[322] 5. anyatra-abhāvāc ca na tṛiṇa-ādi-vat
weil [die Milch] nicht anderweit entsteht, ist es nicht wie mit dem Grase u.s.w.

›Nun ja, aber man kann doch annehmen, dass, so wie Gras, Blätterwerk und Wasser ohne Rücksichtnahme auf eine andere bewirkende Ursache bloss durch ihre eigene Natur sich in die Form der Milch u.s.w. umwandeln, ebenso auch die Urmaterie sich in die Form des Grossen u.s.w. umwandeln kann.‹ – Aber woraus schliesst ihr, dass das Gras u.s.w. ohne Rücksicht auf eine andere bewirkende Ursache [zur Milch werde]? – ›Nun, weil man keine andere bewirkende Ursache wahrnimmt. Denn wenn wir irgend eine andere bewirkende Ursache wahrnähmen, so könnten wir nach Belieben durch diese oder jene bewirkende Ursache, indem wir Gras u.s.w. als materielle Ursache dazu nähmen, die Milch hervorbringen. Nun können wir dieselbe aber nicht hervorbringen; folglich muss man annehmen, dass sie eine[322] allein in der Natur des Grases u.s.w. begründete Umwandlung desselben ist, und ebenso kann es sich auch mit der Urmaterie verhalten.‹ – Darauf ist zu erwidern, dass man an eine in ihrer Natur begründete Umwandlung der Urmaterie ähnlich wie bei dem Grase u.s.w. denken könnte, wenn sich zeigte, dass mit dem Grase u.s.w. wirklich eine nur in seiner Natur begründete Umwandlung vor sich ginge. Dieses zeigt sich aber keineswegs, indem man ausser dem Grase noch eine andere, bewirkende Ursache wahrnimmt. Auf die Frage, inwiefern man diese andere bewirkende Ursache wahrnehme, lautet die Antwort: »weil [die Milch] nicht anderweit entsteht«; nämlich nur dann wird das Gras u.s.w. zur Milch, wenn man es einer Milchkuh zuführt, nicht auch ohne diese oder indem man es einem Ochsen u.s.w. zuführt. Vollzöge sich nämlich dieser Vorgang wirklich ohne eine bewirkende Ursache, so könnte auch anderweit und ohne Verbindung mit dem Leibe der Kuh das Gras u.s.w. zur Milch werden. Aber darum, weil wir Menschen eine Sache nicht nach Belieben hervorbringen können, braucht sie noch nicht ohne jede bewirkende Ursache zu sein; denn nur gewisse Wirkungen werden von Menschen hervorgebracht, und gewisse andere wiederum von den Göttern [oder vom Schicksale, daiva]. Und auch die Menschen können ja mit Hülfe des geeigneten Mittels das Gras u.s.w. zur Milch | machen; denn wenn sie natürliche Milch haben wollen, so nehmen sie natürliches Futter und geben dasselbe einer Kuh ein, und dadurch erhalten sie die natürliche Milch. Somit ist es nicht richtig, dass wie bei dem Grase u.s.w. die Umwandlung der Urmaterie in der eigenen Natur derselben begründet sei.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 322-323.
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