[227] 14. kâraṇatvena ca âkâça-âdishu yathâ-vyapadishṭa-ukteḥ
und weil er als Ursache von Äther u.s.w. in der [auch anderweit] bezeichneten Weise genannt wird.

Wir haben das Kennzeichen des Brahman dargelegt (Sûtram 1, 1, 2), wir haben auch bewiesen, dass die Vedântatexte in Bezug auf Brahman »die Gleichheit des Ganges« (1, 1, 10) einhalten, und wir haben endlich gezeigt [namentlich in dem letzten Abschnitte 1, 4, 1-13], dass die Lehre von der Urmaterie [der Sâ khya's] nicht schriftgemäss ist. – Nun erhebt sich von neuem folgender Zweifel. ›Es ist gar nicht möglich‹, so könnte man sagen, ›zu beweisen, dass das Brahman die Ursache der Entstehung u.s.w. der Welt sei, noch auch, dass die auf das Brahman bezüglichen[227] Vedântatexte »die Gleichheit des Ganges« einhalten; warum? weil sie sich sichtbarlich widersprechen. Denn je nach den einzelnen Vedântatexten erscheint die Weltschöpfung als eine andere und wieder andere, indem die Texte bezüglich der Reihenfolge und anderer Punkte nicht miteinander übereinstimmen. So heisst es an der einen Stelle: »aus dem Âtman ist der Äther entstanden« (Taitt. 2, 1); hier wird berichtet, dass die Schöpfung mit dem Äther begonnen habe, während sie nach einer andern Stelle mit dem Feuer begann, denn es heisst: »da schuf er das Feuer« (Chând. 6, 2, 3), und wieder nach einer andern Stelle mit dem Odem, indem es heisst: »da schuf er den Odem, aus dem Odem den Glauben« (Praçna 6, 4); | und an noch andern Stellen wird die Entstehung der Welt ohne jede Beobachtung einer Reihenfolge gelehrt; so z.B. wenn es heisst: »da schuf er diese Welten; [es sind] die Flut, die Strahlen, der Tod, die Gewässer« (Ait. 1, 1, 2.) – Hierzu kommt, dass zuweilen von der Schöpfung so geredet wird, als sei das, was vor ihr war, das Nichtseiende gewesen; so in den Stellen: »nichtseiend war zu Anfang diese Welt; aus diesem ist das Seiende entstanden« (Taitt. 2, 7), und: »diese Welt war zu Anfang nichtseiend, dieses [Nichtseiende] war das Seiende; dieses wurde zu der Realität« (Chând. 3, 19, 1, wo unsere Stelle liest: tat satyam abhavat.) An andern Stellen hingegen wird jener Annahme eines Nichtseienden widersprochen und anerkannt, dass das Schöpfungswerk von einem Seienden ausgehen musste; so heisst es z.B.: »da sagen nun einige, diese Welt sei zu Anfang das Nichtseiende gewesen«, und weiter: »wie könnte es aber, o Teurer, also sein, so sprach er, wie sollte aus einem Nichtseienden das Seiende entstanden sein? seiend also, o Teurer, war diese Welt zu Anfang« (Chând. 6, 2, 1. 2.) Ja an einigen Stellen wird sogar ausgesprochen, dass die Weltentwicklung von selber angefangen habe, | wenn es z.B. heisst: »diese Welt hier war damals nicht entfaltet; eben dieselbe entfaltete sich in Namen und Gestalten« (Bṛih. 1, 4, 7.) Da somit mannigfacher Widerspruch herrscht, ein Wahlbelieben aber [wie es bei gebotenen Werken vorkommen kann], hier, wo es sich um ein in Wirklichkeit Vorhandenes handelt, nicht möglich ist, so scheint es, dass jener unbedingte Vorzug, den man den Behauptungen der Vedântatexte über die Weltursache giebt, nicht gerechtfertigt ist, dass es vielmehr richtiger ist, den Aufstellungen der Smṛiti und der Reflexion zuzustimmen und eine andere Weltursache [als die vom Vedânta gelehrte] anzunehmen.‹ – Auf diese Annahme antworten wir: gesetzt auch, es bestünde in den verschiedenen Vedântatexten in Bezug auf die erschaffenen Dinge, den Äther u.s.w., hinsichtlich ihrer Reihenfolge u.s.w., ein Widerspruch, so liegt doch in Betreff des Schöpfers derselben durchaus kein Widerspruch vor; warum? »weil er in der [auch anderweit] bezeichneten Weise genannt[228] wird«. Ganz so nämlich, wie in dem einen Vedântatexte der Allwissende, Allmächtige, Allbeseelende, Zweitlose als Weltursache bezeichnet wird, ganz ebenso wird er auch als solche bezeichnet in den andern Vedântatexten. So wie also z.B. in der Stelle: »Wahrheit, Erkenntnis, Unendlichkeit, ist das Brahman« (Taitt. 2, 1) schon gleich durch das Wort »Erkenntnis« und durch das weiter folgende, eben darauf bezügliche Wort von dem Begehren (Taitt. 2, 6) das Brahman | als ein geistiges Wesen dargestellt und durch Ausschliessung aller weiteren Schöpfungsmittel als der Gott, der die Weltursache ist, erklärt wurde, so wie weiter durch das auf das Brahman bezügliche Wort »Âtman« und mittels des Eindringens durch die Hüllen des Leibes u.s.w. hindurch ins Innere (Taitt. 2, 2-5) dieses Brahman als die innere Seele in uns allen erhärtet wurde, so wie endlich in den Worten: »ich will vieles sein, will mich fortpflanzen« (Taitt. 2, 6) auf Grund des dem Âtman beigelegten Wunsches, vieles zu sein, die Identität der erschaffenen Dinge mit dem Schöpfer gelehrt wurde, – und auch in den Worten: »da schuf er diese ganze Welt, was immer vorhanden ist« (Taitt. 2, 6) erklärt die Schrift, indem sie das Erschaffensein der ganzen Welt aufzeigt, dass vor der Schöpfung nur der zweitlose Schöpfer vorhanden gewesen, – so wie also in dieser Stelle [der Taittirîya-Upanishad] das Brahman als die Weltursache anerkannt wird, ganz ebenso und mit denselben Merkmalen wird es als solche auch in den andern Texten anerkannt; denn wenn es z.B. heisst: »diese Welt, o Teurer, war zu Anfang nur das Seiende, Eines nur und ohne Zweites; dasselbige erwog: ›ich will vieles sein, will mich fortpflanzen‹, da schuf es das ›Feuer‹« (Chând. 6, 2, 2-3), und wiederum: »diese Welt war zu Anfang der Âtman allein; es war nichts anderes da, die Augen aufzuschlagen; derselbige erwog: ›ich will nun Welten schaffen‹« (Ait. 1, 1, 1), so ist der Inhalt derartiger, die Schilderung des Wesens der Weltursache bezweckender Stellen in allen Vedântatexten ein widerspruchloser. Es ist also vielmehr nur das Erschaffene, in Bezug auf welches ein Widerspruch vorzuliegen scheint, sofern die Schöpfung das eine Mal mit dem Âkâça | und das andere Mal mit dem Feuer anhebt, und dergleichen mehr. Man darf aber nicht behaupten, dass deswegen, weil in Bezug auf die Weltwirkung ein Widerspruch vorliege, es nicht in der Absicht des Vedânta liegen könne, das Brahman als Weltursache, über welches in allen Vedântatexten Übereinstimmung herrscht, zu lehren; weil aus dieser Behauptung zu viel folgen würde [z.B. dass, weil die Träume verschieden von dem im Wachen Erlebten sind, auch das Subjekt als Träger beider nicht das nämliche sein könne]. Übrigens wird der Lehrer jene Nichtübereinstimmung der Vedântatexte in Betreff der Weltwirkung ins Gleiche bringen in dem Abschnitte, welcher anfängt mit den Worten: »Nicht der Äther, weil[229] kein Schriftwort« (Sûtram 2, 3, 1 fg.). Es würde aber nichts ausmachen, wenn jene Nichtübereinstimmung in Betreff der Weltwirkung wirklich bestünde, weil auf sie sich die Belehrung gar nicht erstreckt. Nämlich die Schrift hat gar nicht die Absicht, über diese mit der Schöpfung beginnende Weltausbreitung eine Belehrung zu erteilen, weil weder ersichtlich ist, noch auch irgendwo gesagt wird oder auch denkbar ist, dass irgend etwas, worauf es für den Menschen ankommt, hiervon abhängig sei, da ja doch in den auf das Brahman bezüglichen Worten von Anfang bis zu Ende samt und sonders Übereinstimmung der Lehre sich ergiebt. Auch lehrt die Schrift selbst, dass die Darlegung der Schöpfung u.s.w. nur den Zweck habe, das Brahman kennen zu lehren, denn sie sagt: »zu der Nahrung, o Teurer, als Wirkung, suche als Ursache das Wasser, zu dem Wasser als Wirkung suche als Ursache das Feuer, zu dem Feuer als Wirkung suche als Ursache das Seiende« (Chând. 6, 8, 4.) Auch aus den Gleichnissen vom Thon u.s.w. folgt, dass die Darlegung der Schöpfung u.s.w. nur geschieht, um die Identität ihrer als Wirkung mit der Ursache auszusprechen. | In demselben Sinne äussern sich auch die Kenner der Überlieferung, wenn sie sagen (Gauḍapâda, Mâṇḍûkya-kârikâ 3, 15):


»Wenn durch den Thon, das Kupfer und die Funken1

Und sonstwie eine Schöpfung wird gelehrt,

So ist dies nur ein Mittel, um zu zeigen,

Dass keine Vielheit irgendwie besteht.«


Was hingegen das Brahman betrifft, so lehrt die Schrift, dass allerdings an die Erkenntnis desselben eine Frucht sich knüpft, wenn sie sagt: »wer Brahman erkennt erlangt das Höchste« (Taitt. 2, 1), – »wer den Âtman erkennt übersteigt den Kummer« (Chând. 7, 1, 3), – »wer ihn erkannt hat übersteigt den Tod« (Çvet. 3, 8.) Und diese Frucht ist schon gegenwärtig zu erlangen; denn wem durch die Worte »das bist du« (Chând. 6, 8, 7) die Erkenntnis, dass er der nichtwandernde Âtman sei, aufgegangen ist, für den hat sein Bestehen als eine wandernde Seele das Ende erreicht.

Wenn aber ferner von dem Gegner oben (p. 371) behauptet wurde, dass auch in Betreff der Weltursache ein Widerspruch vorliege, weil es (Taitt. 2, 7) heisse, »diese Welt war zu Anfang das Nichtseiende«, so bleibt das noch zu widerlegen. Zu diesem Zwecke heisst es:

1

Chând. 6, 1, 4-5: »Gleichwie, o Teurer, durch einen Thouklumpen alles, was aus Thon besteht, erkannt ist; .... gleichwie, o Teurer, durch einen kupfernen Knopf alles was aus Kupfer besteht erkannt ist«, u.s.w. – Muṇḍ. 2, 1, 1: »Wie aus dem wohlentflammten Feuer die Funken« u.s.w.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 227-230.
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