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Erster Lehrsatz. Das Dasein Gottes wird ans der blossen Betrachtung seiner Natur erkannt.


Beweis. Es ist dasselbe, zu sagen, dass etwas in der Natur oder in dem Begriffe einer Sache enthalten ist, wie, dass[139] dies von der Sache wahr ist (Defin. 9); nun ist das nothwendige Dasein in dem Begriff Gottes enthalten (Grundsatz 10); also ist der Satz von Gott wahr, dass das nothwendige Dasein in ihm ist, oder dass er besteht. Dies ist der Schluss, dessen schon oben bei der sechsten Einwendung gedacht worden, und seine Folgerung kann für Alle selbstverständlich sein welche von Vorurtheilen frei sind, wie in der fünften Forderung gesagt worden. Da es indess nicht leicht ist, zu dieser vollen Klarheit zu gelangen, so wollen wir dasselbe in anderer Weise suchen.


Zweiter Lehrsatz. Das Dasein Gottes wird daraus allein, dass seine Vorstellung in uns ist, rückwärts bewiesen.


Beweis. Die gegenständliche Realität aller unserer Vorstellungen verlangt eine Ursache, in der diese Idealität nicht blos gegenständlich, sondern formal oder überwiegend enthalten ist (nach Grundsatz 5). Nun haben wir die Vorstellung von Gott (nach Defin. 2 u. 8), und die Realität dieser Vorstellung ist weder formal noch überwiegend in uns (nach Grundsatz 6) und kann auch nirgend anders als in Gott selbst enthalten sein (nach Defin. 8), folglich erfordert diese in uns befindliche Vorstellung Gottes Gott zu ihrer Ursache, und deshalb besteht Gott (nach Grunds. 3).


Dritter Lehrsatz. Das Dasein Gottes wird daraus bewiesen, dass wir, die wir diese Vorstellung haben, bestehen.


Beweis. Wenn ich die Kraft hätte, mich selbst zu erhalten, so hätte ich um so mehr auch die Kraft, mir die fehlenden Vollkommenheiten zu geben (nach Grunds. 8 u. 9); denn jene sind nur Attribute der Substanz. Nun bin ich zwar eine Substanz, aber ich habe nicht die Kraft, mir diese Vollkommenheiten zu geben, denn sonst würde ich sie[140] haben (nach Grunds. 7); deshalb habe ich nicht die Kraft, mich selbst zu erhalten.

Ferner: Ich kann nicht bestellen, ohne dass ich nicht erhalten werde, so lange ich bestelle, sei es nun von mir selbst, wenn ich nämlich die Kraft dazu habe, oder von einem Anderen, der sie hat (nach Grunds, 1 u. 2). Nun bestelle ich aber, ohne dass ich die Kraft mich zu erhalten habe, wie bereits bewiesen ist; folglich werde ich von einem Anderen erhalten.

Ferner: Der, welcher mich erhält, hat in sich formal oder überwiegend Alles, was in mir ist (nach Grunds. 4); in mir ist aber die Vorstellung vieler Vollkommenheiten, die mir abgehen, und zugleich die Vorstellung Gottes (nach Defin. 2 u. 8); folglich ist auch in Dem, der mich erhält, die Vorstellung derselben Vollkommenheiten.

Endlich: Dieser selbst kann keine Vorstellung der Vollkommenheiten haben, die ihm fehlen, oder die er formal oder überwiegend nicht besitzt (Grunds. 7); denn wenn er die Kraft mich zu erhalten hat, so würde er um so mehr die Kraft haben, sie sich zu geben, wenn sie ihm fehlten (nach Grunds. 8 u. 9). Er hat aber die Vorstellung aller Vollkommenheiten, die mir fehlen, und die nur in Gott sein können, wie eben bewiesen worden ist; deshalb bat er sie formal oder überwiegend in sich und ist somit Gott.[141]


Zusatz. Gott hat den Himmel und die Erde geschaffen und Alles, was darin ist; er kann überdem Alles, was wir klar einsehen, so bewirken, wie wir es einsehen.


Beweis. Dieses Alles folgt offenbar aus dem vorgehenden Lehrsatz. Denn das Dasein Gottes ist darin damit bewiesen, dass Jemand bestehen muss, in dem formal oder überwiegend alle Vollkommenheiten sind, deren Vorstellung[142] in uns ist. Nun ist in uns die Vorstellung einer solchen Macht, dass von deren Inhaber allein Himmel und Erde u.s.w. geschaffen sind, und alles Andere, was ich als möglich vorstelle, bewirkt werden kann. Deshalb ist mit dem Dasein Gottes auch dies Alles von ihm bewiesen.


Vierter Lehrsatz. Die Seele und der Körper sind wirklich unterschieden.


Beweis. Alles, was wir klar vorstellen, kann von Gott so, wie wir es vorstellen, bewirkt werden (nach dem vorgehenden Zusatz). Nun haben wir eine klare Vorstellung von der Seele, d.h. von einer denkenden Substanz ohne Körper, d.h. ohne eine ausgedehnte Substanz (nach Forderung 2), und ebenso von dem Körper ohne Seele (wie alle leicht einräumen); deshalb kann wenigstens durch Gottes Macht die Seele ohne Körper bestehen, und der Körper ohne Seele.

Nun sind aber Substanzen, die eine ohne die andere sein können, wirklich verschieden (nach Defin. 10). Die Seele und der Körper sind Substanzen (nach Defin. 5, 6 u. 7), welche die eine ohne die andere sein können (wie oben bewiesen worden ist); deshalb sind die Seele und ihr Körper wirklich verschieden.

Man bemerke, dass ich hier die Macht Gottes als Mittel benutzt habe, aber nicht deshalb, weil es einer ausserordentlichen Kraft bedürfte, um die Seele von ihrem Körper zu trennen, sondern weil hier in dem Vorgehenden nur von Gott gehandelt worden ist, und ich daher nichts Anderes hatte, was ich benutzen konnte. Auch ist[143] es, um zwei Gegenstände als verschieden zu erkennen, gleichgültig, von welcher Macht sie getrennt werden.


Ende.[144]

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 139-145.
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