[704] 13. tad-adhigama' uttara-pûrva-aghayor açlesha-vinâçau, tad-vyapadeçât
bei seiner Erlangung ist Nichtanhaftung und Vernichtung der späteren und früheren Sünden, weil dies die Schrift besagt.

Hiermit ist der Nachtrag zum dritten Adhyâya abgeschlossen, und es erhebt sich nunmehr das Nachdenken in Betreff der Frucht des Brahmanwissens.

Hierbei besteht zunächst die Frage, ob nach Erlangung des Brahman die Vergehen, welche eine ihr widersprechende Vergeltung erfordern, zu nichte werden oder nicht. – Angenommen also, ›ihre Vernichtung sei nicht denkbar, ehe sie ihre Vergeltung erfahren haben, weil jedes Werk in der Vergeltung seinen Zweck hat. Denn es besitzt, wie aus der Schrift zu ersehen, eine Vergeltung bringende Kraft. Würde nun das Werk, ohne seine Vergeltung erfahren zu haben, vernichtet, so wäre das Schriftwort bedeutungslos. Und auch die Smṛiti sagt: »denn nicht zu nichte wird das Werk«.‹ – Aber würde in diesem Falle nicht folgen, dass die [in der Schrift gegebene] Anweisung zu Bussleistungen vergeblich wäre? – ›Doch nicht; denn [erstlich] liessen sich die Bussleistungen so auffassen, dass sie [nicht in Folge einer bestimmten Verschuldung, und um diese zu sühnen, sondern] auf zufällige Anlässe hin [um das in ihnen sich ankündigende Unheil abzuwehren] unternommen würden, ähnlich wie das Opfer nach dem Hausbrande [um künftigen Feuersbrünsten zu entgehen, Taitt. saṃh. 2, 2, 2, 5]. Ferner aber: zugegeben, dass die Bussleistungen, da sie allerdings im Zusammenhange mit einer Verschuldung verordnet zu werden pflegen, den Zweck haben, diese Verschuldung zu tilgen, so besteht doch für das Brahmanwissen in dieser Weise eine Verordnung nicht.‹ – Aber wenn man nicht zugiebt, dass die Werke des Brahmanwissers vernichtet werden, so muss doch ihre Vergeltung notwendig erlitten werden, und folglich würde keine Erlösung erfolgen. – ›Doch nicht! denn man kann ja annehmen, dass die Erlösung ebenso wie die Frucht der Werke von den räumlichen, zeitlichen und kausalen Bedingungen abhängig ist. Somit folgt, dass auch | nach erlangter Brahmanerkenntnis die Übertretungen noch nicht getilgt sind.‹ – Auf diese Annahme erwidern wir: »bei seiner Erlangung, d.h. wenn das Brahman erlangt ist, so erfolgt Nichtanhaftung und Vernichtung der späteren und früheren Sünden«, nämlich Nichtanhaftung der späteren und Vernichtung der früheren;[704] warum? »weil dies die Schrift besagt«; nämlich sie besagt bei Besprechung der Brahmanlehre, dass der Wissende mit den zukünftigen, ihre Verbindung noch zu erwarten habenden Übertretungen diese Verbindung nicht erleidet, denn es heisst: »wie an dem Blatte der Lotosblüte das Wasser nicht haftet, so haftet keine böse That an dem, der Solches weiss« (Chând. 4, 14, 3.) Ebenso besagt die Schrift die Vernichtung der früher angesammelten Vergehungen: »wie die Rispe des Schilfrohrs, ins Feuer gesteckt, verbrennt, so verbrennen alle Sünden desselbigen« (Chând. 5, 24, 2.) Und hier folgt noch eine Aussage über die Vernichtung der Werke (Muṇḍ. 2, 2, 8):


»Wer jenes Höchst' und Tiefste schaut,

Dem spaltet sich des Herzens Knoten,

Dem lösen alle Zweifel sich,

Und seine Werke werden Nichts«.


Wenn hingegen behauptet wurde, dass bei der Annahme einer Vernichtung der Werke, ohne dass sie ihre Frucht getragen hätten, die Schriftlehre bedeutungslos werden würde, so trifft dieser Einwand nicht zu; denn wir leugnen durchaus nicht die fruchtbringende Kraft des Werkes; diese besteht allerdings; aber wir behaupten, dass dieselbe durch eine andere Ursache, z.B. durch das Wissen, gehemmt werden könne. Nur wenn jene Kraft thatsächlich fortbestünde, würde der Schriftkanon seine Geltung behalten, nicht aber in beiden Fällen, mag sie gehemmt sein oder nicht. Und ebenso ist und bleibt das erwähnte Smṛitiwort, wonach das Werk nicht zunichte werden kann, | die allgemein gültige Regel; denn gewiss kann das Werk nicht zunichte werden, ehe es die Vergeltung gefunden, weil es in dieser seinen Zweck hat; und gerade darum nehmen wir an, dass durch Bussleistungen u.s.w. eine Abtragung der Vergehen statthabe; denn: »der überschreitet alles Böse, der überschreitet den Brahmanenmord, wer das Rossopfer darbringt, und auch, wer dasselbe also weifs« (Taitt. saṃh. 5, 3, 12, 1), – wie Schrift und Smṛiti lehren. Wenn aber behauptet wurde, dass die Bussleistungen so aufgefasst werden könnten, dass sie auf zufällige Veranlassungen hin unternommen würden, so ist das nicht richtig; denn sie werden im Zusammenhang mit der Sünde befohlen, die Sühnung der Sünde erfolgt als ihre Frucht, und die Annahme einer weiteren Frucht derselben [wie etwa der Abwehr künftigen Unheils] ist unzulässig. Wenn weiter geltend gemacht wurde, dass das Wissen nicht in der Weise wie die Bussleistung mit Hinweis auf eine Tilgung der Sünde durch dasselbe anbefohlen werde, so antworten wir: was zunächst die attributhaften Lehren betrifft, so findet sich bei ihnen allerdings eine solche Anbefehlung, und bei ihnen wird dann auch hinterher dem Wissenden die Erlangung himmlischer Herrlichkeit und die Vernichtung der Schuld verheissen;[705] nämlich ein Grund, beides nicht zu verheissen, besteht nicht, daher mit Bestimmtheit ausgesprochen wird, dass ihre Frucht erstlich in der Tilgung der Schuld, sodann in Erlangung der himmlischen Herrlichkeit bestehe. In der attributlosen Wissenschaft hingegen besteht allerdings eine Verordnung nicht, und gleichwohl steht es fest, dass durch die Erkenntnis, dass man der nichthandelnde Âtman sei, die Werke verbrannt werden; ja das Wort »Nichtanhaftung« beweist, dass auch in Betreff der künftigen | Werke das Thätersein auf den Brahmanwisser nicht zutrifft. Was hingegen seine vergangenen Werke angeht, so trifft allerdings in Folge der falschen Erkenntnis das Thätersein gewissermassen auf ihn zu; und doch werden jene Werke bei Vernichtung der falschen Erkenntnis durch das Wissen ebenfalls zunichte; das besagt der Ausdruck »Vernichtung«. Denn der Brahmanwisser ist zu der Erkenntnis gelangt: das Brahman, welches der von mir früher für wahr gehaltenen Naturbeschaffenheit des Thäterseins und Geniesserseins entgegengesetzt ist und seiner Naturbeschaffenheit nach in aller Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Nichtthäter und Nichtgeniesser ist, dieses Brahman bin ich, und darum war ich weder vor dem Thäter und Geniesser, noch bin ich es jetzt, noch werde ich es jemals sein. Nur auf diese Weise ist die Erlösung möglich; denn im andern Falle würde für die seit endloser Zeit sich fortsetzenden Werke nie eine Vernichtung, folglich auch nie eine Erlösung möglich sein. Und keineswegs darf die Erlösung ähnlich wie die Frucht der Werke von räumlichen, zeitlichen und kausalen Bedingungen abhängig gemacht werden, weil sie dann nicht ewig sein würde, und weil ferner die Frucht der Erkenntnis nicht [wie die der Werke] erst eine jenseitige ist. Somit steht es fest, dass mit der Erlangung des Brahman die Vernichtung der Übertretungen eintritt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 704-706.
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