Denkmal.

Young.


He mourns the Dead, who lives as they desire.

Die beste Trauer um die Todten ist ein Wandel nach ihrem Sinn.


Königsberg, den 16. des Heumonats, 1756.[233]


Spr. Sal. XXXI, 28.


Ihre Söhne kommen auf und preisen Sie seelig;

Ihr Mann lobet Sie.[234]


Denkmal.


Ich nehme mir die dankbare Wehmuth eines Sohnes zum Beyspiel, der in einem wohlthätigen Leichnam, auf dem er der Gefahr des Todes bey einem Schiffbruch entschwamm, seinen Vater erkannte, welcher sein Reisegefährte gewesen war. Diese kalten und erstarrten Gebeine schenkten ihm jetzt ein zweytes Leben, ihr Anblick setzte ihn daher in eine Begeisterung, worin sich Schrecken, Zärtlichkeit, Mitleiden und Freude mischten.


Sey mir gesegnet, fromme Leiche meiner Mutter! Bist Du es, die mich unter Ihrem Herzen trug, die Sorgen für die Bedürfnisse meines Daseyns, – durch die Stuffen des Pflanzen- und Raupenstandes bis zum reiferen Menschen, – mit der Vorsehung theilte? Ja Dank sey es der Vorsehung für diese Jahre und ihren Gebrauch, deren Vernunft und Erfahrung mich gelehrt, wie viel eine Mutter, wie Du, ihrem Kinde werth sey. – So kann sich die Blume im Thal der Natur und ihres Schöpfers mehr rühmen, als der Thron Salomons seines Stifters und seiner Herrlichkeit. – Doch das Lob meiner Mutter soll kein Tadel der Welt seyn, die von ihr gefürchtet und überwunden worden; sondern, gleich Ihrem Wandel, ein stilles Zeugniß für Sie, das mein Herz GOtt zur Ehre ablegt, und Ihr Andenken mein stummer und treuer Wegweiser zur Bahn desjenigen Ruhms, den Engel austheilen. Ihr Geist genießt im Schooß der Seligkeit jene Ruhe, in deren Hoffnung der Trost, und in deren Besitz der Gewinn des Glaubens besteht. Von der Sehnsucht desjenigen gerührt, was GOtt dort bereitet hat, linderte Sie schon hier den Eckel der Eitelkeit und die Geduld des Leidens durch den Gedanken Ihrer Auflösung. Zu Ihrer Freude erhört, unsern Sinnen und Wünschen hingegen entzogen, liegt nichts als Ihr entseelter Körper, Ihr blasser Schatten vor mir. Sey mir selbst als Leiche gesegnet, in deren Zügen mir die Gestalt des Todes lieblich erschien, und bey deren Sarge ich mich heute zu meiner eigenen Gruft salben will!

Dies ist demnach der letzte Knoten meines Schicksals, das auf mich wartet. Ich werde der Welt und meines eigenen Leibes entbehren müssen, ohne Abbruch desjenigen Theils meiner selbst, der mit beyden so genau verbunden ist, daß ich über diese Trennung als über ein Wunder erstaune? Das Schauspiel der Erde wird aufhören mir Eindrücke zu geben, die Werkzeuge der Empfindung und Bewegung, ungeachtet man ihrer so gewohnt wird, daß man sie fast für unentbehrlich zu halten anfängt, werden ihrer Dienste entsetzet werden! – Bin[235] ich also deswegen da, um es bald nicht mehr zu seyn? Der ungereimteste Widerspruch, dessen kaum der Mensch fähig wäre, wenn er sich auch selbst als Ursache und Wirkung zugleich ansehen könnte. – Nein, jenes weise und große Urwesen, das mir in jedem Geschöpfe, so mich umgiebt, unbegreiflich allgegenwärtig ist, dessen Fußstapfen mir allenhalben sichtbaren Segen triefen, wird anstatt meiner Endzwecke gehabt haben, Endzwecke, die aus der Liebe für seine Werke fließen, sich auf das Beste derselben beziehen, und denen ich nachzudenken, die ich zu vollziehen gemacht bin. – Wehe mir nun das Geschäfte versäumet zu haben, zu dem ich bereitet wurde, und mir zu Gefallen die Natur, die ich durch meinen Mißbrauch ihrer Güter geängstigt! Doch weiß ich selbst die Größe meiner Verbrechen, da ich um die Pflichten, um die Verbindlichkeiten, um die Bedingungen meines Daseyns, ja um die Anschläge und den Aufwand des Himmels zu meinem Wohl so sorgloß gewesen? Ich habe umsonst gelebt, und GOtt hat seine freygebige Aufmerksamkeit, welche die ganze Schöpfung erkenntlich und glücklich macht, an mir verloren? – Was sage ich: verloren? – an mir! – dem Beleidiger der höchsten Majestät, der ihren Entwürfen entgegen gearbeitet, an seinem eigenen Verderben nicht genug gehabt, freche Eingriffe in die ganze Ordnung der Haushaltung GOttes, und in die Rechte seines Geschlechts gewagt. – Da ich aber fast alle seine Wohlthaten mit so viel Gleichgültigkeit, wie den ersten Odem, aus seiner Hand eingezogen; warum wird es mir jetzt so schwer denselben wieder zu geben? – Ich sehe hierin mehr als eine natürliche Begebenheit; – ich fühle die Ahndung einer Rache, die mich heimsuchen will. – Das Rauschen eines ewigen Richters, der mir entgegen eilt, betäubt mich mächtiger als die Vernichtung meiner Kräfte. – Tod! König der Schrecknisse! gegen den uns kein Seher der Natur, wenn er gleich ein Büffon ist, weder durch Beobachtungen noch durch Spitzfindigkeiten stark machen kann; gegen dessen Bitterkeit man mit dem König der Amalekiter die Zerstreuungen der Wollust und eine marktschreyerische Miene umsonst zu Hülfe ruft: – durch welches Geheimniß verwandelt dich der Christ in einen Lehrer der Weisheit, in einen Boten des Friedens?

Die letzten Stunden meiner frommen Mutter öffneten mein weiches Herz zu diesem seligen Unterrichte, der unser Leben und das Ende desselben heiliget! – GOtt meiner Tage! lehre mich selbige zählen, daß ich klug werde. Diese Erde ist also nicht mein Erbtheil, und ihre niedrige Lust tief unter dem Ziel meiner Bestimmung; diese Wüste, wo Versuchungen des Hungers mit betrüglichen Aussichten abwechseln, nicht[236] mein Vaterland, das ich lieben; diese Hütte von Leim, welche den zerstreuten Sinn drückt, nicht der Tempel, in dem ich ewig dienen, und für dessen Zerstörung ich zittern darf. – Ich bewundere hier den Baumeister einer Ewigkeit, wo wir auch Wohnungen finden sollen, bloß aus dem Gerüste dazu; und halte die Reihe meiner Jahre für nichts als Trümmer, auf denen ich mich retten, und durch ihre kluge Anwendung den Hafen erreichen kann, der in das Land der Wonne einführt. – Ausgesöhnt mit GOtt, werde ich seines Anschauens gewürdiget seyn, mich in einem reineren Lichte seiner Vollkommenheiten spiegeln, und das Bürgerrecht des Himmels behaupten können. Weder Feind, noch Ankläger, noch Verläumder, denen sich nicht ein Fürsprecher widersetzt, welcher die verklärten Narben seiner Liebe auf dem Richterstuhl an seinem Leibe trägt, – nach dessen Ähnlichkeit meine Asche von neuem gebildet werden soll. – Sein ganzes Verdienst, wodurch er die Welt der Sünder zu Seinem Eigenthum erkauft, gehört unserm Glauben; – durch ihn geadelt folgen uns unsere Werke nach, – und der geringste unserer Liebesdienste steht auf der Rechnung des Menschenfreundes geschrieben, als wäre er Ihm gethan. – Wie zuverläßig ist unsere Sicherheit auf die Zukunft bestätigt, da uns von des Himmels Seite so viel abgetreten und eingeräumet wird, als er für uns übernommen und ausgeführt hat! Ich frage die Geschichte GOttes seit so viel Jahrhunderten, als er unsere Erde schuf; sie redet nichts als Treue. Als er sie aus der Tiefe der Fluthen herauszog, machte er einen Bund, und wir sind Zeugen von der Wahrheit desselben. Unsert willen sprach er zu ihr: Werde! und vergehe! unsert willen kam sie wieder und besteht noch. – Wie vielen Antheil haben wir nicht durch unsere Noth und Gebet an seiner Regierung und Vorsehung? Der Kreislauf des Lebens, das selbst unter der Herrschaft eines allgemeinen Todes sich jederzeit erneuret; der Segen jedes gegenwärtigen Augenblicks; der Vorschuß von den Schätzen, den wir hier schon ziehen; die Zeichen in unserer zeitlichen Erhaltung, welche uns so wenig am Herzen und so öfters außer dem Bezirk unserer eigenen Vorsicht und Hülfe liegt, weissagen uns die entferntere Absichten desjenigen, der den Odem liebt, den er uns eingeblasen. – Religion! Prophetin des unbekannten GOttes in der Natur, und des verborgenen GOttes in der Gnade, die durch Wunder und Geheimnisse unsere Vernunft zur höheren Weisheit erzieht, die durch Verheißungen unsern Muth zu großen Hofnungen und Ansprüchen erhebt! – Du allein offenbarst uns die Rathschlüsse der Erbarmung, den Werth unserer Seelen, den Grund, den Umfang und die Dauer desjenigen Glücks, das jenseits des Grabes uns winkt.[237] Wenn der Engel des Todes an der Schwelle desselben mich zu entkleiden warten, wenn er wie der Schlaf des müden Taglöhners mich übermannen wird, nach dem Schauer, in dem ein sterbender Christ jenen Kelch vorübergehen sieht, den der Versöhner für ihn bis auf die Hefen des göttlichen Zorns ausgetrunken: so laß dies letzte Gefühl Seiner Erlösung mich zum Eintritt Seines Reichs begleiten! – und wenn Du dies Leben meinen Freunden nützlich gemacht, so laß sie auch durch mein Ende getröstet und gestärket seyn!

Schon sucht mein neugieriger Blick schmachtend die Gegenden der Seeligkeit, welche meine Mutter aufgenommen; – noch höre ich in Ihren Seufzern, (welche bey GOtt diejenigen wiederzusehen beteten, die Er Ihr auf der Welt gegeben, die Sie als Säuglinge das Lob Ihres Schöpfers und Mittlers gelehrt, und denen Ihre Spuren nach der Heymath des Christen unauslöschlich seyn werden,) die feyerlichste und zärtlichste Einladung der Gnade zu einer Herrlichkeit, deren Vorstellung allein die Trauer unsers Verlustes mäßigt. Das späteste Opfer Ihres Andenkens weihe die Neigung und Pflicht meines kindlichen Gehorsams Ihm, – mit Dessen Erkenntlichkeit und Liebe Sie Ihre erschöpften Kräfte noch beseelte, und zu deren Nachahmung das Beyspiel und Muster Ihrer letzten Augenblicke, als dringende Bewegungsgründe, hinzu gekommen!

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 231-238.
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