[362] 29. vaidharmyâc ca na svapna-âdi-vat
auch ist es, wegen der Wesensverschiedenheit, nicht wie im Traume u.s.w.

Wenn weiter der Leugner der Aussendinge behauptet, dass, ebenso wie die Perceptionen im Traume, auch die Perceptionen im Wachen von Säulen u.s.w. ohne äusseren Gegenstand entstehen können, weil beide darin, dass sie Perceptionen | sind, sich nicht unterscheiden, so ist das zu widerlegen. Wir entgegnen: die Perceptionen im Wachen können nicht entstehen wie die Perceptionen im Traume; warum? »wegen der Wesensverschiedenheit«. Denn zwischen Traum und Wachen ist Wesensverschiedenheit. Worin besteht denn diese Wesensverschiedenheit? In der Widerlegbarkeit und Nichtwiderlegbarkeit. Denn was im Traume appercipiert wurde, das widerlegt sich; denn der Erwachte spricht: »irrtümlich habe ich eine grosse Volksversammlung appercipiert, denn es ist keine grosse Volksversammlung da, sondern mein Geist war vom Schlafe befangen, daher entstand jener Irrtum«. Ebenso finden die Sinnestäuschungen je nach der Art ihre Widerlegung. Hingegen giebt es keinen Zustand, in dem ein im Wachen appercipiertes Objekt, z.B. eine Säule, widerlegt würde. Dazu kommt,[362] dass das Traumgesicht eine [blosse] Erinnerung ist, das Sehen im Wachen hingegen eine Apperception. Der Unterschied zwischen Erinnerung und Apperception aber liegt vor Augen und macht sich von selbst fühlbar: denn er besteht darin, dass man von einem Gegenstande getrennt oder nicht getrennt ist; und wenn man sich z.B. eines geliebten Sohnes erinnert, so appercipiert man ihn nicht, sondern man wünscht ihn zu appercipieren. – | Da dem so ist, so kann man nicht behaupten, dass die Apperception im Wachen trüge, weil sie, so wie die Apperception im Traume, [nur] Apperception sei. Denn der Unterschied zwischen beiden macht sich von selbst fühlbar. Was sie aber selbst fühlen, das dürfen die vermeintlichen Weisen nicht abstreiten. Aber eben, weil ihr Gefühl Protest einlegt, und sie die Grundlosigkeit der Perceptionen im Wachen an ihnen selbst nicht darthun können, darum möchten sie dieselbe aus der Verwandtschaft mit den Traumperceptionen erweisen. Aber eine Eigenschaft, die einer Sache an sich selbst nicht zukommt, die kommt ihr auch nicht dadurch zu, dass sie mit einer anderen Sache verwandt ist. Denn wenn man fühlt, dass das Feuer heiss ist, so wird es nicht dadurch kalt, dass es mit dem Wasser verwandt ist [sofern es mit diesem die Qualitäten der Sichtbarkeit und Fühlbarkeit gemein hat, p. 536, 7]. Die Verschiedenheit aber zwischen Traum und Wachen haben wir nachgewiesen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 362-363.
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