Sechste Vorlesung

[475] [Beweis der früheren beiläufigen Behauptung, dass diese Lehre zugleich die Lehre des ächten Christenthums sey, wie dieselbe beim Evangelisten Johannes sich vorfinde. Gründe, warum wir uns vorzüglich auf diesen Evangelisten berufen. Unser hermeneutisches Princip. – Es sey im Johannes zuvörderst zu unterscheiden, was an sich, und was nur für seinen temporären Standpunct wahr seyn solle. Das erste sey enthalten im Eingange des Evangeliums bis V. 5. Würdigung dieses Einganges, nicht als unvorgreifliche Meinung des Evangelisten, sondern als unmittelbare Lehre Jesu. Erklärung desselben Das temporär Gültige sey der nicht metaphysische, sondern bloss historische Satz: dass das göttliche Daseyn, rein und ohne alte individuelle Beschränkung, in Jesus von Nazareth sich dargestellt habe. Erklärung des Unterschiedes dieser beiden Ansichten, und Vereinigung derselben; gleichfalls und ausdrücklich auch nach der christlichen Lehre, Würdigung dieses historischen Dogmas. Auffassung des Inhalts des ganzen Evangeliums aus diesem Gesichtspuncte, nach den Fragen: Was lehret Jesus von sich und seinem Verhältnisse zu Gott; und was von seinen Anhängern und deren Verhältnisse zu ihm?]


Ehrwürdige Versammlung,


Unsere gesammte Lehre, als die Grundlage alles dessen, was wir hier noch sagen können, und überhaupt alles desjenigen, was wir jemals sagen können, ist nun deutlich und bestimmt aufgestellt, und lässt sich in einem Blicke übersehen. – Es giebt durchaus kein Seyn und kein Leben, ausser den, unmittelbaren göttlichen Leben. Dieses Seyn wird in dem Bewusstseyn, nach den eigenen, unaustilgbaren und in dem Wesen desselben gegründeten Gesetzen dieses Bewusstseyns, auf mannigfaltige Weise verhüllt und getrübt; frei aber von jenen Verhüllungen, und nur noch durch die Form der Unendlichkeit modificirt, tritt es wieder heraus in dem Leben und Handeln des gottergebenen Menschen. In diesem Handeln handelt nicht der Mensch, sondern Gott selber in seinem ursprünglichen[475] inneren Seyn und Wesen ist es, der in ihm handelt, und durch den Menschen sein Werk wirket.

Ich sagte in einer der ersten und einleitenden Vorlesungen: diese Lehre, so neu und unerhört sie auch dem Zeitalter erscheinen möge, sey darum doch so alt, als die Welt, und sie sey insbesondere die Lehre des Christenthums, wie dies, in seiner ächtesten und reinsten Urkunde, in dem Evangelium Johannis noch bis diesen Augenblick vor unseren Augen liegt; und diese Lehre werde daselbst sogar mit denselben Bildern und Ausdrücken vorgetragen, deren auch wir uns bedienen. Es dürfte in mancherlei Rücksichten gut seyn, diese Behauptung zu erhärten, und wir wollen die heutige Stunde diesem Geschäfte widmen. – Es versteht sich wohl auch ohne unsere ausdrückliche Erinnerung, dass wir durch den Erweis dieser Uebereinstimmung unserer Lehre mit dem Christenthume keinesweges erst die Wahrheit dieser unserer Lehre zu beweisen, oder ihr eine äussere Stütze unterzulegen gedenken. Sie muss schon in dem vorhergehenden sich selber bewiesen und als absolut evident eingeleuchtet haben, und sie bedarf keiner weiteren Stütze. Und ebenso muss das Christenthum, eben als übereinstimmend mit der Vernunft, und als reiner und vollendeter Ausdruck dieser Vernunft, ausser welcher es keine Wahrheit giebt, sich selbst beweisen, wenn es auf irgend eine Gültigkeit Anspruch machen will. Die Zurückführung in die Fessel der blinden Autorität erwarten Sie nicht vom Philosophen.

Dass ich insbesondere den Evangelisten Johannes allein als Lehrer des ächten Christenthums gelten lasse, dafür habe ich in den Vorlesungen des vorigen Winters ausführlicher den Grund angegeben, dass der Apostel Paulus und seine Partei, als die Urheber des entgegengesetzten christlichen Systems, halbe Juden geblieben, und den Grundirrthum des Juden- sowohl als Heidenthums, den wir tiefer unten werden berühren müssen, ruhig stehen gelassen. Für jetzt möge folgendes hinreichen. – Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen, denn dieser allein hat Achtung für die Vernunft, und beruft sich auf den Beweis, den der Philosoph allein gelten[476] lässt: den innern. »So jemand will den Willen thun des, der mich gesandt hat, der wird inne werden, dass diese Lehre von Gott sey.« Dieser Wille Gottes aber ist nach dem Johannes der, dass man Gott, und den er gesandt hat, Jesum Christum recht erkenne. Die anderen Verkündiger des Christenthums aber bauen auf die äussere Beweisführung durch Wunder, welche, für uns wenigstens, nichts beweiset. Ferner enthält auch unter den Evangelisten Johannes allein das, was wir suchen und wollen, eine Religionslehre: dagegen das beste, was die übrigen geben, ohne Ergänzung und Deutung durch den Johannes, doch nicht mehr ist, als Moral; welche bei uns nur einen sehr untergeordneten Werth hat. – Wie es sich mit der Behauptung, dass Johannes die übrigen Evangelien vor sich gehabt, und das von ihnen Uebergangene nur habe nachtragen wollen, verhalten möge, wollen wir hier nicht untersuchen: nach unserem Erachten wäre sodann der Nachtrag das Beste, und die Vorgänger hätten gerade das, worauf es eigentlich ankommt, übergangen.

Was mein Princip der Auslegung dieses, sowie aller Christlichen Schriftsteller betrifft, so ist es das folgende: sie also zu verstehen, als ob sie wirklich hätten etwas sagen wollen, und, so weit ihre Worte das erlauben, das rechte und wahre gesagt hätten: – ein Princip, das der Billigkeit gemäss zu seyn scheint. Ganz abgeneigt aber sind wir dem hermeneutischen Princip einer gewissen Partei, nach welchem sie die ernstesten und unumwundensten Aeusserungen dieser Schriftsteller für blosse Bilder und Metaphern hallen, und so lange an und von ihnen herunter erklären, bis eine Plattheit und Trivialität herauskommt, wie diese Erklärer sie auch wohl selber hätten erfinden und vorbringen können. Andere Mittel der Erklärung, als die in ihnen selbst liegenden, scheinen mir bei diesen Schriftstellern, und ganz besonders beim Johannes, nicht stattzufinden. Wo, wie bei den klassischen Profan-Scribenten, mehrere Zeitgenossen unter einander, und diese wieder mit einem ihnen vorhergehenden und ihnen folgenden Gelehrten-Publicum verglichen werden können, da finden diese äusseren Hülfsmittel statt. Das Christenthum aber, und ganz besonders Johannes,[477] stehen isolirt, als eine wunderbare und räthselhafte Zeiterscheinung, ohne Vorgang und ohne eigentliche Folge, da.

An dem von uns aufzustellenden Inhalte der Johanneischen Lehre wird sorgfältig zu unterscheiden seyn, was in derselben an sich, absolut und für alle Zeiten gültig, wahr ist, von demjenigen, was nur für Johannes und des von ihm aufgestellten Jesus Standpunct, und für ihre Zeit und Ansicht wahr gewesen. Auch das letztere werden wir getreu aufstellen; denn eine andere Erklärungsweise ist unredlich, und überdies verwirrend.

Was im Evangelium Johannis zu allererst unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, ist der dogmatische Eingang desselben in der Hälfte des ersten Capitels; gleichsam die Vorrede. Halten Sie diese Vorrede ja nicht für ein eigenes und willkürliches Philosophem des Verfassers; gleichsam für eine räsonnirende Verbrämung seiner Geschichts-Erzählung, von der man, rein an die Thatsachen sich haltend, der eigenen Absicht des Verfassers nach denken könne, wie man wolle; sowie einige diesen Eingang anzusehen scheinen. Es ist vielmehr derselbe in Beziehung auf das ganze Evangelium zu denken, und nur im Zusammenhange mit demselben zu begreifen. Der Verfasser führt, durch das ganze Evangelium durch, Jesum ein, als auf eine gewisse Weise, die wir unten angeben werden, von sich redend; und es ist ohne allen Zweifel Johannes Ueberzeugung, dass Jesus gerade also, und nicht anders gesprochen habe, und dass er ihn also reden – gehört habe: und sein ernster Wille, dass wir ihm dies glauben sollen. Nun erklärt die Vorrede die Möglichkeit, wie Jesus also von sich habe denken und reden können, wie er von sich redet: es ist daher nothwendig die Voraussetzung Johannis, dass nicht bloss er, dieser Johannes, für seine Person und seiner geringen Meinung nach, Jesum also ansehen und sich erklären wolle, sondern dass Jesus selber sich gleichfalls also gedacht und angesehen habe, wie er ihn schildert. Die Vorrede ist anzusehen, als der Auszug und der allgemeine Standpunct aller Reden Jesu: sie hat darum, der Absicht des Verfassers nach, die gleiche Autorität, wie Jesus unmittelbare Reden. Auch die[478] Vorrede ist, nach Johannes Ansicht, nicht des Johannes, sondern Jesu Lehre; und zwar der Geist und die innigste Wurzel von Jesu ganzer Lehre.

Nachdem wir diesen nicht unbedeutenden Punct ins reine gebracht haben, gehen wir durch folgende Vorerinnerung zur Sache.

Aus Unkunde der im bisherigen von uns aufgestellten Lehre entsteht die Annahme einer Schöpfung; als der absolute Grundirrthum aller falschen Metaphysik und Religionslehre und insbesondere, als das Urprincip des Juden- und Heidenthums. Die absolute Einheit und Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens in sich selber anzuerkennen genöthigt, – wiederum auch das selbstständige und wahrhafte Daseyn endlicher Dinge nicht aufgeben wollend, dessen sie die letzten durch einen Act absoluter Willkür aus dem ersten hervorgehen: wodurch ihnen zuvörderst der Begriff der Gottheit im Grunde verdarb, und mit einer Willkür ausgestattet wurde, die durch ihr ganzes religiöses System hindurchging; sodann die Vernunft auf immer verkehrt, und das Denken in ein träumendes Phantasiren verwandelt wurde; – denn eine Schöpfung lässt sich gar nicht ordentlich denken – das was man wirklich denken heisst – und es hat noch nie irgend ein Mensch sie also gedacht. Insbesondere ist, in Beziehung auf die Religionslehre, das Setzen einer Schöpfung das erste Kriterium der Falschheit; das Abläugnen einer solchen Schöpfung, falls eine solche durch vor hergegangene Religionslehre gesetzt seyn sollte, das erste Kriterium der Wahrheit dieser Religionslehre. Das Christenthum, und insbesondere der gründliche Kenner desselben, von welchem wir hier sprechen, Johannes, befand sich in dem letzten Falle: die vorhandene jüdische Religion hatte eine solche Schöpfung gesetzt. Im Anfange – schuf Gott: heben die heiligen Bücher dieser Religion an; nein, im directen Widerspruche, und anhebend mit demselben Worte, und statt des zweiten falschen an derselben Stelle das rechte setzend, um den Widerspruch herauszuheben, – nein, sagt Johannes: im Anfange, in demselben Anfange, wovon auch dort gesprochen wird, d. h. ursprünglich und vor aller Zeit, schuf Gott nicht,[479] und es bedurfte keiner Schöpfung, – sondern es – war schon; es war das Wort – und durch dieses erst sind alle Dinge gemacht.

Im Anfange war das Wort, der Logos, im Urtexte; was auch hätte übersetzt werden können, die Vernunft, oder, wie im Buche der Weisheit beinahe derselbe Begriff bezeichnet wird, die Weisheit: was aber unseres Erachtens durch den Ausdruck: Wort, der auch in der allerältesten lateinischen Uebersetzung, ohne Zweifel auf Veranlassung einer Tradition der Johanneischen Schüler, also vorkommt, am treffendsten übersetzt ist. Was ist nun, der Absicht des Schriftstellers nach, dieser Logos oder dieses Wort? Vernünfteln wir doch ja nicht über den Ausdruck; sondern sehen wir lieber unbefangen hin, was Johannes von diesem Worte aussagt: – die dem Subjecte beigelegten Prädicate, besonders wenn sie diesem Subjecte ausschliessend beigelegt werden, pflegen ja das Subject selbst zu bestimmen. Es war im Anfange, sagt er; es war bei Gott; Gott selbst war es; es war im Anfange bei Gott. Kann deutlicher ausgesprochen werden dasselbe, was wir früher so ausgesprochen haben: Nachdem, ausser Gottes innerem und in sich verborgenem Seyn, das wir zu denken vermögen, er auch noch überdies da ist, was wir bloss factisch erfassen können, so ist er nothwendig durch sein inneres und absolutes Wesen da: und sein, nur durch uns von seinem Seyn unterschiedenes Daseyn, ist an sich und in ihm davon nicht unterschieden; sondern dieses Daseyn ist ursprünglich, vor aller Zeit und ohne alle Zeit, bei dem Seyn, unabtrennlich von dem Seyn, und selber das Seyn: – das Wort im Anfange, – das Wort bei Gott, – das Wort im Anfange bei Gott, – Gott selbst das Wort, und das Wort selbst Gott. Konnte schneidender und herausspringender der Grund dieser Behauptung angegeben werden: in Gott, und aus Gott, wird nichts, entsteht nichts; in ihm ist ewig nur das Ist, und was daseyn soll, muss ursprünglich bei ihm seyn, und muss er selbst seyn, Weg mit jenem verwirrenden Phantasma, – hätte der Evangelist hinzusetzen können, wenn er viele Worte hätte machen wollen, – weg mit jenem Phantasma eines Werdens[480] aus Gott, dessen, was in ihm nicht ist, und nicht ewig und nothwendig war; einer Emanation, bei welcher er nicht dabei ist, sondern sein Werk verlässt; einer Ausstossung und Trennung von ihm, die uns in das öde Nichts wirft, und ihn zu einem willkürlichen und feindseligen Oberherrn von uns macht. –

Dieses – bei Gott Seyn nun, nach unserem Ausdrucke dieses Daseyn, wird ferner Charakterisirt als Logos oder Wort. Wie könnte deutlicher ausgesprochen werden, dass es die sich selbst klare und verständliche Offenbarung und Manifestation, sein geistiger Ausdruck sey, – dass, wie wir dasselbe aussprachen, das unmittelbare Daseyn Gottes nothwendig Bewusstseyn, theils seiner selbst, theils Gottes sey; wofür wir den strengen Beweis geführt haben.

Ist nun erst dies klar, so ist nicht die mindeste Dunkelheit mehr in der Behauptung: v. 3. »dass alle Dinge durch dasselbige Wort gemacht sind, und ohne dasselbige nichts gemacht ist, was gemacht ist u.s.w..« – und es ist dieser Satz ganz gleichgeltend mit dem von uns aufgestellten, dass die Welt und alle Dinge lediglich im Begriffe, in Johannes Worte, und als begriffene, und bewusste, – als Gottes Sich-Aussprechen seiner selbst, – da sind; und dass der Begriff, oder das Wort, ganz allein der Schöpfer der Welt überhaupt, und, durch die in seinem Wesen liegenden Spaltungen, der Schöpfer der mannigfaltigen und unendlichen Dinge in der Welt sey.

In Summa: ich würde diese drei Verse in meiner Sprache also ausdrücken. Ebenso ursprünglich als Gottes inneres Seyn ist sein Daseyn, und das letztere ist vom ersten unzertrennlich, und ist selber ganz gleich dem ersten: und dieses göttliche Daseyn ist in seiner eigenen Materie nothwendig Wissen: und in diesem Wissen allein ist eine Welt und alle Dinge, welche in der Welt sich vorfinden, wirklich geworden.

Ebenso klar werden nun auch die beiden folgenden Verse. In ihm, diesem unmittelbaren göttlichen Da seyn, war das Leben, der tiefste Grund alles lebendigen, substantiellen, ewig aber dem Blicke verborgen bleibenden. Daseyns; und dieses Leben ward im wirklichen Menschen Licht, bewusste Reflexion;[481] und dieses Eine ewige Urlicht schien ewig fort in den Finsternissen der niedern und unklaren Grade des geistigen Lebens, trug dieselben unerblickt, und erhielt sie im Daseyn, ohne dass die Finsternisse es begriffen.

So weit als wir jetzt den Eingang des Johanneischen Evangeliums erklärt, geht sein absolut Wahres und ewig Gültiges. Von da hebt an das nur für die Zeit Jesu und der Stiftung des Christenthums, und für den nothwendigen Standpunct Jesu und seiner Apostel Gültige der historische, keinesweges metaphysische Satz nemlich, dass jenes absolut unmittelbare Daseyn Gottes, das ewige Wissen oder Wort, rein und lauter, wie es in sich selber ist, ohne alle Beimischung von Unklarheit oder Finsterniss, und ohne alle individuelle Beschränkung, in demjenigen Jesus von Nazareth, der zu der und der bestimmten Zeit im jüdischen Lande lehrend auftrat, und dessen merkwürdigste Aeusserungen hier aufgezeichnet seyen, in einem persönlich sinnlichen und menschlichen Daseyn sich dargestellt, und in ihm, wie der Evangelist vortrefflich sich ausdrückt, Fleisch geworden. Mit der Verschiedenheit sowohl, als der Uebereinstimmung dieser beiden Standpuncte, des absolut und ewig wahren, und des bloss aus dem zeitigen Gesichtspuncte Jesu und seiner Apostel wahren, verhält es sich also. Aus dem ersten Standpuncte wird zu allen Zeiten, in jedem ohne Ausnahme, der seine Einheit mit Gott lebendig einsieht, und der wirklich und in der That sein ganzes individuelles Leben an das göttliche Leben in ihm hingiebt, das ewige Wort, ohne Rückhalt und Abbruch, ganz auf dieselbe Weise, wie in Jesu Christo, Fleisch, ein persönlich sinnliches und menschliches Daseyn. – Diese also ausgesprochene Wahrheit, welche da redet lediglich von der Möglichkeit des Seyns, ohne alle Beziehung auf das Mittel des wirklichen Werdens, läugnet nun weder Johannes, noch der von ihm redend eingeführte Jesus; sondern sie schärfen dieselbe vielmehr, wie wir tiefer unten sehen werden, allenthalben auf das nachdrücklichste ein. Der dem Christenthum ausschliessend eigene und nur für die Schüler desselben geltende Standpunct sieht auf das Mittel des Werdens, und lehrt hierüber also: Jesus von[482] Nazareth sey eben schlechthin von und durch sich, durch sein blosses Daseyn, Natur, Instinct, ohne besonnene Kunst, ohne Anweisung, die vollkommene sinnliche Darstellung des ewigen Wortes, sowie es vor ihm schlechthin niemand gewesen; alle diejenigen aber, welche seine Jünger würden, seyen es eben darum, weil sie seiner bedürften, noch nicht, sondern sollten es erst durch ihn werden. – Das soeben klar ausgesprochene ist das Charakteristische Dogma des Christenthums, als einer Zeiterscheinung, einer zeitigen Anstalt zu religiöser Bildung der Menschen, welches Dogma ganz ohne Zweifel Jesus und seine Apostel geglaubt haben: rein, lauter und in einem hohen Sinne im Evangelium Johannis, welchem Johannes Jesus von Nazareth freilich auch der Christus, der verheissene Beseliger der Menschheit ist, nur dass ihm dieser Christus wieder für das Fleisch gewordene Wort gilt: vermischt mit jüdischen Träumen von einem Sohne Davids und einem Aufheber eines alten Bundes, und Abschliesser eines neuen, bei Paulus und den übrigen. Allenthalben, und ganz besonders beim Johannes, ist Jesus der Erstgeborene und Einige unmittelbar geborene Sohn des Vaters, keinesweges als Emanation oder dess etwas – welche vernunftwidrige Träume erst später entstanden sind – sondern, in dem oben erklärten Sinne, in ewiger Einheit und Gleichheit des Wesens: und alle andern können erst in ihm, und durch die Verwandlung in sein Wesen mittelbar Kinder Gottes werden. Dies lassen Sie uns zuvörderst anerkennen; denn ausserdem würden wir theils unredlich deuten, theils das Christenthum gar nicht verstehen, sondern durch dasselbe verworren werden. Sodann lassen Sie uns, gesetzt auch wir wollten für unsere Person von jener Ansicht keinen Gebrauch machen, was einem jeden freistehen muss, dieselbe wenigstens richtig nehmen und beurtheilen Und so erinnere ich denn in dieser Rücksicht: 1) Allerdings ist die Einsicht in die absolute Einheit des menschlichen Daseyns mit dem göttlichen die tiefste Erkenntniss, welche der Mensch erschwingen kann. Sie ist vor Jesu nirgends vorhanden gewesen: sie ist ja auch seit seiner Zeit, man möchte sagen, bis auf diesen Tag, wenigstens in der profanen Erkenntniss, wieder so gut[483] als ausgerottet und verloren. Jesus aber Hat sie offenbar gehabt; wie wir, sobald wir nur selbst sie haben, – wäre es auch nur im Evangelium Johannis, unwidersprechlich finden werden. – Wie kam nun Jesus zu dieser Einsicht? Dass jemand hinterher, nachdem die Wahrheit schon entdeckt ist, sie nacherfinde, ist kein so grosses Wunder; wie aber der erste, von Jahrtausenden vor ihm und von Jahrtausenden nach ihm durch den Alleinbesitz dieser Einsicht geschieden, zu ihr gekommen sey, dies ist ein ungeheures Wunder. Und so ist denn in der That wahr, was der erste Theil des Christlichen Dogmas behauptet, dass Jesus von Nazareth der, – auf eine ganz vorzügliche, durchaus keinem Individuum ausser ihm zukommende Weise, – eingeborene und erstgeborene Sohn Gottes ist: und dass alle Zeiten, die nur fähig sind ihn zu verstehen, ihn dafür werden erkennen müssen. 2) Ob es nun schon wahr ist, dass jetzt ein jeder in den Schriften seiner Apostel diese Lehre wiederfinden, und für sich selbst und durch eigene Ueberzeugung sie für wahr anerkennen kann; ob es gleich, wie wir ferner behaupten, wahr ist, dass der Philosoph – so viel er weiss, – ganz unabhängig vom Christenthume dieselben Wahrheiten findet, und sie in einer Consequenz und in einer allseitigen Klarheit überblickt, in der sie vom Christenthume aus an uns wenigstens nicht überliefert sind; so bleibt es doch ewig wahr, dass wir mit unserer ganzen Zeit und mit allen unseren philosophischen Untersuchungen auf den Boden des Christenthums niedergestellt sind, und von ihm ausgegangen: dass dieses Christenthum auf die mannigfaltigste Weise in unsere ganze Bildung eingegriffen habe, und dass wir insgesammt schlechthin nichts von alle dem seyn würden, was wir sind, wenn nicht dieses mächtige Princip in der Zeit vorhergegangen wäre. Wir können keinen Theil unsers, durch die früheren Begebenheiten uns angeerbten Seyns aufheben; und mit Untersuchungen, was da seyn würde, wenn nicht wäre, was da ist, giebt kein Verständiger sich ab. Und so bleibt denn auch der zweite Theil des christlichen Dogmas, dass alle diejenigen, die seit Jesu zur Vereinigung mit Gott gekommen, nur durch ihn und vermittelst seiner dazu gekommen,[484] gleichfalls unwidersprechlich wahr. Und so bestätiget es sich denn auf alle Weise, dass bis an das Ende der Tage vor diesem Jesus von Nazareth wohl alle Verständigen sich tief beugen, und alle, je mehr sie nur selbst sind, desto demüthiger die überschwengliche Herrlichkeit dieser grossen Erscheinung anerkennen werden.

Soviel, um diese für ihre Zeit gültige Ansicht des Christenthums gegen unrichtiges und unbilliges Urtheil, da, wo sie natürlich sich vorfindet, zu schützen; keinesweges aber etwa, um diese Ansicht jemandem aufzudringen, der entweder seine Aufmerksamkeit nach jener historischen Seite gar nicht hingerichtet hätte, oder der, selbst wenn er sie dahin richtete, das, was wir da zu finden glauben, eben nicht entdecken könnte. Keinesweges nemlich haben wir durch das Gesagte uns zur Partei jener Christianer schlagen wollen, für welche die Sache nur durch ihren Namen Werth zu haben scheint. Nur das Metaphysische, keinesweges aber das Historische, macht selig; das letztere macht nur verständig. Ist nur jemand wirklich mit Gott vereinigt und in ihn eingekehrt, so ist es ganz gleichgültig, auf welchem Wege er dazu gekommen; und es wäre eine sehr unnütze und verkehrte Beschäftigung, anstatt in der Sache zu leben, nur immer das Andenken des Weges sich zu wiederholen. Falls Jesus in die Welt zurückkehren könnte, so ist zu erwarten, dass er vollkommen zufrieden seyn würde, wenn er nur wirklich das Christenthum in den Gemüthern der Menschen herrschend Rinde, ob man nun sein Verdienst dabei preisete, oder es überginge; und dies ist in der That das allergeringste, was von so einem Manne, der schon damals, als er lebte, nicht seine Ehre suchte, sondern die Ehre des, der ihn gesandt hatte, sich erwarten liesse.

Nachdem wir an der Unterscheidung der beiden beschriebenen Standpuncte den Schlüssel haben zu allen Aeusserungen des Johanneischen Jesus; und das sichere Mittel, das in einer Zeitform ausgesprochene auf reine und absolute Wahrheit zurückzuführen, fassen wir den Inhalt dieser Aeusserungen in die Beantwortung der beiden Fragen zusammen: Zuvörderst was sagt Jesus über sich selbst in Absicht seines Verhältnisses[485] zur Gottheit? sodann, was sagt er über seine Anhänger und Lehrlinge in Absicht des Verhältnisses derselben zuerst zu ihm, und sodann vermittelst seiner zur Gottheit?

Cap. 1, 18. »Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schooss ist, der hat es verkündiget.« – Wie wir gesagt haben: In sich in das göttliche Wesen verborgen: nur in der Form des Wissens tritt es heraus; und zwar ganz wie es in sich ist.

Cap. 5, 19. »Der Sohn kann nichts von ihm selber thun, denn was er siehet den Vater thun; denn was derselbige thut, das thut gleich auch der Sohn.« – Aufgegangen ist seine Selbstständigkeit in dem Leben Gottes, wie wir uns ausgedrückt haben.

Cap. 10, 28. »Ich gebe meinen Schaafen das ewige Leben, und niemand kann sie aus meiner Hand reissen.« V. 29. »Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist grösser denn alles und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reissen.« – Wer ist es denn nun, der sie hält und trägt: Jesus oder der Vater? Die Antwort giebt V. 30. »Ich und der Vater sind Eins.« – Einerlei gesagt in beiden identischen Sätzen. – Sein Leben ist das meinige, das meinige das seinige. Mein Werk sein Werk, und umgekehrt. Gerade also, wie wir in der vorigen Stunde uns ausgedrückt haben.

Soviel von den deutlichsten und zwingendsten Stellen. Auf diese Weise lehrt über diesen Punct einmüthig und gleichlautend das ganze Evangelium. Jesus redet nie anders von sich. Ferner, wie redet er von seinen Anhängern und deren Verhältnisse zu sich? Die beständige Voraussetzung ist, dass diese in ihrem dermaligen Zustande gar nicht das rechte Daseyn hätten, sondern, wie er Cap. 3 gegen Nikodemus sich äussert, ein so völlig anderes und ihrem bisherigen Daseyn entgegengesetztes Daseyn erhalten müssten, als ob an ihrer Stelle ein ganz neuer Mensch geboren würde: – oder, wo er am eindringendsten sich ausspricht: dass sie eigentlich gar nicht existirten, noch lebten, sondern im Tode und Grabe sich befänden, und dass Er erst das Leben ihnen ertheilen müsse.

Hören Sie darüber folgende entscheidende Stellen:[486] Cap. 6, 53. »Werdet ihr nicht essen mein Fleisch und trinken mein Blut (dieser Ausdruck wird tiefer unten erklärt werden), so habt ihr kein Leben in euch.« Nur durch dieses Essen meines Fleisches und Trinken meines Blutes kommt welches in euch; und ohne dies ist keines.

Und Cap. 5, 24. »Wer mein Wort höret, der hat das ewige Leben, und ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.« V. 25. »Es kommt die Stunde, und ist schon jetzt, dass die Todten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben.« – Die Todten! Wer sind diese Todten? etwa die, die am jüngsten Tage in den Gräbern liegen werden? Eine rohsinnliche Deutung: – im biblischen Ausdrucke, – eine Deutung nach dem Fleische, nicht nach dem Geiste. Die Stunde war ja schon damals. Diejenigen waren diese Todten, welche seine Stimme noch nicht gehört hatten, und eben darum todt waren.

Und was für ein Leben ist dies, das Jesus den Seinigen zu geben verspricht?

Cap. 8, 51. »So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich« – keinesweges, wie geistlose Ausleger dies nehmen; er wird wohl einmal sterben, nur nicht auf ewig, sondern er wird am jüngsten Tage wieder auferweckt werden; sondern, er wird nun und nimmermehr sterben; – – wie es denn auch die Juden wirklich verstanden, und durch die Berufung auf Abrahams erfolgten Tod Jesus widerlegen wollten, und er ihre Auslegung billigt indem er andeutet, dass Abraham, – der Jesu Tag gesehen, – in seine Lehre, ohne Zweifel durch Melchisedek, eingeweiht worden, – auch wirklich nicht gestorben sey.

Oder noch einleuchtender: Cap. 11, 23. – »Dein Bruder soll auferstehen.« Martha, die den Kopf eben auch mit jüdischen Grillen angefüllt hatte, sagte, ich weiss wohl, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage. – Nein, sagt Jesus: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich gläubet, der wird leben, ob er gleich[487] stürbe. Und wer da lebet und gläubet an mich, der wird nimmermehr sterben.« – Die Vereinigung mit mir giebt die Vereinigung mit dem ewigen Gott und seinem Leben, und die Gewissheit derselben; also, dass man in jedem Momente die ganze Ewigkeit ganz hat und besitzt, und den täuschenden Phänomenen einer Geburt und eines Sterbens in der Zeit durchaus keinen Glauben beimisst, daher auch keiner Auferweckung, als der Rettung von einem Tode, den man nicht glaubt, weiter bedarf.

Und woher hat Jesus diese, seine Anhänger auf alle Ewigkeit belebende Kraft? Aus seiner absoluten Identität mit Gott – Cap. 5, 26.: »Wie der Vater hat das Leben in ihm selber, also hat er dem Sohne gegeben das Leben zu haben in ihm selber.« Ferner, auf welche Weise werden die Anhänger Jesu dieser Identität ihres Lebens mit dem göttlichen Leben theilhaftig? Jesus sagt dies in den mannigfaltigsten Wendungen, von denen ich hier nur die allerstärkste und deutlichste, und gerade um ihrer absoluten Klarheit willen den Zeitgenossen sowohl, als auch den Nachkommen bis auf diesen Tag allerunverständlichste und anstössigste anführen will. – Cap. 6, 53 bis 55. – »Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes, und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset, und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben. Mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank.« Was heisst dies? – Er erklärt es selber V. 56. »Wer mein Fleisch isset, und trinket mein Blut, der – bleibet in, mir, und ich in ihm;« und umgekehrt, wer in mir bleibet, und ich in ihm, der hat gegessen mein Fleisch u.s.w. Sein Fleisch essen, und sein Blut trinken, heisst: ganz und durchaus er selber werden und in seine Person, ohne Abbruch oder Rückhalt, sich verwandeln, – ihn in seiner Persönlichkeit nur wiederholen, – transsubstantiirt werden mit ihm – so wie er das zu Fleisch und Blut gewordene ewige Wort ist, ebenso zu seinem Fleische und Blute, und, was nun daraus folgt und dasselbe ist, zu dem zu Fleisch und Blut gewordenen ewigen Worte selber werden: denken durchaus und ganz wie er, und so, als ob er selber dächte[488] und nicht wir; leben durchaus und ganz wie er, und so, als ob er selber lebte in unserer Stelle. So gewiss Sie nur, E. V., jetzt nicht meine eigenen Worte herabziehen und herunterdeuten zu dem beschränkten Sinne, dass man Jesum, als unerreichbares Muster, nur nachahmen solle stückweise und aus der Ferne, so wie die menschliche Schwäche es erlaube; sondern dieselben so nehmen, wie ich sie ausgesprochen habe, dass man Er selber ganz werden müsse: so leuchtet Ihnen ein, dass Jesus nicht füglich anders sich ausdrücken konnte, und dass er sich vortrefflich aussprach. Jesus war weit entfernt davon, sich als unerreichbares Ideal hinzustellen, wozu erst die Dürftigkeit der Folgezeit ihn gemacht hat; auch nahmen ihn seine Apostel nicht so: unter anderen auch nicht Paulus, der da sagt: Ich lebe gar nicht mehr, sondern in mir lebt Jesus Christus. Sondern Jesus wollte durch seine Anhänger ganz und ungetheilt in seinem Charakter wiederholt werden, so wie er selber war; und zwar forderte er dieses absolut, und als unerlässliche Bedingung: esset ihr nicht mein Fleisch u.s.w., so bekommt ihr überhaupt kein Leben in euch, sondern ihr bleibet liegen in den Gräbern, in denen ich euch angetroffen habe.

Nur dieses Eine forderte er; nicht mehreres, und nicht weniger. Keinesweges gedachte er sich zu begnügen mit dem blossen historischen Glauben, dass er das Fleisch gewordene ewige Wort, und der Christus sey, für welchen er sich gab. Allerdings fordert er auch bei Johannes als vorläufige Bedingung, – lediglich damit man ihn nur anhöre und auf seine Reden eingehe, Glauben; d.h. die vorläufige Voraussetzung der Möglichkeit, dass er wohl dieser Christus seyn könne, und verschmäht es auch gar nicht, diese Voraussetzung durch frappante und wunderbare Thaten, die er vollbringt, zu bestärken und zu erleichtern. Aber der endliche und entscheidende Beweis, der durch die vorläufige Voraussetzung oder den Glauben erst möglich gemacht werden soll, ist der: dass jemand nur wirklich den Willen thue des, der Jesus gesandt hat, d.h. dass er, in dem erklärten Sinne, sein Fleisch und sein Blut esse, wodurch er denn inne werden werde, dass diese Lehre[489] von Gott sey, und dass er nicht von sich selber rede. Ebensowenig ist die Rede von einem Glauben an sein stellvertretendes Verdienst. Jesus ist bei Johannes zwar ein Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegträgt, keinesweges aber ein solches, das sie mit seinem Blute einem erzürnten Gotte abbüsst. Erträgt sie weg: Nach seiner Lehre existirt der Mensch ausser Gott und Ihm gar nicht, sondern er ist todt und begraben; er tritt gar nicht ein in das geistige Reich Gottes; wie könnte doch der arme, nichtseyende, in diesem Reiche etwas verwirren und die göttlichen Plane stören? Wer aber in Jesum, und dadurch in Gott sich verwandelt, der lebet nun gar nicht mehr, sondern in ihm lebet Gott; aber wie könnte Gott gegen sich selbst sündigen? Den ganzen Wahn demnach von Sünde, und die Scheu vor einer Gottheit, die durch Menschen sich beleidigt finden könnte, hat er weggetragen und ausgetilgt. Endlich, so nun jemand auf diese Weise den Charakter Jesu in dem seinigen wiederholt; was ist denn nach der Lehre Jesu der Erfolg? – So ruft Jesus in Gegenwart seiner Jünger gegen seinen Vater aus! Cap. 17, 20. »Ich bitte nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle Eines seyen; gleich wie du Vater in mir, und ich in dir, dass auch sie in uns Eines seyen,« – in uns – – – Eines seyen. Jetzt, nach der Vollendung, ist aller Unterschied aufgehoben: die ganze Gemeine, der erstgeborene, zugleich mit den zuerst und mit den später nachgeborenen fallen wieder zusammen in den Einen gemeinschaftlichen Lebensquell Aller, die Gottheit. Und so fällt denn, wie wir oben behaupteten, das Christenthum, seinen Zweck als erreicht setzend, wieder zusammen mit der absoluten Wahrheit, und behauptet selbst, dass jederman zur Einheit mit Gott kommen, und das Daseyn desselben selber, oder das ewige Wort, in seiner Persönlichkeit werden könne und solle.

Und so ist denn erwiesen, dass die Lehre des Christenthums mit unserer, in den bisherigen Reden Ihnen vorgetragenen und zu Anfange der heutigen in einen einzigen Ueberblick zusammengefassten Lehre, sogar in dem Bildersystem von Leben[490] und Tod und allem, was daraus fliesset, genau übereinstimme.

Hören Sie noch zum Beschlusse dasselbe, womit ich meine letzte Vorlesung beschloss, mit denselben Worten desselben Johannes.

So fasset er, ohne Zweifel in Beziehung auf sein Evangelium, das praktische Resultat desselben, Ep. 1, Cap. 1. zusammen. »Das da von Anfang war, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unseren Augen, das wir beschauet haben, und unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens.« – Bemerken Sie, wie sehr es ihm darum zu thun ist, in seinem Evangelium nicht als seine eigenen Gedanken vortragend, sondern als blosser Zeuge von gehabten Wahrnehmungen zu erscheinen! – »Das verkündigen wir euch, auf dass auch ihr – ganz im Geiste und auf dem Grunde der zuletzt angeführten Worte Jesu – mit uns Gemeinschaft habet; und unsere (die unsere, der Apostel, so wie die eurige, der Neubekehrten) Gemeinschaft sey – mit dem Vater, und mit seinem Sohne, Jesu Christo. – – So wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in Finsterniss (so wir mit Gott vereinigt zu seyn glauben, ohne dass in unserem Leben das göttliche Wirken herausbricht), so lügen wir (und sind nur Phantasten und Schwärmer). So wir aber im Lichte wandeln, so wie Er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander; und das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes (keinesweges sein, im metaphysischen Sinne, zur Abbüssung unserer Sünde vergossenes Blut, sondern sein in uns eingetretenes Geblüt und Gemüth, sein Leben in uns)! macht uns rein von aller Sünde,« – – und hebt uns weit weg über die Möglichkeit zu sündigen.[491]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846, S. 475-492.
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Die Anweisung zum seligen Leben: oder auch die Religionslehre
Anweisungen zum seligen Leben
Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre
Philosophische Bibliothek, Bd.234, Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre (1806).
Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre

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Auerbach, Berthold

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