Die
Magi aus Morgenlande, zu Bethlehem.

[136] Τι αν ϑελοι ο ΣΠΕΡΜΟΛΟΓΟΣ ουτος λεγειν;[137]


INCIPE PARVE PVER!

RISV COGNOSCERE MATREM.[138]


Dem Publico ist in diesem Jahr, an dessen Rande wir stehen, die Zeitung von zwo gelehrten Gesandschaften verkündiget worden, davon die erste eine astronomische Erscheinung zum Augenmerk hat, von welcher bereits in unsern Frag- und Anzeigungsblättern unterichtend und erwecklich gehandelt worden1; die andere aber betrift die morgenländische Litteratur, welche die Geschichte des menschlichen Geschlechts sowohl als der christlichen Religion in ihren Alterthümern mit vielen Anekdoten bereichern kann.

Meine gegenwärtigen Gedanken werden dort zu stehen kommen, wo das Kindlein war, dessen Geheimnißvolle Geburt die Neugierde der Engel und Hirten beschäftigte, und zu dessen Huldigung die Magi aus Morgenland, unter Anführung eines seltenen Wegweisers, nach Bethlehem eilen. Ihre Freude über das endlich erreichte Ziel ihrer Wallfahrt drückte sich ohne Zweifel in Solöcismen aus, die heftigen und plötzlichen Leidenschaften eigen zu seyn pflegen.

Hat es die Muse eines eben so glücklichen Dichters als scharfsinnigen Kunstrichters gewagt, den Besuch der Hirten bey der Krippe in einem Singespiel zu feyren: so mag es mir erlaubt seyn, dem Andenken der Weisen aus Morgenland einige Weyrauchkörner sokratischer Einfälle anzuzünden.

An statt einer Untersuchung von dem Lehrgebäude einer dunkeln Seckte, und den Trümmern ihrer Theogonie und Astrologie; an statt einer Muthmassung von dem magischen Stern, die weder fontenellisch noch algebraisch gerathen möchte, werde ich mich in einer allgemeinen Betrachtung über die Moralität ihrer Reise einschränken.

Das menschliche Leben scheinet in einer Reihe symbolischer Handlungen zu bestehen, durch welche unsere Seele ihre unsichtbare Natur zu offenbaren fähig ist, und eine anschauende Erkäntniß ihres würksamen Daseyns ausser sich hervor bringt und mittheilet.

Der blosse Körper einer Handlung kann uns ihren Werth niemals entdecken; sondern die Vorstellung ihrer Bewegungsgründe und ihrer Folgen sind die natürlichsten Mittelbegriffe, aus welchen unsere Schlüsse nebst dem damit gepaarten Beyfall oder Unwillen erzeuget werden.[139]

Dies Gesetz der Erfahrung und Vernunft scheint der Reise unserer Pilgrimme nicht günstig zu seyn, wenn selbige ihrer Entscheidung anheim fiele. Der Bewegungsgrund ihrer Ankunft aus ihrem eigenen Munde, dringt unserm Urtheil einen längst verjährten Wahn, den Eindruck einer Sage auf, an die sie sich, als ein fest prophetisch Wort gehalten hatten; – den Übelstand und das Unrecht zu geschweigen, womit sie sich als Bürger an ihrem Vaterlande, durch eine so weit getriebene Hochachtung für einen fremden Landesherrn, vergiengen. Was die Folgen ihrer Unternehmung anlangt, so läst sich leicht erachten, daß die Mütter, welche das Blutbad ihre Kinder beweinen musten, auch über die Unbedachtsamkeit und den Vorwitz dieser Fremdlinge werden geseufzet haben. Der neugebohrne König der Juden selbst muste flüchtig werden, weil er von seinen Anbetern Herodi, dem herrschenden Antichrist, der ein Lügner und Mörder von Anfang, verrathen war.

Zittert! betrogne Sterbliche, die ihr den Adel eurer Absichten, zu eurer Gerechtigkeit macht! Das System des heutigen Jahres, das euch den Beweiß eurer Vordersätze erläst, wird das Mährchen des morgenden seyn. Schöpft Muth! betrogne Sterbliche, die ihr unter den Nachwehen eurer guten Werke verzweifelt, und die Fersenstiche eures Sieges fühlt! Der Wille der Vorsehung muß euch angelegentlicher seyn, als der Dünckel eurer Zeitverwandten und Nachkommen.

Doch last uns nicht die Wahrheit der Dinge nach der Gemächlichkeit, uns selbige vorstellen zu können, schätzen. Es giebt Handlungen höherer Ordnung, für die keine Gleichung durch die Elemente (Satzungen) dieser Welt heraus gebracht werden kann. Eben das Göttliche, das die Wunder der Natur, und die Originalwerke der Kunst zu Zeichen macht, unterscheidet die Sitten und Thaten beruffener Heiligen. Nicht nur das Ende, sondern der ganze Wandel eines Christen ist das Meisterstück2 des unbekannten Genies, das Himmel und Erde für den einigen Schöpfer, Mittler und Selbsthalter erkennet und erkennen wird in verklärter Menschengestalt.

Unser Leben, heist es, ist verborgen mit Christo in GOtt. Wenn aber Christus, – unser Leben, – sich offenbaren wird, denn werden wir auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit. Und anderswo: darum kennt euch die Welt nicht, denn sie kennt Ihn nicht. Noch ist nicht erschienen was wir seyn werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir Ihm gleich seyn werden, denn wir werden Ihn[140] sehen wie Er ist. Ja, ja. Er wird kommen, daß Er herrlich erscheine mit Seinen Heiligen, und wunderbar mit allen Gläubigen.

Wie unendlich wird die Wollust derjenigen, die Seine Erscheinung lieb haben, es der hohen Freude unserer Schwärmer aus Morgenland, da sie den Stern sahen, zuvorthun! Voll Nachdruck und Einfalt sagt die Urschrift unsers Glaubens;


εχαρησαν χαραν μεγαλην σφοδρα.


:הוהי יתיוק ךתעושיל

Ετι γαρ μικρον οσον οσον, ο ΕΡΧΟΜΕΝΟΣ

ηξει και ου χρονιει.


Königsberg,

den 27./16. des Christmonaths 1760.

1

Der merkwürdige und längst erwartete seltene Durchgang der Venus durch die Sonnenscheibe, wie derselbe sich auf unsern königsbergischen Horizont 1761. den 6. Junii des Morgens besonders sichtbar und zur Aufnahme der Astronomie höchsterwünscht ereignen wird, von einem Verehrer dieser schönen Wissenschaft nach verschiedenen astronomischen Tabellen berechnet und zur Einladung seiner Mitverehrer zur Beobachtung dieser wichtigen Begebenheit dem Druck übergeben vom getauften Juden, dem Feldmeßer.

2

Eph. II, 10.

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 136-141.
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