IV

[490] Hören wir nun über diese ganze Bewegung den Bericht der Neuen Madrider Föderation:

»In Valencia sollte am zweiten Sonntag des August ein Kongreß stattfinden, um unter anderm auch die Stellung zu bestimmen, welche die spanische Internationale Föderation einzunehmen habe gegenüber den wichtigen politischen Ereignissen, welche in Spanien seit dem 11. Februar, dem Tag der Proklamation der Republik, eingetreten waren. Aber der unsinnige« (descabellada, wörtlich: zerzauste) »Kantonalaufstand, der so jämmerlich gescheitert ist und an dem die Internationalen fast aller insurgierten Provinzen sich eifrig beteiligten, hat nicht nur die Tätigkeit des Föderalrats lahmgelegt, indem er die Mehrzahl seiner Mitglieder zerstreute, sondern auch die lokalen Föderationen fast gänzlich desorganisiert und ihren Mitgliedern, was das schlimmste ist, allen den Haß und alle die Verfolgungen zugezogen, die jede schmählich eingeleitete und gescheiterte Volkserhebung im Gefolge hat...

Als der kantonale Aufstand losbrach, als die Juntas, d.h. Regierungen der Kantone, sich konstituierten, da beeilten sich jene Leute« (die Bakunisten), »die so heftig gegen die politische Gewalt geschrien, die uns des Autoritarismus angeklagt, sie beeilten sich, in jene Regierungen einzutreten. In bedeutenden Städten wie Sevilla, Cádiz, Sanlúcar de Barrameda, Granada und Valencia saßen viele von den Internationalen, die sich Anti-Autoritarier nennen, auf den kantonalen Juntas, ohne andres Programm als das der Selbstherrlichkeit der Provinz oder des Kantons. Dies ist amtlich festgestellt durch die von jenen Juntas veröffentlichten Proklamationen und andere Dokumente, unter denen die Namen wohlbekannter Internationalen von dieser Sorte figurieren.

[490] Ein so schreiender Widerspruch zwischen der Theorie und der Praxis, zwischen der Propaganda und der Tat würde wenig zu bedeuten haben, wenn daraus irgendein Vorteil für unsre Assoziation hätte erwachsen können oder irgendein Fortschritt der Organisation unsrer Kräfte, irgendeine Annäherung an die Erreichung unsres Hauptzwecks, die Emanzipation der Arbeiterklasse. Grade das Gegenteil ist geschehn, wie dem nicht anders sein konnte. Es fehlte die Grundbedingung, das tätige Zusammenwirken des spanischen Proletariats, das so leicht zu erzielen war, sobald man im Namen der Internationale handelte. Es fehlte die Übereinstimmung unter den lokalen Föderationen; die Bewegung blieb der individuellen oder lokalen Initiative überlassen, ohne irgendwelche Leitung (außer derjenigen, die ihr die geheimnisvolle Allianz etwa aufdrängen konnte, und diese Allianz beherrscht zu unsrer Schande noch immer die spanische Internationale), ohne irgendwelches Programm außer dem unsrer natürlichen Feinde, der bürgerlichen Republikaner. Und so unterlag die kantonale Bewegung in der schimpflichsten Weise, fast ohne Widerstand; aber in ihrem Untergang riß sie mit sich das Prestige und die Organisation der Internationale in Spanien. Es geschieht kein Exzeß, kein Verbrechen, keine Gewalttätigkeit, die die Republikaner nicht heute den Internationalen in die Schuhe schieben; es ist sogar, wie uns versichert wird, in Sevilla vorgekommen, daß während des Kampfes die Intransigenten auf ihre Verbündeten, die« (bakunistischen) »Internationalen geschossen haben. Die Reaktion, unsre Torheiten geschickt benutzend, hetzt die Republikaner zur Verfolgung gegen uns und verleumdet uns bei der großen gleichgültigen Masse; was sie zur Zeit Sagastas nicht fertigbringen konnte, das scheint sie erreichen zu sollen: den Namen Internationale bei der großen Masse der spanischen Arbeiter in Verruf zu bringen.

In Barcelona haben sich eine Menge Arbeitersektionen von den Internationalen getrennt, laut protestierend gegen die Leute von der Zeitschrift ›La Federacion‹« (Hauptorgan der Bakunisten) »und ihre unerklärliche Haltung. In Jérez, Puerto de Santa Maria und andern Orten haben die Föderationen beschlossen, sich aufzulösen. In Loja (Provinz Granada) sind die wenigen dort wohnenden Internationalen von der Bevölkerung vertrieben worden. In Madrid, wo man noch der größten Freiheit genießt, gibt die alte« (bakunistische) »Föderation nicht das mindeste Lebenszeichen, während die unsrige gezwungen ist, sich untätig und schweigend zu verhalten, wenn sie sich nicht mit fremder Schuld beladen sehn will. In den Städten des Nordens verhindert der täglich erbitterter geführte Karlistenkrieg jede Tätigkeit unsrerseits. Endlich in Valencia, wo die Regierung nach fünfzehntägigem Kampfe Sieger blieb, müssen die Internationalen, die nicht flüchtig geworden, sich verbergen, und der Föderalrat ist vollständig aufgelöst.«

Soweit der Madrider Bericht. Man sieht, daß er mit obiger Geschichtserzählung vollständig übereinstimmt.

Was ist nun das Resultat unsrer ganzen Untersuchung?

1. Die Bakunisten waren gezwungen, sobald sie einer ernsthaften revolutionären Lage gegenüberstanden, ihr ganzes bisheriges Programm über[491] Bord zu werfen. Zuerst opferten sie die Lehre von der Pflicht der politischen und besonders der Wahlenthaltung. Dann folgte die Anarchie, die Abschaffung des Staats; statt den Staat abzuschaffen, versuchten sie vielmehr eine Anzahl neuer, kleiner Staaten herzustellen. Dann ließen sie den Grundsatz fallen, daß die Arbeiter sich an keiner Revolution beteiligen dürften, die nicht die sofortige vollständige Emanzipation des Proletariats zum Zweck habe, und beteiligten sich an einer eingestandenermaßen rein bürgerlichen Bewegung. Endlich schlugen sie ihrem kaum erst proklamierten Glaubenssatz ins Gesicht: daß die Errichtung einer revolutionären Regierung nur eine neue Prellerei und ein neuer Verrat an der Arbeiterklasse sei – indem sie ganz gemütlich in den Regierungsausschüssen der einzelnen Städte figurierten, und zwar fast überall als ohnmächtige, von den Bourgeois überstimmte und politisch exploitierte Minderzahl.

2. Diese Verleugnung der bisher gepredigten Grundsätze geschah aber in der feigsten, verlogensten Weise und unter dem Druck des bösen Gewissens, so daß weder die Bakunisten selbst noch die von ihnen geleiteten Massen mit irgendeinem Programm in die Bewegung eintraten oder überhaupt wußten, was sie wollten. Was war die natürliche Folge? Daß die Bakunisten entweder jede Bewegung verhinderten, wie in Barcelona; oder daß sie in vereinzelte, planlose und blödsinnige Aufstände hineingetrieben wurden, wie in Alcoy und Sanlúcar de Barrameda; oder aber, daß die Leitung des Aufstands den intransigenten Bourgeois zufiel, wie in den allermeisten Aufständen. Das ultrarevolutionäre Geschrei der Bakunisten verwirklichte sich also, sobald es zur Tat kam, entweder in Abwiegelei oder in von vornherein aussichtslosen Aufständen oder in dem Anschluß an eine bürgerliche Partei, die die Arbeiter schmählichst politisch ausbeutete und sie obendrein mit Fußtritten behandelte.

3. Von den sogenannten Prinzipien der Anarchie, der freien Föderation unabhängiger Gruppen usw. bleibt nichts übrig als eine maß- und sinnlose Zersplitterung der revolutionären Kampfmittel, die der Regierung erlaubte, mit einer Handvoll Truppen eine Stadt nach der andern fast ohne Widerstand zu unterwerfen.

4. Das Ende vom Lied war nicht nur, daß die gut organisierte und zahlreiche spanische Internationale – die falsche wie die wahre – in den Sturz der Intransigenten mitverwickelt wurde und heute faktisch aufgelöst ist, sondern auch, daß ihr die Unzahl erdichteter Exzesse aufgebürdet wird, ohne die der Philister aller Länder sich nun einmal einen Arbeiteraufstand[492] nicht denken kann, und daß dadurch die internationale Reorganisation des spanischen Proletariats vielleicht auf Jahre hinaus unmöglich gemacht ist.

5. In einem Wort, die Bakunisten in Spanien haben uns ein unübertreffliches Muster davon geliefert, wie man eine Revolution nicht machen muß.[493]


Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 18.
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