[280] 14. tad-ananyatvam, ârambhaṇa-çabda-âdibhyaḥ
Identität mit ihm, wegen des Schriftwortes von dem sich Anklammern und anderen.

Durch die Worte »nun ja! wie in der Erfahrung« (Sûtram 2, 1, 13) hatten wir dem Gegner geantwortet, indem wir jene empirische Zweiteilung in Geniesser und zu Geniessendes zugaben. Nun ist aber im Sinne der höchsten Realität jene Zweiteilung [zwischen Objekt und Subjekt, Welt und Brahman] gar nicht vorhanden, indem diese beiden als Wirkung und Ursache miteinander identisch sind. Die Wirkung ist die vom Äther anfangende, weitausgebreitete Welt, die Ursache ist das höchste Brahman, und mit[280] dieser Ursache ist jene Wirkung im Sinne der höchsten Realität identisch und erstreckt sich nicht über dieselbe hinaus. | Warum? »wegen des Schriftwortes von dem sich Anklammern und anderen«. Das Schriftwort von dem sich Anklammern zunächst ist folgendes. Nachdem (Chând. 6, 1, 3) verheissen worden war, dass durch Erkenntnis des einen alles erkannt werden solle, so heisst es weiter mit Bezugnahme auf ein Gleichnis: »gleichwie, o Teurer, durch einen Thonklumpen alles, was aus Thon besteht, erkannt ist, an Worte sich klammernd ist die Umwandlung, ein blosser Name, Thon nur ist es in Wahrheit« (Chând. 6, 1, 4.) Das heisst: durch einen einzigen Thonklumpen wird, indem man ihn im Sinne der höchsten Realität seinem Wesen nach als Thon erkennt, alles aus Thon Bestehende, Krüge, Becken, Töpfe u.s.w., weil es gleichfalls seinem Wesen nach Thon ist, erkannt, indem »die Umwandlung an Worte sich klammernd, ein blosser Name ist«; d.h. nur auf dem blossen Worte beruht, nur an dieses klammert sich die Umwandlung in Krüge, Becken und Töpfe, nicht aber geschieht an der Substanz irgend etwas, was Umwandlung heissen könnte; vielmehr ist dieselbe ein blosser Name, eine Unwahrheit, Thon nur ist es in Wahrheit. Dieses Gleichnis bezieht sich auf das Brahman, und von ihm als dem Gegenstande des Vergleiches muss man auf Grund der Schriftaussage von dem sich Anklammern an Worte schliessen, dass eine ausserhalb des Brahman bestehende [Welt-]Wirkung gar nicht vorhanden ist. Und weiter erklärt die Schrift, nachdem sie dargelegt, wie Glut, Wasser und Nahrung nur eine Wirkung des Brahman sind, dass ebenso wiederum die Produkte aus Glut, Wasser und Nahrung keinen Bestand über Glut, Wasser und Nahrung hinaus haben; indem es heisst: | »verschwunden ist das Feuersein des Feuers, an Worte sich klammernd ist die Umwandlung, ein blosser Name, drei Naturen nur sind es in Wahrheit« (Chând. 6, 4, 1.) – Der Zusatz: »und anderen« im Sûtram weist auf weitere Schriftworte hin, wie: »dessen Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du« (Chând. 6, 8, 7), – »dieses alles ist was diese Seele ist« (Bṛih. 2, 4, 6), – »Brahman nur ist dieses Ganze« (Muṇḍ. 2, 2, 11), – »Âtman nur ist dieses Weltall« (Chând. 7, 25, 2), – »nicht ist hier Vielheit irgendwie« (Bṛih. 4, 4, 19); Worte wie diese, welche bezwecken, die Einheit des Âtman zu lehren, kann man ebenfalls hier anführen. Auch ist es auf keinem andern Wege als diesem möglich, dass durch Erkenntnis von einem alles erkannt werde. Wie daher der Raum in Töpfen, Krügen u.s.w. mit dem grossen Welträume identisch ist, oder wie das Wasser der Luftspiegelung mit der Salzsteppe identisch ist, sofern es, näher betrachtet, verschwindet und an sich (svarûpeṇa) gar nichts Wahrnehmbares ist, so hat auch diese Weltausbreitung[281] in Geniesser und zu Geniessendes über das Brahman hinaus keine Existenz.

›Ist es nun vielleicht mit der Darstellung des Brahman als die vielen Wesen so bestellt, dass, gleichwie ein Baum mancherlei Zweige besitzt, so auch das Brahman an die Bethätigung von mancherlei Kräften gebunden ist? Nämlich auf diesem Wege lassen sich die Einheit und die Vielheit beide als real betrachten; ähnlich wie der Baum als Baum eine Einheit und als die Zweige eine Vielheit bildet; oder wie das Wasser als Ocean eine Einheit und als Schaum, Wellen u.s.w. eine Vielheit bildet; | oder wie der Thon als Thon eine Einheit und als Töpfe oder Becken eine Vielheit bildet. Es würde dann durch Erkenntnis des Brahman nach seiner Einheit die Erlösung bewerkstelligt werden, und durch Erkenntnis desselben nach seiner Vielheit das auf den Werkteil [des Veda] gestützte weltliche und vedische Treiben vor sich gehen, und dieser Auffassung würden auch die Beispiele von dem Thone u.s.w. angemessen sein.‹ – Aber dem ist durchaus nicht so! Denn wenn es heisst: »Thon nur ist es in Wahrheit« (Chând. 6, 1, 4), so wird in dem Gleichnisse behauptet, dass nur die Urnatur Wahrheit hat, während in der Stelle von dem Anklammern an Worte ausgesprochen liegt, dass die Produkte derselben auf Unwahrheit beruhen; und dem entsprechend heisst es auch von dem, was den Gegenstand jener Vergleiche bildet: »dessen Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale« (Chând. 6, 8, 7), – hiermit wird erklärt, dass nur die höchste Ursache allein Realität habe; – und in den weiter folgenden Worten: »das ist die Seele, das bist du, o Çvetaketu«, wird gelehrt, dass die verkörperte Seele ihrem Wesen nach Brahman ist. Und dieses Brahman-sein der verkörperten Seele wird aufgewiesen als ein an sich schon Vollbrachtes, nicht als ein durch irgend eine Anstrengung zu Vollbringendes; und daher kommt es, dass dieses von der Schrift gelehrte Brahman-sein der Seele, wenn es erkannt wird, dazu dient, das angeborene Verkörpertsein derselben zu widerlegen, ähnlich wie durch die Erkenntnis, dass es ein Strick ist, die Erkenntnis, dass es eine Schlange sei, widerlegt wird. Mit der Widerlegung des Verkörpertseins aber ist das ganze auf ihm beruhende natürliche Welttreiben widerlegt, | dem zuliebe man einen andern, verschiedenheitlichen Teil an dem Brahman annehmen wollte. Dem entsprechend erklärt die Schrift durch die Worte: »wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgend wen sehen« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 14), dass für denjenigen, welcher das Seele-sein des Brahman erkennt, das gesamte, zur Vergeltung der Werke an ihren Thätern dienende Welttreiben nicht mehr existiert. Man darf aber nicht behaupten, dass dieses Nichtsein des Welttreibens nur als auf bestimmte Zustände beschränkt gelehrt werde, denn die Worte »das bist du« (Chând. 6, 8, 7) zeigen,[282] dass das Sein als Brahman nicht auf bestimmte Zustände eingeschränkt ist. Auch durch das Gleichnis von dem Diebe (Chând. 6, 16) lehrt die Schrift die Bindung dessen, der die Unwahrheit sagt, und die Erlösung dessen, der die Wahrheit sagt, und zeigt dadurch, dass nur die Einheit allein im höchsten Sinne real ist, und dass die Vielheit nur aus einer falschen Erkenntnis herausklafft. Wäre beides real, so könnte von einer Kreatur, auch wenn sie noch in dem empirischen Welttreiben befangen liegt, nicht gesagt werden, dass das, was sie aussage, unwahr sei. Eben dasselbe wird bezeugt durch die Worte: »von Tod zu Tode wird verstrickt, wer eine Vielheit hier erblickt« (Bṛih. 4, 4, 19), welche die ganze Anschauung der Vielheit verbieten. Auch würde nach jener [von uns bestrittenen] Auffassung der Spruch: »aus der Erkenntnis die Erlösung« nicht bestehen können, weil man dabei als Ursache des Saṃsâra nicht eine durch die vollkommene Erkenntnis zu beseitigende falsche Erkenntnis annehmen könnte; denn wären beide Erkenntnisse wahr, wie liesse sich dann durch Erkenntnis der Einheit die der Vielheit beseitigen?

›Aber wenn man einzig und allein die Einheit für das Reale hält, so giebt es also keine Vielheit, | und die weltlichen Erkenntnismittel, Wahrnehmung u.s.w., werden umgestossen, weil sie gegenstandlos werden, ähnlich wie das Halten dessen für einen Menschen, was in Wahrheit nur ein Baumstamm ist. Weiter aber wird auch der in Geboten und Verboten sich ergehende Schriftkanon, welcher die Vielheit voraussetzt, falls diese nicht existiert, umgestossen. Und auch der Kanon der Erlösung sogar setzt doch die Zweiheit von Schüler und Lehrer voraus und scheint, falls diese nicht existiert, gleichfalls umgestossen zu werden; und wie ist es dann, wenn der Kanon der Erlösung unwahr ist, möglich, dass die von ihm gelehrte Einheit der Seele wahr sei?‹ – Hierauf dient zur Antwort: diese Einwendungen treffen nicht zu; denn alles Welttreiben bleibt so lange wahr, wie das Brahman-sein noch nicht erkannt ist, ähnlich wie das Treiben im Traume wahr bleibt, so lange noch kein Erwachen erfolgt ist. So lange nämlich von jemandem die Einheit mit dem allein realen Âtman noch nicht erkannt ist, so lange kommt er gar nicht zu dem Bewusstsein, dass das Welttreiben in Erkenntnismitteln, Erkenntnisobjekten und Zwecken unwahr sei; vielmehr hält jede Kreatur das, was bloss Umwandlung [des allein realen Brahman] ist, infolge der irrigen Vorstellung eines »Ich« und eines »Mein« für die Seele und das der Seele Angehörige und ermangelt der Erkenntnis ihres ursprünglichen Brahman-seins; und daher kommt es, dass vor dem Erwachen zum Brahman-sein das gesamte weltliche und vedische Treiben zu Rechte besteht, | ebenso wie der gewöhnliche Mensch, wenn er eingeschlafen ist und im Traume sich selbst in hohen und niedrigen Stellungen sieht, diese Erkenntnis für gesichert, weil[283] durch den Augenschein für bestätigt, erachtet, so lange er nicht erwacht, ohne dass er während dieser Zeit ein Bewusstsein davon hätte, dass jene Wahrnehmungen nur auf Schein beruhen.

›Aber wie ist es möglich, dass durch das Vedântawort, welches doch gleichfalls nicht real ist, das reale Identischsein mit Brahman erkannt wird? Man stirbt doch nicht daran, dass man von einer Strick-Schlange gebissen wird, und ebenso wenig kann man das Luftspiegelungswasser zum Trinken oder Baden verwenden?‹ – Diese Einwendung trifft nicht zu, weil die durch das eingebildete Schlangengift u.s.w. veranlasste Wirkung des Sterbens u.s.w. doch wirklich wahrgenommen wird, indem ja auch der im Zustande des Traumes Befangene die Wirkungen des Schlangenbisses und des Wasserbades in Wirklichkeit empfindet. Wollt ihr euch etwa darauf berufen, dass auch diese Wirkung eine bloss unwahre sei, so antworten wir: wenn auch bei dem Träumenden die Wirkung des Schlangenbisses und des Wasserbades unwahr ist, so ist doch die Erkenntnis dieser Wirkung ein vollkommen reales Resultat und wird als solches auch, nachdem man erwacht ist, nicht widerlegt. Denn wenn der aus dem Traum Erwachende auch die geträumte Wirkung des Schlangenbisses und des Wasserbades für unwahr erkennt, | so kann doch keiner dieses, dass er jene Wirkungen erkannt hat, für unwahr erklären. Aus dieser Thatsache, dass die Erkenntnis des Träumenden nicht [durch das Erwachen] widerlegt wird, folgt [nebenbei gesagt, auch] die Hinfälligkeit der Behauptung, dass das Selbst nur in der Leiblichkeit bestehe. Und so sagt auch die Schrift (Chând. 5, 2, 9):


»Wenn er im Traum mit Weibern Liebeshändel flicht,

So deutet auf Gelingen solches Traumgesicht«;


in diesen Worten lehrt sie, dass infolge des wiewohl unrealen Traumgesichtes doch das Gelingen eines realen Erfolges erlangt wird. Ebenso wird in der Schrift, nachdem sie vorher von gewissen im Zustande der [wachen] Wahrnehmung zu teil gewordenen Unglückszeichen (arishṭam) gesprochen und von dem, welchem sie widerfahren, erklärt hat: »der soll wissen, dass er nicht lange mehr leben wird« (Ait. âr. 3, 2, 4, 7), im weiter Folgenden gesagt: »aber wenn einer im Traume einen schwarzen Mann mit schwarzen Zähnen sieht, und dieser ihn tötet« u.s.w. (Ait. âr. 3, 2, 4, 17); – hier lehrt die Schrift, wie durch ein solches, wiewohl unreales Traumgesicht | doch das reale Sterben vorbedeutet wird. Auch ist ja allbekannt, dass die des Regelmässigen und der Ausnahme Kundigen [die Traumdeuter] erklären, wie durch das eine Traumgesicht bevorstehendes Gutes und durch das andere bevorstehendes Übel vorherverkündigt wird. In ähnlicher Weise kann man beobachten, wie die wirklichen aus [gesprochenen][284] Lauten bestehenden Silben durch die Erkenntnis der nichtwirklichen aus [geschriebenen] Buchstaben bestehenden Silben, erkannt werden.

Hierzu kommt [als weiterer Grund gegen die Annahme einer einheitlichen und einer vielheitlichen Seite an Brahman], dass jene Erkenntnisart, welche die Einheit des Âtman übermittelt, eine endgültige ist, welche über sich hinaus nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Denn während z.B. die Aufforderung »man soll opfern« die Fragen übrig lässt, wem, was und wie man opfern soll, so lässt das Wort »das bist du« nicht in dieser Weise irgend etwas zu wünschen übrig, weil sich seine Erkenntnis auf die Einheit aller Dinge mit dem Âtman bezieht. Wäre nämlich noch ein anderer nicht [in Brahman] miteinbegriffener Gegenstand vorhanden, so würde [auch nach Erkenntnis des Brahman] das Verlangen noch fortbestehen. Nun aber ist kein anderer, nicht in der Einheit des Âtman miteinbegriffener Gegenstand vorhanden, auf den sich das Verlangen richten könnte. – Man darf aber nicht behaupten, dass eine derartige Erkenntnis nicht möglich sei; denn die Schrift sagt: »also wurde er von ihm belehrt« (Chând. 6, 16, 3), und als Mittel zu dieser Erkenntnis wird das Hören und Lehren des Vedawortes und anderes anbefohlen. – Ferner darf man auch nicht behaupten, dass diese Erkenntnis zwecklos oder eine Täuschung sei; | ersteres nicht, weil als ihre Frucht die Vernichtung des Nichtwissens erfahrungsmässig sich zeigt; letzteres nicht, weil eine andere, sie widerlegende Erkenntnis nicht existiert. Denn nur vor der Erkenntnis der Einheit des Âtman bleibt, wie wir gezeigt haben, die ganze Betreibung eines Unrealen als eines Realen in weltlichem und vedischem Sinne in Kraft bestehen. Ist hingegen durch die endgültige Erkenntnisart die Einheit des Âtman übermittelt worden, so ist damit das gesamte ihr vorhergehende vielheitliche Treiben widerlegt, und keine Möglichkeit mehr vorhanden, das Brahman für ein seiner Natur nach vielheitliches zu halten.

›Aber muss man nicht aus den in der Schrift vorgebrachten Gleichnissen vom Thon u.s.w. schliessen, dass das Brahman vom Schriftkanon als ein wandelbares aufgefast werde, da doch der Thon und ähnliche Dinge erfahrungsmässig der Umwandlung unterliegen?‹ – Wir antworten: mit nichten! denn wenn es heisst: »fürwahr, dieses grosse ungeborene Selbst ist nicht alternd, unsterblich, furchtlos, ist das Brahman« (Bṛih. 4, 4, 25), – »er aber, der Âtman, ist nicht so und ist nicht so« (Bṛih. 3, 9, 26), – »nicht grob und nicht fein« (Bṛih. 3, 8, 8), – so beweisen Schriftstellen wie diese, indem sie alle Veränderung von ihm ausschliessen, dass das Brahman über dieselben erhaben ist. Denn das geht doch nicht an, dass das eine Brahman zugleich den Umwandlungen unterworfen und von ihnen frei sei. – ›Aber könnte[285] es nicht damit sein, wie mit dem Stehen und Gehen [welche gleichfalls das eine Wesen in verschiedenen Zuständen zei gen]?‹ – | Das geht nicht an, weil das Brahman von der Schrift bestimmt wird als das über alles Erhabene; denn es ist unmöglich, dass das allerhabene Brahman verschiedene Qualitäten an sich trage, wie [der einheitliche Leib] die Zustände des Stehens und Gehens; denn eben dadurch ist das Brahman das allerhabene und ewige, weil es, wie wir gezeigt haben, aller Veränderung enthoben ist. Man darf daher auch nicht behaupten, dass, so wie die Erkenntnis der Einwesentlichkeit des Brahman als Frucht die Erlösung verwirkliche, in ähnlicher Weise die Erkenntnis seines Umgewandeltseins in die Gestalt der Welt an und für sich irgend eine Frucht hervorbringe, indem hierfür ein Beweis [in der Schrift] nicht vorhanden ist. Denn nur für die Erkenntnis, dass das allerhöchste Brahman die Seele [in uns] ist, wird eine Frucht von dem Schriftkanon verheissen an der Stelle: »dieser Âtman ist nicht so und ist nicht so«, wo es weiter heisst: »o Janaka, du hast den Frieden erlangt« (Bṛih. 4, 2, 4.) Weil somit da, wo es sich um das Brahman handelt, nur aus der Erkenntnis der Freiheit des Brahman von allen Eigenschaften und Unterschieden die Erlangung einer Frucht abgeleitet wird, so folgt, dass dasjenige, was dabei ohne Fruchtverheissung in der Schrift vorkommt, wie z.B. die Umwandlung des Brahman in die Gestalt der Welt u. dgl., nur und allein als Mittel, das Brahman zu erkennen, zur Verwendung kommt, – entsprechend der Regel: »was neben einem Verheissung Habenden keine Verheissung habend vorkommt, ist Glied desselben«, – nicht aber zur Erlangung einer besondern Frucht vorgeführt wird. Denn man darf nicht etwa meinen, als brächte die Erkenntnis des Umwandlungsseins des Brahman das Umwandlungssein der Seele als Frucht; | denn die Erlösung ist ein allerhabener und ewiger Zustand [aus dem keine Rückkehr in die Wandlungswelt durch irgend welche Erkenntnis möglich ist].

›Aber bei deiner Behauptung, dass das allerhabene Brahman die Seele sei, ist doch die Einheit [alles Seienden] das alleinige Resultat; hiermit ist die Annahme eines Verhältnisses [zwischen Gott und Seele] als des Beherrschers und des zu Beherrschenden unvereinbar; und damit steht das [Sûtram 1, 1, 2 gegebene] Versprechen, [den allwissenden] Gott als die Weltursache nachzuweisen, in Widerspruch!‹ – Dieses Argument geben wir nicht zu, weil die Allwissenheit [sei es Gottes oder des Brahman-Wissers, welche beide die Realität des Gewussten voraussetzen] sich nur bezieht auf die Ausbreitung des Samens der aus Nichtwissen bestehenden Namen und Gestalten. Denn wenn es z.B. heisst: »fürwahr aus diesem Âtman ist der Äther enstanden« (Taitt. 2, 1), so besagen Schriftstellern dieser Art, dass Ursprung, Bestand und Vorgang der Welt von einem seiner Natur nach ewigen, reinen,[286] weisen, freien, allwissenden und allmächtigen Gott herrühren, nicht aber von einer ungeistigen Urmaterie oder Derartigem, und dies ist der Inhalt dessen, was durch die Worte »woraus Ursprung u.s.w. dieses [Weltalls] ist« (Sûtram 1, 1, 2) versprochen worden war. Dieses Versprechen bezieht sich also nur auf jenen Zustand [des eine Weltausbreitung annehmenden Nichtwissens], und darum steht, was wir gegenwärtig behaupten, nicht mit demselben in Widerspruch. – ›Aber wie sollte es nicht damit in Widerspruch stehen, da du doch jetzt die absolute Einheit und Zweitlosigkeit des Âtman behauptest?‹ – Höre, inwiefern es nicht der Fall ist. Es ist das Nichtwissen, von welchem gleichsam als der Leib des allwissenden Gottes die weder als ein Seiendes noch als das Gegenteil definierbaren Namen und Gestalten als die Ursache der Weltausbreitung des Saṃsâra aufgestellt werden, und diese Namen und Gestalten sind es, welche von der Schrift und der Smṛiti als eine zauberartige Kraft des allwissenden Gottes und als der Urstoff der Welt bezeichnet werden; von diesen beiden [Namen und Gestalten] aber ist der allwissende Gott verschieden; denn die Schrift sagt: »der Âkâça (Äther, Raum) ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt; was in diesen beiden ist, das ist das Brahman« (Chând. 8, 14, 1); – »ich will mich auseinanderdehnen in Namen und Gestalten« (Chând. 6, 3, 2); – »wenn alle Formen überdenkt der Weise und sie als Namen bloss | begreifend dasitzt« (Taitt. âr. 3, 12, 7); – »er, der den einen Samen macht zu einer Vielheit« (Çvet. 6, 12) u.s.w. In diesem Sinne passt sich der höchste Gott den Upâdhi's der auf dem Nichtwissen beruhenden Namen und Gestalten an, ähnlich wie der Weltenraum sich den Upâdhi's der Gefässe und Krüge anpasst, und so kann man sagen, dass Gott über die [eigentlich] nur sein eigenes Wesen seienden, dem Raum in den Gefässen vergleichbaren, dem Aggregate der Organe, welche aus den vom Nichtwissen aufgestellten Namen und Gestalten bestehen, sich anpassenden, individuell genannten Einzelseelen, vom empirischen Standpunkte aus betrachtet, eine Herrschaft ausübt: Somit ist das Herrschersein Gottes, sowie auch seine Allwissenheit und Allmacht, nur gültig in Bezug auf die Abgrenzungen der aus dem Nichtwissen bestehenden Upâdhi's; im Sinne der höchsten Realität hingegen lässt sich von dem Âtman, weil er seiner Natur nach alle Upâdhi's als ein Objektives abgeworfen hat, nicht behaupten, dass auf ihn die Verhältnisse des Beherrschens, Beherrschtwerdens, der Allwissenheit u.s.w. Anwendung finden. In diesem Sinne heisst es: »wenn einer kein anderes sieht, kein anderes hört, kein anderes erkennt, das ist die Unbeschränktheit« (Chând. 7, 24, 1) und: »wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgend wen sehen?« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 14.) In Stellen wie diesen lehren die Vedântatexte, dass auf dem Standpunkte der höchsten Realität das[287] ganze empirische Treiben nicht existiert. Und ebenso heisst es auch in den Gottesliedern (Bhag. G. 5, 14):


»Das Thätersein und auch die Werke schafft

Nicht Gott in dieser Welt, noch die Verbindung

Von Werk und Lohn; dies wirkt die Selbstnatur.

Hingegen der Allmächt'ge nimmt nicht an

Das Böse oder Gute irgend wessen;

Doch weil vom Nichtwissen verhüllt das Wissen,

Darum geh'n die Geschöpfe in der Irre.«


| In dieser Weise wird [von Schrift und Smṛiti] gelehrt, dass auf dem Standpunkte der höchsten Realität das Treiben von Herrschendem und zu Beherrschendem nicht stattfindet; für den Standpunkt des Welttreibens hingegen lehrt auch die Schrift das Treiben von Herrschendem u.s.w., wenn sie sagt: »er ist der Herr der Welt, er ist der Gebieter der Wesen, er ist der Hüter der Wesen; er ist die Brücke, welche diese Welten auseinanderhält, dass sie nicht verfliessen« (Bṛih. 4, 4, 22); und ebenso heisst es in den Gottesliedern (Bhag. G. 18, 61):


»Gott wohnt im Herzen aller Kreaturen

Und treibt die Wesen in der Irre um,

Als würden durch Maschinen sie geschleudert.«


Ebenso lehrt nun auch der Verfasser unserer Sûtra's da, wo er im Sinne der höchsten Realität spricht, »Identität mit ihm« (Sûtram 2, 1, 14); wo er hingegen im Sinne des Welttreibens spricht, da vergleicht er durch die Worte »nun ja! wie in der Erfahrung« (Sûtram 2, 1, 13) das Brahman mit dem weiten Ocean; er verwirft also die Ausbreitung der Weltwirkung nicht, sondern beschäftigt sich auch mit der Umwandlung des Brahman in die Welt, weil dieselbe bei den attributhaften Verehrungen zur Anwendung kommt.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 280-288.
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