[202] 1. ânumânikam api ekeshâm, iti cen? na! çarîra-rûpaka-vinyasta-gṛihîter, darçayati ca
auch das Gefolgerte sei nach einigen [Texten schriftgemäss], meint ihr? Nein! weil unter dem in dem Gleichnisse Versinnbildlichten der Leib verstanden wird, wie auch ersichtlich.

Nachdem (Sûtram 1, 1, 1) »die Brahmanforschung« in Aussicht genommen und als Merkmal des Brahman (Sûtram 1, 1, 2) angegeben worden war, es sei dasjenige, »woraus Ursprung u.s.w. dieses [Weltalls] ist«, so stieg das Bedenken auf, dass dieses Merkmal zugleich auch der Urmaterie [der Sâ khya's] zukommen könne; daher dieselbe durch die Worte: »wegen des Erwägens nicht; schriftwidrig« (Sûtram 1, 1, 5) als schriftwidrig verworfen wurde; und sodann wurde gezeigt, dass eine »Gleichheit des Ganges« (Sûtram 1, 1, 10) in Bezug auf die Behauptung des Brahman als Weltursache, nicht aber in Bezug auf die Behauptung der Urmaterie als Weltursache in den Vedântatexten vorliege. Dieses wurde in dem bisherigen Teile des Werkes weiter ausgeführt. Nun aber bleibt folgendes Bedenken noch bestehen. Man könnte sagen: ›die Behauptung, dass die Urmaterie schriftwidrig sei, ist[202] nicht haltbar; denn es giebt in einigen Vedaschulen Texte, welche allem Anscheine nach die Urmaterie lehren; und daher kommt es, dass die Urmaterie als Weltursache, eben weil sie aus dem Veda sich erweisen lässt, von grossen und erhabenen Weisen, von Kapila | und andern, angenommen worden ist.‹ Daran also könnte man sich anklammern. Und in der That, so lange nicht dargethan wird, dass jene Textstellen sich auf etwas anderes als die Urmaterie beziehen, so lange ist der Satz, dass das allwissende Brahman die Weltursache ist, wenn auch bewiesen, doch noch nicht vollkommen ins Reine gebracht. Um daher zu beweisen, dass jene Stellen sich auf etwas anderes beziehen, wird die nunmehr folgende Auswahl derselben zur Sprache gebracht.

›»Auch das Gefolgerte« also‹, könnte man sagen, ›d.h. auch die durch blosse Schlussfolgerung erkannte Urmaterie, ist »nach einigen« Vedaschulen für schriftmässig zu halten. Denn es heisst im Kâṭhakam: »den Grossen überragt das Unerschlossne, das Unerschlossne überragt der Geist« (Kâṭh. 3, 11.) Hier werden der Grosse, das Unerschlossne und der Geist, also dieselben Principien, mit denselben Namen und in derselben Stufenfolge anerkannt, wie sie auch in der Smṛiti [der Sâ khya's] vorkommen. Hier muss das Unerschlossene (avyaktam), weil es in der Smṛiti so vorkommt, und weil das Unerschlossene etymologisch sich ausweist als dasjenige, welches, als der Sinneswahrnehmung unzugänglich, verschlossen ist, die von der Smṛiti aufgestellte Urmaterie bedeuten. Und eben wegen ihrer Offenbarung durch die Schrift (çabdavattvam) ist ihre Unwahrnehmbarkeit durch die Sinne (açabdatvam) kein Grund gegen sie. Diese also ist als die Weltursache anzuerkennen, weil Schrift und Smṛiti sowie auch die Reflexion für sie eintreten.‹

Hierauf ist zu erwidern, dass dem nicht so ist, weil jene Kâṭhaka-Stelle gar nicht den Zweck hat, die Existenz des Grossen und des Unerschlossenen, wie sie von der Smṛiti aufgestellt werden, zu lehren. Denn von einer selbständigen Weltursache, wie sie die Smṛiti in ihrer aus den drei Guṇa's bestehenden | Urmaterie annimmt, von einer solchen ist hier keineswegs die Rede; und nur der Name, welchen sie ihm giebt, liegt hier in dem Worte »das Unerschlossene« vor. Dieser Name aber kann, weil er nach seiner Etymologie, als dasjenige, welches nicht erschlossen ist, aufgefasst werden muss, auch für irgendein anderes feines und schwererkennbares Wesen gebraucht werden. Denn dieses Wort ist durchaus nicht durch den Sprachgebrauch für eine bestimmte Sache sanktioniert; diejenige Sanktion durch den Sprachgebrauch aber, welche die Anhänger der Urmaterie ihm beimessen, beruht eben nur auf der von ihnen beliebten Terminologie und kann bei einer auf den Inhalt des Veda gerichteten Untersuchung nicht von Einfluss sein. Die Gleichheit der Reihenfolge aber [der drei Ausdrücke mahad,[203] avyaktam, purusha] beweist nichts für die Gleichheit der Sachen, so lange nicht die Wiedererkennung ihrer Naturbeschaffenheit hinzutritt, und wenn man im Pferdestalle einen Ochsen stehen sieht, so wird ihn kein Verständiger darum für ein Pferd halten. Betrachtet man aber, wovon hier geredet wird, so zeigt sich, dass dies keineswegs die von den Gegnern aufgestellte Urmaterie ist, »weil unter dem in dem Gleichnisse Versinnbildlichten der Leib verstanden wird«; d.h. es ist der in dem [vorhergehenden] Gleichnisse als der Wagen versinnbildlichte Leib, welcher hier, an unserer Stelle, von der Schrift unter dem Worte »das Unerschlossene« | verstanden wird. Warum? wegen des Themas und wegen dessen, was sonst dabei vorkommt. Denn so ist es »ersichtlich« aus dem unmittelbar vorhergehenden Teile des Werks, in welchem der Âtman, der Leib u.s.w. unter dem Gleichnisse eines Wagenfahrers, Wagens u.s.w. vorstellig gemacht wird. Denn es heisst (Kâth. 3, 3-4):


»Der Âtman, wisse, ist ein Wagenfahrer,

Sein Wagen ist der Leib, die Buddhi ist

Der Wagenlenker, Zügel ist das Manas.

Die Sinne sind den Rossen zu vergleichen,

Die Sinnendinge bilden ihre Bahn.

Den Âtman, mit den Sinnen und dem Manas

Verbunden, nennt der Weise den ›Geniesser‹.«


Weiter wird gezeigt, wie einer aus dem Mangel an Zügelung der Sinne u.s.w. dem Saṃsâra verfällt, während diejenigen, welche dieselben zügeln, das Ziel des Weges, nämlich »jenen höchsten Schritt des Vishṇu« erreichen; da sich hierbei die Frage erhebt, was unter dem Ziel des Weges und unter dem höchsten Schritte des Vishṇu zu verstehen sei, so wird weiterhin der höchste Âtman, wegen seiner Erhabenheit über die erwähnten Sinne u.s.w., als das Ziel des Weges und der höchste Schritt des Vishṇu aufgewiesen in den Worten (Kâth. 3, 10-11):


»Den Sinnen überlegen sind die Dinge,

Den Dingen überlegen ist das Manas,

Dem Manas überlegen ist die Buddhi,

Die Buddhi überragt Âtman, der Grosse,

Den Grossen überragt das Unerschlossne,

Das Unerschlossne überragt der Geist.

Dem Geiste ist nichts and'res überlegen,

Er ist das Endziel, er der höchste Gang.«


| Hier werden von der Schrift eben dieselben Gegenstände, die Sinne u.s.w., verstanden, welche in dem vorhergehenden Gleichnisse vom Wagen als die Pferde u.s.w. vorkommen; denn ein[204] Abgehen von dem Vorhaben und ein Übergehen auf ein nicht Vorgehabtes ist nicht anzunehmen. Hierbei nun werden die Sinne, das Manas und die Buddhi mit denselben Namen wie vorher bezeichnet. Die »Dinge« hingegen bedeuten das, was vorher die »Sinnendinge«, d.h. die Gegenstände der Sinneswahrnehmung, hiess und als die Bahn der Sinnenrosse bezeichnet wurde. Dass diese Sinnendinge höher stehen als die Sinne, und dass die Sinne nur die Halter, die Sinnendinge hingegen die Gegenhalter sind, ist ja aus der Schrift (Bṛih. 3, 2) bekannt. Das Manas wiederum steht höher als die Sinnendinge, sofern die Beschäftigung der Sinne mit den Sinnendingen in dem Manas ihre Wurzel hat. Das Manas hingegen wird überragt von der Buddhi, weil das zu Geniessende [als Resultat der Thätigkeit von Manas und Sinnen], erst indem es in die Buddhi eingeht, dem Geniesser zugänglich wird. »Die Buddhi überragt Âtman der Grosse«; dies muss derselbe sein, der vorher durch die Worte »der Âtman, wisse, ist ein Wagenfahrer« als der im Wagen Fahrende vorgestellt worden war. Denn dass dem so ist, ergiebt sich schon aus dem [beide Male vorkommenden] Worte »Âtman«, sowie auch daraus, dass er, als der Geniessende, höher als die Werkzeuge des Geniessens steht; als der »Grosse« aber wird er bezeichnet, sofern er der Besitzer [des ganzen Leibes] ist. – Oder auch, wenn man bedenkt, was die Smṛiti [von Hiraṇyagarbha, dem persönlichen Brahmán] sagt:


»Als Manas wird er aufgezählt, als Grosser,

Als Denken, als der Brahmán, als die Burg,

Als Buddhi, als der Ruhm und als der Herr,

Als die Erkenntnis und als das Bewusstsein,

Als Geistigkeit und als Erinnerung«,


[»so wird mit synonymen Worten Âtman der Grosse dargelegt«, wie es bei einer teilweise identischen Aufzählung, Mahâbh. 13, 1011, heisst], und wenn man erwägt, dass es auch in der Schrift heisst (Çvet. 6, 18):


| »Der Gott, der einst den Brahmán hat erschaffen

Und ihm die Veden übergeben hat«, –


so könnte man zu der Annahme geneigt sein, dass es die Buddhi des erstgeborenen Hiraṇyagarbha, als der letzte Grund aller [individuellen] Buddhi's, sei, welche hier als »der grosse Âtman« bezeichnet werde. Oben [in dem Gleichnisse] war diese unter der Buddhi mit einbegriffen, hier aber wird sie noch apart erwähnt, um zu zeigen, dass auch sie schon höher steht als solche Buddhi's, wie wir sie haben. Jedoch muss man bei dieser Auffassung annehmen, dass der wagenfahrende Âtman [da er dann nicht unter dem »grossen Âtman« zu verstehen ist] in der, freilich auf den[205] höchsten Âtman bezüglichen, weiter folgenden Erwähnung des »Geistes« (purusha) miteinbegriffen wird; und allerdings ist vom Standpunkte der höchsten Realität aus zwischen dem höchsten Âtman und dem individuellen Âtman ein Unterschied nicht vorhanden. – Somit bleibt [von den in dem Gleichnisse versinnbildlichten Gegenständen] nur allein der Leib noch übrig; und wenn die Schrift an unserer Stelle, um auf den »höchsten Schritt« hinzuweisen, die übrigen vorher [in dem Gleichnisse] vorkommenden Stücke wieder durchgeht, und wenn dabei das, was als »das Unerschlossene« bezeichnet wird, überschiesst, so ist der Schluss gerechtfertigt, dass damit der aus der vorherigen Aufzählung überschiessende Leib gemeint sei. Wenn nämlich die Schrift hier von dem aus Leib, Sinnen, Manas, Buddhi, Sinnendingen und Empfindung verbundenen und auf dem Nichtwissen beruhenden »Geniesser« [d.h. von der individuellen Seele] redet, und dabei durch Vergleichung des Leibes u.s.w. mit einem Wagen u.s.w. den Weg zur Wanderung und den zur Erlösung schildert, so ist ihre Absicht dabei, die Auffassung der innern Seele als Brahman zu lehren; darum heisst es (Kâṭh 3, 12):


»In allen Wesen weilt verborgen er

Als Âtman und tritt nicht ans Licht hervor;

Zu schau'n ist er durch äusserstes Verständnis,

Durch feinstes Solchen, die das Feine schau'n«;


| und nachdem hier die Schrift die Schwierigkeit, zu dem »höchsten Schritte des Vishṇu« zu gelangen, hervorgehoben, so lehrt sie weiter als Mittel, zu ihm zu gelangen, den Yoga in den Worten (Kâṭh. 3, 13):


»Es hemme Rede samt Verstand der Weise;

Er hemme beides im Erkenntnisselbst,

Und die Erkenntnis in dem grossen Selbste,

Und dieses wieder in dem Ruheselbst;« –


das heisst: man soll die Rede in dem Manas hemmen, man soll die Thätigkeit der äusseren Sinne, das Reden u.s.w., unterdrücken und in dem blossen Manas verharren; aber auch das Manas, da es dem Denken und Wollen (vikalpa) der Sinnendinge zugewendet ist, soll man, in der Erkenntnis, dass dieses Denken und Wollen ein sündliches ist, niederhalten in der durch das Wort »Erkenntnis« bezeichneten Buddhi, deren Naturwesenheit das Beschliessen ist; und auch diese Buddhi soll man in dem grossen Âtman, – sei es, dass darunter der »Geniesser« oder auch die erstanfängliche Buddhi [des Hiraṇyagarbha, gleichsam das »ewige Subjekt des Erkennens«] zu verstehen ist, – durch Vertiefung in dessen Feinheit (Schwererkennbarkeit) hemmen, und den grossen Âtman endlich soll man in dem »ruhigen Âtman«, d.h. in dem[206] in Rede stehenden höchsten »Geiste«, als dem letzten »Endziele« versenken.

Somit folgt aus der Betrachtung des Vorhergehenden und des Nachfolgenden, dass hier an die von den Gegnern aufgestellte Urmaterie zu denken keine Veranlassung vorliegt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 202-207.
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