Drittes Capitel.
Ueber die vorausgesetzte Vertheilung der Arbeitszweige im Vernunftstaate.

[421] Ein und der andere Leser dürften glauben, dass unsere Theorie durch ihre Vordersätze erschlichen sey, indem das Eigenthum nicht, wie gewöhnlich, in den ausschliessenden Besitz eines Objectes, sondern in das ausschliessende Recht zu einer freien Handlung gesetzt, und die für das menschliche Leben nöthigen freien Handlungen ganz willkürlich unter mehrere Stände vertheilt würden. Das letztere, diese Vertheilung, sey etwas Zufälliges, einem Staate als solchem durchaus Unwesentliches. Es könne Staaten geben, in denen jeder Einwohner sein Stück Acker habe, und seine Nahrung darauf selbst erbaue, einige Stück Zuchtvieh halte, seine Holzschuhe sich selbst schnitze, die Leinwand zu seinem Rocke aus selbst erbautem Hanfe in den Wintertagen selbst webe, u.s.w. Ein solcher Staat habe keinen besonderen Stand der Künstler, kein Gleichgewicht zwischen diesen und den Producenten, keinen[421] Handel, noch Kaufleute; es passe auf denselben kein einziger Zug meiner Theorie; und doch werde ich demselben aus dieser Ursache den Namen eines rechtlichen Staates nimmermehr absprechen wollen. Die Verordnungen über Handel und Gewerbe seyen sonach lediglich Sache des Vortheiles, der Klugheit, und insofern ganz willkürlich, keinesweges ein Gegenstand des strengen Rechtes.

Ich bemerke darauf zuvörderst, dass selbst in einem solchen Staate das Eigenthumsrecht nicht unmittelbar auf den Acker, sondern auf das ausschliessende Recht geht, den Acker nach Willkür zu brauchen, dass ich tiefer unten über diesen Punct noch weitere Erörterungen hinzufügen werde, dass aber derselbe unserer gegenwärtigen Untersuchung nichts verschlägt. Ich bemerke ferner, dass eine Nation in dem beschriebenen Zustande eine armselige, noch zur Hälfte in der Barbarei zurückgebliebene Nation ist; dass, wenn dieselbe aus ihrer eigenen Mitte regiert wird, und ihre Regenten keine andere Bildung haben, als die unter ihr zu erlangende, an eine weise Gesetzgebung und Staatseinrichtung bei derselben kaum zu gedenken ist; und nur in dieser Rücksicht, dass keiner über die Grenze seines Wissens ebensowenig wie über die seines Könnens hinaus, verbunden werden kann, würde ich eine Staatsverwaltung, die unter diesen Umständen in ihrer Gesetzgebung auf einen solchen Zustand der Dinge, und auf das Beharren in einem solchen Zustande der Dinge rechnete, mit der Benennung einer rechtswidrigen verschonen. Aber dass eine Regierung, die das Bessere kennte, oder zu kennen vermöchte, denselben Zweck sich setzte, und dieselbe Rechnung machte; dass diese nichts thäte, um aus diesem Zustande herauszugehen, und die Nation aus demselben herauszureissen, könnte ich nicht anders als rechtswidrig nennen.

Es ist nicht ein blosser frommer Wunsch für die Menschheit, sondern es ist die unerlässliche Forderung ihres Rechts, und ihrer Bestimmung, dass sie so leicht, so frei, so gebietend über die Natur, so ächt menschlich auf der Erde lebe, als es die Natur nur irgend verstattet. Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lastthier, das unter seiner Bürde in den[422] Schlaf sinkt, und nach der nothdürftigsten Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten, und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist. Er soll nicht gerade mit seinem Lastthier essen; sondern seine Speise soll von desselben Futter, seine Wohnung von desselben Stalle sich ebenso unterscheiden, wie sein Körperbau von jenes Körperbaue unterschieden ist. Dies ist sein Recht, darum weil er nun einmal ein Mensch ist.

Man hat viel und häufig von Nationalreichthum, Nationalwohlstand, u. drgl. geredet. Ich werde nöthig haben, die mehrsten Bedeutungen, die dieses Wort haben kann, in dieser Schrift anzugeben. Die, auf welche wir hier stossen, ist folgende: der innere wesentliche Wohlstand besteht darin, dass man mit mindest schwerer und anhaltender Arbeit sich die menschlichsten Genüsse verschaffen könne. Dies soll nun seyn ein Wohlstand der Nation; nicht einiger Individuen, deren höchster Wohlstand oft das auffallendste Zeichen und der wahre Grund ist von dem höchsten Uebelbefinden der Nation; er soll so ziemlich über alle in demselben Grade sich verbreiten.

Wenn nicht entweder die Kräfte unserer eigenen Natur sich ins Ungeheure vermehren, oder wenn nicht die Natur ausser uns sich ohne unser Zuthun durch ein plötzliches Wunder umwandelt, und ihre eigenen bisher bekannten Gesetze vernichtet, so haben wir jenen Wohlstand nicht von ihr, wir haben ihn lediglich von uns selbst zu erwarten; wir müssen uns ihn durch Arbeit erwerben. Dazu giebt es nun kein anderes Mittel, als Kunst und Kunstfertigkeit, vermittelst welcher die kleinste Kraft, durch zweckmässige Anwendung, einer tausendfachen Kraft gleich werde. Kunst aber und Kunstfertigkeit entsteht durch fortgesetzte Uebung; entsteht dadurch, dass jeder sein ganzes Leben einem einzigen Geschäft widme, und alle seine Kraft und sein Nachdenken auf dieses Eine Geschäft richte. Die zum menschlichen Leben nöthigen Arbeitszweige müssen sonach vertheilt werden. Nur unter dieser Bedingung wirkt die Kraft mit dem höchsten Vortheil. – In[423] irgend einem Dorfe des armseligen Staates, der oben beschrieben wurde, sitzt jeder vor seinem Heerde allein, und schnitzt sich in langer Zeit, mit schwerer Mühe, mit unpassenden Werkzeugen ein paar elende Holzschuhe. Wendeten doch alle dieselbe Zeit und Mühe auf ein Geschäft ihres Feldbaues, und trügen Einem unter ihnen, dem Geschicktesten dazu, auf, für sie alle Schuhe zu machen, und nichts zu thun, denn das Sie würden bessere Schuhe bekommen, und mit dem, was sie während der Zeit bei ihrem Ackerbau gewonnen haben, ihren Schuhmacher, und einen Schneider dazu sehr gut ernähren können.

Kurz; wer das Recht zum Zwecke hat, der hat es zu dem einzigen Mittel, welches zum Zwecke führt. Jedes Volk hat das Recht zu wollen, dass sein Wohlstand sich erhöhe. Dies ist nur dadurch möglich, dass die Arbeitszweige vertheilt werden. Das Volk hat sonach ein Recht dies zu wollen; und diejenige Anstalt, welche zu Erlangung und Erhaltung aller seiner Rechte eingesetzt ist, die Regierung, hat die Pflicht auf sich, zu veranstalten, dass es geschehe.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1845/1846, S. 421-424.
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