Elftes Capitel
Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen

[390] Langsames und successives Erscheinen neuer Arten. – Verschiedene Schnelligkeit ihrer Veränderung. – Einmal untergegangene Arten kommen nicht wieder zum Vorschein. – Artengruppen folgen denselben allgemeinen Regeln des Auftretens und Verschwindens, wie die einzelnen Arten. – Erlöschen der Arten. – Gleichzeitige Veränderungen der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche. – Verwandtschaft erloschener Arten mit anderen fossilen und mit lebenden Arten. – Entwicklungsstufe erloschener Formen. – Aufeinanderfolge derselben Typen im nämlichen Ländergebiete. – Zusammenfassung dieses und des vorhergehenden Capitels.


Sehen wir nun zu, ob die verschiedenen Thatsachen und Gesetze hinsichtlich der geologischen Aufeinanderfolge der organischen Wesen besser mit der gewöhnlichen Ansicht von der Unabänderlichkeit der Arten, oder mit der Theorie von deren langsamer und stufenweiser Abänderung durch natürliche Zuchtwahl übereinstimmen.

Neue Arten sind im Wasser wie auf dem Lande nur sehr langsam, eine nach der andern zum Vorschein gekommen. LYELL hat gezeigt, dass es kaum möglich ist, sich den in den verschiedenen Tertiärschichten niedergelegten Beweisen in dieser Hinsicht zu verschliessen, und jedes Jahr strebt die noch vorhandenen Lücken zwischen den einzelnen Stufen mehr auszufüllen und das Procentverhältnis der noch lebend vorhandenen zu den ganz ausgestorbenen Arten mehr und mehr abzustufen. Von den in einigen der neuesten,[390] wenn auch in Jahren ausgedrückt gewiss sehr alten Schichten vorkommenden Arten sind nur eine oder zwei ausgestorben, und nur je eine oder zwei sind für die Örtlichkeit oder, soviel wir bis jetzt wissen, für die Erdoberfläche neu. Die Secundärformationen sind mehr unterbrochen; aber in jeder einzelnen Formation hat, wie BRONN bemerkt hat, weder das Auftreten noch das Verschwinden ihrer vielen jetzt erloschenen Arten gleichzeitig stattgefunden.

Arten verschiedener Gattungen und Classen haben weder gleichen Schrittes noch in gleichem Verhältnisse gewechselt. In den älteren Tertiärschichten liegen einige wenige lebende Arten mitten zwischen einer Menge erloschener Formen. FALCONER hat ein schlagendes Beispiel ähnlicher Art berichtet; es ist nämlich ein Crocodil von einer noch lebenden Art mit einer Menge untergegangener Säugethiere und Reptilien in Schichten des Subhimalaya vergesellschaftet. Die silurischen Lingula-Arten weichen nur sehr wenig von den lebenden Species dieser Gattung ab, während die meisten der übrigen silurischen Mollusken und alle Kruster grossen Veränderungen unterlegen sind. Die Landbewohner scheinen sich schnelleren Schrittes als die Meeresbewohner verändert zu haben, wovon ein treffender Beleg kürzlich aus der Schweiz berichtet worden ist. Es ist Grund zur Annahme vorhanden, dass solche Organismen, welche auf höherer Organisationsstufe stehen, sich rascher als die unvollkommen entwickelten verändern; doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Das Mass organischer Veränderung ist nach PICTET'S Bemerkung nicht in allen aufeinanderfolgenden geologischen sogenannten Formationen dasselbe. Wenn wir aber irgend welche, ausgenommen zwei einander aufs engste verwandte Formationen miteinander vergleichen, so finden wir, dass alle Arten einige Veränderungen erfahren haben. Ist eine Art einmal von der Erdoberfläche verschwunden, so haben wir keinen Grund zur Annahme, dass dieselbe identische Art je wieder zum Vorschein kommen werde. Die anscheinend auffallendsten Ausnahmen von dieser Regel bilden BARRANDE'S sogenannte »Colonien« von Arten, welche sich eine Zeit lang mitten in ältere Formationen einschieben und dann später die vorher existierende Fauna wieder erscheinen lassen; doch halte ich LYELL'S Erklärung, sie seien durch temporäre Wanderungen aus einer geographischen Provinz in die andere bedingt, für vollkommen genügend.

Diese verschiedenen Thatsachen vertragen sich wohl mit meiner Theorie. Dieselbe nimmt kein festes Entwicklungsgesetz an, welches[391] alle Bewohner einer Gegend veranlasste, sich plötzlich oder gleichzeitig oder gleichmässig zu ändern. Der Abänderungsprocess muss ein langsamer sein und wird im Allgemeinen nur wenig Species zu einer und derselben Zeit ergreifen; denn die Veränderlichkeit jeder Art ist ganz unabhängig von der aller anderen Arten. Ob sich die natürliche Zuchtwahl solche Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten zu Nutzen macht, und ob die in grösserem oder geringerem Masse gehäuften Abänderungen stärkere oder schwächere bleibende Modificationen in den sich ändernden Arten veranlassen, dies hängt von vielen verwickelten Bedingungen ab: von der Nützlichkeit der Veränderungen, von der Möglichkeit der Kreuzung, vom langsamen Wechsel in der natürlichen Beschaffenheit der Gegend, von dem Einwandern neuer Colonisten, und zumal von der Beschaffenheit der übrigen Organismen, welche mit den sich ändernden Arten in Concurrenz kommen. Es ist daher keineswegs überraschend, wenn eine Art ihre Form viel länger unverändert bewahrt als andere, oder wenn sie, falls sie abändert, dies in geringerem Grade thut als diese. Wir finden ähnliche Beziehungen zwischen den Bewohnern verschiedener Länder, z.B. auf Madeira, wo die Landschnecken und Käfer in beträchtlichem Masse von ihren nächsten Verwandten in Europa verschieden geworden, während Vögel und Seemollusken die nämlichen geblieben sind. Man kann vielleicht die anscheinend raschere Veränderung in den Landbewohnern und den höher organisierten Formen gegenüber derjenigen der marinen und der tieferstehenden Arten aus den zusammengesetzteren Beziehungen der vollkommeneren Wesen zu ihren organischen und unorganischen Lebensbedingungen, wie sie in einem früheren Abschnitte auseinandergesetzt worden sind, herleiten. Wenn viele von den Bewohnern einer Gegend abgeändert und vervollkommnet worden sind, so begreift man aus dem Princip der Concurrenz und aus den vielen so höchst wichtigen Beziehungen von Organismus zu Organismus in dem Kampfe um's Leben, dass eine jede Form, welche gar keine Änderung und Vervollkommnung erfährt, der Austilgung preisgegeben ist. Daraus ersehen wir denn, warum alle Arten einer Gegend zuletzt, wenn wir nämlich hinreichend lange Zeiträume betrachten, modificiert werden; denn, wenn nicht, müssen sie zu Grunde gehen.

Bei Gliedern einer und derselben Classe mag viel leicht der mittlere Betrag der Änderung während langer und gleicher Zeiträume nahezu gleich sein. Da jedoch die Anhäufung lange dauernder[392] an Fossilresten reicher Formationen dadurch bedingt ist, dass grosse Sedimentmassen während einer Senkungsperiode abgesetzt werden, so müssen sich unsere Formationen nothwendig meist mit langen und unregelmässigen Zwischenpausen gebildet haben; daher denn auch der Grad organischer Veränderung, welchen die in aufeinanderfolgenden Formationen abgelagerten organischen Reste darbieten, nicht gleich ist. Jede Formation bezeichnet nach dieser Anschauungsweise nicht einen neuen Act der Schöpfung, sondern nur eine gelegentliche, beinahe aus Zufall herausgerissene Scene aus einem langsam vor sich gehenden Drama.

Man begreift leicht, warum eine einmal zu Grunde gegangene Art nicht wieder zum Vorschein kommen kann, selbst wenn die nämlichen unorganischen und organischen Lebensbedingungen nochmals eintreten. Denn obwohl die Nachkommenschaft einer Art so angepasst werden kann (was zweifellos in unzähligen Fällen vorgekommen ist), dass sie den Platz einer andern Art im Haushalte der Natur genau ausfüllt und sie ersetzt, so können doch beide Formen, die alte und die neue, nicht identisch die nämlichen sein, weil beide fast gewiss von ihren verschiedenen Stammformen auch verschiedene Charactere mitgeerbt haben und weil bereits von einander abweichende Organismen auch in verschiedener Art variieren werden. So könnten z.B., wenn unsere Pfauentauben ausstürben, Taubenliebhaber durch lange Zeit fortgesetzte und auf denselben Punkt gerichtete Bemühungen möglicherweise wohl eine neue von unserer jetzigen Pfauentaube kaum unterscheidbare Rasse zu Stande bringen. Wäre aber auch deren Urform, unsere Felstaube, im Naturzustande, wo die Stammform gewöhnlich durch ihre vervollkommnete Nachkommenschaft ersetzt und vertilgt wird, zerstört worden, so müsste es doch ganz unglaubhaft erscheinen, dass ein Pfauenschwanz, mit unserer jetzigen Rasse identisch, von irgend einer andern Taubenart oder selbst von einer andern guten Varietät unserer Haustauben gezogen werden könne, weil die successiven Abänderungen beinahe sicher in irgend einem Grade verschieden sein und die neugebildete Varietät wahrscheinlich von ihrem Stammvater einige characteristische Verschiedenheiten erben würde.

Artengruppen, das heisst Gattungen und Familien, folgen in ihrem Auftreten und Verschwinden denselben allgemeinen Regeln, wie die einzelnen Arten selbst, indem sie mehr oder weniger schnell in grösserem oder geringerem Grade sich verändern. Eine Gruppe[393] erscheint niemals wieder, wenn sie einmal untergegangen ist, d.h. ihr Dasein ist, solange es besteht, continuierlich. Ich weiss wohl, dass es einige anscheinende Ausnahmen von dieser Regel gibt; allein es sind deren so erstaunlich wenig, dass ED. FORBES, PICTET und WOODWARD (obwohl dieselben alle drei die von mir vertheidigten Ansichten sonst bestreiten) deren Richtigkeit zugestehen; und diese Regel entspricht genau meiner Theorie. Denn alle Arten einer und derselben Gruppe, wie lange dieselbe auch bestanden haben mag, sind die modificierten Nachkommen früherer Arten und eines gemeinsamen Urerzeugers. So müssen z.B. bei der Gattung Lingula die Species, welche zu allen Zeiten nacheinander aufgetreten sind, von der tiefsten Silurschicht an bis auf den heutigen Tag durch eine ununterbrochene Reihe von Generationen miteinander im Zusammenhang gestanden haben.

Wir haben im letzten Capitel gesehen, dass es zuweilen irrthümlich so erscheint, als seien die Arten einer Gruppe ganz plötzlich in Masse aufgetreten, und ich habe versucht, diese Thatsache zu erklären, welche, wenn sie sich wirklich so verhielte, meiner Theorie verderblich sein würde. Aber derartige Fälle sind gewiss nur als Ausnahmen zu betrachten; nach der allgemeinen Regel wächst die Artenzahl jeder Gruppe allmählich zu ihrem Maximum an und nimmt dann früher oder später wieder langsam ab. Wenn man die Artenzahl einer Gattung oder die Gattungs zahl einer Familie durch eine Verticallinie ausdrückt, welche die übereinanderfolgenden Formationen mit einer nach Massgabe der in jeder derselben enthaltenen Artenzahl veränderlichen Dicke durchsetzt, so kann es manchmal fälschlich scheinen, als beginne dieselbe unten plötzlich breit, statt mit scharfer Spitze; sie nimmt dann aufwärts an Breite zu, hält darauf oft eine Zeit lang gleiche Stärke ein und läuft dann in den oberen Schichten, der Abnahme und dem Erlöschen der Arten entsprechend, allmählich spitz aus. Diese allmähliche Zunahme einer Gruppe steht mit meiner Theorie vollkommen im Einklang; denn die Arten einer und derselben Gattung und die Gattungen einer und derselben Familie können nur langsam und allmählich an Zahl wachsen; der Vorgang der Umwandlung und der Entwicklung einer Anzahl verwandter Formen ist nothwendig nur ein langsamer und gradweiser: eine Art liefert anfänglich nur zwei oder drei Varietäten, welche sich langsam in Arten verwandeln, die ihrerseits wieder auf gleich langsamen Schritten andere Varietäten und Arten hervorbringen und so weiter[394] (wie ein grosser Baum sich allmählich von einem einzelnen Stamme aus verzweigt), bis die Gruppe gross wird.


Erlöschen

Wir haben bis jetzt nur gelegentlich von dem Verschwinden der Arten und der Artengruppen gesprochen. Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl sind jedoch das Erlöschen alter und die Bildung neuer und verbesserter Formen auf's innigste miteinander verbunden. Die alte Meinung, dass von Zeit zu Zeit sämmtliche Bewohner der Erde durch grosse Umwälzungen von der Erde weggefegt worden seien, ist jetzt ziemlich allgemein und selbst von solchen Geologen, wie ELIE DE BEAUMONT, MURCHISON, BARRANDE u. A. aufgegeben, deren allgemeinere Anschauungsweise sie auf einen derartigen Schluss hinlenken müsste. Wir haben im Gegentheil nach den über die Tertiärformationen angestellten Studien allen Grund zur Annahme, dass Arten und Artengruppen ganz allmählich eine nach der andern zuerst von einer Stelle, dann von einer andern und endlich überall verschwinden. In einigen wenigen Fällen jedoch wie beim Durchbruch einer Landenge und der nachfolgenden Einwanderung einer Menge von neuen Bewohnern in ein benachbartes Meer, oder bei dem endlichen Untertauchen einer Insel mag das Erlöschen verhältnismässig rasch vor sich gegangen sein. Einzelne Arten sowohl als Artengruppen dauern sehr ungleich lange Zeiten; einige Gruppen haben, wie wir gesehen haben, von der ersten bekannten Wiegenzeit des Lebens an bis zum heutigen Tage bestanden, während andere nicht einmal den Schluss der paläozoischen Zeit erreicht haben. Es scheint kein bestimmtes Gesetz zu geben, welches die Länge der Dauer einer einzelnen Art oder einer einzelnen Gattung bestimmte. Doch scheint Grund zur Annahme vorhanden zu sein, dass das gänzliche Erlöschen einer ganzen Gruppe von Arten gewöhnlich ein langsamerer Vorgang als ihre Entstehung ist. Wenn man das Erscheinen und Verschwinden der Arten einer Gruppe ebenso wie vorhin durch eine Verticallinie von veränderlicher Dicke ausdrückt, so pflegt sich dieselbe weit allmählicher an ihrem obern dem Erlöschen entsprechenden, als am untern die Entwicklung und Zunahme an Zahl darstellenden Ende zuzuspitzen. Doch ist in einigen Fällen das Erlöschen ganzer Gruppen von Wesen, wie das der Ammoniten gegen das Ende der Secundärzeit, den meisten anderen Gruppen gegenüber, wunderbar plötzlich erfolgt.[395]

Die ganze Frage vom Erlöschen der Arten ist ohne Grund mit dem geheimnisvollsten Dunkel umgeben worden. Einige Schriftsteller haben sogar angenommen, dass Arten, geradeso wie Individuen eine bestimmte Lebensdauer haben, auch eine bestimmte Existenzdauer haben. Durch das Verschwinden der Arten kann wohl Niemand mehr in Verwunderung gesetzt worden sein, als ich selbst. Als ich im La Plata-Staate einen Pferdezahn in einerlei Schicht mit Resten von Mastodon, Megatherium, Toxodon und anderen ausgestorbenen Riesenformen zusammenliegend fand, welche sämmtlich noch in später geologischer Zeit mit noch jetzt lebenden Conchylien-Arten zusammengelebt haben, war ich mit Erstaunen erfüllt. Denn da ich sah, wie die von den Spaniern in Süd-America eingeführten Pferde sich wild über das ganze Land verbreite und in beispiellosem Masse an Anzahl vermehrt haben, so musste ich mich bei jener Entdeckung selber fragen, was in verhältnismässig noch so neuer Zeit das frühere Pferd zu vertilgen vermocht habe, unter Lebensbedingungen, welche sich so ausserordentlich günstig erwiesen haben? Aber wie ganz unbegründet war mein Erstaunen! Professor OWEN erkannte bald, dass der Zahn, wenn auch denen der lebenden Arten sehr ähnlich, doch von einer ganz andern nun erloschenen Art herrühre. Wäre diese Art noch jetzt, wenn auch schon etwas selten, vorhanden, so würde sich kein Naturforscher im mindesten über deren Seltenheit wundern, da es viele seltene Arten aller Classen in allen Gegenden gibt. Fragen wir uns, warum diese oder jene Art selten ist, so antworten wir, es müsse irgend etwas in den vorhandenen Lebensbedingungen ungünstig sein, obwohl wir dieses Etwas kaum je zu bezeichnen wissen. Existierte das fossile Pferd noch jetzt als eine seltene Art, so würden wir es in Berücksichtigung der Analogie mit allen anderen Säugethierarten und selbst mit dem sich nur langsam fortpflanzenden Elephanten und der Geschichte der Naturalisation des domesticierten Pferdes in Süd-America für sicher gehalten haben, dass jene fossile Art unter günstigeren Verhältnissen binnen wenigen Jahren im Stande gewesen sein müsse, den ganzen Continent zu bevölkern. Aber wir hätten nicht sagen können, welche ungünstigen Bedingungen es waren, die dessen Vermehrung hinderten, ob deren nur eine oder ob es ihrer mehrere waren, und in welcher Lebensperiode des Pferdes und in welchem Grade jede derselben ungünstig wirkte. Wären aber jene Bedingungen allmählich, wenn auch noch so langsam, immer ungünstiger geworden, so würden wir die Thatsache sicher nicht bemerkt haben, obschon jene fossile[396] Pferdeart gewiss immer seltener und seltener geworden und zuletzt erloschen sein würde, denn ihr Platz würde von einem andern siegreichen Concurrenten eingenommen worden sein.

Es ist äusserst schwer sich immer zu erinnern, dass die Zunahme eines jeden lebenden Wesens durch unbemerkbare schädliche Agentien fortwährend aufgehalten wird und dass dieselben unbemerkbaren Agentien vollkommen genügen können, um eine fortdauernde Verminderung und endliche Vertilgung zu bewirken. Dieser Satz bleibt aber so unbegriffen, dass ich wiederholt habe eine Verwunderung darüber äussern hören, dass so grosse Thiere wie das Mastodon und die älteren Dinosaurier haben untergehen können, als ob die blosse Körperstärke schon genüge, um den Sieg im Kampfe um's Dasein zu sichern. Im Gegentheile könnte gerade eine beträchtliche Grösse, wie OWEN bemerkt hat, in manchen Fällen des grössern Nahrungsbedarfes wegen das Erlöschen beschleunigen. Schon ehe der Mensch Ost-Indien und Africa bewohnte, muss irgend eine Ursache die fortdauernde Vervielfältigung der dort lebenden Elephantenarten gehemmt haben. Ein sehr fähiger Beurtheiler, FALCONER, glaubt, dass es gegenwärtig hauptsächlich Insecten sind, die durch beständiges Beunruhigen und Schwächen die raschere Vermehrung der Elephanten hauptsächlich hemmen; dies war auch BRUCE'S Schluss in Bezug auf den africanischen Elephanten in Abyssinien. Es ist gewiss, dass sowohl Insecten als auch blutsaugende Fledermäuse auf die Existenz der in verschiedenen Theilen Süd-America's eingeführten grösseren Säugethiere bestimmend einwirken.

Wir sehen in den neueren Tertiärbildungen viele Beispiele, dass Seltenwerden dem gänzlichen Verschwinden vorangeht, und wir wissen, dass dies der Fall bei denjenigen Thierarten gewesen ist, welche durch den Einfluss des Menschen örtlich oder überall von der Erde verschwunden sind. Ich will hier wiederholen, was ich im Jahr 1845 drucken liess: Zugeben, dass Arten gewöhnlich selten werden, ehe sie erlöschen, und sich über das Seltenwerden einer Art nicht wundern, aber dann doch hoch erstaunen, wenn sie endlich zu Grunde geht, – heisst so ziemlich dasselbe, wie: Zugeben, dass bei Individuen Krankheit dem Tode vorangeht, und sich über das Erkranken eines Individuums nicht befremdet fühlen, aber sich wundern, wenn der kranke Mensch stirbt, und seinen Tod irgend einer unbekannten Gewaltthat zuschreiben. Die Theorie der natürlichen Zuchtwahl beruht auf der Annahme[397] dass jede neue Varietät und zuletzt jede neue Art dadurch gebildet und erhalten worden ist, dass sie irgend einen Vortheil vor den concurrierenden Arten voraus habe, in Folge dessen die weniger begünstigten Arten fast unvermeidlich erlöschen. Es verhält sich ebenso mit unseren Culturerzeugnissen. Ist eine neue und unbedeutend vervollkommnete Varietät gebildet worden, so ersetzt sie anfangs die minder vollkommenen Varietäten in ihrer Umgebung; ist sie bedeutend verbessert, so breitet sie sich in Nähe und Ferne aus, wie es unsere kurzhörnigen Rinder gethan haben, und nimmt die Stelle der anderen Rassen in anderen Gegenden ein. So sind das Erscheinen neuer und das Verschwinden alter Formen, natürlicher wie künstlicher, enge miteinander verbunden. In manchen wohl gedeihenden Gruppen ist die Anzahl der in einer gegebenen Zeit gebildeten neuen Artformen wahrscheinlich zu manchen Perioden grösser gewesen als die Zahl der alten specifischen Formen, welche ausgetilgt worden sind; da wir aber wissen, dass gleichwohl die Artenzahl wenigstens in den letzten geologischen Perioden nicht unbeschränkt zugenommen hat, so dürfen wir im Hinblick auf die späteren Zeiten annehmen, dass eben die Hervorbringung neuer Formen das Erlöschen einer ungefähr gleichen Anzahl alter veranlasst hat.

Die Concurrenz wird gewöhnlich, wie schon früher erklärt und durch Beispiele erläutert worden ist, zwischen denjenigen Formen am heftigsten sein, welche sich in allen Beziehungen am ähnlichsten sind. Daher werden die abgeänderten und verbesserten Nachkommen einer Species gewöhnlich die Austilgung ihrer Stammart veranlassen: und wenn viele neue Formen von irgend einer einzelnen Art entstanden sind, so werden die nächsten Verwandten dieser Art, das heisst die mit ihr zu einer Gattung gehörenden, der Vertilgung am meisten ausgesetzt sein. So muss, wie ich mir vorstelle, eine Anzahl neuer von einer Stammart entsprossener Species, d.h. eine neue Gattung, eine alte Gattung der nämlichen Familie ersetzen. Aber es muss sich auch oft ereignet haben, dass eine neue Art aus dieser oder jener Gruppe den Platz einer Art aus einer andern Gruppe einnahm und somit deren Erlöschen veranlasste; wenn sich dann von dem siegreichen Eindringlinge aus viele verwandte Formen entwickeln, so werden auch viele Arten diesen ihre Plätze überlassen müssen, und es werden gewöhnlich verwandte Arten sein, die in Folge eines gemeinschaftlich ererbten Nachtheils den anderen gegenüber unterliegen. Mögen jedoch die Arten, welche ihre Plätze[398] anderen modificierten und vervollkommneten Arten abgetreten haben, zu derselben Classe gehören oder zu verschiedenen, so kann doch oft eine oder die andere von den Benachtheiligten in Folge einer Befähigung zu irgend einer besondern Lebensweise, oder ihres abgelegenen und isolierten Wohnortes wegen, wo sie eine minder strenge Concurrenz erfahren hat, sich so noch längere Zeit erhalten haben. So überleben z.B. einige Arten Trigonia in dem australischen Meere die in der Secundärzeit zahlreich gewesenen Arten dieser Gattung, und eine geringe Zahl von Arten der einst reichen und jetzt fast ausgestorbenen Gruppe der Ganoidfische kommt noch in unseren Süsswässern vor. Und so ist denn das gänzliche Erlöschen einer Gruppe gewöhnlich, wie wir gesehen haben, ein langsamerer Vorgang als ihre Entwicklung.

Was das anscheinend plötzliche Aussterben ganzer Familien und Ordnungen betrifft, wie das der Trilobiten am Ende der paläozoischen und der Ammoniten am Ende der secundären Periode, so müssen wir uns zunächst dessen erinnern, was schon oben über die wahrscheinlich sehr langen Zwischenräume zwischen unseren verschiedenen aufeinanderfolgenden Formationen gesagt worden ist; und gerade während dieser Zwischenräume dürften viele Formen langsam erloschen sein. Wenn ferner durch plötzliche Einwanderung oder ungewöhnlich rasche Entwicklung viele Arten einer neuen Gruppe von einem Gebiete Besitz genommen haben, so werden sie auch in entsprechend rascher Weise viele der alten Bewohner verdrängt haben; und die Formen, welche ihnen ihre Stellen hiermit überlassen, werden gewöhnlich miteinander verwandt sein, da sie irgend einen Nachtheil der Organisation gemeinsam haben.

So scheint mir die Weise, wie einzelne Arten und ganze Artengruppen erlöschen, gut mit der Theorie der natürlichen Zuchtwahl übereinzustimmen. Das Erlöschen darf uns nicht wunder nehmen; wenn uns etwas wundern müsste, so sollte es vielmehr unsere einen Augenblick lang genährte Anmassung sein, die vielen verwickelten Bedingungen zu begreifen, von welchen das Dasein einer jeden Species abhängig ist. Wenn wir auch nur einen Augenblick vergessen, dass jede Art ausserordentlich zuzunehmen strebt, dass aber irgend eine, wenn auch nur selten von uns wahrgenommene Gegenwirkung immer in Thätigkeit ist, so muss uns der ganze Haushalt der Natur allerdings sehr dunkel erscheinen. Nur wenn wir genau anzugeben wüssten, warum diese Art reicher an Individuen als jene ist, warum diese und nicht eine andere in einer[399] gegebenen Gegend naturalisiert werden kann, dann, und nicht eher als dann, hätten wir Ursache uns zu wundern, warum wir uns von dem Erlöschen dieser oder jener einzelnen Species oder Artengruppe keine Rechenschaft zu geben im Stande sind.


Das fast gleichzeitige Wechseln der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche

Kaum irgend eine andere paläontologische Entdeckung ist so überraschend wie die Thatsache, dass die Lebensformen einem auf der ganzen Erdoberfläche fast gleichzeitigen Wechsel unterliegen. So kann unsere europäische Kreideformation in vielen entfernten Weltgegenden und in den verschiedensten Climaten wieder erkannt werden, wo nicht ein Stückchen des Kreidegesteins selbst zu entdecken ist. So namentlich in Nord-America, im äquatorialen Süd-America, im Feuerlande, am Cap der guten Hoffnung und auf der ostindischen Halbinsel; denn an all' diesen entfernten Punkten der Erdoberfläche besitzen die organischen Reste gewisser Schichten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit denen unserer Kreide. Nicht als ob überall die nämlichen Arten gefunden würden; denn manche dieser Örtlichkeiten haben nicht eine Art miteinander gemein, – aber sie gehören zu denselben Familien, Gattungen und Untergattungen und ähneln sich häufig in so gleichgültigen Punkten, wie in der Sculptur der Oberfläche. Ferner finden sich andere Formen, welche in Europa nicht in der Kreide, sondern in den über oder unter ihr liegenden Formationen vorkommen, auch in jenen Gegenden in ähnlicher Lagerung. In den verschiedenen aufeinanderfolgenden paläozoischen Formationen Russlands, West-Europa's und Nord-America's ist ein ähnlicher Parallelismus im Auftreten der Lebensformen von mehreren Autoren wahrgenommen worden, und ebenso in den europäischen und nordamericanischen Tertiärablagerungen nach LYELL. Selbst wenn wir die wenigen fossilen Arten ganz aus dem Auge lassen, welche die Alte und die Neue Welt miteinander gemein haben, so steht der allgemeine Parallelismus der aufeinanderfolgenden Lebensformen in den verschiedenen paläozoischen und tertiären Stufen so fest, dass sich diese Formationen leicht Glied um Glied miteinander vergleichen lassen.

Diese Beobachtungen beziehen sich jedoch nur auf die Meeresbewohner der verschiedenen Weltgegenden; wir haben nicht genügende Nachweise, um beurtheilen zu können, ob die Erzeugnisse des Landes und des Süsswassers an entfernten Punkten sich einander[400] gleichfalls in paralleler Weise ändern. Man möchte bezweifeln, dass sie sich in dieser Weise verändert haben; denn wenn das Megatherium, das Mylodon, Toxodon und die Macrauchenia aus dem La-Plata-Gebiete nach Europa gebracht worden wären ohne alle Nachweisung über ihre geologische Lagerstätte, so würde wohl Niemand vermuthet haben, dass sie mit noch jetzt lebend vorkommenden Seemollusken gleichzeitig existiert haben; da jedoch diese monströsen Wesen mit Mastodon und Pferd zusammen gelebt haben, so lässt sich daraus wenigstens schliessen, dass sie in einem der letzten Stadien der Tertiärperiode gelebt haben müssen.

Wenn vorhin von der gleichzeitigen Veränderung der Meeresbewohner auf der ganzen Erdoberfläche gesprochen wurde, so darf nicht etwa vermuthet werden, dass es sich dabei um das nämliche Jahr oder das nämliche Jahrhundert, oder auch nur um eine strenge Gleichzeitigkeit im geologischen Sinne des Wortes handelt. Denn, wenn alle Meeresthiere, welche jetzt in Europa leben, und alle, welche in der pleistocenen Periode (eine in Jahren ausgedrückt ungeheuer entfernt liegende Periode, indem sie die ganze Eiszeit mit in sich begreift) hier gelebt haben, mit den jetzt in Süd-America oder in Australien lebenden verglichen würden, so dürfte der erfahrenste Naturforscher schwerlich zu sagen im Stande sein, ob die jetzt lebenden oder die pleistocenen Bewohner Europa's mit denen der südlichen Halbkugel am nächsten übereinstimmen. Ebenso glauben mehrere der sachkundigsten Beobachter, dass die jetzige Lebenswelt in den Vereinigten Staaten mit derjenigen Bevölkerung näher verwandt sei, welche während einiger der letzten Stadien der Tertiärzeit in Europa existiert hat, als mit der noch jetzt da wohnenden; und wenn dies so ist, so würde man offenbar die fossilführenden Schichten, welche jetzt an den nordamericanischen Küsten abgelagert werden, in einer späteren Zeit eher mit etwas älteren europäischen Schichten zusammenstellen. Demungeachtet kann, wie ich glaube, kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass man in einer sehr fernen Zukunft doch alle neuen marinen Bildungen, namentlich die oberen pliocenen, die pleistocenen und die im strengsten Sinne jetztzeitigen Schichten Europa's, Nord- und Süd-America's und Australiens, – weil sie Reste in gewissem Grade miteinander verwandter Organismen enthalten und weil sie nicht auch diejenigen Arten, welche allein den tiefer liegenden älteren Ablagerungen angehören, in sich einschliessen, – ganz richtig als gleichalt in geologischem Sinne bezeichnen würde.[401]

Die Thatsache, dass die Lebensformen gleichzeitig (in dem obigen weiten Sinne des Wortes) selbst in entfernten Theilen der Welt andere werden, hat die vortrefflichen Beobachter DE VERNEUIL und D'ARCHIAC sehr frappiert. Nachdem sie auf den Parallelismus der paläozoischen Lebensformen in verschiedenen Theilen von Europa Bezug genommen haben, sagen sie weiter: »Wenden wir, überrascht durch diese merkwürdige Folgerung, unsere Aufmerksamkeit nun nach Nord-America, und entdecken wir dort eine Reihe analoger Thatsachen, so scheint es gewiss zu sein, dass alle diese Abänderungen der Arten, ihr Erlöschen und das Auftreten neuer, nicht blossen Veränderungen in den Meeresströmungen oder anderen mehr oder weniger örtlichen und vorübergehenden Ursachen zugeschrieben werden können, sondern von allgemeinen Gesetzen abhängen, welche das ganze Thierreich beherrschen.« Auch BARRANDE hat ähnliche Wahrnehmungen gemacht und nachdrücklich hervorgehoben. Es ist in der That ganz zwecklos, die Ursache dieser grossen Veränderungen der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche und unter den verschiedensten Climaten im Wechsel der Seeströmungen, des Clima's oder anderer physikalischer Lebensbedingungen suchen zu wollen; wir müssen uns, wie schon BARRANDE bemerkt, nach einem besonderen Gesetze dafür umsehen. Wir werden dies deutlicher erkennen, wenn von der gegenwärtigen Verbreitung der organischen Wesen die Rede sein wird; wir werden dann finden, wie geringfügig die Beziehungen zwischen den physikalischen Lebensbedingungen verschiedener Länder und der Natur ihrer Bewohner sind.

Diese grosse Thatsache von der parallelen Aufeinanderfolge der Lebensformen auf der ganzen Erde ist aus der Theorie der natürlichen Zuchtwahl erklärbar. Neue Arten entstehen aus neuen Varietäten, welche einige Vorzüge vor älteren Formen voraus haben, und diejenigen Formen, welche bereits der Zahl nach vorherrschen oder irgend einen Vortheil vor anderen Formen derselben Heimath voraus haben, werden natürlich die Entstehung der grössten Anzahl neuer Varietäten oder beginnender Arten veranlassen. Wir finden einen bestimmten Beweis dafür darin, dass die herrschenden, d.h. in ihrer Heimath gemeinsten und am weitesten verbreiteten Pflanzenarten die grösste Anzahl neuer Varietäten hervorbringen. Ebenso ist es natürlich, dass die herrschenden, veränderlichen und weit verbreiteten Arten, die bis zu einem gewissen Grade bereits in die Gebiete anderer Arten eingedrungen sind, auch bessere Aussicht als andere[402] zu noch weiterer Ausbreitung und zur Bildung fernerer Varietäten und Arten in neuen Gegenden haben. Dieser Vorgang der Ausbreitung mag oft ein sehr langsamer sein, indem er von climatischen und geographischen Veränderungen, zufälligen Ereignissen oder von der allmählichen Acclimatisierung neuer Arten in den verschiedenen von ihnen etwa zu durchwandernden Climaten abhängt; doch werden im Verlaufe der Zeit die bereits überwiegenden Formen sich meist weiter verbreiten und endlich vorherrschen. Die Verbreitung wird bei Landbewohnern verschiedener Continente wahrscheinlich langsamer vor sich gehen als bei den marinen Bewohnern zusammenhängender Meere. Wir werden daher einen minder genauen Grad paralleler Aufeinanderfolge in den Land- als in den Meereserzeugnissen zu finden erwarten dürfen, wie es auch in der That der Fall ist.

So, scheint mir, stimmt die parallele und, in einem weiten Sinne genommen, gleichzeitige Aufeinanderfolge der nämlichen Lebensformen auf der ganzen Erde wohl mit dem Princip überein, dass neue Arten von sich weit verbreitenden und sehr veränderlichen herrschenden Species aus gebildet worden sind; die so erzeugten neuen Arten werden, weil sie einige Vortheile über ihre bereits herrschenden Eltern ebenso wie über andere Arten besitzen, selbst herrschend und breiten sich wieder aus, variieren und bilden wieder neue Species. Diejenigen älteren Formen, welche verdrängt werden und ihre Stellen den neuen siegreichen Formen überlassen, werden gewöhnlich gruppenweise verwandt sein, weil sie irgend eine Unvollkommenheit gemeinsam ererbt haben; daher müssen in dem Masse, als sich die neuen und vollkommeneren Gruppen über die Erde verbreiten, alte Gruppen vor ihnen aus der Welt verschwinden. Diese Aufeinanderfolge der Formen wird sich sowohl in Bezug auf ihr erstes Auftreten als auf ihr endliches Erlöschen überall zu entsprechen geneigt sein.

Noch bleibt eine Bemerkung über diesen Gegenstand zu machen übrig. Ich habe die Gründe angeführt, weshalb ich glaube, dass die meisten unserer grossen, an Fossilen reichen Formationen in Perioden fortdauernder Senkung abgesetzt worden sind, dass aber diese Ablagerungen, soweit Fossile in Betracht kommen, durch lange Zwischenräume getrennt gewesen sind, wo der Meeresboden stet oder in Hebung begriffen war, und auch wo die Anschüttungen nicht rasch genug erfolgten, um die organischen Reste einzuhüllen und gegen Zerstörung zu bewahren. Während dieser langen und[403] leeren Zwischenzeiten nun haben nach meiner Annahme die Bewohner jeder Gegend viele Abänderungen erfahren und viel durch Erlöschen gelitten, und grosse Wanderungen haben von einem Theile der Erde zum andern stattgefunden. Da nun Grund zur Annahme vorhanden ist, dass weite Strecken die gleichen Bewegungen durchgemacht haben, so sind wahrscheinlich auch oft genau gleichzeitige Formationen auf sehr weiten Räumen derselben Weltgegend abgesetzt worden; doch sind wir hieraus ganz und gar nicht zu schliessen berechtigt, dass dies unabänderlich der Fall gewesen sei und dass weite Strecken unabänderlich von gleichen Bewegungen betroffen worden seien. Sind zwei Formationen in zwei Gegenden zu beinahe, aber nicht genau gleicher Zeit entstanden, so werden wir in beiden aus den in den vorausgehenden Abschnitten auseinandergesetzten Gründen im Allgemeinen die nämliche Aufeinanderfolge der Lebensformen erkennen; aber die Arten werden sich nicht genau entsprechen; denn sie werden in der einen Gegend etwas mehr und in der andern etwas weniger Zeit gehabt haben abzuändern, zu wandern und zu erlöschen.

Ich vermuthe, dass Fälle dieser Art in Europa vorkommen. PRESTWICH ist in seiner vortrefflichen Abhandlung über die Eocenschichten in England und Frankreich im Stande, einen im Allgemeinen genauen Parallelismus zwischen den aufeinanderfolgenden Stöcken beider Länder nachzuweisen. Obwohl sich nun bei Vergleichung gewisser Etagen in England mit denen in Frankreich eine merkwürdige Übereinstimmung beider in den Zahlenverhältnissen der zu einerlei Gattungen gehörigen Arten ergibt, so weichen doch diese Arten selbst in einer bei der geringen Entfernung beider Gebiete schwer zu erklärenden Weise von einander ab, wenn man nicht annehmen will, dass eine Landenge zwei benachbarte Meere getrennt habe, welche von verschiedenen, aber gleichzeitigen Faunen bewohnt gewesen seien. LYELL hat ähnliche Beobachtungen über einige der späteren Tertiärformationen gemacht, und ebenso hat BARRANDE gezeigt, dass zwischen den aufeinanderfolgenden Silurschichten Böhmens und Skandinaviens im Allgemeinen ein genauer Parallelismus herrscht; demungeachtet findet er aber eine erstaunliche Verschiedenheit zwischen den Arten. Wären nun aber die verschiedenen Formationen dieser Gegenden nicht genau während der gleichen Periode abgesetzt worden, indem etwa die Ablagerungen in der einen Gegend mit einer Pause in der andern zusammenfielen, – hätten in beiden Gegenden die Arten sowohl während der Anhäufung der Schichten[404] als während der langen Pausen dazwischen langsame Veränderungen erfahren: so würden sich in diesem Falle die verschiedenen Formationen beider Gegenden auf gleiche Weise, in Übereinstimmung mit der allgemeinen Aufeinanderfolge der Lebensformen anordnen lassen, und ihre Anordnung würde sogar fälschlich genau parallel scheinen; demungeachtet würden in den einzelnen einander anscheinend entsprechenden Schichten beider Gegenden nicht alle Arten übereinstimmen.


Über die Verwandtschaft erloschener Arten unter sich und mit den lebenden Formen

Werfen wir nun einen Blick auf die gegenseitigen Verwandtschaftsverhältnisse erloschener und lebender Formen. Alle gehören zu einigen wenigen grossen Classen; und diese Thatsache erklärt sich sofort aus dem Princip gemeinsamer Abstammung. Je älter eine Form ist, desto mehr weicht sie der allgemeinen Regel zufolge von den lebenden Formen ab. Doch können, wie BUCKLAND schon längst bemerkt hat, die fossilen Formen sämmtlich in noch lebende Gruppen eingereiht oder zwischen sie eingeschoben werden. Es ist gewiss ganz richtig, dass die erloschenen Formen weite Lücken zwischen den jetzt noch bestehenden Gattungen, Familien und Ordnungen ausfüllen helfen; da indess diese Angabe oft übersehen oder selbst geleugnet worden ist, so dürfte es sich der Mühe verlohnen, hierüber einige Bemerkungen zu machen und einige Beispiele anzuführen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit entweder allein auf die lebenden oder nur auf die erloschenen Species der nämlichen Classe richten, so ist die Reihe viel minder vollkommen als wenn wir beide in ein gemeinsames System zusammenfassen. In den Schriften des Professor OWEN begegnen wir beständig dem Ausdruck »generalisierter Formen« auf ausgestorbene Thiere angewandt, und AGASSIZ spricht in seinen Schriften von prophetischen oder synthetischen Typen. Diese Ausdrücke sagen eben aus, dass derartige Formen in der That intermediäre oder verbindende Glieder darstellen. Ein anderer ausgezeichneter Paläontolog, GAUDRY, hat nachgewiesen, dass viele von ihm in Attica entdeckten fossilen Säugethiere in der offenbarsten Weise die Scheidewände zwischen jetzt lebenden Gattungen niederreissen. CUVIER hielt die Ruminanten und Pachydermen (Wiederkäuer und Dickhäuter) für zwei der verschiedensten Säugethierordnungen; es sind aber so viele fossile Verbindungsglieder ausgegraben worden, dass OWEN die ganze Classification[405] zu ändern gehabt und gewisse Pachydermen in dieselbe Unterordnung mit Wiederkäuern gestellt hat; so füllte er z.B. die anscheinend weite Lücke zwischen dem Schwein und dem Kamel mit Übergangsformen aus. Die Ungulaten oder Hufsäugethiere werden jetzt in Paarzehige und Unpaarzehige eingetheilt; die Macrauchenia von Süd-America verbindet aber in gewissem Masse diese beiden grossen Abtheilungen. Niemand wird leugnen, dass das Hipparion in der Mitte steht zwischen dem lebenden Pferde und gewissen anderen ungulaten Formen. Was für ein wundervolles verbindendes Glied in der Kette der Säugethiere ist das Typotherium von Süd-America, wie es der ihm von Prof. GERVAIS gegebene Name ausdrückt, welches in keine jetzt bestehende Säugethierordnung gebracht werden kann. Die Sirenien bilden eine sehr distincte Säugethiergruppe, und eine der merkwürdigsten Eigenthümlichkeiten bei dem jetzt lebenden Dugong und Lamantin ist das vollständige Fehlen von Hintergliedmassen, ohne auch nur ein Rudiment gelassen zu haben. Das ausgestorbene Halitherium hatte aber nach Professor FLOWER ein verknöchertes Schenkelbein, welches »in einer gut entwickelten Pfanne am Becken articulierte«, und bietet damit eine Annäherung an gewöhnliche huftragende Säugethiere dar, mit denen die Sirenien in anderen Beziehungen verwandt sind. Die Cetaceen oder Walthiere sind von allen übrigen Säugethieren weit verschieden; doch werden die tertiären Zeuglodon und Squalodon, welche von manchen Naturforschern in eine Ordnung für sich gestellt worden sind, von Professor HUXLEY für unzweifelhafte Cetaceen betrachtet, welche »Verbindungsglieder mit den in Wasser lebenden Fleischfressern darstellen«.

Selbst der weite Abstand zwischen Vögeln und Reptilien wird, wie der eben erwähnte Forscher gezeigt hat, zum Theil in der unerwartetsten Weise ausgefüllt, und zwar auf der einen Seite durch den Strauss und den Archaeopteryx, auf der andern Seite durch den Compsognathus, einen Dinosaurier, also zu einer Gruppe gehörig, welche die gigantischsten Formen aller terrestrischen Reptilien umfasst. Was die Wirbellosen betrifft, so versichert BARRANDE, gewiss die erste Autorität in dieser Beziehung, wie er jeden Tag deutlicher erkenne, dass, wenn auch die paläozoischen Thiere in noch jetzt lebende Gruppen eingereiht werden können, diese Gruppen aus jener alten Zeit doch nicht so bestimmt von einander verschieden waren, wie in der Jetztzeit. Einige Schriftsteller haben sich dagegen erklärt, dass man irgend[406] eine erloschene Art oder Artengruppe als zwischen lebenden Arten oder Gruppen in der Mitte stehend ansehe. Wenn damit gesagt werden sollte, dass die erloschene Form in allen ihren Characteren genau das Mittel zwischen zwei lebenden Formen oder Gruppen halte, so wäre die Einwendung wahrscheinlich haltbar. In einer natürlichen Classification stehen aber sicher viele fossile Arten zwischen lebenden Arten, und manche erloschene Gattungen zwischen lebenden Gattungen, selbst zwischen Gattungen verschiedener Familien. Der gewöhnlichste Fall zumal bei von einander sehr verschiedenen Gruppen, wie Fische und Reptilien sind, scheint mir der zu sein, dass da, wo dieselben heutigen Tages, nehmen wir beispielsweise an, durch ein Dutzend Charactere von einander unterschieden werden, die alten Glieder der nämlichen zwei Gruppen in einer etwas geringeren Anzahl von Merkmalen unterschieden waren, so dass beide Gruppen vordem einander etwas näher standen, als sie jetzt einander stehen.

Es ist eine verbreitete Annahme, dass je älter eine Form, sie um so mehr geneigt sei, mittelst einiger ihrer Charactere jetzt weitgetrennte Gruppen zu verknüpfen. Diese Bemerkung muss ohne Zweifel auf solche Gruppen beschränkt werden, die im Verlaufe geologischer Zeiten grosse Veränderungen erfahren haben, und es möchte schwer sein, den Satz zu beweisen; denn hier und da wird selbst immer noch ein lebendes Thier wie der Lepidosiren entdeckt, das mit sehr verschiedenen Gruppen zugleich verwandt ist. Wenn wir jedoch die älteren Reptilien und Batrachier, die älteren Fische, die älteren Cephalopoden und die eocenen Säugethiere mit den neueren Gliedern derselben Classen vergleichen, so müssen wir gestehen, dass etwas Wahres in der Bemerkung liegt.

Wir wollen nun zusehen, in wie fern diese verschiedenen Thatsachen und Schlusse mit der Theorie einer Descendenz mit Modificationen übereinstimmen. Da der Gegenstand etwas verwickelt ist, so muss ich den Leser bitten, sich nochmals nach dem im vierten Capitel gegebenen

11. Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen

Schema umzusehen. Nehmen wir an, die numerierten cursiv gedruckten Buchstaben stellen Gattungen und die von ihnen ausstrahlenden punktierten Linien die dazu gehörigen Arten vor. Das Schema ist insofern zu einfach, als zu wenige Gattungen und Arten darauf angenommen sind; doch ist dies unwesentlich für uns. Die wagerechten Linien mögen die aufeinanderfolgenden geologischen Formationen vorstellen und alle Formen unter der obersten dieser Linien als erloschene gelten. Die drei lebenden[407] Gattungen a14, q14, p14 mögen eine kleine Familie bilden; b14 und f14 eine nahe verwandte oder eine Unterfamilie, und o14, e14, m14 eine dritte Familie. Diese drei Familien zusammen mit den vielen erloschenen Gattungen auf den verschiedenen von der Stammform A auslaufenden Descendenzreihen werden eine Ordnung bilden; denn alle werden von ihrem alten und gemeinschaftlichen Urerzeuger auch etwas Gemeinsames ererbt haben. Nach dem Princip fortdauernder Divergenz des Characters, zu dessen Erläuterung jenes Schema bestimmt war, muss jede Form, je neuer sie ist, im Allgemeinen um so stärker von ihrem ersten Erzeuger abweichen. Daraus erklärt sich eben auch die Regel, dass die ältesten fossilen am meisten von den jetzt lebenden Formen verschieden sind. Doch dürfen wir nicht glauben, dass Divergenz des Characters eine nothwendig eintretende Erscheinung ist; sie hängt allein davon ab, dass hierdurch die Nachkommen einer Art befähigt werden, viele und verschiedenartige Plätze im Haushalte der Natur einzunehmen. Daher ist es auch ganz wohl möglich, wie wir bei einigen silurischen Fossilen gesehen haben, dass eine Art bei nur geringer, nur wenig veränderten Lebensbedingungen entsprechender Modification fortbestehen und während langer Perioden doch stets dieselben allgemeinen Charactere beibehalten kann. Eine solche Art wird in dem Schema durch den Buchstaben F14 ausgedrückt.

All' die vielerlei von A abstammenden Formen, erloschene wie noch lebende, bilden nach unserer Annahme zusammen eine Ordnung, und diese Ordnung ist in Folge des fortwährenden Erlöschens der Formen und der Divergenz der Charactere allmählich in mehrere Familien und Unterfamilien getheilt worden, von welchen angenommen wird, dass einige in früheren Perioden zu Grunde gegangen sind und andere bis auf den heutigen Tag fortbestehen.

Das Schema zeigt uns ferner, dass, wenn eine Anzahl der schon früher erloschenen und angenommenermassen in die aufeinanderfolgenden Formationen eingeschlossenen Formen an verschiedenen Stellen tief unten in der Reihe aufgefunden würde, die drei noch lebenden Familien auf der obersten Linie weniger scharf von einander getrennt erscheinen müssten. Wären z.B. die Gattungen a1, a5, a10, f8, m3, m6, m9 wieder ausgegraben worden, so würden diese drei Familien so eng miteinander verkettet erscheinen, dass man sie wahrscheinlich in eine grosse Familie vereinigen müsste, etwa so, wie es mit den Wiederkäuern und gewissen Dickhäutern geschehen ist. Wer nun etwa gegen die Bezeichnung jener die[408] drei lebenden Familien verbindenden Gattungen als »intermediäre dem Character nach« Verwahrung einlegen wollte, würde in der That insofern Recht haben, als sie nicht direct, sondern nur auf einem durch viele sehr abweichende Formen hergestellten Umwege sich zwischen jene anderen einschieben. Wären viele erloschene Formen oberhalb einer der mittleren Horizontallinien oder Formationen, wie z.B. Nr. VI – , aber keine unterhalb dieser Linie gefunden worden, so würde man nur die zwei auf der linken Seite stehenden Familien – a14 etc. und b14 etc. – in eine Familie zu vereinigen haben, und es würden zwei Familien übrig bleiben, welche weniger weit von einander getrennt sein würden, als sie es vor der Entdeckung der Fossilen waren. Wenn wir ferner annehmen, die aus acht Gattungen (a14 bis m14) bestehenden drei Familien auf der obersten Linie wichen in einem halben Dutzend wichtiger Merkmale von einander ab, so würden die in der frühern mit VI bezeichneten Periode lebenden Familien sicher weniger Unterschiede gezeigt haben, weil sie auf jener früheren Descendenzstufe von dem gemeinsamen Erzeuger der Ordnung noch nicht so stark divergiert haben werden. Daher kommt es denn, dass alte und erloschene Gattungen oft in einem grössern oder geringern Grade zwischen ihren modificierten Nachkommen oder zwischen ihren Seitenverwandten das Mittel halten.

In der Natur wird der Fall weit zusammengesetzter sein als ihn unser Schema darstellt, denn die Gruppen werden viel zahlreicher, ihre Dauer wird von ausserordentlich ungleicher Länge gewesen sein und die Abänderungen werden mannichfaltige Abstufungen dargeboten haben. Da wir nur den letzten Band des geologischen Berichts und diesen in einem vielfach unterbrochenen Zustande besitzen, so haben wir, einige seltene Fälle ausgenommen, kein Recht, die Ausfüllung grosser Lücken im Natursysteme und so die Verbindung getrennter Familien und Ordnungen zu erwarten. Alles, was wir zu erwarten ein Recht haben, ist, diejenigen Gruppen, welche erst innerhalb bekannter geologischen Zeiten grosse Veränderungen erfahren haben, in den frühesten Formationen etwas näher aneinander gerückt zu finden, so dass die älteren Glieder in einigen ihrer Charactere etwas weniger weit auseinander gehen, als es die jetzigen Glieder derselben Gruppen thun; und dies scheint nach dem einstimmigen Zeugnisse unserer besten Paläontologen häufig der Fall zu sein.

So scheinen sich mir nach der Theorie gemeinsamer Abstammung[409] mit fortschreitender Modification die hauptsächlichsten Thatsachen hinsichtlich der wechselseitigen Verwandtschaft der erloschenen Lebensformen untereinander und mit den noch lebenden in zufriedenstellender Weise zu erklären. Nach jeder andern Betrachtungsweise sind sie völlig unerklärbar.

Aus der nämlichen Theorie erhellt, dass die Fauna einer jeden grossen Periode in der Erdgeschichte in ihrem allgemeinen Character das Mittel halten müsse zwischen der zunächst vorangehenden und der ihr nachfolgenden. So sind die Arten, welche auf der sechsten grossen Descendenzstufe unseres Schemas vorkommen, die abgeänderten Nachkommen derjenigen, welche schon auf der fünften vorhanden gewesen sind, und sind die Eltern der in der siebenten noch weiter abgeänderten; sie können daher nicht wohl anders als nahezu intermediär im Character zwischen den Lebensformen darunter und darüber sein. Wir müssen jedoch hierbei das gänzliche Erlöschen einiger früheren Formen und in einem jeden Gebiete die Einwanderung neuer Formen aus anderen Gegenden und die beträchtliche Umänderung der Formen während der langen Lücke zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Formationen mit in Betracht ziehen. Diese Zugeständnisse berücksichtigt, muss die Fauna jeder grossen geologischen Periode zweifelsohne das Mittel einnehmen zwischen der vorhergehenden und der folgenden. Ich brauche nur als Beispiel anzuführen, wie die Fossilreste des devonischen Systems sofort nach Entdeckung desselben von den Paläontologen als in termediär zwischen denen des darunterliegenden Silur- und des darauffolgenden Steinkohlensystemes erkannt wurden. Aber eine jede Fauna muss dieses Mittel nicht nothwendig genau einhalten, weil die zwischen aufeinanderfolgenden Formationen verflossenen Zeiträume ungleich lang gewesen sind.

Es ist kein wesentlicher Einwand gegen die Wahrheit der Behauptung, dass die Fauna jeder Periode im Ganzen genommen ungefähr das Mittel zwischen der vorhergehenden und der nachfolgenden Fauna halten müsse, darin zu finden, dass gewisse Gattungen Ausnahmen von dieser Regel bilden. So stimmen z.B., wenn man Mastodonten und Elephanten nach Dr. FALCONER zuerst nach ihrer gegenseitigen Verwandtschaft und dann nach ihrer geologischen Aufeinanderfolge in zwei Reihen ordnet, beide Reihen nicht miteinander überein. Die in ihren Characteren am weitesten abweichenden Arten sind weder die ältesten noch die jüngsten, noch sind die von mittlerem Character auch von mittlerem Alter. Nehmen wir aber für[410] einen Augenblick an, unsere Kenntnisse von den Zeitpunkten des Erscheinens und Verschwindens der Arten sei in diesem und ähnlichen Fällen vollständig, was aber durchaus nicht der Fall ist, so haben wir doch noch kein Recht zu glauben, dass die nacheinander auftretenden Formen nothwendig auch gleich lang bestehen mussten. Eine sehr alte Form kann gelegentlich eine viel längere Dauer als eine irgendwo anders später entwickelte Form haben, was insbesondere von solchen Landbewohnern gilt, welche in ganz getrennten Bezirken zu Hause sind. Kleines mit Grossem vergleichend wollen wir die Tauben als Beispiel wählen. Wenn man die lebenden und erloschenen Hauptrassen unserer Haustauben nach ihren Verwandtschaften in Reihen ordnete, so würde diese Anordnungsweise nicht genau übereinstimmen weder mit der Zeitfolge ihrer Entstehung, noch, und zwar noch weniger, mit der ihres Untergangs. Denn die stammelterliche Felstaube lebt noch, und viele Zwischenvarietäten zwischen ihr und der Botentaube sind erloschen, und Botentauben, welche in der Länge des Schnabels das Äusserste bieten, sind früher entstanden als die kurzschnäbeligen Purzler, welche das entgegengesetzte Ende der auf die Schnabellänge gegründeten Reihenfolge bilden.

Mit der Behauptung, dass die organischen Reste einer zwischenliegenden Formation auch einen nahezu intermediären Character besitzen, steht die Thatsache, worauf die Paläontologen bestehen, in nahem Zusammenhang, dass die Fossilen aus zwei aufeinanderfolgenden Formationen viel näher als die aus zwei entfernten miteinander verwandt sind. PICTET führt als ein bekanntes Beispiel die allgemeine Ähnlichkeit der organischen Reste aus den verschiedenen Etagen der Kreideformation an, obwohl die Arten in allen Etagen verschieden sind. Diese Thatsache allein scheint ihrer Allgemeinheit wegen Professor PICTET in seinem festen Glauben an die Unveränderlichkeit der Arten wankend gemacht zu haben. Wer mit der Vertheilungsweise der jetzt lebenden Arten über die Erdoberfläche bekannt ist, wird nicht versuchen, die grosse Ähnlichkeit verschiedener Species in nahe aufeinanderfolgenden Formationen damit zu erklären, dass die physikalischen Bedingungen der alten Ländergebiete sich nahezu gleich geblieben seien. Erinnern wir uns, dass die Lebensformen wenigstens des Meeres auf der ganzen Erde und mithin unter den allerverschiedensten Climaten und anderen Bedingungen fast gleichzeitig gewechselt haben, – und bedenken wir, welchen unbedeutenden Einfluss die wunderbarsten[411] climatischen Veränderungen während der die ganze Eiszeit umschliessenden Pleistocenperiode auf die specifischen Formen der Meeresbewohner ausgeübt haben!

Nach der Descendenztheorie tritt die volle Bedeutung der Thatsache klar zu Tage, dass fossile Reste aus unmittelbar aufeinanderfolgenden Formationen, wenn auch als verschiedene Arten aufgeführt, nahe miteinander verwandt sind. Da die Ablagerung jeder Formation oft unterbrochen worden ist und lange Pausen zwischen der Absetzung verschiedener successiver Formationen stattgefunden haben, so dürfen wir, wie ich im letzten Capitel zu zeigen versucht habe, nicht erwarten, in irgend einer oder zwei Formationen alle Zwischenvarietäten zwischen den Arten zu finden, welche am Anfang und am Ende dieser Formationen gelebt haben; wohl aber müssten wir nach Zwischenräumen (sehr lang in Jahren ausgedrückt, aber mässig lang in geologischem Sinne) nahe verwandte Formen oder, wie manche Schriftsteller sie genannt haben, »stellvertretende Arten« finden; und diese finden wir in der That. Kurz, wir entdecken diejenigen Beweise einer langsamen und kaum erkennbaren Umänderung specifischer Formen, wie wir sie zu erwarten berechtigt sind.


Über die Entwicklungsstufe alter Formen im Vergleich mit den noch lebenden

Wir haben im vierten Capitel gesehen, dass der Grad der Differenzierung und Specialisierung der Theile aller organischen Wesen in ihrem reifen Alter den besten bis jetzt aufgestellten Massstab zur Bemessung der Vollkommenheits- oder Höhenstufe derselben abgibt. Wir haben auch gesehen, dass, da die Specialisierung der Theile ein Vortheil für jedes Wesen ist, die natürliche Zuchtwahl streben wird, die Organisation eines jeden Wesens immer mehr zu spe cialisieren und somit, in diesem Sinne genommen, vollkommener und höher zu machen; was jedoch nicht ausschliesst, dass noch immer viele Geschöpfe, für einfachere Lebensbedingungen bestimmt, auch ihre Organisation einfach und unverbessert behalten und in manchen Fällen selbst in ihrer Organisation zurückschreiten oder vereinfachen, wobei aber immer derartig zurückgeschrittene Wesen ihren neuen Lebenswegen besser angepasst sind. Auch in einem andern und allgemeinem Sinne ergibt sich, dass die neuen Arten höhere als ihre Vorfahren werden; denn sie haben im Kampfe um's Dasein alle älteren Formen, mit denen sie in nahe Concurrenz kommen,[412] aus dem Felde zu schlagen. Wir können daher schliessen, dass, wenn in einem nahezu ähnlichen Clima die eocenen Bewohner der Welt in Concurrenz mit den jetzigen Bewohnern gebracht werden könnten, die ersteren unterliegen und von den letzteren vertilgt werden würden, ebenso wie eine secundäre Fauna von der eocenen und eine paläozoische von der secundären überwunden werden würde. Der Theorie der natürlichen Zuchtwahl gemäss müssten demnach die neuen Formen ihre höhere Stellung den alten gegenüber nicht nur durch diesen fundamentalen Beweis ihres Siegs im Kampfe um's Dasein, sondern auch durch eine weiter gediehene Specialisierung der Organe bewähren. Ist dies aber wirklich der Fall? Eine grosse Mehrzahl der Paläontologen würde dies bejahen; und es scheint, dass man diese Antwort wird für wahr halten müssen, wenn sie auch schwer zu beweisen ist.

Es ist kein gültiger Einwand gegen diesen Schluss, dass gewisse Brachiopoden von einer äusserst weit zurückliegenden geologischen Periode an nur wenig modificiert worden sind, und dass gewisse Land- und Süsswassermollusken von der Zeit an, wo sie, soweit es bekannt ist, zuerst erschienen, nahezu dieselben geblieben sind. Auch ist es keine unüberwindliche Schwierigkeit, dass Foraminiferen, wie CARPENTER betont hat, selbst von der Laurentischen Formation an in ihrer Organisation keinen Fortschritt gemacht haben; denn einige Organismen müssen eben einfachen Lebensbedingungen angepasst sein, und welche passten hierfür besser, als jene niedrig organisierten Protozoen? Derartige Einwände wie die obigen würden meiner Ansicht verderblich sein, wenn diese einen Fortschritt in der Organisation als wesentliches Moment enthielte. Es würde auch meiner Theorie verderblich sein, wenn z. B. nachgewiesen werden könnte, dass die eben genannten Foraminiferen zuerst während der Laurentischen Epoche, oder die erwähnten Brachiopoden zuerst in der cambrischen Formation aufgetreten wären; denn wenn dies bewiesen würde, so wäre die Zeit nicht hinreichend gewesen, um die Organismen bis zu dem dann erreichten Grade entwickeln zu lassen. Einmal bis zu einem gewissen Punkt fortgeschritten, ist nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl keine Nöthigung vorhanden, den Process noch fortdauern zu lassen; dagegen werden sie während jedes folgenden Zeitraumes leicht modificiert werden müssen, um ihre Stellung im Verhältnis zu den abändernden Lebensbedingungen behaupten zu können. Alle solche Einwände drehen sich um die Frage, ob wir wirklich wissen,[413] wie alt die Welt ist und in welchen Perioden die verschiedenen Lebensformen zuerst erschienen sind; und dies dürfte wohl bestritten werden.

Das Problem, zu entscheiden, ob die Organisation im Ganzen fortgeschritten ist, ist in vieler Hinsicht ausserordentlich verwickelt. Der geologische Bericht, schon zu allen Zeiten unvollständig, reicht nicht weit genug zurück, um mit nicht misszuverstehender Klarheit zu zeigen, dass innerhalb der bekannt gewordenen Geschichte der Erde die Organisation grosse Fortschritte gemacht hat. Sind doch selbst heutzutage, wenn man die Glieder der nämlichen Classe betrachtet, noch die Naturforscher nicht einstimmig, welche Formen als die höchsten zu betrachten sind. So sehen einige die Selachier oder Haie wegen einiger wichtigen Beziehungen ihrer Organisation zu der der Reptilien als die höchsten Fische an, während Andere die Knochenfische als solche betrachten. Die Ganoiden stehen in der Mitte zwischen den Haien und Knochenfischen. Heutzutage sind diese letzten an Zahl weit vorwaltend, während es vordem nur Haie und Ganoiden gegeben hat; und in diesem Falle wird man sagen, die Fische seien in ihrer Organisation vorwärts geschritten oder zurückgegangen, je nachdem man sie mit dem einen oder dem andern Massstabe misst. Aber es ist ein hoffnungsloser Versuch, die Stellung von Gliedern ganz verschiedener Typen nach dem Massstabe der Höhe gegeneinander abzumessen. Wer vermöchte zu sagen, ob ein Tintenfisch höher als die Biene stehe, – als das Insect, von dem der grosse Naturforscher v. BAER sagt, dass es in der That höher als ein Fisch organisiert sei, wenn auch nach einem andern Typus. In dem verwickelten Kampfe um's Dasein ist es ganz glaublich, dass solche Kruster z.B., welche in ihrer eigenen Classe nicht sehr hoch stehen, die Cephalopoden, diese vollkommensten Weichthiere, überwinden würden; und diese Kruster, obwohl nicht hoch entwickelt, würden doch sehr hoch auf der Stufenleiter der wirbellosen Thiere stehen, wenn man nach dem entscheidendsten aller Kriterien, dem Gesetze des Kampfes um's Dasein, urtheilt. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die es an und für sich hat zu entscheiden, welche Formen die in der Organisation fortgeschrittensten sind, haben wir nicht allein die höchsten Glieder einer Classe in je zwei verschiedenen Perioden (obwohl dies gewiss eines der wichtigsten oder vielleicht das wichtigste Element bei der Abwägung ist), sondern wir haben alle Glieder, hoch und nieder, in diesen zwei Perioden miteinander zu vergleichen. In einer alten[414] Zeit wimmelte es von vollkommensten sowohl als unvollkommensten Weichthieren, von Cephalopoden und Brachiopoden; während heutzutage diese beiden Ordnungen sehr zurückgegangen und die zwischen ihnen in der Mitte stehenden Classen mächtig angewachsen sind. Demgemäss haben einige Naturforscher geschlossen, dass die Mollusken vordem höher entwickelt gewesen seien als jetzt; während andere sich für die entgegengesetzte Ansicht auf die gegenwärtige ungeheure Verminderung der Brachiopoden mit um so mehr Gewicht berufen, als auch die noch vorhandenen Cephalopoden, obgleich weniger an Zahl, doch höher als ihre alten Stellvertreter organisiert sind. Wir müssen auch die Proportionalzahlen der oberen und der unteren Classen der Bevölkerung der ganzen Erde in je zwei verschiedenen Perioden miteinander vergleichen. Wenn es z.B. jetzt 50000 Arten Wirbelthiere gäbe und wir dürften deren Anzahl in irgend einer frühern Periode nur auf 10000 schätzen, so müssten wir diese Zunahme der obersten Classen, welche zugleich eine grosse Verdrängung tieferer Formen aus ihrer Stelle bedingte, als einen entschiedenen Fortschritt in der organischen Bildung auf der Erde betrachten. Man ersieht hieraus, wie gering allem Anscheine nach die Hoffnung ist, unter so äusserst verwickelten Beziehungen jemals in vollkommen richtiger Weise die relative Organisationsstufe unvollkommen bekannter Faunen aufeinanderfolgender Perioden in der Erdgeschichte zu beurtheilen.

Wir werden diese Schwierigkeit noch richtiger würdigen, wenn wir gewisse jetzt existierende Faunen und Floren in's Auge fassen. Nach der aussergewöhnlichen Art zu schliessen, in der sich in neuerer Zeit aus Europa eingeführte Erzeugnisse über Neu-Seeland verbreitet und Plätze eingenommen haben, welche doch schon vorher von den eingeborenen Formen besetzt gewesen sein müssen, müssen wir glauben, dass, wenn man alle Pflanzen und Thiere Gross-Britanniens dort frei aussetzte, eine Menge britischer Formen mit der Zeit vollständig daselbst naturalisieren und viele der eingeborenen vertilgen würde. Dagegen dürfte die Thatsache, dass noch kaum ein Bewohner der südlichen Hemisphäre in irgend einem Theile Europa's verwildert ist, uns zu zweifeln veranlassen, ob, wenn alle Naturerzeugnisse Neu-Seelands in Gross-Britannien frei ausgesetzt würden, eine irgend beträchtliche Anzahl derselben vermögend wäre, sich jetzt von eingeborenen Pflanzen und Thieren schon besetzte Stellen zu erobern. Von diesem Gesichtspunkte aus kann man sagen, dass die Producte Gross-Britanniens viel höher[415] auf der Stufenleiter als die Neu-Seeländischen stehen. Und doch hätte der tüchtigste Naturforscher nach Untersuchung der Arten beider Gegenden dieses Resultat nicht voraussehen können.

AGASSIZ und mehrere andere äusserst competente Gewährsmänner heben hervor, dass alte Thiere in gewissen Beziehungen den Embryonen neuerer Thierformen derselben Classen gleichen, und dass die geologische Aufeinanderfolge erloschener Formen nahezu der embryonalen Entwicklung jetzt lebender Formen parallel läuft. Diese Ansicht stimmt mit der Theorie der natürlichen Zuchtwahl wundervoll überein. In einem spätern Capitel werde ich zu zeigen versuchen, dass die Erwachsenen von ihren Embryonen in Folge von Abänderungen abweichen, welche nicht in der frühesten Jugend erfolgen und auch erst auf die entsprechende Altersstufe vererbt werden. Während dieser Process den Embryo fast unverändert lässt, häuft er im Laufe aufeinanderfolgender Generationen immer mehr Verschiedenheit in den Erwachsenen zusammen. So erscheint der Embryo gleichsam wie ein von der Natur aufbewahrtes Portrait des früheren und noch nicht sehr modificierten Zustandes einer jeden Species. Diese Ansicht mag richtig sein, dürfte jedoch nie eines vollkommenen Beweises fähig sein. Denn fänden wir auch, dass z.B. die ältesten bekannten Formen der Säugethiere, der Reptilien und der Fische zwar genau diesen Classen angehörten, aber doch von einander etwas weniger verschieden wären als die jetzigen typischen Vertreter dieser Classen, so würden wir uns doch so lange vergebens nach Thieren umsehen, welche noch den gemeinsamen Embryonalcharacter der Vertebraten an sich trügen, als wir nicht fossilienreiche Schichten noch tief unter den untersten cambrischen entdeckten, wozu in der That sehr wenig Aussicht vorhanden ist.


Über die Aufeinanderfolge derselben Typen innerhalb gleicher Gebiete während der späteren Tertiärperioden

CLIFT hat vor vielen Jahren gezeigt, dass die fossilen Säugethiere aus den Knochenhöhlen Neuhollands sehr nahe mit den noch jetzt dort lebenden Beutelthieren verwandt gewesen sind. In Süd-America hat sich eine ähnliche Beziehung selbst für das ungeübte Auge ergeben in den Armadill-ähnlichen Panzerstücken von riesiger Grösse, welche in verschiedenen Theilen von La Plata gefunden worden sind; und Professor OWEN hat auf's Schlagendste nachgewiesen, dass die meisten der dort so zahlreich fossil gefundenen[416] Thiere südamericanischen Typen angehören. Diese Beziehung ist selbst noch deutlicher in den wundervollen Sammlungen fossiler Knochen zu erkennen, welche LUND und CLAUSEN aus den brasilischen Höhlen mitgebracht haben. Diese Thatsachen machten einen solchen Eindruck auf mich, dass ich in den Jahren 1839 und 1845 dieses »Gesetz der Succession gleicher Typen«, diese »wunderbare Beziehung zwischen den Todten und Lebenden in einerlei Continent« sehr nachdrücklich hervorhob. Professor OWEN hat später dieselbe Verallgemeinerung auch auf die Säugethiere der alten Welt ausgedehnt. Wir finden dasselbe Gesetz wieder in den von ihm restaurierten ausgestorbenen Riesenvögeln Neu-Seelands. Wir sehen es auch in den Vögeln der brasilischen Höhlen. WOODWARD hat gezeigt, dass dasselbe Gesetz auch auf die See-Conchylien anwendbar ist, obwohl es der weiten Verbreitung der meisten Molluskengattungen wegen nicht sehr deutlich entwickelt ist. Es liessen sich noch andere Beispiele anführen, wie die Beziehungen zwischen den erloschenen und lebenden Landschnecken auf Madeira und zwischen den ausgestorbenen und jetzigen Brackwasser-Conchylien des Aral-Kaspischen Meeres.

Was bedeutet nun dieses merkwürdige Gesetz der Aufeinanderfolge gleicher Typen in gleichen Ländergebieten? Vergleicht man das jetzige Clima Neuhollands und der unter gleicher Breite damit gelegenen Theile Süd-America's miteinander, so würde es als ein kühnes Unternehmen erscheinen, einerseits aus der Unähnlichkeit der physikalischen Bedingungen die Unähnlichkeit der Bewohner dieser zwei Continente und andererseits aus der Ähnlichkeit der Verhältnisse das Gleichbleiben der Typen in jedem derselben während der späteren Tertiärperioden erklären zu wollen. Auch lässt sich nicht behaupten, dass einem unveränderlichen Gesetze zufolge Beutelthiere hauptsächlich oder allein nur in Neuholland, oder dass Edentaten und andere der jetzigen americanischen Typen nur in America hervorgebracht worden sein sollten. Denn es ist bekannt, dass Europa in alten Zeiten von zahlreichen Beutelthieren bevölkert war; und ich habe in den oben angedeuteten Schriften gezeigt, dass in America das Verbreitungsgesetz für die Landsäugethiere früher ein anderes war als es jetzt ist. Nord-America betheiligte sich früher sehr an dem jetzigen Character der südlichen Hälfte des Continents, und die südliche Hälfte war früher mehr als jetzt mit der nördlichen verwandt. Durch FALCONER und CAUTLEY'S Entdeckung wissen wir in ähnlicher Weise, dass Nord-Indien hinsichtlich seiner Säugethiere[417] früher in näherer Beziehung als jetzt zu Africa stand. Analoge Thatsachen liessen sich auch von der Verbreitung der Seethiere anführen.

Nach der Theorie der Descendenz mit Modification erklärt sich das grosse Gesetz langwährender aber nicht unveränderlicher Aufeinanderfolge gleicher Typen auf einem und demselben Gebiete unmittelbar. Denn die Bewohner eines jeden Theils der Welt werden offenbar streben, in diesem Theile während der zunächst folgenden Zeitperiode nahe verwandte, doch etwas abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen. Sind die Bewohner eines Continents früher von denen eines andern Festlandes sehr verschieden gewesen, so werden ihre abgeänderten Nachkommen auch jetzt noch in fast gleicher Art und fast gleichem Grade von einander abweichen. Aber nach sehr langen Zeiträumen und sehr grosse Wechselwanderungen gestattenden geographischen Veränderungen werden die schwächeren den herrschenderen Formen weichen und so ist nichts unveränderlich in Verbreitungsgesetzen früherer und jetziger Zeit.

Vielleicht fragt man mich, um die Sache in's Lächerliche zu ziehen, ob ich glaube, dass das Megatherium und die anderen ihm verwandten Ungethüme in Süd-America das Faulthier, das Armadill und die Ameisenfresser als ihre degenerierten Nachkommen hinterlassen haben. Dies kann man keinen Augenblick zugeben. Jene grossen Thiere sind völlig erloschen, ohne eine Nachkommenschaft hinterlassen zu haben. Aber in den Höhlen Brasiliens finden sich viele ausgestorbene Arten, welche in Grösse und anderen Merkmalen mit den noch jetzt in Süd-America lebenden Species nahe verwandt sind, und einige dieser Fossilen mögen wirklich die Erzeuger noch jetzt dort lebender Arten gewesen sein. Man darf nicht vergessen, dass nach meiner Theorie alle Arten einer und derselben Gattung von einer und der nämlichen Species abstammen, so dass, wenn von sechs Gattungen eine jede acht Arten in einerlei geologischer Formation enthält und in der nächstfolgenden Formation wieder sechs andere verwandte oder stellvertretende Gattungen mit gleicher Artenzahl vorkommen, wir dann schliessen dürfen, dass nur eine Art von jeder der sechs älteren Gattungen modificierte Nachkommen hinterlassen habe, welche die verschiedenen Species der neueren Gattungen bildeten; die anderen sieben Arten der alten Genera sind alle ausgestorben, ohne Erben zu hinterlassen. Doch möchte es wahrscheinlich weit öfter vorkommen, dass zwei oder drei Arten von nur zwei oder drei unter den sechs alten Gattungen die Eltern der neuen[418] Genera gewesen und die anderen alten Arten und sämmtliche übrigen alten Gattungen gänzlich erloschen sind. In untergehenden Ordnungen mit abnehmender Gattungs- und Artenzahl, wie es offenbar die Edentaten Süd-America's sind, werden noch weniger Genera und Species abgeänderte Nachkommen in gerader Linie hinterlassen.


Zusammenfassung des vorigen und dieses Capitels

Ich habe zu zeigen gesucht, dass die geologische Urkunde äusserst unvollständig ist; dass erst nur ein kleiner Theil der Erdoberfläche sorgfältig geologisch untersucht worden ist; dass nur gewisse Classen organischer Wesen zahlreich in fossilem Zustande erhalten sind; dass die Anzahl der in unseren Museen aufbewahrten Individuen und Arten gar nichts bedeutet im Vergleiche mit der unberechenbaren Zahl von Generationen, die nur während einer einzigen Formationszeit aufeinandergefolgt sein müssen; dass an mannichfaltigen fossilen Species reiche Formationen, mächtig genug um künftiger Zerstörung zu widerstehen, sich beinahe nothwendig nur während der Senkungsperioden ablagern konnten und daher grosse Zeitzwischenräume zwischen den meisten unserer aufeinanderfolgenden Formationen verflossen sind; dass wahrscheinlich während der Senkungszeiten mehr Aussterben und während der Hebungszeit mehr Abändern organischer Formen stattgefunden hat; dass der Bericht aus diesen letzten Perioden am unvollständigsten erhalten ist; dass jede einzelne Formation nicht in ununterbrochenem Zusammenhang abgelagert worden ist; dass die Dauer jeder Formation wahrscheinlich kurz war im Vergleich zur mittlern Dauer der Artformen; dass Einwanderungen einen grossen Antheil am ersten Auftreten neuer Formen in irgend einem Lande oder einer Formation gehabt haben; dass die weit verbreiteten Arten am meisten variiert und am öftersten Veranlassung zur Entstehung neuer Arten gegeben haben; dass Varietäten anfangs nur local gewesen sind. Endlich ist es, obschon jede Art zahlreiche Übergangsstufen durchlaufen haben muss, wahrscheinlich, dass die Zeiträume, während deren eine jede der Modification unterlag, zwar zahlreich und nach Jahren gemessen lang, aber mit den Perioden verglichen, in denen sie unverändert geblieben sind, kurz gewesen sind. Alle diese Ursachen zusammengenommen werden es zum grossen Theile erklären, warum wir zwar viele Mittelformen zwischen den Arten einer Gruppe finden, warum wir aber nicht endlose Varietätenreihen die erloschenen und lebenden Formen in den feinsten Abstufungen miteinander verketten[419] sehen. Man sollte auch beständig im Sinn behalten, dass zwei oder mehrere Formen miteinander verbindende Varietäten, die gefunden würden, als ebenso viele neue und verschiedene Arten betrachtet werden würden, wenn man nicht die ganze Kette vollständig herstellen könnte; denn wir können nicht behaupten, irgend ein sicheres Criterium zu besitzen, nach dem sich Arten von Varietäten unterscheiden lassen.

Wer diese Ansichten von der Unvollkommenheit der geologischen Urkunden verwerfen will, muss auch folgerichtig meine ganze Theorie verwerfen. Denn vergebens wird er dann fragen, wo die zahlreichen Übergangsglieder geblieben sind, welche die nächstverwandten oder stellvertretenden Arten einst miteinander verkettet haben müssen, die man in den aufeinanderfolgenden Lagern einer und derselben grossen Formation übereinander findet. Er wird nicht an die unermesslichen Zwischenzeiten glauben, welche zwischen unseren aufeinanderfolgenden Formationen verflossen sein müssen; er wird übersehen, welchen wesentlichen Antheil die Wanderungen, – die Formationen irgend einer grossen Weltgegend wie Europa für sich allein betrachtet, – gehabt haben; er wird sich auf das offenbare, aber oft nur scheinbar plötzliche Auftreten ganzer Artengruppen berufen. Er wird fragen, wo denn die Reste jener unendlich zahlreichen Organismen geblieben sind, welche lange vor der Bildung des cambrischen Systems abgelagert worden sein müssen? Wir wissen jetzt, dass wenigstens ein Thier damals existierte; diese letzte Frage kann ich aber nur hypothetisch beantworten mit der Annahme, dass unsere Oceane sich schon seit unermesslichen Zeiträumen an ihren jetzigen Stellen befunden haben, und dass da, wo unsere auf und ab schwankenden Continente jetzt stehen, sie sicher seit dem Beginn des cam brischen Systems gestanden haben; dass aber die Erdoberfläche lange vor dieser Periode ein ganz anderes Aussehen gehabt haben dürfte, und dass die älteren Continente, aus Formationen noch viel älter als irgend eine uns bekannte bestehend, sich jetzt nur in metamorphischem Zustande befinden oder tief unter dem Ocean versenkt liegen.

Doch sehen wir von diesen Schwierigkeiten ab, so scheinen mir alle anderen grossen und leitenden Thatsachen in der Paläontologie wunderbar mit der Theorie der Descendenz mit Modification durch natürliche Zuchtwahl übereinzustimmen. Es erklärt sich daraus, warum neue Arten nur langsam und nacheinander auftreten, warum Arten verschiedener Classen nicht nothwendig zusammen oder in[420] gleichem Verhältnisse oder in gleichem Grade sich verändern, dass aber alle im Verlaufe langer Perioden Veränderungen in gewisser Ausdehnung unterliegen. Das Erlöschen alter Formen ist die fast unvermeidliche Folge vom Entstehen neuer. Wir können einsehen, warum eine Species, wenn sie einmal verschwunden ist, nie wieder erscheint. Artengruppen wachsen nur langsam an Zahl und dauern ungleich lange Perioden; denn der Process der Modification ist nothwendig ein langsamer und von vielerlei verwickelten Momenten abhängig. Die herrschenden Arten der grösseren und herrschenden Gruppen streben danach, viele abgeänderte Nachkommen zu hinterlassen, welche wieder neue Untergruppen und Gruppen bilden. Im Verhältnisse als diese entstehen, neigen sich die Arten minder kräftiger Gruppen in Folge ihrer von einem gemeinsamen Urerzeuger ererbten Unvollkommenheit dem gemeinsamen Erlöschen zu, ohne irgendwo auf der Erdoberfläche eine abgeänderte Nachkommenschaft zu hinterlassen. Aber das gänzliche Erlöschen einer ganzen Artengruppe ist oft ein langsamer Process gewesen, da einzelne Arten in geschützten oder abgeschlossenen Standorten kümmernd noch eine Zeitlang fortleben konnten. Ist eine Gruppe einmal vollständig untergegangen, so erscheint sie nie wieder, denn die Reihe der Generationen ist abgebrochen.

Wir können einsehen, woher es kommt, dass die herrschenden Lebensformen, welche weit verbreitet sind und die grösste Zahl von Varietäten ergeben, die Erde mit verwandten jedoch modificierten Nachkommen zu bevölkern streben, denen es sodann gewöhnlich gelingt, die Plätze jener Artengruppen einzunehmen, welche vor ihnen im Kampfe um's Dasein unterliegen. Daher wird es denn nach langen Zwischenräumen aussehen, als hätten die Bewohner der Erdoberfläche überall gleichzeitig gewechselt.

Wir können einsehen, woher es kommt, dass alle Lebensformen, die alten wie die neuen, zusammen nur wenige grosse Classen bilden. Es ist aus der fortgesetzten Neigung zur Divergenz des Characters begreiflich, warum, je älter eine Form ist, sie um so mehr von den jetzt lebenden abweicht; warum alte und erloschene Formen oft Lücken zwischen lebenden auszufüllen geeignet sind und zuweilen zwei Gruppen zu einer einzigen vereinigen, welche zuvor als getrennte aufgestellt worden waren, obwohl sie solche in der Regel einander nur etwas näher rücken. Je älter eine Form ist, um so öfter hält sie in einem gewissen Grade zwischen jetzt getrennten Gruppen das Mittel; denn je älter eine Form ist, desto näher verwandt[421] und mithin ähnlicher wird sie dem gemeinsamen Stammvater solcher Gruppen sein, welche seither weit auseinander gegangen sind. Erloschene Formen halten selten direct das Mittel zwischen lebenden, sondern stehen in deren Mitte nur in Folge einer weitläufigen Verkettung durch viele erloschene und abweichende Formen. Wir ersehen deutlich, warum die organischen Reste dicht aufeinanderfolgender Formationen einander nahe verwandt sind; denn sie hängen durch Zeugung eng miteinander zusammen. Wir vermögen endlich einzusehen, warum die organischen Reste einer mittleren Formation auch in ihren Characteren intermediär sind.

Die Bewohner der Erde aus einer jeden der aufeinanderfolgenden Perioden ihrer Geschichte haben ihre Vorgänger im Kampfe um's Dasein besiegt und stehen insofern auf einer höheren Vollkommenheitsstufe als diese, und ihr Körperbau ist im Allgemeinen mehr specialisiert worden; dies kann die allgemeine Annahme so vieler Paläontologen erklären, dass die Organisation im Ganzen fortgeschritten sei. Ausgestorbene und geologisch alte Thiere sind in gewissem Grade den Embryonen neuerer zu denselben Classen gehöriger Thiere ähnlich; und diese wunderbare Thatsache erhält aus unserer Theorie eine einfache Erklärung. Die Aufeinanderfolge gleicher Organisationstypen innerhalb gleicher Gebiete während der letzten geologischen Perioden hört auf geheimnisvoll zu sein und wird nach dem Grundsatze der Vererbung verständlich.

Wenn daher die geologische Urkunde so unvollständig ist, wie es viele glauben (und es lässt sich wenigstens behaupten, dass das Gegentheil nicht erweisbar ist), so werden die Haupteinwände gegen die Theorie der natürlichen Zuchtwahl in hohem Grade abgeschwächt, oder sie verschwinden gänzlich. Andererseits scheinen mir alle Hauptgesetze der Paläontologie deutlich zu beweisen, dass die Arten durch gewöhnliche Zeugung entstanden sind. Frühere Lebensformen sind durch neue und vollkommenere Formen, den Producten der Variation und des Überlebens des Passendsten, ersetzt worden.[422]

Quelle:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. Stuttgart 91899, S. 390-423.
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