[388] 7. yâvad-vikâraṃ tu vibhâgo lokavat
vielmehr ist Teilbarkeit so weit Umwandlung ist, erfahrungsmässig.

Das Wort »vielmehr« bezweckt, die Behauptung jener Unmöglichkeit zu entkräften. – Man darf nämlich gegen die Entstehung des Raumes nicht einwenden, dass eine solche unmöglich sei; denn soweit man in der Erfahrung irgend etwas durch Umwandlung Entstandenes erblickt, – | mag es sich nun dabei um [thönerne] Krüge, Töpfe und Becken oder um [goldene] Armbänder, Reife und Ringe oder um [eiserne] Nadeln, Pfeile und Schwerter handeln, – so weit erstreckt sich erfahrungsmässig auch die Teilbarkeit; hingegen zeigt sich nie und nirgends ein Nichtumgewandeltes, welches die Eigenschaft der Teilbarkeit besässe. Die Teilbarkeit des Raumes aber ist aus der [der ihn erfüllenden Körper, z.B.] der Erde u.s.w. ersichtlich; und darum muss auch er eine Umwandlung sein. Aus demselben Grunde lässt sich beweisen, dass auch der Ort, die Zeit, das Manas und die Atome [nicht unerschaffen, sondern] blosse Wirkungen sind.

›Aber wird nicht auch der Âtman durch den Raum u.s.w. geteilt; folgt somit nicht, dass auch er, ebenso wie die Gefässe u.s.w., eine blosse Wirkung ist?‹ – O nein! denn die[388] Schrift sagt: »aus dem Âtman ist der Raum entstanden« (Taitt. 2, 1.) Wäre nun auch der Âtman, das Selbst, eine Umwandlung, so würde, weil die Schrift über dasselbe hinaus nichts Höheres lehrt, alle Wirkung vom Raum an abwärts ohne Âtman [ohne Selbst, d.h. seelenlos, wesenlos] sein, da [auch] das Selbst [nur] eine Wirkung wäre, und somit würden wir beim Nihilismus ankommen. Eben weil es das Selbst ist, deswegen geht es nicht an, das Selbst zu bezweifeln. | Denn das Selbst kann man niemandem [durch Beweise] beibringen, weil es an sich schon bekannt ist. Denn das Selbst wird nicht durch einen Beweis seiner selbst erwiesen. Denn es ist dasjenige, welches alle Beweismittel, wie Wahrnehmung u.s.w., in Anwendung bringt, um eine Sache, die nicht bekannt ist, zu beweisen. Denn die Objekte der Ausdrücke »Raum« u.s.w. bedürfen eines Beweises, weil sie nicht als von selbst bekannt angenommen werden; das Selbst aber ist die Basis für die Thätigkeit des Beweisens und mithin ist es auch vor der Thätigkeit des Beweisens ausgemacht. Und weil es so beschaffen ist, deshalb geht es nicht an, dasselbe in Abrede zu stellen. Denn in Abrede stellen können wir nur eine Sache, die [von aussen] an uns herankommt, nicht aber, die unser eigenes Wesen ist. Denn wer es in Abrede stellt, eben dessen eigenes Wesen ist es; das Feuer kann nicht seine eigene Hitze in Abrede stellen. Und weiter, wenn man sagt: »ich bin es, der jetzt das gegenwärtige Sein erkennt, ich bin es, der das vergangene und vorvergangene erkannte, und ich, der das künftige und überkünftige erkennen wird«, so liegt in diesen Worten, dass, wenn auch das Objekt der Erkenntnis sich ändert, der Erkennende, weil er in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart ist, | nicht sich ändert; denn sein Wesen ist ewige Gegenwart; daher, wenn auch der Leib zu Asche wird, kein Vergang des Selbstes ist, weil sein Wesen die Gegenwart ist; ja es ist sogar nicht einmal denkbar, dass sein Wesen etwas anderes als dieses wäre. Weil somit nur das Selbst allein seinem Wesen nach sich nicht in Abrede stellen lässt, darum kann es keine Wirkung sein; und eben darum muss [mit allem Übrigen auch] der Raum (Äther) eine Wirkung sein.

Wenn weiter behauptet wurde, dass es für den Raum keine ursächliche Substanz gebe, welche ihm gleichartig und dabei vielheitlich sei, so erwidern wir darauf, dass keine Nötigung dafür vorhanden ist, dass nur das Gleichartige und nicht auch das Ungleichartige eine Wirkung hervorbringen könne. So sind z.B. die Fäden [die inhärierend-habende Ursache] und ihre Verbindungen [die nicht-inhärierend-habende Ursache] nicht gleichartig, indem sie sich vielmehr zu einander verhalten wie Substanz und Qualität. Und auch die bewirkenden Ursachen, z.B. das Weberschiff und der Webstuhl, brauchen nicht notwendig gleichartig [miteinander] zu sein. – ›Nun wohl‹, könnte man sagen, ›die Annahme[389] der Gleichartigkeit soll sich auch nur auf die inhärierend-habende Ursache, nicht | auf die übrigen Ursachen beziehen‹. – Aber auch das ist nicht unbedingt gültig. Denn die Erfahrung zeigt, wie z.B. aus Garn und Kuhhaaren, obwohl sie [untereinander] nicht gleichartig sind, der einheitliche Strick gedreht wird; und in ähnlicher Weise webt man aus Garn und aus Wolle buntfarbige Decken zusammen. Oder soll sich etwa die Gleichartigkeit darauf beziehen, dass [alle Bestandteile der inhärierend-habenden Ursache] real und substanziell sein müssen? Dann ist die Regel überhaupt überflüssig, denn in so weit ist alles mit allem gleichartig. – Weiter ist es auch nicht notwendig, dass nur eine Vielheit, nicht auch eine Einheit Ursache sein könne. Denn der Gegner behauptet ja selbst, dass das Atom und das Manas die erste Wirkung hervorbringen; und hierbei nimmt er an, dass jedes einzelne Atom für sich mit Hülfe des Manas seine bestimmte Wirkung hervorbringe, nicht aber durch Aggregation mit andern Substanzen. – ›Aber damit überhaupt eine Substanz zu Stande komme, muss doch eine vielheitliche Ursache angenommen werden!‹ – Auch das nicht; denn man kann darin auch die Umwandlung [einer einheitlichen Ursache] sehen. Jene Bestimmung würde richtig sein, wenn sich zeigte, dass eine Substanz, [nur] indem sie der Verbindung teilhaftig wird, eine andere Substanz hervorbringe. Es ist aber vielmehr ein und dieselbe Substanz, welche, indem sie in einen andern, unterschiedlichen Zustand übergeht, als das, was man Wirkung nennt, wahrgenommen wird; dabei ist es manchmal ein Vielheitliches, welches sich umwandelt, z.B. wenn aus Erde und Samenkorn | die Pflanze entsteht, und manchmal ein Einheitliches, wenn z.B. aus der Milch die saure Milch entsteht; und es ist kein Götterspruch vorhanden, nach dem nur eine vielheitliche Ursache die Wirkung hervorbringen dürfte. Darum bleibt es die Wahrheit, was die Schrift lehrt, dass aus dem einen Brahman vermittelst der Entstehung des Raumes und der übrigen Elemente die Welt geworden ist. Und in diesem Sinne hiess es schon oben: »weil man ein Hinzunehmen [von Werkzeugen] bemerkt, nicht, meint ihr? – Nein, denn es ist wie bei der Milch« (Sûtram 2, 1, 24.)

Wenn weiter noch behauptet wurde, dass man sich, falls der Raum entstanden sei, nicht vorstellen könne, wodurch sich die ihm vorhergängige Zeit von der nachfolgenden unterscheide, so ist das ungereimt; denn es steht damit so, dass diejenige Bestimmtheit, vermöge deren man den von der Erde u.s.w. verschiedenen Raum als etwas wirklich Vorhandenes gegenwärtig auffasst, eben diese Bestimmtheit vor der Entstehung des Raumes nicht vorhanden war. Und so wie das Brahman existieren konnte, auch ohne dass die groben Elemente, die Erde u.s.w. existierten, – denn die Schrift sagt »es ist nicht grob und nicht fein«[390] (Brih. 3, 8, 8), – ebenso konnte dasselbe auch existieren, ohne dass der Raum existierte, indem die Schrift sagt »es ist ohne Äther (Raum)« (Brih. 3, 8, 8.) Es steht somit fest, dass vor der Schöpfung kein Raum und kein Offenes gewesen ist.


Weiter noch wurde behauptet, dass der Raum unentstanden sein müsse, weil er von der Erde u.s.w. wesensverschieden sei. | Aber auch das ist unrichtig; denn zunächst ist da, wo die Schrift widerspricht, eine Schlussfolgerung auf die Unmöglichkeit eines Entstehens trügerisch; weiter aber ergiebt sich die Entstehung durch eine Schlussfolgerung selbst; der Raum kann nicht ewig sein, weil er der Träger einer nicht ewigen Qualität [der Teilbarkeit] ist, ähnlich wie die Gefässe u.s.w., welche man hier als Beispiele anführen kann. Meint ihr, dass er darin von dem Âtman nicht verschieden sei? Nun, von dem Âtman hat noch niemand einem Anhänger der Upanishadlehre bewiesen, dass derselbe ein Träger nichtewiger Qualitäten sei. Übrigens wäre doch auch die Allgegenwart u.s.w. des Raumes gegen den, welcher seine Entstehung behauptet, erst noch zu beweisen.


Wenn der Gegner sich weiter auch noch auf Schriftworte berief, so ist zunächst die Schriftstelle, welche eine Unsterblichkeit des Raumes aussagt, ebenso zu verstehen, wie wenn es heisst, die Himmelsbewohner seien unsterblich. [Die Unsterblichkeit der Götter bedeutet nur Langlebigkeit.] – Da somit die Entstehung und die Vergänglichkeit des Raumes bewiesen sind, so hat man die Worte »dem Raume gleich allgegenwärtig, ewig« so aufzufassen, dass in ihnen Brahman mit dem Raume wegen dessen anerkannter Grösse verglichen wird, nicht um ihn dem Raume gleichzustellen, sondern nur um seine übermässige Grösse auszudrücken; ähnlich wie man mit den Worten »die Sonne läuft gleich wie ein Pfeil« nur die Schnelligkeit ihres Laufes bezeichnen will, | nicht aber, dass sie nur so schnell wie ein Pfeil laufe. Damit ist auch die Schriftstelle erklärt, in welcher die Unendlichkeit des Âtman mit der des Raumes verglichen wird. Denn eine andere Stelle, welche sagt »er ist grösser als der Raum« (Çatap. br. 10, 6, 3, 2), beweist, dass der Raum im Vergleich mit Brahman von geringerem Umfange ist; auch besagt die Stelle: »nicht ist ihm einer gleich« (Çvet. 4, 19), dass mit Brahman sich nichts an Grösse vergleichen lässt; und die Stelle: »was von ihm verschieden, das ist leidvoll« (Brih. 2, 4, 2) lehrt, dass alles von Brahman Verschiedene, folglich auch der Raum, mit Unvollkommenheit behaftet ist.


Wenn endlich noch vorgeschlagen wurde, die Schriftstelle von der Entstehung des Raumes ebenso wie die Bezeichnung der Busse durch das Wort »Brahman« uneigentlich aufzufassen, so ist das durch die Schriftzeugnisse und die Folgerungen, welche eine Entstehung des Raumes beweisen, erledigt.[391]

Somit steht es fest, dass auch der Raum eine Schöpfung des Brahman ist.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 388-392.
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