§ 26.

[60] Nachdem der Begriff des absoluten Wissens nach allen Seiten erschöpft und zugleich in ihm selber gefunden worden, wie es sich selber also begreifen könne, d.h. wie Wissenschaftslehre möglich sey: steigen wir jetzt auf zu seinem eigenen höchsten Ursprunge und Grunde.

Wir haben, ausser dem zu Anfange aufgestellten Begriffe des Absoluten, während der letzteren Untersuchungen einen noch schärferen von der Form des Absoluten uns errungen: den, dass es, in Beziehung auf ein mögliches Wissen, ein reines, durchaus und schlechthin an sich gebundenes Denken sey, das nie aus sich selbst herauskam, um auch nur nach einem Warum seines formalen oder materialen Seyns zu fragen, oder ein Weil desselben, wenn es auch ein absolutes Weil wäre, zu setzen; in welchem, eben wegen dieser absoluten Negation des Weil, das Fürsich (das Wissen) noch nicht gesetzt ist, das also eigentlich ein blosses reines Seyn ohne alles Wissen ist, ohnerachtet wir dies Seyn in unserer Wissenschaft[60] von der absoluten reinen Form des Denkens aus anschaulich machen müssen.

Das Wissen müsste daher, als absolutes und in seiner Ursprünglichkeit schlechthin gebundenes, bezeichnet werden als das Eine (in jeder Bedeutung des Wortes, deren verschiedene es freilich nur im Relativen bekommt), sich selbst gleiche, unveränderliche, ewige und unaustilgbare Seyn schlechthin (Gott – wenn man ihm doch ein Andenken vom Wissen und Verwandtschaft zum Wissen lassen will) und im Zustande dieser ursprünglichen Gebundenheit, als Gefühl = A.

Nun soll dieses Absolute doch seyn ein absolutes Wissen; es müsste daher für sich seyn, welches es bewiesenermaassen nur factisch, durch absolute Vollziehung der Freiheit, – insofern seyend, schlechthin weil es ist, – werden kann, aus sich selbst herausgehend, sich nacherzeugend u. dgl., welche ideale Reihe wir gleichfalls völlig erschöpft haben (= B).

Nun wird es – welches das minder Wichtige ist, aber doch nicht übergangen werden kann, – da es, als Wissen, B mit absoluter Freiheit erzeugt, aber eben im Wissen, – wohl auch von dieser Freiheit, als dem Grunde des Wissens, wissen (= F – B).

Ferner aber, – welches das Wichtigere ist, – soll dies B nicht bloss ein Wissen für und von sich selbst, als dem Producte der Freiheit seyn, welches, wenn es auch an sich möglich wäre (wie es doch nach allen bisherigen Erörterungen nicht ist, da das Bewusstseyn der Freiheit nur an der eigenen Gebundenheit und von ihr aus sich entwickeln kann), ein völlig neues, von A abgelöstes Wissen gäbe, sondern es soll der Voraussetzung nach ein Fürsich des A, in und vermittelst B seyn. B darf von dem A sich nicht losreissen und es verlieren, oder es gäbe überhaupt kein absolutes, sondern nur ein freies und zufälliges, überhaupt ein inhalt- und substanzloses Wissen.

Hieraus folgt zuvörderst ein schlechthin unmittelbarer, selbst absoluter Zusammenhang des A und B (A+B) der ohne B (Vollziehung der Freiheit) zwar nicht seyn würde, der aber, wenn[61] B ist, durchaus unmittelbar aufgeht, und in dem A selbst, nach seinem Wesen, sich zum Bewusstseyn kommt, also als Gefühl der Abhängigkeit und Bedingtheit gewusst wird; und in dieser Rücksicht nannten wir A oben Gefühl.

Sodann: – das Wissen B ist ein Wissen, ein Fürsich – heisst nun nicht mehr bloss: es ist ein durch Freiheit erzeugtes, sondern zugleich, es ist ein durch jenen absoluten Zusammenhang (+) mit dem Absoluten zusammenhangendes und dasselbe ausdrückendes Wissen. (Es tritt in der bezeichneten Exposition zu F noch A: also A – F – B.)

Wir haben also 1) ein Fürsichseyn, Reflexion, des absoluten Wissens, welche in sich selbst die Absolutheit (A) voraussetzt. Diese richtet sich ohne Zweifel nach ihren eigenen inneren (die Form des Wissens betreffenden) Gesetzen, und mit der genaueren Darstellung dieser Reflexion werden wir es zu thun bekommen.

2) A kommt sichtbar doppelt vor: theils als allem Wissen vorausgesetzt, die substantielle Grundlage und das ursprünglich Bindende desselben: theils im freien Wissen (B), in welchem A sich selber (zufolge der absoluten Form des Fürsich, durch das Zeichen + ausgedrückt) völlig sichtbar wird und ins Licht tritt. Wo ist denn nun der Sitz des absoluten Wissens? Nicht in A; denn dann wäre es kein Wissen: nicht in B; denn dann wäre es kein absolutes Wissen, – sondern zwischen beiden in +.

Hieraus ergeben sich folgende Sätze.

1) Das absolute Wissen (A+B) ist für sich (in B) ebenso schlechthin, weil es ist, als schlechthin, was es ist. Beides, was sich zunächst aufzuheben scheint, muss, erwiesener Maassen, beisammen bestehen können, wenn ein absolutes Wissen seyn soll. Die Art und Weise dieses Beisammenbestehens liegt im Wissen selbst; – es sind die formalen Gesetze des Wissens, nach denen eben ganz B = A – F – B ist. Mit anderen Worten: der ganze Inhalt (A) muss, durch Vollziehung der Freiheit vermittelt (F), in die Form des Lichtes (B) eintreten.

2) Es ist für sich (=F) schlechthin, was es ist (= A),[62] worin eben der Widerspruch in seiner Spitze zusammengedrängt ist, kann nur heissen: seine Freiheit und sein Fürsich, sein Wissen, ist – demnach eben für sich – zu Ende. Es findet in sich und durch sich sein absolutes Ende und seine Begrenzung: – in sich und durch sich, sage ich; es dringt wissend zu seinem absoluten Ursprunge (aus dem Nichtwissen) vor, und kommt so durch sich selbst (d. i. in Folge seiner absoluten Durchsichtigkeit und Selbsterkenntniss) an sein Ende.

Dies ist nun eben das grosse Geheimniss, das da Keiner hat erblicken können, weil es zu offen daliegt und wir allein in ihm Alles erblicken: – besteht das Wissen eben darin, dass es seinem Ursprunge zusieht – oder noch schärfer, mit Abstraction von aller Duplicität: heisst Wissen selbst – Fürsichseyn, Innerlichkeit des Ursprunges; so ist eben klar, dass sein Ende und seine absolute Grenze auch innerhalb dieses Fürsich fallen muss. Nun besteht aber laut aller unserer Erörterungen und des klaren Augenscheines das Wissen eben in dieser Durchdringlichkeit, in dem absoluten Lichtcharakter, Subject-Object, Ich: mithin kann es seinen absoluten Ursprung nicht erblicken, ohne seine Grenze, sein Nichtseyn, zu erblicken.

3) Was ist denn nun das absolute Seyn? Der im Wissen ergriffene absolute Ursprung desselben und daher das Nichtseyn des Wissens: Seyn – eben als im Wissen, und doch nicht Seyn des Wissens; – absolutes Seyn, weil das Wissen absolut ist. Nur der Anfang des Wissens ist reines Seyn; wo das Wissen schon ist, ist sein Seyn, und Alles, was sonst noch etwa für Seyn (objectives) gehalten werden könnte, ist dieses Seyn und trägt seine Gesetze. Und so hätten wir uns von afteridealistischen Systemen zur Genüge getrennt. Das reine Wissen gedacht, als Ursprung für sich, und seinen Gegensatz als Nichtseyn des Wissens, weil es sonst nicht entspringen könnte, ist reines Seyn.

(Oder sage man, wenn man es nur recht verstehen will, die absolute Schöpfung, als Erschaffung, nicht etwa als Erschaffenes, ist Standpunct des absoluten Wissens; dies erschafft sich eben selbst aus seiner reinen Möglichkeit, als das einzig ihr vorausgegebene, und diese eben ist das reine Seyn.)[63]

Dies nemlich ist das reine Seyn für die Wissenschaftslehre, eben weil sie Wissens-Lehre ist, und das Seyn aus diesem als seine Negation ableitet, also eine ideale Ansicht desselben und zwar die höchste ideale Ansicht ist. Nun kann es wohl seyn, dass hier die Negation selbst die absolute Position, und unsere Position selbst in gewisser Rücksicht eine Negation ist, und dass sich in der Wissenschaftslehre, doch ihr untergeordnet, eine höchste reale Ansicht finden werde, nach der zwar das Wissen auch absolut sich selbst schafft und damit alles Geschaffene und zu Schaffende, aber nur der Form nach, der Materie nach aber nach einem absoluten Gesetze (worein sich eben das absolute Seyn verwandelt), welches Gesetz nun einiges Wissen und dadurch Seyn, als die höchste Position negirt. Reiner Moralismus, der realistisch (praktisch) durchaus dasselbe ist, was die Wissenschaftslehre formal und idealistisch.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 60-64.
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