[442] 53. pradeçâd, iti cen? na! antarbhâvât
durch den Ort, meint ihr? – Nein! wegen des Darinseins.

Man könnte einwenden: ›wenn auch die Seele alldurchdringend ist, so wohnt das Manas doch in einem Leibe, und mithin kann die Verbindung mit ihm nur an einem bestimmten Orte der Seele, nämlich an dem, welcher durch den Leib umgrenzt wird, erfolgen; und sonach wird eine durch diesen Ort bewirkte Isoliertheit der Absichten u.s.w., des Unsichtbaren und der Lust und des Schmerzes stattfinden.‹ – Aber auch das geht nicht; warum? »wegen des Darinseins«, d.h. weil alle Seelen ohne Unterschied alldurchdringend und folglich in allen Leibern darin sind; unter diesen Umständen dürfen die Vaiçeshika's nicht auch noch einen besonderen durch den Leib umgrenzten Ort für die Seele annehmen; und wenn gleichwohl für die nicht an den Ort gebundene Seele ein solcher Ort angenommen wird, so ist dies eben eine blosse Annahme und kann daher nicht eine in Realität vorhandene Wirkung einschränken. Auch kann der Leib, da er in Gegenwart aller Seelen entsteht, nicht darauf beschränkt werden, dass er nur dieser Seele und keiner andern angehört. Und gesetzt einmal, man gäbe diese Bestimmtheit des Ortes zu, | so könnte es vorkommen, dass zwei Seelen, wenn sie gerade gleiche Lust und gleichen Schmerz zu geniessen hätten, in einem einzigen Körper ihren Genuss vollbrächten [was widersinnig ist]. Ferner kommt es in Wirklichkeit vor, dass [im Widerspruche gegen obige Annahme] das Unsichtbare zweier Seelen sich an demselben Orte befindet; so z.B. kann es geschehen, dass Devadatta an einem bestimmten Orte Lust und Schmerz empfand, worauf sein Leib diesen Ort verlässt, und der Leib des Yajñadatta an denselben Ort gelangt und die gleichen Empfindungen der Lust und des Schmerzes wie der andere hat; dieses wäre nicht möglich, wenn sich das Unsichtbare des Devadatta und das des Yajñadatta nicht an demselben Orte befände. Ferner könnte, wenn das Unsichtbare an einen bestimmten Ort gebunden wäre, ein Geniessen im Himmel u.s.w. nicht stattfinden; denn das Unsichtbare hätte sich an dem Orte gebildet, wo der Leib des Brahmanen u.s.w. sich befände, während der Genuss des Himmels u.s.w. an einem andern Orte vor sich ginge. – Endlich aber ist bei einer Vielheit von Seelen eine Allgegenwart derselben[442] überhaupt gar nicht möglich, weil es dafür kein Beispiel giebt. Oder sage selbst, was das für eine Vielheit sein soll, die sich zugleich an demselben Orte befinden könnte? | Meinst du etwa, dass dies z.B. bei den Farben und den übrigen [Qualitäten] der Fall sei? Doch wohl nicht! Denn wenn diese auch in Hinsicht des Qualitätenträgers [dem sie inhärieren] ungeschieden sind, so sind sie doch geschieden in Hinsicht ihrer Merkmale; bei den als vielheitlich angenommenen Seelen findet aber auch eine solche Geschiedenheit der Merkmale nicht statt. – Oder meinst du, dass die Geschiedenheit der Seelen auf einer uranfänglichen (antya) Verschiedenheit derselben beruhe? Auch das geht nicht, weil dabei die Annahme der Geschiedenheit auf der der uranfänglichen Verschiedenheit, und die Annahme der uranfänglichen Verschiedenheit wiederum auf der der Geschiedenheit beruht.

Übrigens gilt [nicht nur die Alldurchdringung der Seelen, sondern] auch die Alldurchdringung des Raumes u.s.w. dem Anhänger der Brahmanlehre für unerwiesen (p. 624, 5 Seite 391), weil er den Raum als eine Wirkung [ein Erschaffenes] betrachtet.

Somit zeigt sich, dass nur die Annahme einer Einheit der Seele von allen Fehlern frei ist.


So lautet in dem Kommentare zur erlauchten Çârîraka-mîmâṅsâ, dem Werke der verehrungswürdigen Füsse des Çankara, im zweiten Adhyâya der dritte Pâda.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 442-443.
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