Elftes Bruchstück

Nāḷako

Bardenlied

[156] Vorgesang


679

In Wonneschimmer alle Dreißig droben selig,

Den Herrscher Sakko, hell die zugesellten Götter,

Frohlocken frei, fast überlaut um Lob zu singen:

Asito sah, der Seher, sie im Sonnenglanze.


680

Ersichtig solcher Götter Freude hoch im Himmel

Gar freundlich sprach empor der Seher so zu ihnen:

»Was läßt die Götterschar fast überschön erscheinen,

Frohlocken frei, warum im Kreise tanzen Reigen?


681

Als ehedem Unholden ihr entgegen zogt,

Euch Holden Sieg erschuft, Unholden Untergang,

Da war kein gleicher Jubel doch erschollen je:

Was Wunder blinkt euch, daß ihr Lichten also lacht?


682

Ein lustig Dröhnen, Singen, Klingen tönt herab,

Verschlungne Arme glitzern dort im Reigentanz:

Euch frag' ich, die um Merus Gipfel gern ihr schwebt,

Beschwichtigt mir den Zweifel doch, ihr Freunde, bald.«


[157] Die Götterschar:


683

»Erwachsam blitzt empor ein Kleinod ohne gleichen,

Erschienen in der Menschenwelt um Wohl zu wirken,

Im Sakyer Dorfe dort, im Lumbineyyer Lande:

Darum sind froh wir, überschön fast anzublicken.


684

Als aller Wesen erstes, höchstes Oberhaupt,

Als Menschenkönig, aller Völker Oberherr,

Begründen wird er einst am Seherstein das Reich,

Und rufen wie der Löwe stark, der Tiere Fürst.«


685

Die frohe Kunde hört' er wohl und zog dahin,

Suddhodanos Behausung mocht' er suchen auf;

Da saß der Seher nun, sprach an die Sakyer also:

»Wo ist der Knabe, daß auch ich ihn schauen kann?«


686

Den Knaben alsobald, an Glanze gleich dem Golde,

In Schmelzglut wann es gänzlich gargeläutert worden,

Erstrahlend immer strahlenreicher, reiner, lichter:

So brachten sie dem Seher dar das Kind, die Sakyer.


687

Er sah den Knaben wie die Feuerflamme funkeln,

Dem Herrn der Sterne gleich, wann hell er hoch dahinzieht,

Wie Sonne wolkenlos am Himmel herrscht im Herbste:

In Wonneschimmer war er selig da versunken.


688

An vielen Zacken tausendfach emporgewölbt

Ein Schirm von Wolken war erhoben in den Lüften,

An goldnen Stäben schwebten Wedel auf und nieder,

Und nicht ersah man doch bei Schirm und Wedel Wächter.


[158] 689

Da hat Asito hingesehn, der hehre Büßer:

Wie Goldgeschmeide lag das Kind auf lichter Decke,

Der weiße Schirm zu Häupten hoch erschienen war;

Entzückt im Herzen, hold erquickt, er nahm es auf.


690

Und als er nun den Sakyersproß in Händen hielt,

Der Zeichen Deuter, der die Male wohl gemerkt,

Mit hellem Geiste hub er so zu sprechen an:

»Der Größte wird er sein, Zweifüßer höchster Fürst.«


691

Doch daß er selber scheiden müsse dacht' er dann,

Sein Antlitz ward ihm trübe, und die Träne floß;

Die Sakyer sahn es, fragten was er weine da,

Ob nicht Verderben sei dem Knaben angedroht.


692

Und also achtend ihrer Sorge sprach der Seher:

»Nicht Unheil hab' ich an dem Knaben hier erkundet,

Und kein Verderben ist ihm künftig angedroht,

Ihm mangelt nichts, und hohen Mutes mögt ihr sein.


693

Die Bahn Erweckter wird vollenden dieser Knabe:

Er wird das rechte Reich mit rein geklärtem Auge

Begründen, vielem Volke Freund, Erbarmer sein,

Und weithin leiten wird er heilig seinen Wandel.


694

Mein Leben aber dauert nicht mehr lange nun,

Bevor die Zeit noch anbricht muß ich scheiden hin:

Die Lehre, die kein andrer lehrt, vernehm' ich nicht;

In Trauer also muß ich untergehn, untröstbar.«


695

Den Sakyern hat er reiche Freude so bereitet,

Ist aus dem Schlosse dann gezogen hin, der Büßer;

Besuchen mocht' er seiner Schwester Sohn barmherzig,

Die Lehre, die kein andrer lehrt, ihm zu verheißen.


[159] 696

»Vom Auferwachten wann dir einer wird erzählen,

Vollkommen wach geworden daß er höchstes Ziel zeigt,

Dahin dann ziehe, frei um selbst ihn auszuforschen:

Magst wandeln beim Erhabnen deinen Wandel heilig.«


697

Von ihm gewiesen, dem Asketen, mildgemut,

An jenen rein geklärten Seher künftighin,

Hat Nāḷako, der Schwestersohn, gar wohlbegabt,

Den Sieger noch erharrt, geduldig, sinnbezähmt.


698

Und als er hört vom Reiche, das der Sieger schuf,

Da eilt er hin, erblickt den Seherfürsten froh:

Um höchstes Denktum forscht er besten Denker aus,

Der Weisung, wie Asito einst geheißen, treu.


Denktum

Nāḷako:


699

Geraten hat mir solches Wort

Asito, und ich rede nun,

Um frei zu fragen Gotamo,

Der alle Dinge hat erkannt.


700

Gelassen hab' ich Haus und Hof,

Als Mönch zu wandern ist mein Wunsch:

O Denker, zeig' es du mir an,

Das Denktum, dieses letzte Ziel.


[160] Der Herr:


701

Das Denktum will ich weisen dir,

Das schwer man findet, schwer gewinnt,

Ich will es gern dir künden an:

Du sei gefaßt und unverzagt.


702

In gleicher Mitte soll man gehn,

Nicht tadeln, danken nicht im Dorf,

Nicht Ärger dulden im Gemüt,

Beschwichtigt, ohne Überschwall.


703

Geflüster hört man, manchen Laut,

Wie Feuer, wann es knisternd flammt:

Es sehn die Frau'n dem Denker nach,

Doch keine kann ihn ausersehn.


704

Er weiß von keiner Paarung mehr,

Gemeiner, feiner Lust entwöhnt:

Unwendbar, unverlockbar fern,

Ob zart, ob grob das Wesen sei.


705

›Wie ich bin sind es jene dort,

Wie jene sind bin ich es da‹:

Sich selber wer als Gleichnis nimmt,

Nicht mag er morden, töten nicht.


706

Entknechtet, ohne Gnüge, Lust,

Woran der Erdensohn sich knüpft,

Mit scharfem Blicke soll er ziehn,

Dahin, aus dieser Hölle fort.


[161] 707

Bei leichtem Leibe, karger Kost,

Vergnüglich, ungelüstig bald:

Genügen weil er nirgend nährt,

Genugsam weilt er, ohne Wunsch.


708

Zu Mittag, nach dem Bettelmahl,

Zum Waldgelände kehrt er hin:

An Baumes Wurzeln wählt er Rast

Und Ruhesitz, der Denker, aus.


709

In Schauung innig eingesenkt

Am Waldgelände weilt er gern,

Mag schauen also, baumbeschirmt,

Bei sich allein beseligt sein.


710

Und wann der Tag dann dämmert auf,

Zum Dorfe wird hinab er gehn;

Kein Zuruf macht ihn zugeneigt,

Vom Dorfe wann er weiterzieht.


711

Der Denker, geht er durch das Dorf,

Von Haus zu Hause steht er still,

Auf Atzung wartend, ohne Wort,

Läßt hören keiner Bitte Laut.


712

›Empfangen hab' ich was mir taugt‹,

Und ›Also ist mir nicht gedient‹:

Um beides kommt er stark herum,

Gleichwie man Balken übersteigt.


713

Den Napf im Arme geht er fort,

Kein Narr, als Narr zu gelten doch,

Geringe Gabe sei ihm recht,

Kein Geber soll mißachtet sein.


[162] Nāḷako:


714

Die Fülle reicher Regelkunst

Erfind' ich beim Asketen nicht,

Nicht kommt man zwiefach an sein Ziel:

Hier ist es einfach ausgedacht.


715

Zerfahren wer da nimmer wird,

Als Mönch die Strömung hat gekreuzt,

Wer Tat und Untat abgestreift,

Empfinden kann er keine Pein.


Der Herr:


716

Das Denktum weiter weis' ich dir:

Wie Messerschneide werde scharf,

Die Zunge halt' am Gaumen fest,

Am Leibe sei du wohlgewahrt.


717

Unangelegen sei der Sinn,

Und nicht ersinnen soll man viel;

Unruchbar wer entrodet geht

Vollendet heilig seinen Gang.


718

Alleinig weilen wird er gern,

Und auch Asketen nahegehn;

Allein sein heißt ein Denker sein,

Allein nur ist ihm wieder wohl.


719

Der Weisen Stille wer versteht,

Wo Schauung waltet, keine Sucht,

In Demut ihnen zugekehrt

Erwachsen mag er, wer mir folgt.


[163] 720

Das lernet von der Flüsse Flut,

Vom Bergesbach, vom Stufensturz:

Geschwätzig wellt ihr Wasserschwall –

Verschwiegen wellt der Ozean.


721

Wo Mangel ist ist Lärm erzeugt,

Was voll ist ist in sich gefaßt;

Halbleerem Kruge gleicht der Tor,

Dem tiefen See der kluge Mann.


722

Wer vielberedt ist als Asket,

Gar wohl den Sinn zu deuten weiß:

Als Kenner legt er dar das Wort,

Als Kenner ist er vielberedt.


723

Und wer als Kenner in sich geht,

Als Kenner wenig Worte spricht:

Als Denker ziemt ihm Denkerpreis,

Als Denker gilt ihm Denkerziel.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 156-164.
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