Der metaphysische Zusammenhang der Welt

[201] Diese metaphysische Analysis vollbringt als erste große Leistung die Auffindung und gedankenmäßige Darstellung der allgemeinen Bestandteile der Wirklichkeit, wie dieselben der Untersuchung des Aristoteles sich ergaben. Solche Elemente oder Prinzipien, welche im realen Zusammenhang des Kosmos überall wiedergefunden werden, bieten sich dem gewöhnlichen Vorstellen schon in der Realität, dem Ding und seinen Eigenschaften, dem Wirken und Leiden dar. Aristoteles hat diese allgemeinen Bestandteile, welche in den Kosmos verwebt sind, zuerst isoliert und wie einfache Körper darzustellen versucht. Wir sind hier nicht genötigt, das sehr dunkle und schwierige Verhältnis zu untersuchen, in welchem die von ihm aufgefundenen Kategorien zu seinen metaphysischen Prinzipien stehen; uns genügt der klare Tatbestand seiner Ergebnisse.

Das tragische Schicksal dieser großen und immer fortgehenden Arbeit der Metaphysik, welche unablässig darauf gerichtet ist, die allgemeinen[201] Bestandteile der Wirklichkeit so zu entwickeln, daß eine reale und objektive Erkenntnis des Weltzusammenhangs möglich sei, beginnt, sich nunmehr Akt auf Akt vor uns zu enthüllen! Die Sinnesqualitäten, Raum, Zeit, Bewegung und Ruhe, Ding und Eigenschaft, Ursache und Wirkung, Form und Materie: dies sind alles allgemeine Bestandteile, welche wir an jedem Punkte der Außenwelt antreffen und die also in unserem Bewußtsein von äußerer Wirklichkeit überhaupt enthalten sind. Unabhängig von dem Unterschied philosophischer Standpunkte ergibt sich nun hieraus die Frage: Wird die Klarheit über diese Elemente, isoliert von der Untersuchung des Bewußtseins und der in ihm gegebenen allgemeinen Bedingungen aller Wirklichkeit, erreicht werden können? Der Verlauf der Geschichte der Metaphysik selber mag allmählich auf diese Frage antworten. Zunächst stellen sich einer solchen Erwägung die einfachen Begriffe von Sein und Substanz dar.

I. Die metaphysische Analysis des Aristoteles findet überall Substanzen mit ihren Zuständen, die in Beziehung zueinander stehen163; hier sind wir im Mittelpunkt der metaphysischen Schriften des Aristoteles.

»Eine Wissenschaft existiert, welche das Seiende als Seiendes (to on hê on) und dessen grundwesentliche Eigenschaften untersucht. Sie ist nicht mit irgendeiner der Fachwissenschaften identisch; denn keine von diesen anderen Wissenschaften stellt im allgemeinen Untersuchungen über das Seiende als Seiendes an, sondern indem sie einen Teil desselben abschneiden, untersuchen sie dessen besondere Beschaffenheit.«164 Die Mathematik hat das Seiende als Zahl, Linie oder Fläche, die Physik als Bewegung, Element zum Gegenstande; die Erste Philosophie betrachtet es, wie es überall dasselbe ist: das Seiende als solches.

Nun wird dieser Begriff des Seienden (des Gegenstandes der Metaphysik) in mehrfacher Bedeutung gebraucht; die Substanz (ousia) wird so gut mit diesem Namen bezeichnet wie die Qualität einer solchen. Immer aber steht der Begriff des Seienden zu dem der Substanz in Beziehung.165 Denn was außer der Substanz als seiend bezeichnet werden kann, ist dies, weil es einer solchen, und zwar einer Einzelsubstanz zu kommt. Daher ist die erste Bedeutung, in welcher von einem Seienden die Rede ist, die von Einzelsubstanz: alles übrige wird darum als seiend bezeichnet, weil es die Quantität, Qualität oder Eigenschaft usw. eines solchen Seienden ist.166

Die Metaphysik ist sonach in erster Linie die Wissenschaft[202] von den Substanzen, und es wird sich zeigen, daß der höchste Punkt, welchen sie erreicht, Erkenntnis der göttlichen Substanz ist. Nur in uneigentlichem Sinne darf man sagen, daß sie das Seiende in seinen weiteren Bedeutungen zum Gegenstande habe, mag es als Qualitatives, Quantitatives oder als andere prädikative Bestimmung auftreten.167 Näher unterscheiden sich die folgenden einfachen Bestandteile der Aussage und der ihr entsprechenden Wirklichkeit: die Substanz ist ein meßbares Quantum von eigenschaftlicher Bestimmtheit sowie in Relation stehend, und zwar in den Verhältnissen von Ort und Zeit, Tun und Leiden.168 So bildet die Substanz den Mittelpunkt der Metaphysik des Aristoteles, wie sie ihn in der Metaphysik der Atomiker und Platos gebildet hatte. Erst mit dem Auftreten der besonderen Erfahrungswissenschaften tritt der Begriff der Kausalität in den Vordergrund, welcher mit dem Begriff des Gesetzes in Beziehung steht. Kann nun die Metaphysik des Aristoteles diesen ihren Grundbegriff der Substanz zu verstandesmäßiger Klarheit bringen ?

Eine Definition, welche in dem Platonischen Sophistes erwähnt wird169, bestimmt das Wahrhaft-Seiende (ontôs on) als das, was das Vermögen zu wirken und zu leiden besitzt, und nach anderen hat Leibniz diese Definition wieder aufgenommen.170 Dieselbe führt den Begriff der Substanz in den der Kraft, der ursächlichen Beziehung zurück und löst ihn in diesen auf. Eine solche Begriffsbestimmung konnte sich in dem späteren Stadium, in dem Leibniz auftrat, nützlich erweisen, um der Substanzvorstellung einen Begriff von größerer Verwertbarkeit für die naturwissenschaftliche Betrachtung zu substituieren. Aber sie drückt nicht das aus, was in dem Tatbestand des Dinges von uns vorgestellt ist und was folgerecht die dem Erkennen dienende Unterscheidung der Substanz und des ihr Inhärierenden abgrenzen will. Der realistische Geist des Aristoteles war bemüht, dies direkt zu bezeichnen.

Aristoteles bestimmt einerseits, was wir in dem realen Zusammenhang der Wirklichkeit unter Substanz uns vorstellen. Sie ist das, was nicht Akzidens von einem anderen ist, von dem vielmehr anderes Akzidens ist; wo von der Einzelsubstanz und ihrem Substratum die Rede ist, drückt dies Aristoteles durch eine bildliche, räumliche Vorstellung aus. Er stellt andererseits fest, was wir in dem Denkzusammenhang unter Substanz vorstellen. In diesem ist die Substanz Subjekt; sie bezeichnet das, was im Urteil Träger von prädikativen[203] Bestimmungen ist; daher werden alle anderen Formen der Aussage (Kategorien) von der Substanz prädiziert.171

Verknüpft man diese letztere Bestimmung mit den früheren: so sucht Aristoteles in der Metaphysik das Subjekt oder die Subjekte für alle Eigenschaften und Veränderungen, die uns am Kosmos entgegentreten. Dies ist die Beschaffenheit aller metaphysischen Geistesrichtung: dieselbe ist nicht auf den Zusammenhang gerichtet, in welchem Zustände und Veränderungen miteinander verbunden sind, sondern geht geradenweges auf das dahinterliegende Subjekt oder die dahinterliegenden Subjekte.

Aber die Metaphysik des Aristoteles arbeitet, indem sie das objektive Verhältnis der Substanz zum Akzidens erkennen will, wie es an diesen Subjekten besteht, mit Beziehungen, welche sie nicht aufzuhellen vermag. Was heißt in sich, in einem anderen sein? Die Substanz im Gegensatz zum Akzidens wird noch von Spinoza durch das Merkmal von in se esse ausgedrückt; das Akzidens ist in der Substanz. Diese räumliche Vorstellung ist nur ein Bild. Was mit dem Bilde gemeint sei, ist nicht, wie Gleichheit oder Verschiedenheit, dem Verstande durchsichtig und kann von keiner äußeren Erfahrung aufgezeigt werden. In Wirklichkeit ist dieses In-sich-sein in der Erfahrung der Selbständigkeit, im Selbstbewußtsein gegeben, und wir verstehen es, weil wir es erleben. Und kann wohl weiter, ohne daß hinter die logische Form der Verknüpfung von Subjekt und Prädikat zurückgegangen wird, das Verhältnis dieses metaphysischen zu dem logischen Ausdruck der in der Substanz gelegenen Beziehung aufgehellt werden?

In dem vorliegenden Zusammenhang hat der verschiedene Sinn kein Interesse, in welchem sich Aristoteles dann im einzelnen des Ausdrucks Substanz bedient; derselbe entspringt daraus, daß Aristoteles von den verschiedensten Subjekten, auf welche seine Metaphysik zurückgeht, spricht: von Materie als Grundlage (hypokeimenon), von dem Wesen, das dem Begriff entspricht (hê kata ton logon ousia), von dem Einzelding (tode ti). Insbesondere an das Einzelding als die erste Substanz lehnen sich Bestimmungen172, die so unvollkommen durchgebildet sind, daß wir von ihnen absehen.

Unter den anderen Klassenbegriffen der Aussage, den Kategorien, haben Tun und Leiden für die Metaphysik die größte Bedeutung. Der Begriff der Kausalität tritt in der neueren Metaphysik neben den der Substanz, ja das Streben besteht, die Substanz in die Kraft aufzulösen. Es ist bezeichnend für die Metaphysik der Alten, daß die Untersuchung der in diesem Begriff gelegenen Probleme noch zurücktritt;[204] die Substanzen, ihre Bewegungen im Raume, die Formen bilden den Gesichtskreis ihrer Physik und sonach ihrer Metaphysik; Tun und Leiden werden in diesem Zusammenhang der anschaulich klaren Vorstellung der Bewegung untergeordnet173. Und zwar führt in dem Zusammenhang der Welterklärung die Tatsache der Bewegung an den Substanzen zurück in die letzten erklärenden Begriffe des Aristotelischen Systems, welche in demselben eine gründliche Kausalvorstellung und die Erkenntnis der Gesetze der Bewegung, der Veränderung ersetzen müssen; hier wird uns später der die Zergliederung der Wirklichkeit abschließende, aber unhaltbare Begriff von Vermögen (dynamis) begegnen. – Im einzelnen sah dann Aristoteles wohl die Schwierigkeit, den Unterschied von Tun und Leiden durchweg festzuhalten; so ist die Wahrnehmung ein Leiden, und dennoch verwirklicht der Gesichtssinn tätig im Sehen seine Natur.174 Auch bemerkt er die andere Schwierigkeit, Einwirkung des Wirkenden auf das Leidende vorstellig zu machen, aber wie unzureichend ist doch die von ihm gefundene Lösung, daß auf dem Boden des Gemeinsamen das Verschiedene aufeinander wirke und das Tätige sich das Leidende ähnlich mache!175

2. So ringt Aristoteles vergeblich, Begriffe wie Substanz und Ursache wirklich faßbar zu machen; die Schwierigkeiten aber häufen sich, indem er nunmehr die Platonische Lehre von den substantialen Formen zur Aufklärung des Weltzusammenhangs benutzt. Wohl widerlegt er die Lehre Platos von der getrennten Existenz der Ideen siegreich; aber wird er ein anderes objektives Verhältnis der Ideen zu den Dingen zur Klarheit bringen können ?

Aristoteles erkennt der Einzelsubstanz allein Wirklichkeit in strengem Verstande zu. Aber mit dieser Einsicht, welche dem Naturforscher, dem gesunden Empiriker in ihm entspricht, ist das, was er von der Ideenlehre beibehält, auf dem Standpunkt des natürlichen Systems der Metaphysik nicht verträglich. – Auch er findet nur da Wissen, wo durch den allgemeinen Begriff erkannt wird; nur soweit die Fackel der allgemeinen Begriffe in die Einzelsubstanz hineinleuchtet, vermag diese erhellt zu werden. Der allgemeine Begriff macht die Wesensbestimmung oder Form des Dings sichtbar; diese bildet seine Substanz in einem sekundären Sinne, so nämlich, wie sie für den Verstand da ist (hê kata ton logon ousia). Der Grund dieser Sätze über das Wissen liegt in der Voraussetzung, welche die Wurzel aller[205] metaphysischen Abstraktion ist; das unmittelbare Wissen und Erfahren, in welchem das einzelne für uns da ist, wird für geringer und unvollkommener gehalten, als der allgemeine Begriff oder Satz. Dieser Voraussetzung entspricht die metaphysische Annahme: das Wertvolle an den Einzelsubstanzen und das dieselben mit der Gottheit Verknüpfende sei das Gedankenmäßige in ihnen. – In dem Widerspruch zwischen diesen Voraussetzungen und der gesunden Einsicht des Aristoteles über die Einzelsubstanz zeigt sich von neuem die Unmöglichkeit, auf dem Standpunkt der Metaphysik das Verhältnis des Einzeldinges zu dem, was die allgemeinen Begriffe als den Inhalt der Welt ausdrücken zu bestimmen. Das einzelne Ding hat nach Aristoteles allein volle Realität, aber es gibt nur von der allgemeinen Wesensbestimmung, an welcher es teilnimmt, ein Wissen; hieraus ergeben sich zwei Schwierigkeiten. Es widerspricht dem Grundgedanken von der Erkennbarkeit des Kosmos, daß das an ihm wahrhaft Reale unerkennbar bleibt. Sodann wird nach den allgemeinen Voraussetzungen der Ideenlehre, dem Wissen von den allgemeinen Wesensbestimmungen entsprechend, eine Realität der Formen angenommen, und diese Annahme führt nun zu dem halben und unglücklichen Begriff einer Substanz, welche doch nicht die Wirklichkeit der Einzelsubstanz hat. Kann diese Verwirrung, welche in dem doppelten Sinne von Sein, von Substanz liegt, gelöst werden, bevor die Erkenntnistheorie die einfache Wahrheit entwickelt, daß die Art, in welcher das Denken das Allgemeine setzt, keine Vergleichbarkeit hat mit der Art, wie die Wahrnehmung die Wirklichkeit des einzelnen erfährt? bevor demnach die falsche, metaphysische Beziehung durch eine haltbare, erkenntnistheoretische ersetzt wird ?176

Innerhalb der Einzelwissenschaften hat diese Metaphysik der substantialen Formen noch auffälligere Konsequenzen. Die mit ihr verbundene Wissenschaft verzichtet auf die Erkenntnis des Veränderlichen an ihrem Gegenstande, denn sie faßt nur die bleibenden Formen auf. Sie gibt die Erkenntnis des Zufälligen auf, denn sie ist allein auf die Wesensbestimmungen gerichtet. Wenige Minuten nur fehlten Kepler, um welche seine Berechnung des Mars von der Beobachtung abwich, aber sie ließen ihn nicht ruhen und wurden der Antrieb seiner großen Entdeckung. Diese Metaphysik dagegen schob den ganzen ihr unerklärbaren Rest, wie sie ihn an den veränderlichen Erscheinungen zurückließ, in die Materie. So erklärte Aristoteles ausdrücklich,[206] daß die individuellen Verschiedenheiten innerhalb einer Art, wie die Farbe der Augen, die Höhe der Stimme für die Erklärung aus dem Zwecke gleichgültig seien: sie wurden den Einwirkungen des Stoffes zugewiesen.177 Erst als man die Abweichungen vom Typus, die Zwischenglieder zwischen einem Typus und einem anderen, die Veränderungen in der Rechnung aufnahm, durchbrach die Wissenschaft diese Schranken der Aristotelischen Metaphysik, und die Erkenntnis durch das Gesetz des Veränderlichen sowie durch die Entwicklungsgeschichte trat hervor.

3. Indem Aristoteles so die Realität der Ideen in die wirkliche Welt verlegte, entstand die Zerlegung dieser Wirklichkeit in die vier Prinzipien: Stoff, Form, Zweck und wirkende Ursache, und es traten als die letzten und die Zergliederung der Wirklichkeit abschließenden Begriffe seines Systems die von Dynamis (Vermögen) und Energie hervor.

Das Denken hebt am Kosmos als das Unveränderliche die Form heraus, die Tochter der Platonischen Idee. Diese enthält das Wesen der Einzelsubstanzen in sich. Da die unveränderlichen Formen in dem Entstehen und Vergehen enthalten sind, ihr Wechsel aber einen Träger fordert, sondern wir an dem Kosmos als ein zweites ihn konstituierendes Prinzip die Materie ab. In dem Naturlauf ist dann die Form sowohl der Zweck, dessen Realisation derselbe zustrebt, als die bewegende Ursache, welche von innen aus das Ding, gleichsam als seine Seele178 in Bewegung setzt oder von außen seine Bewegung bewirkt. Sonach leitet diese Betrachtungsweise das, was im Naturlauf auftritt, nicht aus seinen Bedingungen in diesem ab, welche nach Gesetzen zusammenwirken, sondern an die Stelle eines Zusammenwirkens von Ursachen tritt der Begriff der Dynamis, des Vermögens, und ihm entspricht der Begriff der zweckmäßigen Wirklichkeit oder Energie.

In diesen Begriffen besteht der Zusammenhang der Wissenschaft des Aristoteles, sie werden schon in den ersten Büchern der Metaphysik als die Mittel der Naturauffassung entwickelt und führen durch das Bewegungssystem des Kosmos bis zum unbewegten Beweger. Denn dies ist die Seele der Aristotelischen Naturauffassung: nicht die Sonderung von bewegender Ursache, Zweck und Form – dieselbe ist nur analytisches Hilfsmittel –, vielmehr die Ineinssetzung des Zweckes, welcher Form ist, mit der bewegenden Ursache sowie die Sonderung dieses dreifach-einen realen Faktors von dem realen, wenn auch im Kosmos nicht isoliert vorkommenden Faktor: der Materie. Und hier entscheidet sich auch der Charakter seiner Naturwissenschaft. Im neueren[207] Denken ist das Studium der Bewegungen losgelöst von der Auffassung des Zweckes; die Bewegung wird durch ihr allein eigene Elemente bestimmt; so ist die Konsequenz der neueren Naturauffassung, daß sie, wenn sie von der metaphysischen Bewertung der Ideen nicht lassen will, dieselbe von der mechanischen Betrachtungsweise scheidet, wie Leibniz getan hat. Bei Aristoteles dagegen verbleibt der Begriff der Bewegung an die Formen des Kosmos gebunden; er wird von ihnen nicht wirklich losgelöst, sowenig wie die Analysis des Denkens in der Logik des Aristoteles hinter die Formen desselben zurückgeht. So entspringt seine Unterscheidung der vollkommenen, in sich zurückkehrenden Kreisbewegung von einer geradlinigen, welche in ihrem Endpunkt erlischt. Dieser Auffassung ist das Gedankenmäßige der Kreisbewegung ein Ursprüngliches, ja in der Gottheit unmittelbar Bedingtes. Sie hat den verhängnisvollen Gegensatz der Naturformen unter dem Monde von denen jenseit desselben begründet, und solange er die Gemüter beherrschte, bestand keine Möglichkeit einer Mechanik des Himmels. Dies ist das Bezeichnende gerade der erfolgreichen Richtungen des griechischen Naturstudiums: es bleibt an die Anschauung mathematischer Schönheit und innerer Zweckmäßigkeit in den kosmischen Formen gebunden. Zwar zerlegt es die zusammengesetzten Formen der Bewegung in einfachere, aber in diesen einfacheren bleibt der zweckmäßige, ästhetische Charakter der Form erhalten.

So will Aristoteles zwar die Bewegung im Weltall (welcher er in echt griechischem Geiste auch die qualitative Veränderung einordnet) auf ihre Ursachen zurückführen; da aber alle bewegende Kraft ihm zweckmäßige Aktion ist, welche die Form realisiert, ja ihm in der Form die Ursache der Bewegung liegt: so ist immer nur die in der Form enthaltene Kraft, welche Entwicklung hervorbringt, Ursache einer ihr gleichartigen Form. Daher ist diese Erklärung in einen Zauberkreis gebannt, innerhalb dessen die Formen immer schon da sind, um deren Erklärung es sich eigentlich handelt: sie sind die Kräfte, welche das Leben im Weltall hervorbringen: sie führen folgerichtig auf eine erste, bewegende Kraft zurück.

163

Über diese Dreiteilung in ousia, pathos und pros ti s. Prantl, Gesch. der Logik I, 190.

164

Arist. Metaph. IV, 1 p. 1003 a 21.

165

Ebda. IV, 2 p. 1003 a f.

166

Metaph. VII, 1 p. 1028 a 11, 18.

167

Vgl. VII, 1 p. 1028 a 13 p. 1028 b 6, IX, 1 p. 1045 b 27, XII, 1 p. 1069 a 18.

168

Hierzu kommen in der vollständigen Aufzählung der zehn Kategorien noch echein und keisthai, vgl. die Übersicht in Prantls Geschichte der Logik 1, 207.

169

Plato Sophistes 247 DE.

170

ipsam rerum substantiam in agendi patiendique vi consistere Leibn. opp. I, 156. Erdm.

171

katêgorountai kata tôn osiôn. Vgl. Bonitz ind. Ar. unter ousia.

172

Kateg. 5 p. 2 a 11.

173

Phys. III, 3 p. 202 a 25 epei oun amphô kinêseis vgl. de gen. et corr. I, 7 p. 324 a 24 Metaph. VII, 4 p. 1029 b 22. In letzterer Stelle wird kinêsis als Kategorie an die Stelle von poiein und paschein eingesetzt.

174

de anima II, 5, p. 416 b 33.

175

Arist, de gener. et corr. 1, 7 p. 323 b.

176

Aus derselben metaphysischen Behandlungsweise des Problems entspringt die unselige, nicht aufzulösende Frage, ob die Substanz in der Form oder dem Stoff oder dem Einzelding zu suchen ist. Vgl. Arist. Metaph. VII, 3 p. 1028 b 33 und die zutreffende Ausführung bei Zeller a. a. O. 309 ff. 344 ff.

177

de gen. anim. V, 1 p. 778 a 30.

178

Arist. de gen. animal. III, 11 p, 762 a 18.

Quelle:
Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Band 1, Leipzig u.a. 1914 ff, S. 201-208.
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