[69] 24. jyotiç, caraṇa-abhidhânât
das Licht, wegen Erwähnung der Füsse.

Es heisst in der Schrift: »nun aber das Licht, welches jenseits des Himmels dort erglänzt, auf dem Rücken von allem, auf dem Rücken von jedem, in den höchsten, allerhöchsten Welten, das ist gewisslich dieses Licht inwendig hier im Menschen« (Chând. 3, 13, 7.) Hier erhebt sich die Frage, ob unter dem Worte »Licht« ein Licht wie das der Sonne und dergleichen, oder aber das höchste Brahman zu verstehen ist? Dass auch solche Worte, welche zunächst eine andre Sache bedeuten, sich auf das Brahman beziehen können, »weil seine Merkmale« dabei vorkommen, sahen wir bereits. Es fragt sich daher, ob an unserer Stelle ein Merkmal des Brahman sich vorfindet oder nicht.

Angenommen also, ›unter dem Worte Licht sei hier das der Sonne oder dergleichen zu verstehen; warum? wegen des Gebrauches; indem die beiden Worte »Finsternis« und »Licht« gebräuchlich sind, um zwei im Gegensatz zu einander stehende Dinge zu bezeichnen. Dasjenige, was die Verrichtung des Auges hemmt, wie z.B. das nächtliche Dunkel (çârvaram), wird »Finsternis« genannt; was hingegen dieselbe befördert, | wie die Sonne und der gleichen, ist das »Licht«. Ebenso ist auch der von der Schrift[69] gebrauchte Ausdruck »erglänzt« von der Sonne und Derartigem üblich. Von dem Brahman hingegen, welches der Sichtbarkeit u.s.w. ermangelt, könnte die Schrift nicht im eigentlichen Sinne sagen, dass es »erglänzt«. Ferner [kann das Brahman nicht verstanden werden], weil die Schrift dem »Lichte« den Himmel als Grenze setzt. Denn das Brahman, welches der Same alles Beweglichen und Unbeweglichen ist und alles als Seele erfüllt, kann nicht den Himmel als die Grenze [jenseits derer es ist] haben. Das erschaffene Licht hingegen ist räumlich begrenzt, so dass der Himmel seine Grenze bilden kann, und der Text redet ausdrücklich von dem »Licht, welches jenseits des Himmels« sei.‹ – Aber ist nicht auch das erschaffene Licht allerwärts verbreitet, so dass seine Abgrenzung auf den Raum jenseits des Himmels unpassend ist? Sollen wir somit nicht lieber an das ursprüngliche, noch nicht [durch Zumischung von Wasser und Nahrung, Chând. 6, 2-4] dreifach gemachte Feuer denken? – ›Doch nicht! denn jenes noch nicht dreifach gemachte Feuer findet [in der Welt] keine Verwendung.‹ – Kann denn die Verwendung nicht eben darin bestehen, dass es zur Verehrung empfohlen wird? – ›Nein! denn nur solche Dinge, welche auch anderweite Verwendung finden, z.B. die Sonne und dergleichen, werden von der Schrift zur Verehrung empfohlen. Auch lehrt die Schrift in den Worten: »jede einzelne von ihnen aber will ich dreifach machen« (Chând. 6, 3, 3), dass alles Feuer ohne Ausnahme ein dreifach gemachtes sei. Endlich ist auch nicht zu erweisen, dass das noch nicht dreifach gemachte Feuer auf den Raum jenseits des Himmels eingeschränkt sein müsse.‹ | – Nun gut, es mag also unser schon dreifach gemischtes Feuer sein, welches unter dem »Lichte« zu verstehen ist. Aber wie steht es dann damit, dass, wie wir bereits erinnerten, dieses »Licht« sich auch, als Herdfeuer u.s.w., diesseits des Himmels vorfindet? – ›Das schadet nichts. Denn wenn sich auch das »Licht« allerwärts hin erstreckt, so steht damit doch nicht in Widerspruch, dass es, zum Zwecke der Verehrung, an irgend einem bestimmten Orte, also, wie es hier heisst, »jenseits des Himmels« angeschaut wird. Nicht aber ist ebenso auch bei dem Brahman, weil dasselbe ortlos (nishpradeça) ist, die Verlegung an einen bestimmten Ort berechtigt. Auch die Vielumfassung, welche in den Worten »auf dem Rücken von jedem, in den höchsten, allerhöchsten Welten« ausgesprochen liegt, wird passender von dem natürlichen Lichte verstanden. Und wenn es weiter‹ [mittels einer in den Upanishad's häufigen Identifikation des Kosmischen und des Psychischen] ›heisst, jenes Licht jenseits des Himmels sei »gewisslich dieses Licht inwendig hier im Menschen« (Chând. 3, 13, 7), so haben wir hier eine bildliche Übertragung des jenseitigen Lichtes auf das Licht im Bauche [die, gewöhnlich jâṭhara agni genannte, Feuerkraft der Verdauung]. Es beruhen aber[70] derartige Übertragungen auf einer gewissen Gleichartigkeit, wie diese z.B. auch statthat, wenn es heisst »[der Mann, der in jener Sonnenscheibe ist,] dessen Haupt ist bhûr (Erde); das eine Haupt ist diese eine Silbe« (Brih. 5, 5, 3.) Dass aber das Bauchlicht nicht Brahman sein kann, steht fest, weil die Schrift da, wo es heisst: »dieses ist seine Anschauung, ... dieses ist seine Hörung«, die [Körper-]Wärme und das [Ohren-]Sausen als seine Merkmale angiebt (Chând. 3, 13, 7. 8.) Ferner auch, weil es weiter heisst: »darum soll man dieses [Licht] verehren als etwas, welches man siehet und höret« (Chând. 3, 13, 8.) Dass hier nicht Brahman gemeint sein kann, ist endlich auch noch daraus ersichtlich, dass die Schrift in den Worten: »der wird angesehen und gehört, wer solches weiss« (Chând. 3, 13, 8), nur einen geringen Lohn verheisst, während die Verehrung des Brahman, wie man annehmen darf, einen grossen Lohn bringt. Hierzu kommt anderseits, dass weder im Zusammenhange der Stelle selbst dem »Lichte«, irgendein Merkmal, aus dem sich, wie bei dem »Prâna« und dem »Äther«, auf Brahman schliessen liesse, beigelegt wird, noch auch in dem vorhergehenden Zusammenhange irgendwie von Brahman die Rede ist. Denn wenn es [im Vorhergehenden Chând. 3, 12, 1] heisst: »wahrlich, diese ganze entstandene Welt ist die Gâyatrî«, so ist hier nur von einem Metrum die Rede. Aber selbst zugegeben, dass | in der vorhergehenden Stelle irgendwie von Brahman die Rede sei, so liegt doch an unserer Stelle kein Kennzeichen vor, an dem man dasselbe wiedererkennen könnte. Denn dort hiess es: »Drei [Füsse] sind Unsterblichkeit im Himmel droben« (Chând. 3, 12, 6), – wo also der Himmel als der eigentliche Gegenstand, – hier hingegen: »das Licht, welches jenseits des Himmels« (Chând. 3, 12, 7), – wo der Himmel als die Grenze erwähnt wird [jenseits deren erst der Gegenstand sich vorfindet]. Somit ist es nur das natürliche Licht, welches man an unserer Stelle zu verstehen hat.‹ –

Auf diese Annahme erwidern wir, dass unter dem Lichte hier das Brahman verstanden werden muss; warum? »wegen Erwähnung der Füsse« (caraṇa), wobei carana soviel bedeutet wie pâda (Fuss.) Nämlich in der vorhergehenden Stelle (Chând. 3, 12, 6) war das Brahman als vierfüssig geschildert worden mittels der [aus dem Purusha-Liede, Rigv. 10, 90, 3 entlehnten] Verse:


»So gross die Majestät ist der Natur,

So ist doch grösser noch der Geist erhoben;

Ein Fuss von ihm sind alle Wesen nur,

Drei sind Unsterblichkeit im Himmel droben.«


| Die drei Füsse des vierfüssigen Brahman, welche hier als unsterblich und zum Himmel gehörig aufgezeigt werden, eben diese[71] sind auch an unserer Stelle wiederzuerkennen und zwar daran, dass [auch das Licht, von dem unsere Stelle redet] als zum Himmel gehörig bezeichnet wird. Wer dies verwerfen und hier an ein natürliches Licht denken wollte, der würde sich eines Abgehens von dem Thema und Überspringens auf ein Nichtthema schuldig machen. Und nicht nur in der Stelle von dem Lichte [von der wir reden] kehrt das Brahman wieder, sondern auch noch weiterhin in der unmittelbar darauf (Chând. 3, 14) folgenden Çândilya-Lehre sehen wir es wiederkehren; daher man auch an unserer Stelle unter dem Lichte das Brahman verstehen muss. Wenn aber geltend gemacht wurde, dass die beiden Ausdrücke »Licht« und »erglänzt« gewöhnlich von dem erschaffenen Lichte gebraucht würden, so steht das unserer Auffassung nicht im Wege, weil, wenn einmal auf Grund dessen, was vorhergeht, die Beziehung auf Brahman festgestellt worden, jene beiden Ausdrücke sich ganz wohl auch von Brahman verstehen lassen, sofern dasselbe bildlich, wegen seiner Ähnlichkeit mit demselben, als ein glänzendes, wirkliches Licht vorgestellt werden kann. Wie denn auch ein Mantra-Vers [von »dem grossen Geiste«] sagt (Taitt. br. 3, 12, 9, 7):


»Durch den die Sonne leuchtet glutentflammt.«


Oder auch darum, weil das Wort »Licht« nicht ausschliesslich von dem die Verrichtung des Auges ermöglichenden Lichtelemente verstanden zu werden braucht, da es auch anderweit gebraucht wird, z.B. wenn es heisst: »denn bei dem Lichte der Rede sitzt er« (Bṛih. 4, 3, 5) oder: »des Geistes Licht soll sich [des Opferschmalzes] freuen« (Taitt. samh. 1, 5, 3, 2.) Also alles, was einem eine Sache | offenbart, das kann als ein »Licht« bezeichnet werden. Ist dem so, dann ist auch bei Brahman, weil es vermöge seiner Geistigkeit die Ursache ist, welche die ganze Welt offenbar macht, der Gebrauch des Wortes »Licht« am Platze. Daher auch die Schrift von ihm sagt: »ihm, dem Glänzenden, glänzt alles nach, von seinem Glanze erglänzt diese ganze Welt« (Kâṭh. 5, 15) und: »ihn ehren als unsterblich Leben die Götter, als der Lichter Licht« (Brih. 4, 4, 16.) Wenn weiter behauptet wurde, dass die Beschränkung auf den Raum jenseits des Himmels auf das allgegenwärtige Brahman nicht passe, so ist darauf zu erwidern, dass mit der Allgegenwart des Brahman eine zum Zweck der Verehrung unternommene Anschauung desselben an einem bestimmten Orte nicht streitet. – ›Aber wir sagten doch, dass das Brahman ortlos sei, dass somit die Verlegung desselben an einen bestimmten Ort nicht angehe!‹ – Das hat nichts zu sagen. Denn wenn auch das Brahman ortlos ist, so kann es doch, zufolge seiner Verknüpfung mit bestimmten Beilegungen (upâdhi) an einen bestimmten Ort verlegt werden. So z.B. kommen in der Schrift Verehrungen[72] vor, bei denen das Brahman in der Sonne, im Auge, im Herzen aufgefasst wird, also als an einen bestimmten Ort gebunden erscheint. Damit erledigt sich denn auch der Einwurf, der aus der Vielumfassung, wie sie in den Worten: »auf dem Rücken von jedem« ausgesprochen liegt, entnommen wurde. Wenn weiter behauptet wurde, dass, wegen seiner Übertragung auf das aus der [Körper-]Wärme und dem [Ohren-]Sausen erkennbare, natürliche Bauchlicht, auch das Licht jenseits des Himmels nur ein natürliches sein könne, so ist auch das unzutreffend, weil auch das höchste Brahman, so gut wie es den »Namen« u.s.w. als sein Symbol hat (vgl. Chând. 7, 1, 5 fg.), auch das Bauchlicht als sein Symbol haben kann; wenn es aber dabei heisst: »darum soll man dieses [Licht] verehren als etwas, welches man siehet und höret« (Chând. 3, 13, 8), so muss diese Sichtbarkeit und Hörbarkeit auf Rechnung des Symbols gesetzt werden. | Wenn ferner wegen der Verheissung eines nur geringen Lohnes die Beziehung auf Brahman bestritten wurde, so ist auch das unzutreffend. Denn es ist kein Grund, als Regel aufzustellen, dass man nur bei einer gewissen Höhe des Lohnes an Brahman und bei einer gewissen nicht an dasselbe zu denken habe. Denn wo das von aller Verbindung mit Unterschieden (viçesha) freie, höchste Brahman (param brahma) als Seele nachgewiesen wird, da giebt es, wie [aus der Schrift] zu ersehen, nur eine einzige Frucht, nämlich die Erlösung; wo hingegen das Brahman in einer Verbindung mit unterschiedlichen Attributen (guṇa-viçesha) oder in einer Verbindung mit unterschiedlichen Symbolen (pratîka-viçesha) vorkommt, da werden hohe und niedrige, jedoch nur auf den Saṃsâra beschränkte (saṃsâra-gocarâṇi eva) Belohnungen von der Schrift verheissen; so in Stellen wie: »er ist es, welcher die Nahrung geniesst und der Geber des Guten ist. Der findet Gutes, wer Solches weiss« (Bṛih. 4, 4, 24.) Wenn endlich auch in dem Zusammenhange der Stelle selbst kein Merkmal des Lichtes vorkommt, welches auf Brahman hinwiese, so liegt doch ein solches in den vorhergehenden Worten vor und muss von dort her auf unsere Stelle mitbezogen werden. Dieses meint der Verfasser der Sûtra's, wenn er sagt: »das Licht wegen Erwähnung der Füsse.« – ›Aber wie darf man deswegen, weil Brahman in einem andern Zusammenhange in der Nähe vorkommt, die Stelle vom Lichte entgegen ihrer eigentlichen Beziehung umdeuten?‹ – Dieser Einwand ist nicht begründet; denn wenn es heisst: »das Licht, welches jenseits des Himmels« (yad ataḥ paro divo jyotiḥ), so wird hier durch das voranstehende Pronomen yad (welches) kraft der ihm eignen Bedeutung das vorher erwähnte und an der Zugehörigkeit [des Lichtes] zum Himmel [als dieses] wiederzuerkennende Brahman wieder aufgenommen; daher mit gutem Grunde auch das Wort »Licht« auf Brahman bezogen wird. Somit ist unter dem an unserer Stelle erwähnten »Lichte« das Brahman zu verstehen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 69-73.
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