XIV. Schluß

[133] Wir sind zu Ende mit der Philosophie; was sonst noch von Zukunftsphantasien im »Cursus« vorhanden, wird uns gelegentlich der Dühringschen Umwälzung des Sozialismus beschäftigen. Was hat uns Herr Dühring versprochen? Alles. Und was hat er gehalten? Gar nichts. »Die Elemente einer wirklichen und demgemäß auf die Wirklichkeit der Natur und des Lebens gerichteten Philosophie«, die »strengwissenschaftliche Weltanschauung«, die »systemschaffenden Gedanken«, und alle die andern, in hochtönenden Redewendungen von Herrn Dühring ausposaunten Leistungen des Herrn Dühring erwiesen sich, wo immer wir sie anfaßten, als reiner Schwindel. Die Weltschematik, die »ohne der Tiefe des Gedankens etwas zu vergeben, die Grundgestalten des Seins sicher festgestellt hat«, stellte sich heraus als ein unendlich verseichtigter Abklatsch der Hegelschen Logik und teilt mit ihr den Aberglauben, daß diese »Grundgestalten« oder logischen Kategorien irgendwo ein geheimnisvolles Dasein führen vor und außer der Welt, auf die sie »anzuwenden« sind. Die Naturphilosophie bot uns eine Kosmogonie, deren Ausgangspunkt ein »sich selbst gleicher Zustand der Materie« ist, ein Zustand, vorstellbar nur vermittelst der rettungslosesten Verwirrung über den Zusammenhang von Materie und Bewegung, und vorstellbar außerdem nur unter Annahme eines außerweltlichen persönlichen Gottes, der allein diesem Zustand zur Bewegung verhelfen kann. Bei Behandlung der organischen Natur mußte die Wirklichkeitsphilosophie, nachdem sie Darwins Kampf ums Dasein und Naturzüchtung als »ein Stück gegen die Humanität gerichtete Brutalität« verworfen, sie beide durch die Hintertür wieder zulassen als in der Natur wirksame Faktoren, wenn[133] auch zweiter Ordnung. Sie fand zudem Gelegenheit, auf dem Gebiet der Biologie eine Unwissenheit zu dokumentieren, wie man sie, seit den populärwissenschaftlichen Vorträgen nicht mehr zu entgehn ist, selbst bei Töchtern gebildeter Stände mit der Laterne suchen müßte. Auf dem Gebiet der Moral und des Rechts war sie mit der Verflachung Rousseaus nicht glücklicher als vorher mit der Verseichtigung Hegels und bewies auch in Beziehung auf Rechtswissenschaft, trotz aller Versicherung des Gegenteils, eine Unkenntnis, wie sie selbst bei den allergewöhnlichsten, altpreußischen Juristen nur selten anzutreffen sein dürfte. Die Philosophie, »die keinen bloß scheinbaren Horizont gelten läßt«, begnügt sich juristisch mit einem wirklichen Horizont, der sich deckt mit dem Geltungsbereich des preußischen Landrechts. Auf die »Erden und Himmel der äußern und innern Natur«, die diese Philosophie in ihrer mächtig umwälzenden Bewegung vor uns aufzurollen versprach, warten wir noch immer, nicht weniger auf die »endgültigen Wahrheiten letzter Instanz« und auf »das absolut Fundamentale«. Der Philosoph, dessen Denkweise jede Anwandlung zu einer »subjektivistisch-beschränkten Weltvorstellung ausschließt«, erweist sich nicht nur als subjektivistisch beschränkt durch seine wie nachgewiesen äußerst mangelhaften Kenntnisse, durch seine borniert metaphysische Denkweise und seine fratzenhafte Selbstüberhebung, sondern sogar durch kindische persönliche Schrullen. Er kann die Wirklichkeitsphilosophie nicht fertigbringen, ohne seinen Widerwillen gegen Tabak, Katzen und Juden als allgemeingültiges Gesetz der ganzen übrigen Menschheit, die Juden eingeschlossen, aufzudrängen. Sein »wirklich kritischer Standpunkt« gegenüber andern Leuten besteht darin, ihnen beharrlich Dinge unterzuschieben, die sie nie gesagt, und die Herrn Dührings eigenstes Fabrikat sind. Seine breiten Bettelsuppen über Spießbürgerthemata, wie der Wert des Lebens und die beste Art des Lebensgenusses, sind von einer Philisterhaftigkeit, die seinen Zorn gegen Goethes Faust erklärlich macht. Es war allerdings unverzeihlich von Goethe, den unmoralischen Faust zum Helden zu machen und nicht den ernsten Wirklichkeitsphilosophen Wagner. – Kurz, die Wirklichkeitsphilosophie, alles in allem genommen, erweist sich, mit Hegel zu reden, als »der seichteste Abkläricht des deutschen Aufkläricht«, ein Abkläricht, dessen Dünnheit und durchsichtige Gemeinplätzlichkeit verdickt und getrübt wird nur durch die eingerührten orakelhaften Redebrocken. Und wenn wir mit dem Buch zu Ende sind, so sind wir genauso gescheit wie vorher und zu dem Geständnis gezwungen, daß die »neue Denkweise«, die »von Grund aus eigentümlichen Ergebnisse und Anschauungen« und die »systemschaffenden Gedanken« uns zwar verschiednen neuen Unsinn[134] vorgeführt haben, aber auch nicht eine Zeile, aus der wir hätten etwas lernen können. Und dieser Mensch, der seine Künste und seine Waren unter Pauken- und Trompetenschall anpreist trotz dem ordinärsten Marktschreier, und hinter dessen großen Worten nichts, aber auch rein gar nichts ist – dieser Mensch unterfängt sich, Leute wie Fichte, Schelling und Hegel, deren kleinster noch ein Riese ist ihm gegnüber, als Scharlatans zu bezeichnen. Scharlatan in der Tat – aber wer?[135]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 20, S. 133-136.
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