[212] 6. trayâṇâm eva ca evam upanyâsaḥ praçnaç ca
auch ist nur dreier in solcher Art Vorbringung und Erfragung.

Auch darum darf man nicht annehmen, dass die Urmaterie unter dem Unerschlossenen zu verstehen sei, oder als das zu Erkennende bezeichnet werde, weil »nur drei« Gegenstände, nämlich das [Opfer-]Feuer, die individuelle Seele und der höchste Âtman, in diesem Buche, d.h. in den Vallî's der Kaṭha's, | behuss der Erfüllung der [beiden letzten unter den drei von Naciketas erbetenen] Wünsche als Themata der Besprechung vorgebracht werden, und nach ihnen war auch nur gefragt worden; und es findet keines weitern Gegenstandes Erfragung oder Vorbringung statt. Zunächst also, [wenn Naciketas bei Gelegenheit des zweiten Wunsches Kâṭh. 1, 13 sagt]:


»Du kennst das Feuer, das den Himmel aufschliesst,

Erkläre es, o Tod, mir, der da glaubet«,


so wird hier nach dem Feuer [als dem ersten Gegenstande] gefragt. – Ferner, [wenn Naciketas bei Gelegenheit seines dritten Wunsches Kâṭh. 1, 20 sagt:][212]


»Ein Zweifel waltet, wenn der Mensch gestorben,

›Er ist‹, so sagen einige, und andre ›er ist nicht‹;

Das möchte ich von dir belehrt erkennen,

Das ist die dritte der versproch'nen Gaben«,


so bezieht sich dieses auf die individuelle Seele [als den zweiten der drei Gegenstände. – Endlich [wenn Naciketas, ebenfalls bei Gelegenheit seines dritten Wunsches, Kâṭh. 2, 14 dem Yama in die Rede fällt mit den Worten:]


»Vom Guten frei und frei vom Bösen,

Von Ursach' und von Wirkung frei,

Frei von Vergang'nem und Zukunft'gern,

Das sage mir was dieses sei!« –


so bezieht sich dies auf den höchsten Âtman [als den dritten Gegenstand]. – Ebenso steht es mit der Beantwortung. Zunächst heisst es (Kâṭh. 1, 15):


»Das Opferfeuer, das der Grund der Welt ist,

Erklärte er ihm und die Altarsteine,

Wie viele ihrer und wie sie zu ordnen«;


dies geht auf das Feuer. – Sodann (Kâṭh. 5, 6-7):


»Wohlan so will ich dir es denn verkünden,

Das ew'ge und geheimnisvolle Brahman,

Und was, nachdem der Mensch dem Tod verfallen,

Aus seiner Seele wird, o Gautama.« –

| »In einen Mutterschoss die Einen eingeh'n,

Verkörpernd sich zu neuer Leiblichkeit,

In eine Pflanze1 müssen andre fahren,

Je nach dem Werk, je nach dem Schriftgebrauch«;


dies bezieht sich auf die individuelle Seele. – Endlich die lange Ausführung, welche anfängt mit den Worten (Kâṭh. 2, 18):


»Nicht wird geboren oder stirbt der Weise« u.s.w.


bezieht sich auf den höchsten Âtman. Hingegen kommt nicht »in solcher Art«, eine auf die Urmaterie bezügliche Frage vor, und da nach ihr nicht gefragt war, so war auch keine Veranlassung, sie vorzubringen; so [ist der Sinn des Sûtrams]. –

Hier könnte man Folgendes einwerfen: ›Soll man annehmen, dass die auf die Seele bezügliche Frage: »ein Zweifel waltet,[213] wenn der Mensch gestorben« (Kâṭh. 1, 20), dass diese Frage mit den Worten: »vom Guten frei und frei vom Bösen« u.s.w. (Kâṭh. 2, 14) als dieselbige wieder aufgenommen wird, oder wird hier eine von ihr verschiedene, noch nicht dagewesene Frage aufgeworfen? Wozu das? Nun, wenn es dieselbe Frage wie vorher sein soll, die hier wieder aufgenommen wird, so fallen die beiden auf den Âtman [als die individuelle und die höchste Seele] bezüglichen Fragen in eine zusammen, und wir behalten nur zwei Fragen, die nach dem Feuer und die nach dem Âtman; dann durfte nicht von einer »Erfragung und Vorbringung dreier« Fragen [im Sûtram] geredet werden. Behauptet ihr hingegen, dass in diesen Worten eine neue, noch nicht dagewesene Frage aufgeworfen werde, nun dann müsst ihr, so gut wie ihr zulasst, dass noch eine neue, nicht in der Erfüllung der [drei] Wünsche einbegriffene Frage angenommen wird, mit demselben Rechte zulassen, dass eine, wenn auch in den Fragen nicht einbegriffene, Vorbringung der Urmaterie angenommen werde!‹ – Darauf dient zur Antwort: es fällt uns gar nicht ein, hier in dieser Weise eine neue, nicht in der Erfüllung der [drei] Wünsche einbegriffene Frage anzunehmen, indem der Eingang der Stelle dies nicht zulässt. Denn der Zusammenhang der Stelle erstreckt sich, von der Bewilligung der [drei] Wünsche | im Eingange an in Form einer Unterredung zwischen dem Tode und Naciketas bis zum Schlusse der Kaṭhavallî's hin. Nämlich der Tod hatte dem ihm von seinem Vater zugesandten Naciketas drei Geschenke versprochen; Naciketas nun wählt als erstes Geschenk von diesen dreien die Begütigung seines Vaters, als zweites die Kenntnis des Opferfeuers, als drittes die Kenntnis des Âtman; daher es nach den Worten »ein Zweifel waltet, wenn der Mensch gestorben« u.s.w. heisst: »das ist die dritte der versproch'nen Gaben« (Kâṭh. 1, 20.) Würde nun wirklich in den Worten »vom Guten frei und frei vom Bösen« (Kâṭh. 2, 14) eine neue Frage aufgeworfen, so würde bei dieser Annahme einer Frage, welche noch über die Bewilligung der [drei] Wünsche hinausläge, die Stelle mit sich selbst im Widerspruch stehen [was unmöglich ist]. – ›Aber muss nicht doch, wegen der Verschiedenheit dessen, wonach hier gefragt wird [vom Vorherigen], eine neue Frage hier angenommen werden? Denn die vorherige Frage bezog sich ja auf die individuelle Seele, indem in Betreff dieser der Zweifel, welcher waltet, wenn der Mensch gestorben, ob er ist oder nicht ist, – dieser Zweifel ausgesprochen wurde. Auf die individuelle Seele nun aber wiederum kann, da sie sich im Bereiche des Guten und Bösen befindet, nicht die Frage nach dem, was vom Guten und Bösen frei sei, passen; hingegen passt diese Frage auf den Erkenner [den höchsten Âtman], weil dieser über das Gute und Böse erhaben ist. Und auch die Struktur (châyâ) der beiden Fragen zeigt sich nicht als die nämliche;[214] denn die erstere fragt danach, ob etwas sei oder nicht sei; die zweite hingegen ist auf eine [als seiend vorausgesetzte] über das Gute und das Böse hinausliegende Wesenheit gerichtet. Da man somit hier nicht dasselbe wie vorher wiedererkennen kann, so muss man annehmen, dass es zwei Fragen sind, und nicht dass nur die vorherige Frage im Folgenden wieder aufgenommen werde.‹ – Diese Ausführung bestreiten wir, und zwar auf Grund der Anschauung, dass die individuelle Seele und der Erkenner eine Einheit ausmachen. | Gewiss wäre ein Unterschied des Erfragten und somit ein Unterschied der beiden Fragen zuzugeben, wenn die individuelle Seele wirklich von dem Erkenner verschieden wäre; diese Verschiedenheit besteht aber in Wahrheit nicht, wie aus andern Schriftstellen, z.B. »das bist du« (Chând. 6, 8, 7) u.s.w., hervorgeht. Und auch an unserer Stelle, wenn auf die Frage nach dem, was vom Guten u.s.w. frei sei, in den Worten: »nicht wird geboren oder stirbt der Weise«, die Antwort gegeben wird durch eine Verneinung des Geborenwerdens und Sterbens, so ist dies beweisend für die Identität der verkörperten Seele und des höchsten Gottes. Denn die Verneinung einer Sache ist nur da, wo die Möglichkeit derselben vorhanden ist, berechtigt. Eine solche Möglichkeit des Geborenwerdens und Sterbens aber ist nur für die verkörperte Seele, wegen ihrer Berührung mit dem Körper, nicht für den höchsten Gott vorhanden. – Ebenso, wenn es heisst (Kâṭh. 4, 4):


»Wer den, durch welchen wir den Traumbezirk

Und den Bezirk des Wachens, beide, schauen, –

Wer diesen als den alldurchdringenden,

Den grossen Âtman wohl begriffen hat,

Der ist ein Weiser und befreit vom Kummer!« –


wenn hier die Schrift demjenigen Wesen, welches im Traume und Wachen schaut, also doch der individuellen Seele, die Grösse und Alldurchdringung beilegt, und erklärt, dass wir durch Wohlbegreifung derselben vom Kummer befreit würden, so giebt sie damit zu verstehen, dass die individuelle Seele von dem »Erkenner« [dem höchsten Âtman] nicht verschieden ist. Denn dass es die Erkenntnis des Erkenners ist, durch welche die Befreiung vom Kummer eintritt, ist eine Grundanschauung des Vedânta. – Ebenso in den Worten (Kâṭh. 4, 10):


»Was hier ist, das ist eben dort [in Brahman],

Was dort, zugleich auch hier am Ort,

Von Tod zu Tode wird verstrickt,

Wer ein [von Brahman] Verschied'nes hier erblickt«, –


| wird es verboten, eine Verschiedenheit zwischen der individuellen Seele und dem Erkenner zu erblicken. – Ferner auch, wenn[215] gleich nach der Frage über die Existenz der individuellen Seele (Kâṭh. 1, 20), der Tod versetzt: »wähl' eine andre Gabe Naciketas!« (Kâṭh. 1, 21) und darauf den Naciketas durch mancherlei Lockungen in Versuchung führt, dann aber, nachdem Naciketas sich nicht hat abbringen lassen, diesen, nach Darlegung des Unterschiedes zwischen der Glückseligkeit und dem höchsten Gute (2, 1-2) und nach Darlegung des [entsprechenden] Unterschiedes zwischen Nichtwissen und Wissen (2, 4), zu preisen unternimmt mit den Worten: »Nach Wissen trachtest du, o Naciketas, nicht konnten dich die Lockungen verführen« (2, 4), und, schon eine blosse Frage dieser Art preisend, hinzufügt (2, 12):


»Schwer zu erschauen, in Dunkel eingegangen,

Tief in der Höhle weilt versteckt der Alte;

Ihn weiss als Gott durch innigste Verbindung

Der Weise und wird frei von Leid und Freude«,


– so muss man schliessen, dass auch hierdurch schon die Identität der individuellen Seele mit dem Erkenner ausgesprochen werden soll. Denn [wenn man diese nicht schon hier, sondern erst durch eine weitere Frage veranlasst finden will,] wenn man annehmen will, dass Naciketas diejenige Frage, um deren willen er so grosses Lob von Seiten des Todes einerntete, sofort nach diesem Lobe fallen liesse, um (2, 14) eine neue Frage aufzuwerfen, so wäre jene ganze Lobpreisung am unrechten Orte ausgesprochen worden, und darum muss man annehmen, dass es nur eben jene Frage »Ein Zweifel waltet« u.s.w. (1, 20) ist, welche | in den Worten »Vom Guten frei« u.s.w. (2, 14) wieder aufgenommen wird. – Wenn aber der Gegner sich oben auch auf die Verschiedenheit in der Struktur der Frage berief, so ist das kein Einwand; denn es ist eine [weitere] Bestimmung eben desselben Gegenstandes, nach welcher beim zweiten Male gefragt wird. Denn vorher war die Frage nach der Existenz der vom Leibe befreiten Seele, und nachher wird nach der Befreiung ebenderselben Seele von der Seelenwanderung gefragt. So lange nämlich das Nichtwissen nicht beseitigt wird, so lange bleibt sowohl die Befangenheit im Guten und Bösen als auch die Individualität der individuellen Seele unbeseitigt; durch Beseitigung des Nichtwissens hingegen wird sie als der Erkenner gemäss dem Schriftworte: »das bist du« (Chând. 6, 8, 7) begriffen; ob aber das Nichtwissen noch besteht oder ob es gehoben wird, das begründet für das Objekt, auf das sich dasselbe bezieht, keinen Unterschied; sondern so wie einer einen liegen gebliebenen Strick in der Finsternis für eine Schlange hält und voll Furcht und zitternd vor ihr flieht, und ein anderer zu ihm sagt: »fürchte dich nicht, es ist keine Schlange, es ist nur ein Strick«, und jener, nachdem er dieses[216] gehört hat, die Furcht vor der Schlange und das Zittern und das Fliehen aufgiebt, und wie hierbei für die Zeit des Haltens für eine Schlange und für die der Beseitigung dieses Irrtums in Betreff des Objektes selbst nicht der geringste Unterschied besteht, ganz ebenso ist es auch in unserem Falle. Und daher kommt es, dass auch durch die Worte »nicht wird geboren oder stirbt der Weise« (Kâṭh. 2, 18) die Antwort auf die Frage nach dem Sein oder Nichtsein gegeben werden kann. – Das Sûtram aber muss man dahin auffassen, dass es [mit seiner Unterscheidung dreier, statt nur zweier Gegenstände, nach denen gefragt wird] auf die vom Nichtwissen aufgestellte Verschiedenheit zwischen der individuellen Seele und dem Erkenner Rücksicht nimmt. Denn wiewohl die Frage nach dem Âtman eine einheitliche ist, so kann doch, sofern einerseits schon an der blossen Existenz der im Tode vom Leibe befreiten Seele gezweifelt wurde, und anderseits die durch den Saṃsâra bedingten Naturbeschaffenheiten, das Thätersein u.s.w., noch nicht | an derselben beseitigt waren, die Sache [vom Sûtram] dahin aufgefasst werden, dass das Erstere sich auf die Seele als individuelle, das Letztere, wegen der Erwähnung der Erhabenheit über Gutes und Böses, auf ebendieselbe, sofern sie der »Erkenner« ist, beziehe; daher es mit der Unterscheidung [der drei Gegenstände] des Feuers, der individuellen und der höchsten Seele seine Richtigkeit hat. Zu der Behauptung hingegen, dass hier von der Urmaterie die Rede sei, passt weder die Verleihung der Geschenke, noch die Frage, noch die Antwort; daher es hiermit eine ganz andere Bewandtnis hat.

1

M. Müller übersetzt (1884): into inorganic matter. – Nun und nimmermehr! Vgl. mein »System des Vedânta« (1883), S. 257 fg.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 212-217.
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