[346] 19. itara-itara-pratyayatvâd, iti cen? na! utpatti-mâtrâ-nimittatvât
weil [die Nidâna's] aufeinanderberuhen [sei die Begründung hinreichend] meint ihr? Nein! weil sie nur für ihr [eigenes] Hervorgehen [nicht für das des Aggregates] Ursache sind.

Man könnte entgegnen: ›wenn auch kein Geistiges, wie die geniessende Seele oder der regierende Gott, als Bewirker des Aggregates und als dauernd angenommen wird, so ist der Weltgang[346] doch dadurch möglich, dass von dem Nichtwissen und den übrigen [Nidâna's] das eine immer die Ursache des andern ist; ist aber der Weltgang als möglich erwiesen, so brauchen wir nach einer weiteren Begründung uns nicht umzusehen. Diese nun, das Nichtwissen u.s.w., sind folgende: I. Nichtwissen, II. Bestrebung, III. Erkenntnis, IV. Name und Gestalt, V. die sechs Basen der Wahrnehmung, VI. Berührung, VII. Empfindung, VIII. der Durst, IX. die Anklammerung, X. das Werden, XI. die Geburt, XII. Alter, Tod, | Kummer, Jammer, Schmerz und Verzweiflung. In dieser Reihe ist das eine immer die Ursache des andern, und die Genannten werden in dem Systeme der Sugata's [Buddhisten] zuweilen summarisch aufgezählt, zuweilen ausführlich behandelt. Es ist aber diese Reihe des Nichtwissens u.s.w. von der Art, dass niemand ihrer entraten kann. Da nun diese Reihe des Nichtwissens u.s.w., in welcher das eine immer die Wirkung und wiederum die Ursache eines andern ist, ohne Unterlass wie die Schöpfmaschine [d.h. die an einem Rade befestigten und mit diesem umlaufenden Schöpfeimer] heranrollt, so wird, schon weil dem so ist, das Aggregat als Zweck der Sache postuliert und ist somit anzunehmen.‹ – Diese Behauptung bestreiten wir. Warum? »weil sie nur für ihr Hervorgehen Ursache sind«. Gewiss wäre das Aggregat anzunehmen, wenn für das Aggregat irgend eine es bewirkende Ursache zu ersehen wäre. Sie ist aber nicht zu ersehen; denn wenn auch das Nichtwissen u.s.w. eines in dem andern seinen Grund hat, so würde doch das jedesmal Frühere, indem es entstünde, nur für das jedesmal Folgende die bewirkende Ursache seines Entstehens sein, während hingegen für das Hervorgehen des Aggregates keinerlei bewirkende Ursache vorhanden ist. – ›Aber wurde nicht bemerkt, dass das Aggregat von dem Nichtwissen u.s.w. als Zweck postuliert werde?‹ – Darauf ist zu erwidern: wenn das vielleicht eure Meinung ist, dass das Nichtwissen u.s.w., weil sie ohne das Aggregat keine Wesenhaftigkeit haben können, auf das Aggregat als vorhanden schliessen lassen, nun so müsst ihr doch für dieses Aggregat irgend eine bewirkende Ursache angeben können. Aber eine solche ist nicht einmal möglich, wenn man ewige Atome annimmt, | und wenn [daneben] noch geniessende Seelen als Träger des Substrates [der Atomverbindung, d.h. des adṛishṭam] bestehen, wie wir bei Prüfung der Vaiçeshika's fanden; – wie sollte sie also möglich sein, wenn man sogar die Atome als dauerlos, als der geniessenden Seelen oder auch eines [sonstigen] Trägers des Substrates [der Atomverbindung] ermangelnd auffasst? – Oder ist die Meinung diese, dass das Nichtwissen u.s.w. selbst die bewirkende Ursache des Aggregates sind? Aber wie können diese, da sie sich doch auf dasselbe stützen und dadurch erst Wesenhaftigkeit empfangen, für eben dasselbe die bewirkende Ursache sein! – Oder meinst[347] du vielleicht, dass die Aggregate selbst schon in dem anfanglosen Saṃsâra als ein Kontinuierliches bestehen, und dass auf sie als ihre Grundlage das Nichtwissen u.s.w. sich stützen? In diesem Falle müsste aus dem einen Aggregate das andere hervorgehen und zwar entweder regelmässig als ein gleichartiges oder ungeregelt als ein bald gleichartiges bald ungleichartiges. Entscheidest du dich für die Regelmässigkeit, so wird es unmöglich, dass die menschliche Person in einen göttlichen oder tierischen Mutterschoss oder in die Hölle eingeht; nimmst du die Ungeregeltheit an, so würde folgen, dass die menschliche Person zuweilen plötzlich zu einem Elefanten oder zu einem Gotte und dann wieder zu einem Menschen werden könnte; dieses beides aber widerstreitet deinen eigenen Annahmen. – Ferner derjenige, um dessen Geniessens willen das Aggregat da ist, | d.h. die individuelle Seele als der dauernde Geniesser, wird von dir geleugnet; somit folgt, dass der Genuss nur um seiner selbst willen da ist und nicht von einem andern erstrebt wird, und ebenso wäre die Erlösung nur um ihrer selbst willen da, und ein anderer, der nach der Erlösung strebte, wäre nicht vorhanden. Soll hingegen ein anderer vorhanden sein, der beides erstrebt, nun so muss es doch ein solcher sein, welcher während der Zeit des Genusses und der Erlösung besteht; besteht er aber, so fällt eure Annahme der Dauerlosigkeit dahin. – Soll also in der Reihe des Nichtwissens u.s.w. das eine immer nur die bewirkende Ursache für das Hervorgehen des andern sein, nun so lasst sie meinetwegen es sein, jedenfalls aber ist das Aggregat damit nicht zu Stande zu bringen, weil euch die geniessende Seele fehlt. – Das ist unsere Meinung.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 346-348.
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