[702] 12. ā-prāyaṇāt, tatra api hi dṛishṭam
bis zum Dahinscheiden, denn auch hierbei ist zu ersehen.

Im ersten Adhikaraṇam (Sūtram 4, 1, 1) wurde festgestellt, dass die Wiederholung bei allen Verehrungen hochzuschätzen ist. Bei denjenigen Verehrungen nun, welche die vollkommene Erkenntnis zum Zwecke haben, ist, ähnlich wie beim Dreschen, mit Erreichung der Wirkung der Schluss zu machen, und die Erkenntnis bildet für ihre Wiederholungen die Grenze. Denn wo als Wirkung die vollkommene Erkenntnis eingetreten ist, da kann kein weiteres Bemühen mehr auferlegt werden, weil für den, welcher sich als das von allem Befehle freie Brahman erkannt hat, das Gesetz gegenstandlos wird. Was hingegen die Verehrungen betrifft, welche als ihre Frucht nur Aufschwung bringen, so erhebt sich bei diesen[702] die Frage, ob die Wiederholung nur eine Zeit lang zu betreiben und dann zu unterlassen ist, oder ob sie durch das ganze Leben fortdauern muss. Angenommen also, ›man dürfe die Vorstellung, nachdem sie eine Zeit lang wiederholt worden, unterlassen, weil damit dem Sinne des Schriftwortes vom Verehren, | welcher eine Wiederholung involvierte (Bṛih. 2, 4, 5. Chānd. 8, 7, 1), Genüge gethan ist.‹ – Auf diese Annahme erwidern wir: »bis zum Dahinscheiden« soll man die Vorstellung wiederholen, weil der zu erlangende jenseitige (adṛishṭa) Lohn durch die Vorstellungen beim Sterben bedingt wird. Und auch von den Werken, welche eine im nächsten Leben zu geniessende Frucht bewirken, gilt es ja, dass sie im Momente des Auszuges der [von ihnen begleiteten] Seele das ihnen entsprechende ideelle Bewusstsein an sich nehmen, denn die Schrift sagt: »er ist von Erkenntnisart, und was von Erkenntnisart ist, das ziehet ihm nach« (Bṛih. 4, 4, 2); – »womit sich sein Denken beschäftigt, damit gehet [der Sterbende] ein in den Prāṇa, und der mit der Kraft [dem Udāna] vereinte Prāṇa im Geleite des Ātman führet denselbigen hin zu der seinen Wünschen entsprechenden Welt« (Praēna 3, 10); – und hierfür spricht auch das Beispiel von der Raupe (vgl. Bṛih. 4, 4, 3.) Welches andere ideelle Bewusstsein aber sollen zur Zeit des Sterbens jene Verehrungsvorstellungen berücksichtigen, wenn nicht die Wiederholung ihrer selbst? Also diejenigen Vorstellungen, welche die zu erreichende Frucht als ideelles Wesen haben, sind bis zum Tode zu wiederholen. In diesem Sinne sagt auch die Schrift: »mit welcher Gesinnung er aus dieser Welt abscheidet« (Ēatap. br. 10, 6, 3, 1), woraus folgt, dass auch im Augenblicke des Sterbens die Vorstellungen zu wiederholen sind. Und auch die Smṛiti sagt (Bhag. G. 8, 6):


»Das Sein, an welches denkend er aus diesem Leibe scheidet,

In dieses Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet«,


| und: »zur Zeit des Todes unbewegten Geistes« (Bhag. G. 8, 10.) Und auch die Stelle: »zur Zeit des Endes soll er seine Zuflucht nehmen zu jener Dreiheit« (Chānd. 3, 17, 6) beweist, dass noch im Augenblicke des Sterbens etwas zu thun übrig bleibt.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 702-703.
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