt,[19] nach den Lehren der Schrift und Smṛiti allgemein angenommen. Und dem entsprechend sagt die Schrift: »denn weil er bekörpert ist, ist keine Abwehr möglich der Lust und des Schmerzes« (Chând. 8, 12, 1.) Mit diesen Worten charakterisiert sie die Natur der Seelenwanderung so wie sie oben angegeben wurde. Dann aber fährt sie fort: »den Körperlosen aber berühren Lust und Schmerz nicht« (Chând. 8, 12, 1.) Indem die Schrift in diesen Worten dem Körperlosen ein Berührtwerdenkönnen durch Lust und Schmerz abspricht, so folgt, dass sie für seinen körperlosen, Erlösung genannten, Zustand die Bewirkbarkeit durch eine auf Befehl geübte Pflicht in Abrede stellt. Denn wo es sich um die Wirkungen von Pflichtgeboten handelt, da lässt sich ein Berührtwerden durch Lust und Schmerz [als Wirkungen der erfüllten oder verletzten Pflicht] unmöglich in Abrede stellen. Behauptet ihr, dass die Körperlosigkeit eben eine Folge der Pflichterfüllung sei, so bestreiten wir das, und zwar, weil die Körperlosigkeit der ursprüngliche Zustand [der Seele] ist. | Denn es heisst (Kâṭh. 2, 22):


»Den Körperlosen in den Körpern,

Den Dauernden im Wechselnden,

Den grossen, weiten Geist, wer diesen

Als Weiser kennt, der leidet nicht;«


– »Der odemlose, wünschelose, lichte« (Mund. 2, 1, 2); – »denn diesem Geiste haftet nichts an« (Bṛih. 4, 3, 15.) Aus Schriftstellen wie diesen ergiebt sich, dass jener, »Erlösung« genannte, Zustand der Körperlosigkeit von der Frucht der Pflichterfüllung wesensverschieden, und dass er ein ewiger ist. Mag immerhin sonst auch dasjenige ewig genannt werden, was sich nur unmerklich ändert, in der Art, dass, welche Wandlungen auch daran vor sich gehen, doch die Erkenntnis, dass es dieselbe Sache wie vorher sei, nicht umgestossen wird, – wie z.B. die Erde u.s.w. in der Meinung derer, welche die Welt für ewig halten, oder wie die Guṇa's der Sâ khyaphilosophen, – hier handelt es sich [nicht um ein solches, sondern] um das absolut reale, allerhabene, ewige, wie der Äther alldurchdringende, von aller Veränderung freie, allgenugsame, unteilbare, sich selbst als Licht dienende Sein; und dieses körperlose Sein, in welchem weder Gutes noch Böses, noch eine Wirkung, noch die Dreiheit der Zeiten statthaben, dieses heisst die Erlösung:


»vom Guten frei und frei vom Bösen,

Von Ursach' und von Wirkung frei,

Frei von Vergangnem und Zukünftgem«,


wie die Schrift (Kâṭh. 2, 14) sagt. Darum ist er [der Zustand der Erlösung] eben jenes Brahman, dessen Erforschung | hier zur[20] Sprache gebracht wurde. Wäre das Brahman als ein Bestandteil der Pflichtlehre zu betrachten, und würde somit die Erlösung als etwas aufzufassen sein, was sich durch irgendein Thun verwirklichen liesse, so würde sie nicht ewig sein; denn die Erlösung wäre in diesem Falle nur ein besonders hoher Grad der erwähnten Werkfrüchte, welche in einem Mehr oder Minder bestehen und vergänglich sind. Dass aber die Erlösung ein Ewiges ist, das wird von allen, die überhaupt eine Erlösung lehren, angenommen. Es ist somit unberechtigt, die Belehrung über das Brahman als einen Teil der Pflichtlehre zu betrachten. Auch heisst es: »wer Brahman erkennt, | wird zu Brahman« (Muṇḍ. 3, 2, 9); – »zunichte werden dessen Werke, der jenes Höchst' und Tiefste schaut« (Mund. 2, 2, 8); – »wer dieses Brahman' Wonne kennt, dem macht es alle Angst verschwinden« (Taitt. 2, 9); – »o Janaka, du hast den Frieden erlangt« (Brih. 4, 2, 4); – »dieses wusste allein sich selbst; und es erkannte: ›ich bin Brahman‹; dadurch ward es zu diesem Weltall« (Bṛih. 1, 4, 10); – »wo wäre Irrtum, wo Kummer für einen der die Einheit schaut?« (Îçâ 7); – diese und andere Schriftstellen beweisen, dass sofort auf die Erkenntnis des Brahman die Erlösung erfolgt, und gestatten nicht, eine andere Wirkung, die dazwischen läge, anzunehmen. Und auch die Stelle: »dieses erkennend hub Vâmadeva, der Ṛishi, an: ›ich war einst Manu, ich war einst die Sonne‹« (Brih. 1, 4, 10), – lässt sich zum Beweise dafür anführen, dass zwischen dem Schauen des Brahman und dem Werden zur Seele des Weltalls nichts zu Vollbringendes in der Mitte liegt; ähnlich wie, wenn man sagt: »er steht und singt«, zwischen dem Stehen und dem Singen keine andere Wirkung, die letzteres bewirkte, zwischenliegt. Ferner, wenn es heisst: »denn du bist unser Vater, der du uns aus unserm | Nichtwissen zu dem jenseitigen Ufer hinüberführst« (Praçna 6, 8); – »denn ich habe von solchen, die dir gleichen, gehört, dass, wer den Âtman kennt, über den Kummer hinaus ist; ich aber, o Herr, bin bekümmert; führe du mich hinaus über den Kummer« (Chând. 7, 1, 3), und wie es nachher heisst: »so zeigte ihm, dessen Verdunkelung gewichen war, das Ufer jenseit der Finsternis der heilige Sanatkumâra« (Chând. 7, 26, 2), – so beweisen Schriftstellen dieser Art, dass die Frucht der Erkenntnis des Âtman nur darin besteht, dass die Hemmnisse der Erlösung zunichte werden; und dafür spricht auch das von dem Lehrer [Gotama] vorausgeschickte und durch die [ganze, nachfolgende] Nyâya-Lehre bestätigte Sûtram: »indem von Schmerz, Geburt, Thätigkeit, Sünde, Irrtum durch Schwinden des jedesmal folgenden das unmittelbar vorhergehende schwindet, erfolgt die Erlösung« (Nyâya-sûtra 1, 1, 2); | das Schwinden des Irrtums aber wird bewirkt durch die Erkenntnis der Einheit des Brahman und der Seele. Diese[21] Erkenntnis der Einheit von Brahman und Seele ist nicht etwa eine blosse Parallelsetzung, wie sie z.B. statthat in den Worten: »denn unendlich ist das Manas, unendlich sind die Viçve devâḥ, unendlich ist die Welt, die er durch dieses erwirbt« (Bṛih. 3, 1, 9); sie ist auch keine symbolische Vorstellungsweise, etwa wie wenn in den Worten: »als Brahman soll man das Manas verehren« (Chând. 3, 18, 1), »als Brahman lehre man die Sonne begreifen« (Chând. 3, 19, 1), auf Manas und Sonne die symbolische Vorstellungsweise derselben als Brahman übertragen wird; weiter ist sie auch nicht veranlasst durch die Anschickung zu einem bestimmten Thun [als wäre Brahman z.B. nur darum die Seele, weil er das Wachstum des Leibes beförderte], etwa wie es heisst: »wahrlich, der Wind ist der an sich Raffer« [der übrigen Elemente beim Weltuntergang, Chând. 4, 3, 1], »wahrlich der Lebenshauch ist der an sich Raffer« [der Leibesorgane im Schlafe, Chând. 4, 3, 2]; sie ist endlich auch nicht, etwa wie das Beschauen des Opferschmalzes [durch die Gattin des Opferbringers] eine zu den Werken gehörige, besondere Art der Weihe. Wäre nämlich die Erkenntnis der Einheit von Brahman und Seele nur aufzufassen als eine Art Parallelsetzung u.s.w., | so würde bei Stellen wie: »das bist du« (Chând. 6, 8, 7); – »ich bin Brahman« (Bṛih. 1,4, 10); – »diese Seele ist das Brahman« (Bṛih. 2, 5, 19), die Verknüpfung der Worte, welche die Einheit von Brahman und Seele als eine Thatsache aussprechen will, nicht zu ihrem Rechte kommen. Auch würde das, was als Frucht der Vernichtung des Nichtwissens verheissen wird in der Stelle »dem spaltet sich des Herzens Knoten, dem lösen alle Zweifel sich« (Mund. 2, 2, 8), sich nicht [mit einer bloss figürlichen Gleichsetzung von Brahman und Seele] vertragen. Endlich würden auch Stellen wie »wer das Brahman erkennt, wird zu Brahman« (Muṇḍ. 3, 2, 9), welche einen Übergang in das Sein des Brahman ausdrücken, bei Annahme einer blossen Parallelsetzung u.s.w. nicht vollständig zutreffen. Somit ergiebt sich, dass die Erkenntnis der Einheit von Brahman und Seele nicht eine blosse Art der Parallelsetzung u.s.w. ist. – Hieraus folgt, dass das Erkennen des Brahman nicht von irgend einer Thätigkeit des Menschen abhängig ist, sondern vielmehr, gerade so wie die Erkenntnis eines Gegenstandes, der in den Bereich der Sinneswahrnehmung und der übrigen Erkenntnismittel gehört, abhängig ist lediglich von dem Gegenstande selbst.

Da dem so ist, so kann das Brahman oder auch die Erkenntnis desselben auf keine Weise unter den Begriff eines Bewirkbaren gebracht werden. Und auch dadurch nicht, dass man es als eine Wirkung der Thätigkeit des Erkennens auffasst, lässt sich | Brahman unter den Begriff eines Bewirkbaren bringen. Denn durch Worte wie: »verschieden ist's von allem,[22] was wir kennen, und höher als das Unbekannte auch« (Kena 1, 3) wird seine Bewirkbarkeit durch eine Thätigkeit des Erkennens verneint; sowie auch durch die Stelle: »durch welchen er dieses alles erkennt, wie sollte er den erkennen?« (Bṛih. 2, 4, 14.) – Ebenso unstatthaft aber ist es weiter, die Erkenntnis Brahman's als eine Wirkung der Thätigkeit des Verehrens aufzufassen. Denn nachdem in den Worten: »was unaussprechlich durch das Wort, wodurch das Wort aussprechlich wird« (Kena 1, 4) hervorgehoben worden, dass Brahman überhaupt kein Objekt [der Erkenntnis oder der Verehrung] sei, so heisst es weiter: »das sollst du wissen als das Brahman, nicht jenes, was man dort verehrt.«

Meint ihr, wenn Brahman kein Objekt sei, so sei auch das »Grundsein des Schriftkanons« für dasselbe unmöglich, so geben wir das nicht zu. Denn der Schriftkanon hat nur den Zweck, dass er die von dem Nichtwissen aufgestellte Trennung [zwischen Brahman und Seele] aufhebt. Der Schriftkanon nämlich verfolgt keineswegs die Absicht, das Brahman als ein so und so beschaffenes Objekt hinzustellen, sondern er lehrt vielmehr, dass das Brahman unser inneres Selbst und darum kein Objekt ist, und in diesem Sinne ist er bemüht, die von dem Nichtwissen aufgestellte Spaltung in Subjekt des Wissens, Objekt des Wissens und Wissen zu beseitigen. Darum sagt der Kanon: »wer nicht begreift, nur der begreift es, und wer begreift, der weiss es nicht; nicht erkannt vom Erkennenden, erkannt vom Nichterkennenden« (Kena 2, 11); – und: »nicht | sehen kannst du den Seher des Sehens, nicht hören kannst du den Hörer des Hörens, ... nicht erkennen kannst du den Erkenner des Erkennens« u.s.w. (Brih. 3, 4, 2.)

Die Erlösung besteht also nur darin, dass das von dem Nichtwissen behauptete Wanderersein der Seele vernichtet und dadurch die Natur der Seele als des ewigen und freien Wesens erkannt wird. Bei dieser Auffassung der Erlösung kann man nicht einwenden, dass dieselbe dadurch zu etwas Vergänglichem werde. Wer hingegen die Erlösung ansieht als etwas Bewirkbares, der muss sie folgerichtigerweise betrachten als bedingt durch Wirkungen von Gedanken, Worten oder Werken; und ebenso steht es, wenn man sie als eine Umwandlung auffasst; in beiden Fällen aber folgt unweigerlich, dass die Erlösung etwas Vergängliches ist. Denn die Erfahrung zeigt, dass weder die Produkte einer Umwandlung, wie z.B. saure Milch, noch die Produkte einer Wirkung, wie z.B. Gefässe, ewig sind. Und auch in dem Sinne ist nicht an eine Wirkung zu denken, dass die Erlösung ein zu Erlangendes wäre; denn da sie als das eigentliche Wesen des eignen Selbstes bereits besteht, so braucht sie nicht erst erlangt zu werden. Und wenn das Brahman auch unser eignes [individuelles][23] Wesen überragt, so ist es darum doch nicht etwas, was erst erlangt werden müsste. Denn wegen seiner Allgegenwart ist das Brahman, ähnlich wie der Raum, von solcher Art, dass es von jedem immer schon thatsächlich besessen wird.

Aber auch insofern ist die Erlösung durch kein Thun bedingt, als sie durch [moralische] Besserung (saṃskâra) nicht erreichbar ist. Denn alle Besserung geschieht an dem zu Bessernden durch Zulegung von Tugenden oder Ablegung von Fehlern. Durch Zulegung von Tugenden kommt Erlösung nicht zu Stande: denn sie besteht in der Identität (svarûpatvam) mit dem keiner Zulegung von Vollkommenheit fähigen Brahman; | und ebensowenig durch Ablegung von Fehlern: denn das Brahman, in der Identität mit welchem die Erlösung besteht, ist ein ewig reines Wesen. – ›Aber wenn sonach die Erlösung nur eine Beschaffenheit (dharma) des eignen Selbstes ist, nur dass dieselbe uns verborgen bleibt, kann sie nicht dadurch sichtbar gemacht werden, dass man das Selbst durch eigne Thätigkeit läutert, ebenso wie der Glanz als Beschaffenheit des Spiegels dadurch, dass man denselben durch die Thätigkeit des Putzens reinigt?‹ – Das geht nicht an, weil das Selbst (âtman) kein Objekt der Thätigkeit sein kann. Denn eine Thätigkeit kann sich nicht anders verwirklichen, als indem sie das Objekt, auf welches sie sich bezieht, verändert. Würde nun das Selbst, der Âtman, durch eine Thätigkeit verändert, so wäre er nicht ewig, und Worte wie »unwandelbar wird er genannt« (Bhag. G. 2, 25) wären unrichtig, was nicht annehmbar ist. Folglich kann es keine Thätigkeit geben, die sich auf das Selbst als Objekt bezieht; bezieht sie sich aber auf ein andres Objekt, so wird eben das Selbst nicht von ihr betroffen und folglich auch nicht gebessert. – ›Aber lehrt nicht die Erfahrung, dass durch Thätigkeiten, welche sich auf den Leib beziehen, durch Waschen, Mundausspülen, Tragen der Opferschnur u.s.w., auch die Seele als Träger des Leibes geläutert wird?‹ – Mit nichten! sondern dasjenige, was dabei geläutert wird, ist nur das aus Leib u.s.w. zusammengesetzte, von dem Nichtwissen angenommene Selbst. Denn dass Waschungen, Mundausspülen und dergleichen vom Leibe unabtrennbar sind, lehrt der Augenschein; und hieraus folgt, dass durch derartige, den Leib zur Voraussetzung habende [Ceremonien] nur ein gewisses, aus ihm bestehendes und vom Nichtwissen als das Selbst aufgefasstes [Ich] geläutert wird. | So wie nämlich mittels der auf den Leib bezüglichen Heilkunst das Gleichgewicht unter den Körperstoffen hergestellt und hierdurch für dasjenige, welches aus ihnen zusammengesetzt ist und als sie gilt, die Frucht der Gesundheit erzielt wird und zwar in Bezug auf dasjenige, von welchem der Satz »ich bin gesund« gilt, ebenso beziehen sich Waschungen, Mundausspülen, Tragen der Opferschnur und derartige Verrichtungen auf die Läuterung desjenigen, wovon[24] der Satz gilt »ich bin rein, bin geläutert«, und das ist nur das durch den Leib bedingte [individuelle Ich]. Denn nur aus diesem, aus dem das Ich-Bewusstsein bewirkenden und zugleich das Objekt der Ich-Vorstellung bildenden [individuellen] Bewusstseinsträger gehen alle Werke hervor, und er allein ist es, welcher auch ihre Frucht geniesst. Denn es heisst in einem Liedverse der Schrift: »der eine isst die süsse Beere, der andre schaut nicht essend zu« (Muṇḍ. 3, 1, 1); – und ferner: »aus Manas, Sinnen und dem Leib verbunden, benennen ›den Ge niesser‹ ihn die Weisen« (Kâth. 3, 4.) – Hingegen wenn es heisst (Çvet. 6, 11):


»Der eine Gott in allen Wesen weilend,

Durchdringend alle, aller innere Seele,

Des Werks Aufseher, alles Sein erfüllend,

Zuschauer, reiner Geist, | bestimmungsloser«;


– sowie auch (Îçâ 8):


»Allüberall weilt Er, als reines Wesen,

Als leiblos, unverwundbar und gelenklos,

Als lauter und von Übel unbetroffen«, –


so beweisen diese beiden Versstellen, dass das Brahman eine keiner Steigerung fähige Überschwenglichkeit, und dass es eine unwandelbare Reinheit besitzt. Die Erlösung aber ist das Sein als Brahman. Folglich ist auch die Erlösung nicht durch eine Läuterung zu vollbringen. Und deshalb kann auch kein Mensch irgend eine sonstige Möglichkeit ausfindig machen, die Werke in die Erlösung hereinzubringen. Somit steht fest, dass nur und allein die Erkenntnis, und im übrigen keine Spur von Werken hierher gehört und zulässig ist.

›Aber ist nicht auch die Erkenntnis eine That des Geistes?‹ – Mit nichten! weil sie von einer solchen wesentlich verschieden ist. Denn eine That nehmen wir da an, wo es sich nicht um die Naturbeschaffenheit eines Dinges handelt, sondern vielmehr etwas befohlen wird, und dieses von der intellektuellen Bethätigung des Menschen abhängig ist. So, wenn es heisst: »die Gottheit, für welche | man die Opfergabe bereitet hat, an die denke man, wenn man den Opferruf sprechen will« (Ait. Br. 3, 8, 1), und: »während der Dämmerung soll man im Geiste meditieren«, – so findet zwar auch in derartigen Fällen ein Meditieren, d.h. ein geistiges Denken statt, aber dasselbe kann doch von dem Menschen vollzogen werden oder nicht vollzogen werden oder anders vollzogen werden, weil es eben von dem Menschen abhängig ist. Die Erkenntnis hingegen wird erzeugt durch einen Beweis, und der Beweis bezieht sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand; darum kann man von der Erkenntnis nicht sagen, dass sie vollzogen werden, oder nicht vollzogen werden, oder anders vollzogen[25] werden könne; vielmehr ist sie nur abhängig von dem Gegenstande allein; dieser aber ist weder von einer Aufforderung noch von einem Menschen abhängig; und darum besteht, wiewohl auch die Erkenntnis ein geistiges Thun ist, doch ein grosser Unterschied. Und wenn es z.B. heisst: »der Mann fürwahr, o Gautama, ist ein Feuer;« – »das Weib fürwahr, o Gautama, ist ein Feuer« (Chând. 5, 7, 1. 8, 1), so ist hier das Auffassen des Weibes und des Mannes als ein Feuer zwar ein intellektueller Akt, aber weil derselbe durch eine blosse Aufforderung veranlasst wird, so ist es ein blosses Werk und darum vom Menschen abhängig. Hingegen wo es sich darum handelt, das wirkliche Feuer als Feuer aufzufassen, da ist die Erkenntnis des Feuers nicht von einer Aufforderung abhängig, noch auch von einem Menschen abhängig, sondern sie ist abhängig allein von dem zur Sinneswahrnehmung gehörigen Gegenstande, und darum ist sie eine blosse Erkenntnis und kein Werk; und ebenso hat es mit allen Gegenständen, die ein Objekt des Beweises sind, | seine Bewandtnis. Da dem so ist, so folgt, dass auch die auf das als Seele schon wirklich vorhandene Brahman bezügliche Erkenntnis nicht von einer Aufforderung abhängig ist. Darum werden alle auf dasselbe bezüglichen Imperative, auch wenn sie aus der Schrift stammen, weil der Gegenstand ein nicht befehlbarer ist, an ihm ebenso stumpf wie die Schneide eines Schermessers an einem Steine, und zwar, weil sie sich auf einen Gegenstand beziehen, welcher keinem Thun und Lassen unterworfen ist.

›Aber welchen Sinn haben dann solche Worte wie: »den Âtman fürwahr soll man sehen, soll man hören« (Brih. 2, 4, 5), welche doch dem Anscheine nach eine Vorschrift enthalten?‹ – Wir antworten: sie haben den Zweck, von den Gegenständen der natürlichen Bestrebungen abzuwenden. Denn der den Aussendingen nachstrebende Mensch geht von dem Grundsatze aus: »ich will das Erwünschte erlangen, das Nichterwünschte meiden;« und auf diesem Wege kann er das letzte Ziel des Menschen nicht erreichen. Um nun denjenigen, der das letzte Ziel des Menschen zu erreichen begehrt, von der Sphäre der natürlichen, dem Aggregate der Wirkungsorgane [d.h. dem Leibe] eignen Bestrebungen abzuwenden | und ihn der Strömung nach auf die innere Seele hinzulenken, dazu dienen solche Worte wie: »den Âtman fürwahr soll man sehen« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 5.) Nachdem er aber auf die Erforschung des Âtman [d.h. seines eignen Selbstes] hingewendet worden ist, so wird ihm die weder ablehnbare noch bewirkbare Wesenheit des Âtman (Selbstes) aufgezeigt in Worten wie: »dieses ist das Weltall, was diese Seele ist« (Brih. 2, 4, 6); – »wo aber einem alles zum eignen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgendwen sehen, ... irgendwen erkennen, ... wie sollte er den Erkenner erkennen?« (Brih. 4, 5, 15); – »diese Seele ist[26] das Brahman« (Bṛih. 2, 5, 19), u.s.w. – Wenn ihr behauptet, dass die Erkenntnis des Âtman nicht unter die Rubrik der Pflichtvorschriften gehöre, weil sie sich ebensowenig vermeiden wie bewirken lasse, so ist das ganz und gar auch unsere Meinung. Denn das ist eben unsere Krone und unser Stolz, dass, nachdem die Erkenntnis der Seele als des Brahman erfolgt ist, alle Pflichtvorschriften ein Ende haben und ein Zustand der Verwirklichung aller Zwecke eintritt. Und so sagt auch die Schrift (Bṛih. 4, 4, 12):


»Wer als den Âtman sich erfasst hat in Gedanken,

Wie mag der wünschen noch, dem Leibe nachzukranken!«


und die Smṛiti lehrt (Bhag. G. 15, 20):


»Wer dieses weiss, der ist der wahrhaft Weise,

Der hat, o Bhârata, das Ziel erreicht.«


Darum kann das Brahman weder unter den Gegenständen der Verehrung noch unter denen der Vorschrift mitbefasst werden.

Wenn ferner von einigen [den Anhängern des Prabhâkara] behauptet wird, ›ausser den Vorschriften des Gebotes und Verbotes und dem, was als Anhang zu ihnen gehöre, sei eine Abteilung des Veda, welche nur der Erklärung eines Gegenstandes diente, nicht vorhanden,‹ so geben wir das nicht zu; denn der von den Upanishad's gelehrte Geist | gehört nicht als Anhang zu einem andern Teile. Denn der nur aus den Upanishad's zu erkennende, der Wanderung nicht unterworfene Geist, das Brahman, ist von der vierfachen Substanz [vgl. Sûtram 3, 1, 20], wie sie dem Entstehen u.s.w. unterworfen ist, wesensverschieden, bildet seine eigne Abteilung und gehört nicht als Anhang zu einer andern. Auch kann man nicht von ihm behaupten, dass er nicht sei oder nicht erreichbar sei; denn die Schrift in den Worten: »er aber, der Âtman, ist nicht so und ist nicht so« (Brih. 3, 9, 26), bezeichnet ihn als den Âtman (das Selbst), das eigne Selbst aber kann man nicht leugnen. – ›Aber, wenn der Âtman der Gegenstand des Selbstbewusstseins ist, ist es dann nicht unstatthaft, zu behaupten, dass er nur aus den Upanishad's erkannt werden könne?‹ – Doch nicht! Vielmehr liegt die Antwort auf diese Einwendung darin, dass er ein [blosser] Zuschauer (sâkshin) ist. Denn nicht lässt sich über die handelnde Seele, welche Objekt des Selbstbewusstseins ist, hinaus derjenige, der als ihr Zuschauer in allen Wesen wohnt, der mit sich identische, eine, allerhöchste, ewige Geist aus dem Werkteile des Veda oder aus irgend einem Systeme der Reflexion von irgend jemandem erkennen, obgleich er das Selbst von allem ist; darum aber lässt er sich auch von niemandem | leugnen oder zu einer Beigabe des Werkteiles verdrehen; denn wer ihn leugnet, eben dessen Seele[27] ist er; und gerade weil er die Seele von allem ist, darum kann man ihn weder fliehen noch auch suchen. Denn alles, was vergeht, ist durch Umwandlung entstanden und vergeht, indem es sein Ende findet in dem Geiste; der Geist aber ist, weil keine Ursache des Vergehens da ist, unvergänglich, und weil keine Ursache der Veränderung da ist, darum ist er der allerhabene und ewige, und darum eben seiner Natur nach ewig rein und frei [oder erlöst]. Darum heisst es (Kâṭh. 3, 11):


Ȇber den Geist ist nichts erhaben,

Er ist Endziel und höchster Gang«;


– »nach diesem von den Upanishad's gelehrten Geiste frage ich dich« (Brih. 3, 9, 26); – diese Bezeichnung des Geistes als »des von den Upanishad's gelehrten« ist nur dann zutreffend, wenn er in den Upanishad's als deren eigentlicher Gegenstand dargelegt wird. Somit beruht die obige Behauptung, dass es keinen Teil des Veda gebe, der sich auf einen fertig vorhandenen Gegenstand bezöge, auf einer blossen Übereilung.

Was ferner die Berufung auf die Kenner des Sinnes der Schriftlehre betrifft, wenn sie z.B. sagen: »ersichtlich ist ja dessen Zweck, nämlich über die Werke Belehrung«, so ist festzuhalten, dass dieses Wort sich auf die Pflichtforschung bezieht, | mithin nur von dem Teile des Kanon zu verstehen ist, welcher von Geboten und Verboten handelt; und wenn es ferner bei ihnen heisst: »dieweil der Zweck der heiligen Lehre die Werke sind, so ist zwecklos, was diesem Zweck nicht dient« (Jaim. 1, 2, 1), so würde freilich aus diesem Worte, wenn man es in strengem Sinne verstehen wollte, folgen, dass die Unterweisung über ein wirklich Vorhandenes zwecklos wäre; aber wenn nun doch der Schriftkanon, abgesehen von den Vorschriften der Gebote und Verbote und dem was zu ihnen gehört, auch noch über ein wirklich Vorhandenes Belehrung erteilt, mit welchem Rechte schliesst man aus seiner Abzweckung auf das, was sein soll, dass er nicht auch Belehrung erteilen könne über die allerhabene und ewige Natur dessen, was ist? | Und eine Belehrung über das, was ist, ist doch kein Werkgebot. – ›Aber wenn das, was ist, auch kein Werkgebot ist, so kann es doch als Hülfsmittel bei einem Werkgebote dienen, und somit würde die Belehrung über das, was ist, doch immer das Werkgebot als Zweck haben.‹ – Diese Einwendung trifft nicht zu. Gewiss ist das Werkgebot der Zweck, und doch wird die Belehrung erteilt über das Wesen, welches die Kraft besitzt, das Werkgebot aufzuheben. Dass aber das Werkgebot der Zweck ist, das gerade veranlasst diese Belehrung. Und damit, dass dem so ist, bleibt die Belehrung über jenes Wesen um nichts weniger Belehrung. – ›Aber diese Belehrung zugegeben, was hast du denn[28] von ihr [da sie doch nicht zu Werken führt]?‹ – Wir antworten: gerade so [wie mit der Belehrung zum Zwecke der Werke] verhält es sich auch mit der Belehrung über das Wesen des [vorher] unbekannten Âtman. Nämlich durch ihre Erlangung wird die falsche Erkenntnis, welche die Ursache der Seelenwanderung ist, zunichte, und hierin liegt der Grund für diese Belehrung; sie hat daher ebenso gut ihren Zweck wie eine Belehrung über Dinge, die als Mittel zu den Werken dienen. – Und auch sonst kommt es ja vor, dass eine Belehrung erteilt wird über ein bloss passives Verhalten, z.B. wenn es heisst: »einen Brahmanen soll man nicht töten.« Hier ist weder von einem Werke noch von einem Mittel zu Werken die Rede. | Wäre die Unterweisung über alles, was nicht dem Zwecke der Werke dient, zwecklos, so würde folgen, dass solche Anweisungen zu einem passiven Verhalten, wie diese: »einen Brahmanen soll man nicht töten«, zwecklos wären, und das könnt ihr selbst nicht wollen. Und das kann man doch auch nicht behaupten, dass durch blosse Anhängung der Negationspartikel an das in seinem natürlichen Sinne genommene Wort »töten« eine noch nicht vollbrachte [noch zu vollbringende] Handlung bezweckt werde, mit Ausnahme des passiven Verhaltens, welches in der Enthaltung von der Handlung des Tötens liegt. Denn das ist der natürliche Sinn der Negationspartikel, dass sie | ein Nichtsein dessen, womit sie verbunden ist, zu verstehen giebt, und die Erkenntnis dieses Nichtseins [d.h. Nichtseinsollens] wird zur Ursache eines passiven Verhaltens und kommt, dem Feuer ähnlich, wenn kein Brennstoff da ist, aus sich selbst zum Erlöschen. Es ist somit nur ein passives Verhalten in Betreff der in Rede stehenden That, was wir als Sinn solcher Verbote wie: »einen Brahmanen soll man nicht töten« erkennen, zum Unterschiede von dem Zeugungsgelübde u.a. [welche zwar auch der Form nach negativ sind, jedoch ein positives Verhalten involvieren]. Folglich ist anzunehmen, dass jener Ausspruch [Jaimini's] von »der Zwecklosigkeit« auf das [im Vedânta gelehrte] Ziel des Menschen keine Anwendung findet | und sich nur auf Legenden und sonstige [in den Brâhmana's vorkommende] Erklärungen vorhandener Sachen bezieht.

Wenn weiter behauptet wurde, dass die Erklärung einer blossen Sache ohne Verwendung derselben für ein zu erfüllendes Gebot zwecklos sei, wie Sätze von der Art wie: »die Erde besteht aus sieben Weltteilen«, so ist das schon abgewiesen worden. Denn auch wo es sich um die Erklärung einer blossen Sache handelt, wie in dem Satze: »dieses ist ein Strick und keine Schlange«, ist der Zweck ersichtlich. – ›Aber wurde nicht bereits darauf hingewiesen, dass eine solche Zweckmässigkeit wie bei der Belehrung über die Natur des Strickes hier nicht vorliegt, indem auch bei demjenigen, welchem das Brahman[29] mitgeteilt worden ist, der Zustand der Seelenwanderung so wie vorher fortdauert?‹ – Darauf antworten wir: Man darf nicht behaupten, dass für den, welcher erkannt hat, dass die Seele Brahman ist, der Saṃsâra wie bisher fortbestehe, weil er mit dem Brahmansein der Seele in Widerspruch steht. Denn weil die Erfahrung zeigt, wie derjenige, welcher in dem Wahne lebt, der Leib u.s.w. sei das Selbst, dem Schmerz, der Furcht und andern [Affekten] unterworfen ist, darum folgt noch nicht, dass ebenderselbe, nachdem er auf Grund der Autorität des Veda sein Selbst als das Brahman erkannt und dadurch jenen Wahn vernichtet hat, auch noch weiterhin den auf falscher Erkenntnis beruhenden [Affekten] des Schmerzes, der Furcht u.s.w. unterworfen bleibe. Denn wenn die Erfahrung z.B. lehrt, dass ein reicher Hausherr, der dem Wahne des Reichtums huldigt, über den Verlust seines Reichtums Schmerz empfindet, so folgt daraus nicht, dass eben derselbe, nachdem er, [dem brahmanischen Brauche gemäss, im Alter als Vânaprastha] in den Wald gezogen ist und sich von dem Wahne des Reichtums befreit hat, ebenso wie vorher noch über den Verlust des Reichtums Schmerz empfinde. Und wenn einer, der Ohrringe trägt, an der Vorstellung, Ohrringe zu tragen, Lust empfindet, so kommt für ebendenselben, nachdem er sich der Ohrringe entäussert hat und von der Vorstellung, sie zu tragen, frei geworden ist, doch auch jene aus dem Tragen der Ohrringe entspringende Lust in Wegfall. Dies meint die Schrift, wenn sie sagt: »Wahrlich, das Unkörperliche wird von Lust und Schmerz nicht berührt« (Chând. 8, 12, 1.) Behauptet ihr, dass erst nach Hinfall des Körpers die Unkörperlichkeit erlangt werde, nicht bei Lebenszeiten, | so geben wir dies nicht zu, weil die Behaftung mit dem Körper [nur] auf der falschen Erkenntnis beruht. Denn das Behaftetsein des Selbstes mit einem Körper lässt sich gar nicht anders begreifen, als indem man es auffasst als eine irrige Erkenntnis, entspringend aus dem Wahne, als bestände das Selbst in dem Leibe. Denn wir haben gezeigt, dass [für das Selbst] der Zustand der Körperlosigkeit ein ewiger ist, und zwar, weil er nicht durch Werke bedingt wird [nur was zur Frucht der Werke gehört, ist vergänglich]. Behauptet ihr etwa, dass die Körperlichkeit die Folge der von ihm [dem körperlosen Âtman] vollbrachten guten und bösen Werke sei, so bestreiten wir das; denn weil seine Verbindung mit dem Leibe unwahr ist, deswegen ist auch die Behauptung, dass der Âtman Gutes und Böses gethan habe, unwahr. Denn die Behauptungen, dass er mit einem Körper behaftet sei, und dass er vermittelst desselben gute und böse Werke vollbracht habe, stützen sich wechselseitig immer eine auf die andre [bilden einen circulus vitiosus], und folglich ist die Behauptung einer Anfanglosigkeit [jenes wechselseitigen Sichbedingens] eine blosse Kette von lauter[30] blinden Gliedern; denn eine Behaftung des Âtman mit Werken ist unmöglich, weil ein Thätersein von ihm ausgeschlossen ist. – ›Aber vielleicht besteht sein Thätersein, ähnlich wie bei Königen und dergleichen, in seinem blossen Zugegensein?‹ – Auch das geht nicht an. | Denn bei Königen und dergleichen ist ein derartiges Thätersein möglich zufolge ihres auf Spendung des Unterhaltes u.s.w. beruhenden Verbundenseins mit den Dienern; in Betreff des Âtman hingegen lässt sich nichts ausfindig machen, was, wie dort die Spendung des Unterhaltes u.s.w., eine Verbindung desselben mit den Leibesgliedern als ihres Herrn verursachen könnte; vielmehr ist die Ursache dieser Verbindung offenbar, nämlich, dass sie auf einem falschen Wahne beruht. Hiermit ist auch schon die Meinung abgefertigt, als sei es der Âtman, welcher die Opfer [durch die Leibesorgane als seine Diener] veranstalte.

Nun könnte man sagen: ›dass man den dem Selbste angehörigen Leib u.s.w. für das von Leib u.s.w. verschiedene Selbst (âtman) ansieht, das ist eine uneigentliche, aber nicht eine falsche Auffassung.‹ Aber dem ist nicht so; denn Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit der Auffassung kommen nur da in Frage, wo zwei Dinge von anerkannter Verschiedenheit vorliegen. Ist nämlich die Verschiedenheit der beiden Dinge anerkannt, – wie denn z.B. ein andres diejenige, mit Mähnen u.s.w. ausgestattete, nach ihren allgemeinen und besondern Merkmalen speciell bestimmte Gestalt ist, welcher Name und Vorstellung eines Löwen im eigentlichen Sinne zukommen, und ein andres ein Mann, der mit den gewöhnlichen Eigenschaften des Löwen, mit Grausamkeit, Heldenmut u.s.w. begabt ist, – so sind bei einem solchen Manne Name und Vorstellung eines Löwen uneigentlich zu nehmen; hingegen wo es sich nicht um zwei anerkannt verschiedene Dinge handelt, da sind Name und Vorstellung des einen, wenn sie dem andern zugeschrieben werden, zurückzuführen auf einen Irrtum und nicht als uneigentlich anzusehen. So wenig man es daher als eine uneigentliche Auffassung bezeichnen wird, wenn einer in anbrechender Dunkelheit auf einen Baumstamm, dessen Unterscheidungsmerkmale als Baumstamm er nicht wahrgenommen, Namen und Vorstellung eines Menschen überträgt, oder wenn einer auf die Perlmutter ohne weiteres, indem er sie für Silber hält, dessen bestimmte Benennung und Vorstellung überträgt, | ebensowenig kann es eine uneigentliche Auffassung genannt werden, wenn einer auf das Aggregat von Leib und [Organen] unbedachterweise und infolge einer mangelnden Unterscheidung zwischen dem, was das Selbst, und dem, was nicht das Selbst ist, den Namen und die Vorstellung des »Ich« überträgt. Und selbst von Gelehrten, welche den Unterschied zwischen dem Selbste und dem, was nicht das Selbst ist, kennen, werden [im praktischen Gebrauche] Name und Vorstellung derselben so wenig auseinandergehalten wie von Ziegen und[31] Schafhirten. – Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass von allen denjenigen, welche überhaupt die Existenz eines über den Leib u.s.w. hinausliegenden Selbstes annehmen, die Vorstellung, als sei der Leib u.s.w. das Ich, nicht als eine uneigentliche, sondern als eine falsche anzusehen ist. Folglich beruht das Behaftetsein mit dem Körper nur auf einer falschen Vorstellung, und damit ist bewiesen, dass der Wissende schon bei Lebzeiten körperlos ist. Und dem entsprechend sagt eine auf den Brahmanwissenden bezügliche Schriftstelle: »wie eine Schlangenhaut tot und abgeworfen auf einem Ameisenhaufen liegt, also liegt dann dieser Körper; aber das Körperlose, das Unsterbliche, das Leben ist lauter Brahman, ist lauter Licht« (Bṛih. 4, 4, 7); und: »mit Augen, als wäre er ohne Augen, mit Ohren, als wäre er ohne Ohren, mit Rede, als wäre er ohne Rede, mit Manas, als wäre er ohne Manas, mit Leben, als wäre er ohne Leben«; und auch die Smṛiti zeigt in der Stelle: »Was ist das Wesen des im Wissen Festen?« u.s.w. (Bhag. G. 2, 54), wo sie die Merkmale des in der Erkenntnis feststehenden Wissenden aufzählt, wie er von allem Thun und Treiben entbunden ist. – Somit besteht für den, welcher das Brahmansein der Seele erkannt hat, das Wanderersein derselben nicht wie vordem weiter, und bei wem das Wanderersein noch wie vordem weiter besteht, | der hat eben noch nicht erkannt, dass die Seele das Brahman ist; das ist gewiss.

Wenn endlich noch behauptet wurde, dass das Brahman zu der Abteilung von den Vorschriften gehören müsse, und dass die Bestimmung seiner Natur nicht Selbstzweck sein könne, weil (Bṛih. 2, 4, 5) auch nach erfolgtem Hören noch weiterhin ein Meditieren und Erforschen desselben gefordert werde, so bestreiten wir das, indem [an der betreffenden Stelle] das Meditieren und Erforschen nur ein Erkennen bedeuten. Ja, wenn das erkannte Brahman noch zu einem anderweitigen Zwecke in Anwendung gebracht würde, so möchte seine Zugehörigkeit zu den Vorschriften ihre Richtigkeit haben; dem aber ist nicht so, weil das Meditieren und Erforschen [keine weiteren Zwecke bilden, sondern] ebenso wie das Hören nur ein Erkennen bedeuten.

Somit steht fest, dass das Brahman nicht als ein Gegenstand der Verehrung oder der Vorschrift vom Schriftkanon gelehrt wird, dass somit das Brahman um seiner selbst willen vom Schriftkanon gelehrt wird; und dieses wird erwiesen | aus »der Übereinstimmung« der Vedântatexte.

Da dem so ist, so ist es berechtigt, dass [im Anschlusse an die Sûtra's der Karma-Mîmâṅsâ] mit den Worten »Nunmehr daher die Brahmanforschung« (Sûtram 1, 1, 1), ein [neues] Lehrbuch beginnt. Wäre der Zweck Verehrung oder Vorschrift, so würde, nachdem angefangen worden war: »Nunmehr daher die Pflichtforschung«[32] (Jaim. 1, 1, 1), kein neues Lehrbuch mehr anzufangen sein; denn in diesem Falle würde noch einmal angefangen werden was schon angefangen war; es würde dann nur heissen dürfen: »Nunmehr daher die übrige Pflichtforschung«, ähnlich wie es [bei Jaimini 4, 1, 1] heisst: »Nunmehr daher die Forschung nach dem Zwecke des Opfers und dem Zwecke des Menschen.« Weil aber vielmehr die Erkenntnis der Einheit von Brahman und Seele [bei Jaimini] noch nicht als Thema angekündigt wurde, so ist es in Ordnung, dass mit den Worten: »Nunmehr daher die Brahmanforschung« ein neues, diesem Zwecke dienendes Lehrbuch anhebt.


Somit wird durch die Erkenntnis: »ich bin Brahman« (Brih. 1, 4, 10) allen Ritualgesetzen und allen andern [d.h. weltlichen] Erkenntnismitteln ein Ende gemacht, denn nachdem die unfliehbare und unsuchbare Erkenntnis des zweiheitlosen Âtman eingetreten ist, können, nach Aufhebung der Objekte wie des Subjekts der Erkenntnis, die Erkenntnismittel nicht weiter bestehen. Und es heisst ja [in dem Gedichte eines Brahmanwissenden]:


»Nicht kann ›uneigentlich‹ der Âtman heissen,

Weil er den Wahn verdrängt, in Leib und Kindern

Und Ähnlichem das eigne Selbst zu sehen.

Wer sich erkannt hat als das Seiende,

Wer sich als Brahman, als den Âtman weiss,

Wie sollte dem ein Werk zu thun noch bleiben? –

Bevor zum Wissen führt die Âtmanforschung,

Bestehet ein Erkennersein des Âtman.

Ist er erforscht, so bleibt nur der Erkenner,

Von Schuld und allen Mängeln frei, nichts weiter.

Und wie der Wahn, als sei der Leib das Selbst,

Erzeugt wird auf dem Wege des Beweises,

So steht's mit aller weltlichen Beweiskunst.

Bei uns hingegen wurzelt der Beweis

Nur in des eignen Selbstes Urgewissheit.«

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 15-33.
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