[742] 14. ›na ca kârye pratipatti-abhisaṃdhiḥ‹
›noch auch passt auf das erschaffene die Absicht des Eingehens.‹

›Auch passt nicht auf das erschaffene Brahman die Absicht des Eingehens in dasselbe, welche sich kundgiebt in den Worten: »ich gehe fort zur Halle des Herrn der Schöpfung, zu seinem Hause« (Chând. 8, 14, 1); denn in den vorhergehenden Worten: »welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt; was in diesen beiden ist, das ist das Brahman« (Chând. 8, 14, 1), war von dem allem Erschaffenen als wesensverschieden gegenüberstehenden höchsten Brahman die Rede; wie ja auch in den [folgenden] Worten: »ich bin die Zierde der Brahmanen« ein Vorgehen sich zeigt mit dem Bewusstsein, die Seele des Weltalls zu sein; und das ist ja schon aus den Worten her: »kein Gleichnis ist für ihn, des Name ›grosse Zierde‹ ist« (Vâj. saṃh. 32, 3) bekannt, dass der Name »Zierde« von dem höheren Brahman gebraucht wird. Es ist aber dieses das nämliche Eingehen in das Haus, welches, gleichfalls nach Schilderung des Hingehens, in der Lehre von dem Herzensbrahman (Chând. 8, 1 fg.) vorkam, wo es hiess: »daselbst ist die unbezwingliche Burg des Brahman, vom Herrn erbaut, aus Gold bestehend« (Chând. 8, 5, 3.) Und auch die (Chând. 8, 14, 1: sabhâṃ, veçma prapadye) gebrauchte Wurzel pad bedeutet ein Gehen und nimmt somit unzweifelhaft Bezug auf einen Weg. Und somit ergiebt sich, dass die Stellen von dem Hingehen auf das höhere Brahman zu beziehen sind;‹ – so ist die andere (gegnerische) Meinung.

Diese beiden Meinungen sind von dem Lehrer in Sûtra's gefasst worden; die eine in die Worte: »weil zu ihm hinzugehen möglich« u.s.w. (Sûtram 4, 3, 7-11); die andere in die Worte: »wegen der Eigentlichkeit« u.s.w. (Sûtram 4, 3, 12-14.) Hierbei sind die Sûtra's »weil zu ihm hinzugehen möglich« u.s.w. im Stande, die »wegen der Eigentlichkeit« u.s.w. zu entkräften, | nicht aber können die »wegen der Eigentlichkeit« u.s.w. jene andern[742] »weil zu ihm hinzugehen möglich« u.s.w., aus dem Felde schlagen. Somit folgt, dass hier einmal der Siddhânta (die endgültige Meinung) zu Anfang, und der Pûrvapaksha (die gegnerische Meinung) zuletzt steht. Denn kein Mensch kann uns zumuten, dass wir den eigentlichen Sinn auch da festhalten sollen, wo derselbe unmöglich ist (gegen 4, 3, 12.) – Und wenn ferner auch [in der ṭhaka-Upanishad wegen ṭh. 2, 14] das Thema die höhere Wissenschaft ist, so kann doch zu ihrer Verherrlichung das in den andern [attributhaften] Lehren gültige Hingehen daneben erwähnt werden, ähnlich wie [sogar des Nichterlösten sogleich darauf ṭh. 6, 16 gedacht wird] in den Worten: »nach allen Seiten Ausgang sind die andern« (gegen 4, 3, 13.) – Was endlich die Worte: »ich gehe fort zur Halle des Herrn der Schöpfung, zu seinem Hause« (Chând. 8, 14, 1) betrifft, so kann man, mittels Abtrennung des vorhergehenden Satzes [»der Äther ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt« u.s.w.] in ihnen ohne Widerspruch eine Absicht des Eingehens in das erschaffene Brahman finden. Und gleichfalls, von dem attributhaften Brahman, lässt sich die Erwähnung desselben als der Seele des Weltalls [wie sie in dem Worte »Zierde« gefunden wurde] verstehen, wie dies ja auch in der Stelle »allwirkend, allwünschend« (Chând. 3, 14, 2) geschieht (gegen 4, 3, 14.) – Somit folgt, dass die Schriftstellen von dem Hingehen nur auf das niedere Brahman zu beziehen sind.


* * *


Einige hingegen, welche sich auf die Anordnung berufen, nach welcher die früheren Sûtra's den Pûrvapaksha (die gegnerische Meinung), die späteren hingegen den Siddhânta (die endgültige Meinung) zu enthalten pflegen, beharren dabei, dass die Schriftstellen von dem Hingehen [zu Brahman] sich auf das höhere [nicht auf das niedere attributhafte Brahman] bezögen. Aber das geht nicht an, weil ein Hingehen zu Brahman unmöglich ist. Denn zu dem allgegenwärtigen, allem innerlichen, alles beseelenden höchsten Brahman, von dem es heisst: »dem Äther gleich | allgegenwärtig ewig«, – »das wahrnehmbare, nicht übersinnliche Brahman, das als Seele allem innerlich ist« (Bṛih. 3, 4, 1), – »Seele nur ist dieses Weltall« (Chând. 7, 25, 2), – »Brahman nur ist dieses Ganze, das vortrefflichste« (Muṇḍ. 2, 2, 11), – zu dem Brahman, dessen Charakter durch Schriftstellen wie diese bestimmt ist, kann nun und nimmer ein Hingehen statthaben. Denn wo man ist, dahin kann man nicht gehen; hingehen kann man, nach allgemeiner Annahme, nur zu einem andern. – ›Aber zeigt nicht die Erfahrung, dass man auch zu dem gehen kann, bei welchem man ist, sofern man an ihm verschiedene Orte unterscheidet? So ist einer auf der Erde und geht doch zu ihr, indem er an einen andern Ort geht. So ist das Kind[743] mit sich identisch und geht doch zu dem zeitlich unterschiedenen Zustande der Erwachsenheit, welcher sein eigenes Selbst ist. Ebenso, könnte man meinen, liesse sich auch zu dem Brahman, sofern dasselbe mit allerlei Kräften (çakti) ausgestattet ist, irgendwie hingehen‹. – Aber dem ist nicht so; wegen der Negation aller Unterschiede am Brahman: »ohne Teile, ohne Werk, ruhig, falschlos, fleckenlos« (Çvet. 6, 19), – »nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang« (Bṛih. 3, 8, 8), – »denn er, der Ungeborene, ist draussen und ist drinnen« (Muṇḍ. 2, 1, 2), – »fürwahr, diese grosse, ungeborene Seele, nicht alternd, nicht welkend, nicht sterbend, ohne Furcht ist Brahman« (Bṛih. 4, 4, 25), – »Er ist nicht so, und ist nicht so« (Bṛih. 3, 9, 26), – .......; – nach diesen Regeln der Schrift und Smṛiti lässt sich für die höchste Seele keine Verbindung mit räumlichen, zeitlichen oder andern Unterschieden annehmen, so dass man zu ihr wie in eine Erdgegend oder in ein Lebensalter gehen könnte: zur Erde hingegen und zum Alter ist, weil sie mit unterschiedlichen Gegenden und Zuständen versehen sind, ein räumlich und zeitlich | bestimmtes Hingehen möglich.


Behauptet ihr, ›dass das Brahman mancherlei Kräfte (çakti) haben muss, weil es nach der Schrift die Ursache für Schöpfung, Bestand und Untergang der Welt ist,' so sagen wir nein! denn die Schriftstellen, welche die Unterschiede von ihm abwehren, können keinen andern [als den wörtlichen] Sinn haben. – ›Aber die Schriftstellen von der Schöpfung u.s.w. können doch ebenfalls keinen andern Sinn haben?‹ – Dem ist nicht so; denn ihr Zweck ist [nur], die Einheit [der Welt mit Brahman] zu lehren. Denn wenn die Schrift durch die Beispiele vom Thonklumpen u.s.w. (Chând. 6, 1, 4 fg.) lehrt, dass das Seiende, das Brahman, allein wahr, die Umwandlung [desselben zur Welt] aber unwahr ist, so kann sie dabei nicht den Zweck haben, eine Schöpfung u.s.w. zu lehren. – ›Aber warum sollen sich die Schriftstellen von der Schöpfung u.s.w. nach denen von der Fernhaltung aller Unterschiede, und nicht umgekehrt die letztern nach den erstern richten?‹ – Darauf antworten wir: weil die Schriftstellen von der Fernhaltung aller Unterschiede eine Bedeutung haben, welche nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Denn nachdem die Einheit, Ewigkeit, Reinheit u.s.w. der Seele erkannt ist, so bleibt nichts weiter mehr zu wünschen übrig, weil damit die Erkenntnis zu Tage getreten ist, welche das Ziel des Menschen vollbringt: »Wo wäre Irrtum, wo Kummer, für einen, der die Einheit schaut?« (Îçâ 7), – »Furchtlosigkeit, fürwahr, o Janaka, hast du erlangt« (Bṛih. 4, 2, 4), – »der Wissende hat keine Furcht vor irgend wem« (Taitt. 2, 9), – »ihn wahrlich quält die Frage nicht, welches Gute er nicht gethan, | welches Böse er gethan hat« (ibidem), – so lehrt die Schrift.[744] Und während sie in dieser Weise zeigt, wie die Wissenden sich der Vollbefriedigung unmittelbar bewusst sind, so verbietet sie die unwahre Behauptung einer Umwandlung [Schöpfung], indem sie sagt: »Von Tod zu Tode wird verstrickt, wer ein Verschied'nes hier erblickt« (ṭh. 4, 10.) Folglich kann man nicht annehmen, dass die Schriftstellen, welche die Unterschiede fern halten, sich nach den andern richten müssen. Nicht so steht es mit den Schriftstellen von der Schöpfung u.s.w. Denn diese sind nicht im Stande, einen Sinn zu lehren, welcher nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Es liegt aber vor Augen, dass dieselben ein anderes Ziel haben [als das unmittelbar vorgesteckte, eine Schöpfung zu lehren]. Denn nachdem es zuerst heisst (Chând. 6, 8, 3): »An diesem aufgeschossenen Gewächs, o Teurer, erkenne, dass es nicht ohne Wurzel sein kann«, – so zeigt die Schrift im weitern Verlaufe, wie das einzige, welches man erkennen soll, das Seiende als die Wurzel der Welt ist. Und so heisst es auch: »Woraus diese Wesen entspringen, wodurch sie, entsprungen, leben, worein sie, dahinscheidend, wieder eingehen, das erforsche, das ist das Brahman« (Taitt. 3, 1.) Da somit die Schriftstellen von der Schöpfung u.s.w. den Zweck haben, die Einheit des Âtman zu lehren, so ist keine Verbindung des Brahman mit mannigfachen Kräften [anzunehmen], und folglich ist ein Hingehen zu ihm unmöglich. Und auch die Stelle: »Nicht ziehen seine Lebensgeister aus; sondern Brahman ist er, und in Brahman löst er sich auf« (Bṛih. 4, 4, 6), verbietet es, an ein Hingehen zum höhern Brahman zu denken. Das haben wir erörtert bei [dem Sûtram 4, 2, 13] »offenbar nach einigen [Stellen ist es der Leib, nicht die individuelle Seele, woraus der Erlöste auszieht].«


Ferner, wenn man ein Hingehen zu Brahman annimmt, so ist der hingehende Jîva (die individuelle Seele) von dem Brahman, zu welchem er hingehen soll, entweder [1.] ein Teil, oder [2.] eine Umwandlung, oder [3.] er ist von ihm verschieden. Denn bei absoluter Identität mit ihm ist ein Hingehen unmöglich. Ist dem so, welches davon trifft zu? – Wir antworten: wenn [nach 1.] jener [der Jîva] ein Teil [wörtlich: ein einzelner Ort] [an dem Brahman] ist, so hat er das aus den Teilen bestehende [Brahman] immer schon erreicht, und folglich ist auch so ein Hingehen zu Brahman unmöglich. | Aber die Annahme von Teilen und dem aus ihnen Zusammengesetzten findet auf Brahman gar keine Anwendung, weil dasselbe, wie allbekannt, ohne Glieder ist. Ähnlich steht es, wenn man [nach 2.] eine Umwandlung annimmt. Denn die Umwandlung ist immer schon in dem, woraus sie umgewandelt ist. Denn ein Thongefäss kann nicht bestehen, wenn es aufhört Thon zu sein; geschähe dies, so würde es zu nichts werden. Hierzu kommt, bei der Annahme einer Umwandlung oder von Teilen, dass, da das, welches sie besitzt, sich immer gleich bleibt, ein Eingehen desselben,[745] nämlich des Brahman, in den Saṃsâra ungereimt sein würde. Aber vielleicht ist [nach 3.] der Jîva vom Brahman verschieden? Dann muss er entweder [a.] atomgross, oder [b.] alldurchdringend oder [c.] von mittlerer Grösse sein. Ist er [nach b.] alldurchdringend, so ist kein Hingehen möglich. Ist er [nach c.] von mittlerer Grösse, so kann er [vgl. p. 598, 11, S. 374] nicht ewig sein [was doch 3, 3, 54 erwiesen worden ist]; ist er [nach a.] atomgross, so wird es unerklärlich, dass man am ganzen Leibe fühlt. Auch haben wir oben (Sûtram 2, 3, 19-29) ausführlich bewiesen, dass er weder atomgross, noch von mittlerer Grösse sein kann. Überhaupt aber ist, dass der Jîva vom Höchsten verschieden sei, gegen das kanonische Wort: »tat tvam asi« (»Das bist Du«, Chând. 6, 8, 7.) Derselbe Fehler tritt ein, wenn man annimmt, dass er eine Umwandlung oder ein Teil von ihm sei. Behauptet ihr ›dass der Fehler nicht eintrete, weil eine Umwandlung oder ein Teil von dem, dessen [Umwandlung oder Teil] sie sind, nicht verschieden seien,‹ so bestreiten wir das, weil die Einheit in der Hauptsache mangeln würde. Und bei allen diesen Annahmen verfallt ihr darein, die Erlösung leugnen zu müssen, indem die Wesenheit der Wanderseele unaufhebbar sein würde. Aber soll sie dennoch aufhebbar sein, so verfallt ihr darein, ihre Vernichtung anzunehmen, indem ihr ihre Identität mit Brahman ja nicht zugebt.


Da kommen nun einige und sagen: ›Gesetzt, jemand betriebe die ständigen und gelegentlichen [guten] Werke, um dem Niedergange [in der Seelenwanderung] zu entgehen, und er vermiede sowohl die aus Wunsch [nach Lohn] entspringenden, als auch die verbotenen [Werke], um weder in den Himmel noch in die Hölle zu kommen, und er zehrte die in dem gegenwärtigen Leibe abzubüssenden | Werke [eines frühern Daseins] durch die Abbüssung selbst auf, so würde doch, nach dem Dahinfall des gegenwärtigen Leibes, weiter für die Bildung eines neuen Leibes keine Ursache vorhanden sein und somit würde die Erlösung, da sie nur ein Beharren in der eigenen Wesenheit ist, von einem solchen auch ohne Einswerden mit dem Brahman erreicht werden.‹ – Aber dem ist nicht so; weil kein Beweis dafür da ist. Denn von keiner kanonischen Schrift wird gelehrt, dass der nach Erlösung Verlangende in dieser Weise zu verfahren habe. Vielmehr haben sie es mit ihrem Verstande ausgeklügelt, indem sie meinen: weil der Saṃsâra durch die Werke [eines frühern Daseins] verursacht werde, deswegen könne er, wenn keine Ursache da sei, nicht statt haben. Aber das entzieht sich der Berechnung, weil das Nichtvorhandensein der Ursache nicht wohl zu erkennen ist [vgl. die Ausführungen p. 673, 9 fg., Seite 425]. Denn von jedem einzelnen Geschöpfe hat man anzunehmen, dass es in einem frühern Dasein viele Werke aufgehäuft hat, welche zu erwünschten und unerwünschten Früchten heranreifen.[746] Da dieselben entgegengesetzte Frucht bringen, so können sie nicht gleichzeitig abgebüsst werden: daher ergreifen einige von ihnen die Gelegenheit und bauen das gegenwärtige Dasein, andere hingegen sitzen müssig und warten ab, bis Raum, Zeit und Ursache für sie kommt. Weil diese übrig bleibenden durch die gegenwärtige Abbüssung nicht aufgezehrt werden können, deswegen lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, dass für einen, welcher in der beschriebenen Weise sein Leben führt, nach dem Dahinfall seines jetzigen Leibes für einen andern Leib keine Ursache mehr vorhanden sei; vielmehr wird das Vorhandensein eines Werkrestes erwiesen aus Stellen der Schrift und Smṛiti wie: »Welche nun hier einen erfreulichen Wandel haben [für die ist Aussicht, dass sie in einen erfreulichen Mutterschoss eingehen, einen Brahmanenschoss, oder Kshatriyaschoss oder Vaiçyaschoss; – die aber hier einen stinkenden Wandel haben, für die ist Aussicht, dass sie in einen stinkenden Mutterschoss eingehen, einen Hundeschoss, oder Schweineschoss oder einen ṇḍâlaschoss]« (Chând. 5, 10, 7); – »durch einen Rest desselben« (siehe die Smitistelle p. 754, 4, Seite 484.) – ›Aber wenn dem so ist, so können doch | jene [restierenden Werkfrüchte] durch ständige und gelegentliche [gute Werke] abgeworfen werden?‹ [kshepakâṇi; besser vielleicht hier und im Folgenden kshapakâṇi, kshapya u.s.w. »verbraucht werden«; vgl. p. 909, 12.] – Das geht nicht; weil kein Gegensatz [zwischen ihnen] vorhanden ist. Denn wäre ein Gegensatz, so möchten die einen durch die andern abgeworfen werden; aber zwischen den in einem frühern Dasein aufgehäuften guten Werken und den ständigen und gelegentlichen [Ceremonien] besteht kein Gegensatz, weil die einen wie die andern moralisch verdienstlicher Natur sind. Bei den bösen Werken freilich ist, da sie unmoralischer Natur sind, der Gegensatz vorhanden, und demgemäss mag wohl ein Abwerfen statthaben; aber dadurch wird noch nicht erreicht, dass für einen neuen Leib keine Ursache vorhanden ist. Denn auf die guten Werke trifft es doch zu, dass sie als Ursache bestehen bleiben, und bei den bösen Werken lässt sich nicht ermitteln, ob sie ohne Rest [durch die frommen Ceremonien] getilgt sind. Auch lässt sich nicht beweisen, dass durch Betreibung der ständigen und gelegentlichen [Ceremonien] nur Vermeidung des Niederganges [in der Seelenwanderung] und nicht daneben noch andere Früchte erzielt werden: denn es ist wohl möglich, dass nebenher noch andere Früchte dabei herauskommen. Wenigstens lehrt Âpastamba (dharma-sûtra 1, 7, 20, 3): »Denn wie beim Mangobaume, den man der Früchte halber pflanzt, Schatten und Wohlgeruch daneben herauskommen, so auch kommen, wenn man die Pflicht betreibt, nützliche Zwecke daneben heraus.« Auch kann kein Mensch, der nicht das Samyagdarçanam (die vollkommene Erkenntnis) hat, sicher sein, dass er mit seinem ganzen Selbste von der Geburt bis zum Tode die genussbezweckenden und verbotenen Handlungen[747] gemieden hat: denn auch an den Vollkommensten kann man feine Vergehen bemerken. Mag man aber auch darüber zweifelhaft sein, jedenfalls ist es nicht wohl zu erkennen, ob keine Ursache [für eine neue Geburt] vorhanden ist. Und ohne dass das Brahman-sein der Seele auf dem Wege der Erkenntnis zum Bewusstsein gelangt ist, kann die Seele, die ihrer Natur nach handelnd und geniessend ist, nach Erlösung nicht einmal verlangen, denn ihrer Natur kann sie sich nicht entäussern, so wenig wie das Feuer der Hitze. – | ›Das mag sein‹, könnte man einwenden, ›aber das Unheil liegt doch nur in dem Handeln und Geniessen als Wirkung, nicht in seiner Kraft [in den Thaten, nicht in dem Willen, aus dem sie hervorgehen], und sonach ist, auch wenn die Kraft bestehen bleibt, durch Vermeidung der Wirkung Erlösung möglich.‹ – Auch das geht nicht. Denn wenn die Kraft bestehen bleibt [ich lese: çakti-sadbhâve], so ist wohl nicht zu verhindern, dass sie die Wirkung erzeugt. – ›Schon recht! aber es kann doch die Kraft allein ohne andere ursächliche Momente [der Wille ohne einwirkende Motive] keine Wirkung hervorbringen; daher sie für sich allein, auch wenn sie bestehen bleibt, keine Übertretung begeht.‹ – Auch das geht nicht; denn auch die ursächlichen Momente sind durch eine kraftartige [potentielle, vgl. p. 673, 10] Verbindung [mit dem Thäter] immer verbunden. So lange daher die Seele die Naturanlage des Handelns und Geniessens besitzt, und so lange nicht das durch das Wissen zu erreichende Brahman-sein der Seele eintritt, ist nicht die mindeste Aussicht auf Erlösung. Und auch die Schrift, wenn sie sagt: »Es ist kein and'rer Weg zum Gehen« (Çvet. 3, 8), lässt keinen Weg zur Erlösung mit Ausnahme der Erkenntnis zu. – ›Aber wird damit, dass der Jîva mit dem Brahman identisch ist, nicht das ganze Welttreiben zu nichte, sofern die Erkenntnismittel wie Wahrnehmung u.s.w. nicht von statten gehen können?‹ – Doch nicht; vielmehr geht dasselbe ebenso wohl vor sich, wie das Treiben im Traume vor dem Erwachen [vgl. p. 448 fg., Seite 283]. Und auch der Kanon, wenn er sagt: »Denn wo eine Zweiheit gleichsam ist, da sieht einer den andern« u.s.w. (Bṛih. 4, 5, 15), erklärt mit diesen Worten für den Nicht-erweckten das Treiben der Wahrnehmung u.s.w. für gültig, hingegen für den Erweckten erklärt er es für ungültig, wenn es weiter heisst: »wo aber einem alles zum eignen Selbste geworden ist, wie sollte da einer den andern sehen« u.s.w. Indem somit für denjenigen, der das höchste Brahman kennt, die Vorstellung des Hingehens u.s.w. aufgehoben ist, so ist ein Hingang desselben [zu Brahman nach dem Tode] in keiner Weise möglich.


›Aber wohin gehören denn die Schriftstellen, die von einem Hingehen [zu Brahman] reden?‹ – | Antwort: sie gehören in den Bereich der attributhaften Wissenschaften (saguṇâ vidyâḥ.) Demgemäss ist von einem Hingehen die Rede teils in der Fünffeuerlehre[748] (Chând. 5, 3-10, Bṛih. 6, 2), teils in der Thronlehre (Kaush. 1), teils in der Vaiçvânaralehre (Chând. 5, 11-24.) Wo aber in Bezug auf das Brahman von einem Hingehen die Rede ist, z.B. in den Stellen: »Brahman ist Leben, Brahman ist Freude, Brahman ist Weite« (Chând. 4, 10, 5) und: »Hier in dieser Brahmanstadt [dem Leibe] ist ein Haus, eine kleine Lotosblume« (Chând. 8, 1, 1), – auch da handelt es sich zufolge der Attribute »Liebesfürst« u.s.w. (Chând. 4, 15, 3) und »wahre Wünsche habend« u.s.w. (Chând. 8, 1, 5) nur um eine Verehrung des attributhaften [Brahman], und somit ist ein Hingehen statthaft; aber nirgendwo wird in Bezug auf das höchste Brahman ein Hingehen gelehrt. Wie daher in der Stelle: »Nicht ziehen seine Lebensgeister aus« (Bṛih. 4, 4, 6) ein Hingehen verneint wird, so steht es auch mit den Worten: »Der Brahmanwisser erreicht das Höchste« (Taitt. 2, 1); denn wenn auch das Wort »erreicht« ein Gehen bedeutet, so bezeichnet es doch hier, wo, wie gezeigt, das Erreichen eines andern Ortes nicht verstanden werden kann, nur das Eingehen in das eigene Wesen, im Hinblick auf die Vernichtung der vom Nichtwissen aufgebürdeten Ausbreitung von Namen und Gestalten [d.h. der empirischen Realität]. »Brahman ist er und in Brahman löst er sich auf« (Bṛih. 4, 4, 6); dieses Wort muss man im Auge halten. Ferner: wenn das Hingehen Bezug auf das höchste [Brahman] hätte, so könnte es gelehrt werden entweder zur Anlockung oder zum Nachdenken; ein Anlocken nun | durch die Erwähnung des Hingehens kann nicht geschehen bei dem Brahmanwissenden; denn er wird es lediglich dadurch, dass ihm mittels des Wissens seine unverhüllte Urselbstheit zum Bewusstsein kommt; und auch ein Nachdenken über das Hingehen hat nicht die mindeste Bedeutung für die sich einer ewig vollendeten Seligkeit bewusste, kein Ziel zu erreichen übrig lassende Erkenntnis. Folglich bezieht sich das Hingehen auf das niedere [Brahman]; und nur, sofern man den Unterschied zwischen dem höhern und niedern Brahman nicht festhält, werden die auf das niedere Brahman bezüglichen Schriftstellen vom Hingehen dem höhern fälschlich aufgedrungen.


›Giebt es denn zwei Brahman's, ein höheres und ein niederes?‹ – Allerdings giebt es zwei; wie man er sieht aus den Worten: »Fürwahr, o Satyakâma, dieser Laut Om ist das höhere und das niedere Brahman« (Praçna 5, 2.) – ›Was ist denn das höhere Brahman, und was das niedere?‹ – Darauf antworten wir: wo unter Abwehr der durch das Nichtwissen gesetzten Unterschiede von Namen, Gestalten u.s.w. das Brahman durch die [bloss negativen] Ausdrücke »nicht grob [und nicht fein, nicht kurz und nicht lang] u.s.w.« (Bṛih. 3, 8, 8) bezeichnet wird, da ist es das höhere. Wo hingegen eben dasselbe zum Behufe der Verehrung bezeichnet wird als unterschieden durch irgend einen Unterschied, z.B. in Worten wie: »Geist ist sein Stoff, Leben sein Leib, Licht seine Gestalt« (Chând. 3, 14, 2),[749] da ist es das niedere. – ›Aber widerspricht das nicht dem Schriftworte, dass es »ohne Zweites« sei (Chând. 6, 2, 1)?‹ – Keineswegs! Der [Widerspruch] fällt weg, weil die Bestimmungen wie Name und Gestalt aus dem Nichtwissen entspringen. Die Frucht aber der Verehrung dieses niedern Brahman ist nach den danebenstehenden Schriftworten: »Wenn er die Väterwelt begehrt« u.s.w. (Chând. 8, 2, 1) [Himmels-]Weltherrlichkeit (jagad-aiçvaryam) die zum Saṃsâra gehört; indem das Nichtwissen [noch] nicht vernichtet ist. Diese [Frucht] nun | ist gebunden an bestimmte Orte; daher, um sie zu erlangen, ein Hingehen kein Widerspruch ist. Allerdings ist die Seele allgegenwärtig; aber wie der Raum (Äther) in das Gefäss u.s.w. eingeht, so geht auch sie in die Upâdhi's (Bestimmungen) wie Buddhi u.s.w. ein, und in soweit wird ein Gehen bei ihr angenommen, worüber wir gesprochen haben bei dem Sûtram: »weil sie [die Seele im Saṃsârastande] als Kern die Qualitäten jener [Buddhi] hat« (Sûtram 2, 3, 29, Seite 414 fg.).


Somit ist also die Ansicht: »zu dem erschaffenen Bâdari« (Sûtram 4, 3, 7) die richtige, und die Worte: »das höhere Jaimini« (Sûtram 4, 3, 12) dienen bloss, um, zur Aufhellung der Erkenntnis, die gegnerische Meinung darzulegen. So hat man es aufzufassen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 742-750.
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