Vierte Untersuchung.
Ueber das Wahre und Falsche.

[70] Ich habe mich in diesen Tagen an die Abtrennung der Seele von den Sinnen so gewohnt und habe so genau bemerkt, wie gering das von den körperlichen Dingen wahrhaft Erkannte ist, und wie ich weit mehr von der menschlichen Seele und noch viel mehr von Gott erkenne, dass es mir gar nicht mehr schwer fällt, meine Gedanken von den anschaulichen Dingen weg zu den begrifflichen und von allem Stoff gelösten zu wenden. Ich habe fürwahr eine viel deutlichere Vorstellung von der menschlichen Seele, soweit sie ein denkendes Wesen ist, was keine Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe und nichts sonst von einem Körper als nur die Vorstellung desselben überhaupt hat; und während ich bemerke, dass ich zweifle, also ein unvollständiges und abhängiges Wesen bin, tritt mir die klare und deutliche Vorstellung eines unabhängigen und vollständigen Wesens, d.h. Gottes, entgegen. Daraus allein, dass eine solche Vorstellung in mir ist, oder dass ich mit einer solchen Vorstellung bestehe, schliesse ich völlig sicher, dass auch Gott ist, und dass von ihm mein Dasein in den einzelnen Zeitpunkten abhängt; ich bin überzeugt, dass der menschliche Geist nichts sicherer und offenbarer erkennen kann.

So glaube ich schon einen Weg zu erblicken, auf dem ich von der Betrachtung des wahren Gottes, in dem nämlich alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit verborgen sind, zur Kenntniss der übrigen Dinge gelangen kann. Vor Allem erkenne ich die Unmöglichkeit, dass er mich täuschen sollte; denn in aller Täuschung und Betrug ist etwas von Unvollkommenheit enthalten, und wenngleich[70] die Fähigkeit, zu täuschen, ein Beweis von Scharfsinn oder Kraft zu sein scheint, so beweist doch der Wille, zu täuschen, unzweifelhaft eine Bosheit oder Schwäche und gehört deshalb nicht zu Gott. Ferner bemerke ich, dass eine gewisse Urtheilskraft in mir ist, die ich, wie alles Andere in mir, gewiss von Gott erhalten habe, und da Gott mich nicht täuschen will, so hat er mir gewiss nicht eine solche gegeben, bei deren rechtem Gebrauch ich irgend irren könnte. Auch könnte hierüber kein Zweifel bestellen, wenn nicht daraus scheinbar folgte, dass ich niemals irren könnte. Denn wenn ich Alles in mir von Gott habe, und er mir kein Vermögen, zu irren, gegeben hätte, so könnte[71] ich auch niemals irren. So lange ich daher an Gott denke und mich ganz mit ihm beschäftige, treffe ich keine Ursache des Irrthums oder der Unwahrheit an; wenn ich aber auf mich zurückkomme, sehe ich mich unzähligen Irrthümern ausgesetzt, und wenn ich nach deren Ursache forsche, bemerke ich, dass nicht blos die reale und positive Vorstellung Gottes oder eines vollkommensten Wesens, sondern auch eine gewisse verneinende Vorstellung des so zu sagen Nichts oder dessen, was von jeder Vollkommenheit am weitesten absteht, mir gegenübersteht, und dass ich gleichsam als etwas Mittleres zwischen Gott und dem Nichts oder zwischen dem höchsten Sein und Nichtsein aufgestellt bin. Soweit ich nun von dem höchsten Wesen geschaffen bin, ist nichts in mir, was mich täuschte oder in Irrthum führte; aber soweit ich auch gewissermassen an dem Nichts oder an dem Nicht-Sein Theil habe, d.h. insoweit ich das höchste Wesen selbst nicht bin, fehlt mir sehr Vieles, und es ist deshalb nicht zu verwundern, dass ich mich irre. So sehe ich wenigstens ein, dass der Irrthum als solcher nichts Reales ist, was von Gott kommt, sondern nur ein Mangel. Ich bedarf deshalb zu dem Irrthum keines Vermögens, das mir Gott zu dem Ende gegeben hätte, sondern mein Irren kommt daher, dass das Vermögen, das Wahre einzusehen, welches ich von ihm habe, in mir nicht unendlich ist.[72]

Indess genügt dies noch nicht vollständig; denn der Irrthum ist keine reine Verneinung, sondern ein Mangel oder das Fehlen einer gewissen Kenntniss, die gewissermassen in mir sein sollte. Wenn ich nun auf die Natur Gottes Acht habe, scheint es mir unmöglich, dass er in mich ein in seiner Art nicht vollkommenes Vermögen oder ein Vermögen, was einer ihm zugehörigen Vollkommenheit entbehren, gelegt haben sollte. Bonn je erfahrener ein Werkmeister ist, desto vollkommnere Werke gehen von ihm aus; wie könnte daher wohl von jenem höchsten Schöpfer aller Dinge etwas gemacht sein, was nicht in allen Richtungen vollkommen wäre? – Unzweifelhaft konnte Gott mich so erschaffen, dass ich niemals[73] irrte; auch will er unzweifelhaft immer das Beste; ist es nun besser, dass ich irre, als dass ich nicht irre? – Während ich dies genauer erwäge, fällt mir zunächst bei, dass ich mich nicht wundern darf, wenn von Gott etwas geschieht, dessen Grund ich nicht einsehe, und dass ich an seinem Dasein nicht deshalb zweifeln darf, weil ich zufällig Einiges bemerke, von dem ich nicht begreife, weshalb und wie es von ihm gemacht ist. Denn da ich weiss, dass meine Natur sehr schwach und beschränkt ist, Gottes Natur aber unermesslich, unbegreiflich, unendlich, so weiss ich hiervon auch, dass er Unzähliges vermag, dessen Ursachen ich nicht kenne. Dieses allein liebt nach meiner Meinung den Gebrauch aller jener Gründe bei den physischen Dingen auf, welche von dem Zweck entlehnt werden; denn ich kann nicht ohne Verwegenheit meinen, die Zwecke Gottes auszufinden.

Ich bemerke ferner, dass nicht ein Geschöpf für sich, sondern das Ganze aller Dinge berücksichtigt werden muss, wenn man untersucht, ob die Werke Gottes vollkommen sind. Denn das, was vielleicht nicht mit Unrecht sehr unvollkommen erscheint, wenn es Für sich betrachtet wird, ist in der Auffassung als Theil der Welt durchaus vollkommen, und obgleich ich an Allem habe zweifeln wollen und von nichts als von mir und Gott sicher das Dasein erkannt habe, so kann ich doch, nachdem ich die Allmacht Gottes erkannt habe, nicht leugnen, dass vieles Andere von ihm gemacht ist oder wenigstens gemacht werden konnte, mithin ich nur in dem Verhältniss eines Theiles zur Gesammtheit der Dinge stehe.[74]

Wenn ich dann näher an mich herantrete und erforsche, welcher Art die Irrthümer seien (die allein eine Unvollkommenheit in mir beweisen), so bemerke ich, dass sie von zwei Umständen, die zugleich zusammentreffen, bedingt sind; nämlich von den in mir befindlichen Vermögen, zu erkennen, und von dem Vermögen, zu wählen, oder der Wahlfreiheit; also von dem Verstände und zugleich von dem Willen. Denn durch den Verstand allein erfasse ich nur Vorstellungen, von denen ich urtheilen kann, dass kein eigentlicher Irrthum im genauen Sinne in ihnen angetroffen wird. Denn wenn es vielleicht auch unzählige Dinge giebt, von denen ich keine Vorstellungen in mir habe, so kann man doch nicht sagen, dass ich deren beraubt bin, sondern dass ich nur negativ ihrer ermangele. Ich kann nämlich keinen Grund beibringen, welcher bewiese, dass Gott mir ein grösseres Vermögen, zu erkennen, als geschehen, hätte zutheilen müssen. So sehr ich ihn also als einen erfahrenen Werkmeister anerkenne, so nehme ich doch nicht an, dass er in die einzelnen seiner Werke alle Vollkommenheiten hätte legen müssen, welche er in einige legen kann. Auch kann ich mich nicht beklagen , dass ich keinen umfassenden und vollkommenen Willen oder Wahlfreiheit von Gott empfangen habe, denn ich bemerke, dass sie durch keine Schranken beengt ist. Und es ist auch, was mir sehr bemerkenswerth scheint, nichts Anderes in mir so vollkommen und so gross, dass ich nicht einsehe, es könnte vollkommener und grösser sein. Denn wenn ich z.B. mein Vermögen, zu erkennen, betrachte, so sehe ich sogleich, dass es sehr gering und sehr beschränkt in mir ist, und bilde mir gleichzeitig die Vorstellung eines ändern grösseren, ja eines grössten und unendlichen solchen Vermögens und weiss, dass es blos[75] deshalb, weil ich dessen Vorstellung bilden kann, zu Gottes Natur gehört. Wenn ich in derselben Weise das Vermögen der Erinnerung oder Einbildung oder sonst ein anderes untersuchte, so finde ich sie alle schwach und beschränkt in mir und unermesslich in Gott. Nur den Willen oder die Wahlfreiheit nehme ich so gross in mir wahr, dass ich die Vorstellung einer grösseren nicht fassen kann. Deshalb ist dieser Wille es vorzüglich, auf dessen Grund ich annehme, dass ich ein Bild von Gott bin und eine Aehnlichkeit mit ihm in mir habe. Denn der Wille ist allerdings in Gott unvergleichlich grösser als in mir, sowohl in Beziehung auf die mit ihm verbundene Erkenntniss und Macht, die ihn fester und wirksamer machen, als auch in Beziehung auf den Gegenstand, weil er auf Mehreres sich erstreckt; allein in sich, in Wirklichkeit und genau betrachtet, erscheint er bei Gott nicht grösser, weil er nur darin besteht, dass wir etwas thun oder nicht thun können (d.h. bejahen oder verneinen, begehren oder verabscheuen), oder vielmehr darin, dass wir das, was der Verstand uns vorlegt, zu bejahen oder zu verneinen, zu begehren oder zu verabscheuen, so bestimmt werden, dass wir fühlen, keine äussere Kraft nöthige uns dazu. Denn[76] es ist nicht erforderlich, dass ich mich zu beiden Seiten wenden könne, um frei zu sein; vielmehr erwähle ich die eine um so freier, je mehr ich zu dieser mich neige, sei es, weil ich den Grund des Wahren und Guten in ihr klar erkenne, oder weil Gott meine innersten Gedanken so bestimmt. Auch vermindert weder die göttliche Gnade noch die natürliche Erkenntniss irgendwie die Freiheit; vielmehr vermehren und stärken sie dieselbe. Jene Gleichgültigkeit aber, die ich empfinde, wenn kein Grund mich mehr auf die eine als auf die andere Seite treibt, ist der niedrigste Grad der Freiheit und keine Vollkommenheit derselben; vielmehr zeugt sie nur von einem Mangel in der Erkenntniss oder von einer Verneinung. Denn wenn ich immer deutlich das Walire und Gute schaute, so würde ich niemals über mein Urtheil und meine Wahl schwanken und so, obgleich vollkommen frei, doch niemals gleichgültig sein.

Hieraus entnehme ich, dass auch das Vermögen, zu wollen, was ich von Gott habe, an sich betrachtet, nicht die Ursache meiner Irrthümer sein kann; denn es ist das Umfassendste und in seiner Art vollkommen. Ebensowenig kann das Vermögen, zu erkennen, der Grund sein; denn was ich erkenne, erkenne ich unzweifelhaft richtig, da ich das Erkennen von Gott habe, und ich kann mich darin nicht täuschen. Woher kommen also meine Irrthümer? – Offenbar aus dem Einen, dass mein Wille sich weiter erstreckt als mein Verstand, und ich jenen nicht in denselben Schranken halte, sondern auch auf das, was ich nicht einsehe, ausdehne. Da der Wille hier durch nichts bestimmt wird, so weicht er leicht von dem Wahren und Guten ab, und so irre und sündige ich.[77]

Als ich z.B. in diesen Tagen untersuchte, ob etwas in der Welt bestände, und ich aus diesem blossen Untersuchen die deutliche Folge entnahm, dass ich selbst bestände, so konnte ich nicht leugnen, dass das, was ich so klar und deutlich einsah, wahr sei. Ich wurde dabei durch keine äussere Gewalt genöthigt; sondern aus dem grossen Lichte im Verstande ist eine grosse Neigung in dem Willen gefolgt, und so habe ich um so mehr von selbst und freiwillig das geglaubt, je weniger ich mich dazu gleichgültig verhielt. Jetzt aber weiss ich nicht[78] allein, dass ich, insoweit ich ein denkendes Wesen bin, bestehe, sondern es tritt mir auch die Vorstellung einer körperlichen Natur entgegen, und es trifft sich, dass ich zweifle, ob die denkende Natur, die in mir ist, oder die ich vielmehr selbst bin, von jener körperlichen Natur verschieden ist, oder ob beide dasselbe sind. Ich nehme an, dass meinem Verstande sich noch kein Grund zeigt, der mich mehr für das Eine als für das Andere bestimmte; ich bin deshalb wenigstens unentschieden, ob ich eines von beiden bejahen oder verneinen oder nichts darüber aussagen soll. Diese Gleichgültigkeit erstreckt sich, nicht blos auf das, wovon der Verstand gar nichts erkennt, sondern allgemein auf Alles, was von ihm nicht hinreichend zu der Zeit erkannt wird, wo der Wille in Betreff desselben schwankt. Denn wenn auch noch so viel wahrscheinliche Annahmen mich auf die eine Seite ziehen, so genügt doch das blosse Wissen, dass dies nur Vermuthungen, aber keine zuverlässigen und unzweifelhaften Gründe sind, um meine Zustimmung dem Gegentheil zuzuwenden. Ich habe dies sattsam in diesen Tagen erfahren, wo ich Alles, was ich früher für ganz zuverlässig hielt, deshalb allein, weil ich bemerkte, man könne dasselbe in einer Art bezweifeln, für durchaus falsch annahm. Wenn ich nun, so lange als ich das Walire nicht klar und deutlich erkenne, mich des Urtheils enthalte, so ist klar, dass ich richtig handle und mich nicht irre. Vielmehr gebrauche ich, wenn ich in solchem Falle behaupte oder leugne, mein Urtheil nicht richtig, und ich werde ganz getäuscht, wenn ich auf die falsche Seite mich wende; erfasse ich aber die andere, so treffe ich zwar durch Zufall die Wahrheit, aber ich bin deshalb doch nicht ohne Schuld, weil es nach dem natürlichen Licht offenbar ist, dass die Erkenntniss des Verstandes immer den Entschluss des Willens vorausgehen muss. In diesem unrichtigen Gebrauch der Wahlfreiheit ist jener Mangel enthalten, welche das Wesen des Irrthums ausmacht. Ich sage, der Mangel liegt in dem Handeln selbst, soweit es von mir ausgeht,[79] und nicht in dem Vermögen, was ich von Gott empfangen habe; auch nicht in dem Handeln, soweit es von diesem abhängt. Denn ich habe keine Ursache, mich zu beklagen, dass Gott mir keine grössere Kraft des Verstandes oder kein grösseres natürliches Licht, als geschehen, gegeben hat, weil es dem endlichen Verstände eigen ist, dass er Vieles nicht einsieht, und dem erschaffenen Verstände, dass er endlich ist. Ich habe vielmehr dem, der mir niemals etwas schuldete, Dank für das von ihm Empfangene zu sagen und nicht zu meinen, dass ich von ihm beraubt worden, oder dass er das, was er mir nur nicht gegeben, mir genommen habe. Ich kann mich auch nicht beklagen, dass er mir einen Willen gegeben hat, der sich weiter als die Einsicht erstreckt; denn da der Wille nur in dem Einen, gleichsam Untheilbaren besteht, so gestattet es seine Natur nicht, ihm etwas abzunehmen, vielmehr schulde ich dem Geber um so mehr Dank, je umfassender der Wille ist. Endlich kann ich mich auch nicht darüber beklagen, dass Gott gemeinsam mit mir jene einzelnen Akte des Willens oder jene Urtheile hervorlockt, in denen ich irre; denn jene Akte sind durchaus gut und wahr, soweit sie von Gott abhängen, und meine Vollkommenheit ist dadurch grösser, dass ich sie hervorlocken kann, als wenn ich dies nicht konnte; der Mangel aber, in dem allein das wirkliche Wesen des Irrthums und der Schuld besteht, bedarf keiner Beihülfe Gottes, weil er nichts ist, und auf Gott als Ursache bezogen, nicht eine Beraubung, sondern nur eine Verneinung genannt werden muss. Denn es ist durchaus keine Unvollkommenheit in Gott, die mir die Freiheit gewährt, demjenigen beizustimmen oder nicht, dessen klare und deutliche Einsicht er nicht in meinen Verstand gelegt hat; vielmehr ist offenbar die Unvollkommenheit in mir, indem ich jene Freiheit nicht gut gebrauche und über Dinge urtheile, die ich nicht richtig einsehe.[80]

Ich sehe indess, dass Gott es leicht möglich gewesen wäre, mich trotz meiner Freiheit und beschränkten Erkenntniss vor Irrthum zu schützen. Er brauchte nur meinem Verstande eine klare und deutliche Erkenntniss von Allem einzuflössen, was ich je überlegen würde; oder er brauchte es mir nur fest in das Gedächtniss einzuprägen, nie über einen nicht klar und deutlich eingesehenen Gegenstand zu urtheilen, so dass ich dies niemals vergessen konnte; auch sehe ich leicht ein, dass, wenn ich mich nur als Einzelnen beachte, ich dann vollkommener gewesen sein würde, wenn Gott mich so geschaffen hätte, als wie ich es jetzt bin. Aber ich kann nicht bestreiten, dass in der ganzen Gesammtheit der Dinge gewissermassen eine grössere Vollkommenheit ist, wenn einzelne Theile von Irrthum frei sind und andere nicht, als wenn alle sich einander gleich wären; und ich kann mich nicht beklagen, dass Gott gewollt hat, ich solle eine solche Person in der Welt vorstellen, welche nicht die vorzüglichste von allen und durchaus vollkommen ist.[81]

Dazu kommt, dass, wenn ich auch nicht auf die erste Art mich aller Irrthümer enthalten kann, welche von der klaren Einsicht Alles dessen, worüber ich mich zu entschliessen habe, bedingt ist, ich es doch auf die andere Art vermag, welche nur davon bedingt ist, dass ich mich jedes Urtheils zu enthalten habe, wo die Wahrheit der Sache nicht klar ist. Denn wenngleich ich die Schwäche in mir bemerke, dass ich nicht immer an einem und demselben Gedanken festhalten kann, so kann ich doch durch häufige wiederholte Erwägung es erreichen, dass ich mich dessen, wo es nöthig, erinnere und so eine gewisse Gewohnheit, nicht zu irren, erlange.

Da hierin die grüsste und vorzüglichste Vollkommenheit des Menschen besteht, so werde ich durch die heutige Untersuchung der Ursachen des Irrthums und der Unwahrheit nicht wenig gewonnen haben. Fürwahr kann es keine solche Ursachen ausser den dargelegten geben. Denn so oft ich den Willen bei dein Urtheilen so anhalte, dass er sich nur auf das erstreckt, was ihm deutlich und klar von dem Verstande geboten wird, so kann ich durchaus nicht irren. Denn jede klare und deutliche Vorstellung ist offenbar Etwas und kann deshalb nicht von Nichts kommen, sondern muss nothwendig Gott zum Urheber haben; ich sage, jenen höchst vollkommenen Gott, der nicht trügerisch sein kann; deshalb ist solche Vorstellung unzweifelhaft wahr.

Und so habe ich heute nicht blos gelernt, wovor ich mich zu hüten habe, um nicht zu irren, sondern auch, was ich zu thun habe, um die Wahrheit zu erlangen. Denn ich werde sie sicherlich erlangen, wenn ich nur auf das, was ich vollkommen einsehe, Acht habe, und dies von dem Uebrigen, was ich verworren und dunkel auflasse, trenne. Ich werde mich dessen in Zukunft befleissigen.[82]

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 70-83.
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